Wenn man auf die Webseite der »Staatsministerin für Kultur und Medien« geht, erkennt man sehr schnell, worum es wirklich geht: Ums Geld. Genauer: Um 1,67 Milliarden Euro für die Kulturförderung 2018, die, so die Ministerin »ein starkes Zeichen für die Kultur als Grundlage unserer offenen, demokratischen Gesellschaft« bilden. Wer etwas weiter forscht, kann einige geförderte Projekte aus dem Jahr 2017 nachlesen. Es geht um Filmförderung, Denkmalpflege aber auch – man ist überrascht – um die Deutsche Welle und die Bayreuther Festspiele. Vermutlich würden all diese Gelder auch ohne die Staatsministerin und deren Stelle (die im übrigen kein Ministerium darstellt; anders, als der Titel dies suggeriert) ausgegeben. Aber unter Gerhard Schröder wurde nun einmal eine Bundesbeauftragten-Stelle für Kultur ausgeschrieben – und seitdem beibehalten. Die »Kulturschaffenden« sollen wohl abseits der üblichen länderspezifischen Förderungen eine zentrale Ansprechstelle haben. Rund 190 Personen (laut Wikipedia) arbeiten in dieser Behörde.
Die Ministerin in diesem Amt hat – fast noch mehr als in anderen Ministerien – vor allem mediale Aufgaben. Sie ist das »Gesicht« der Kulturförderung, was insofern leicht verfälschend ist, weil in Deutschland Kultur primär Ländersache ist (der Bund trägt rund nur 15% der gesamten Kulturförderung in Deutschland). Immerhin: Pro Kopf beträgt die Kulturförderung rund 120 Euro (Stand: 2013).
Demzufolge ist Monika Grütters, die amtierende Staatsministerin, geradezu omnipräsent in den Medien vertreten. Ihr neuester Coup ist ein kurzer »Gastbeitrag« im »Tagesspiegel«, der bereits in der Überschrift einiges verspricht: »Das Internet bietet mehr Freiraum, als Demokratie verträgt.«
Wer die Gepflogenheiten im Journalismus kennt weiß zwar, dass die Titel von Texten nur selten von den Autoren selber stammen und meist von Redakteuren verfasst werden, aber wenn man weiterliest offenbart sich dort ein sehr fragwürdiges Gedankengut. Nicht auszudenken, wenn so etwas von einem der AfD-Wichte oder eines Politikers der Linken verfasst worden wäre. Aber bei Monika Grütters regt sich kaum jemand auf. Dabei gibt es durchaus einiges Bemerkenswertes in diesem Beitrag.
Schon im Zwischentitel – auch dieser muss nicht von ihr stammen – bekommt man eine Ahnung:
»Die Digitalisierung stellt den Rechtsstaat auf eine Bewährungsprobe. Zur Wahrung zivilisatorischer Errungenschaften braucht es ein politisches Update.«
Lustig ist ja diese Anbiederung an die Digitalsprache durch das Wort »Update«. Aber was ist das genau, ein »politisches Update«? Wie ist das gemeint?
Wer weiterliest, wird klüger. Grütters Befund:
»Offensichtlich ermöglicht das Internet derzeit mehr Freiraum, als die Demokratie vertragen kann…«
Da passt jemandem etwas nicht. Und dazu drängen sich Fragen auf:
- Welcher Freiraum, welche Freiräume, sind gemeint?
- Wer bestimmt, wo der Freiraum aufhört?
- Wer bestimmt, was eine Demokratie »vertragen« kann?
Grütters nennt durchaus Beispiele für Demokratieunverträglichkeiten in ihrem Sinn:
»… die Möglichkeit, Daten zu missbrauchen; die Möglichkeit, Deutungsmonopole aufzubauen; die Möglichkeit, Lügen, Hass und Hetze zu verbreiten; die Möglichkeit, sich künstlerischer und geistiger Leistungen zu bedienen, ohne dafür zu bezahlen – um nur einige Beispiele zu nennen.«
Es geht also um Möglichkeiten, genauer: Um Missbrauchsmöglichkeiten. Dies kollidiert allerdings mit dem ersten Halbsatz, als von einem »Freiraum« die Rede ist. Jetzt ist es so, dass freie Gesellschaften per se auch die Möglichkeit beinhalten, dass man diese Freiheiten »missbraucht«. Man kann beispielsweise im Supermarkt ein Messer oder eine Schere kaufen, diese auspacken und sofort »missbrauchen«, in dem man eine Person angreift. Der »Missbrauch« von Freiräumen ist also keine Erfindung des digitalen Zeitalters.
