A.d.L.e.R: Aus dem Leben einer Rikschafahrerin – Nr