Frau Grütters wählt für ihre Missbrauchstheorie allerdings andere Beispiele, die zunächst einmal einen Zustimmungsaffekt auslösen. An erster Stelle steht der Datenmissbrauch – und jeder weiß sofort, wer gemeint ist. Nein, nicht die Kommunen, die die Meldedaten ihrer Bürger an andere Institutionen verkaufen. Auch wohl eher nicht die Deutsche Post, die – allerdings leicht verschlüsselte – Daten an Parteien zwecks gezielterer Wahlwerbung verkauften. Die meint Frau Grütters offensichtlich nicht. Schade eigentlich. Sie meint die Datensammler wie Facebook und weiß sich damit natürlich sofort eins mit rund 90% all derjenigen, die zwar ständig ihre rhetorische Empörungsgymnastik ausstellen, aber hübsch brav bei Facebook weiter ihre Seiten betreiben.
Dies vielleicht noch geschenkt. Interessanter – und jetzt wird es bedenklich – der Rekurs auf »Deutungsmonopole«. Wie sie dies versteht, wird im weiteren deutlich:
Grütters sieht »das Recht auf freie Meinungsbildung und die Grundprinzipien einer demokratischen Kultur der Verständigung« gefährdet und hierfür bräuchten »die entsprechenden Regeln ein politisches Update: eine Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen.«
Wer in der freien Wirtschaft ein Monopol auf die Herstellung eines Produkts hat, fürchtet nichts mehr als den Konkurrenten, der ihm dieses Monopol streitig machen könnte. Grütters’ Furcht vor einem »Deutungsmonopol« ist exakt jene Angst vor einer Oligopolisierung des Angebots. Dabei verkehrt sie den Monopol-Begriff. Der Verlust der Deutungshoheit der klassischen Medien wird nicht mit deren Versäumnissen erklärt, sondern skandalisiert mit dem Begriff des »Deutungsmonopols«.
Statt den Rezipienten selber entscheiden zu lassen, wird der übliche Popanz der Gefahr durch den »Algorithmus« aufgebaut:
»Was Facebook-Nutzer zu sehen bekommen, sind…die Ergebnisse eines Algorithmus – ausgerichtet auf individuelle Nutzerpräferenzen und programmiert nicht im demokratischen Interesse der freien Meinungsbildung, sondern im Interesse ökonomischer Gewinnmaximierung mit dem Ziel, möglichst viel ‘Traffic’ zu generieren.«
Grütters vergisst, dass der »Algorithmus« nichts anderes ist als eine Auswahl, die aufgrund meiner Präferenzen zustande kommt. Das Schockierende besteht nun darin, dass diese Auswahl nicht mehr durch Menschen vorgenommen wird sondern computergesteuert. Dabei erlebt der Konsument nahezu täglich den »menschlichen Algorithmus«. Der Buchhändler beispielsweise, der meine Vorlieben irgendwann kennt, macht nichts anderes: einem Leser von Trivialromanen würde er nie den neuen Handke empfehlen. Wer seiner Empfehlung folgt, erhöht dessen Gewinn. Was ist daran schlimm? Grütters moniert die Intransparenz, aber was schert es den Amazon-Kunden, der mit der Funktion »Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch« ein Buch entdeckt hat, dass vermutlich 99% der Buchhändler unbekannt gewesen wäre.
Die Stoßrichtung von Grütters’ Kritik ist natürlich nicht neu. Sie möchte »Filterblasen« vorbeugen – dabei sollte sie womöglich auch einmal mit gutem Beispiel voran gehen, aber das ist sicherlich »Polemik«.
Grütters fordert »Regeln, die Transparenz und Wahlfreiheit fördern: Internetnutzer müssen in der Lage sein, meinungsbildungsrelevante Angebote einfach zu finden.«
Welche Regeln meint sie? Reichen die bisherigen Maßnahmen bei Verstößen (bspw. der Volksverhetzungsparagraph) nicht aus?
Und was sind im Grütter’schen Sinne »meinungsbildungsrelevante Angebote« jenseits der vorher – zu recht – gegeißelten »Klick-Ökonomie«? Werden hier Meinungen nach »gut« und »schlecht«, nach »richtig« und »falsch« sortiert? Klar: Es gibt Fakten, die richtig sind oder eben nicht – dann sind es keine Fakten. Aber welche Form von »Meinungsbildungsrelevanz« schwebt Frau Grütters vor? Und wer bestimmt diese?
Was bedeutet »einfach finden«? Wer will kann mit einem Klick die Angebote von FAZ, SZ, der ARD oder dem ZDF finden. Sollen demnächst bei unliebsamen, im Sinne der Ministerin nicht meinungsbildungsrelevanten Angebote sozusagen als Ausgleich auch Links zur »Gegenmeinung« vorgeschrieben werden? (Das müsste dann allerdings auch gegenseitig geschehen. Will man das?) Und: Wer soll das alles überwachen? Private Unternehmen wie bei Facebook? Oder gar Regierungsbeamte?
Es geht diffus weiter: Nutzer« sollten außerdem leicht erkennen können, wenn Algorithmen Anwendung finden – wenn zum Beispiel Nachrichten nicht oder nicht ausschließlich nach journalistischen Kriterien ausgesucht werden.«
Da ist die nächste Crux: Wenn sie nach den Kriterien für Algorithmen fragt (das diese in den meisten Angeboten von digitalen Medien Anwendung finden, ist unstrittig und bedarf nicht jedes Mal der besonderen Erwähnung) und stattdessen »journalistische Kriterien« hochhält: Nach welchen Kriterien werden diese Nachrichten denn ausgewählt? Wer achtet hier auf Transparenz und legt die Kriterien offen? Warum beispielsweise in der tagesschau am 6. Mai ein Bericht über ein Grubenunglück in Pakistan?
So nebulös sie formuliert sind – wer zwischen den Zeilen lesen kann, erschrickt. Noch mehr Unsinn à la »Netzwerkdurchsetzungsgesetz« oder »Datenschutzgrundverordnung«? Die Äußerungen zu den »politischen Updates« zeigen den Paternalismus von Politikern. Sie glauben dem Rezipienten helfen zu müssen, die »richtigen« Medienangebote zu finden. Sie wollen ihn »schützen« vor der bösen Welt der Hasskommentare und Fakenews. Letzteres betreiben natürlich immer nur die anderen – es ist wie mit der »Propaganda«. Den leider virulenten Rudeljournalismus, der zu Einseitigkeiten und selektiven Nachrichten eben auch – leider – bei einst als seriös eingestuften Medien führt, ignoriert sie. Dem Meinungsgetöse der rechten und linken setzt sie das Meinen der »richtigen« entgegen. Nur einmal fällt ein Satz über Medienkompetenz, »die zu stärken gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern« sei. Nachdem, was man vorher gelesen hat, nicht unbedingt beruhigend.
Man mag nun mokant lächeln und die Kompetenzlosigkeit der Staatsministerin in solchen Aufgaben anführen. Aber es zeigt, welches Denken inzwischen vorherrscht. Gegen strafrechtsrelevante Postings und Kommentare vorzugehen – dagegen hat niemand etwas und dies ist heute auch schon möglich und erfolgreich. Aber wenn der Staat überlegt, wie Menschen nur noch das vermeintlich richtige rezipieren, beginne ich mir Sorgen zu machen.
Dass die Politik einmal ganz ähnliche Sorgen wie die Kirche haben würde, wer hätte das gedacht? Die armen Sünder sind natürlich frei, selbstverständlich, sie mögen aber bitteschön nicht vom rechten Weg abgleiten...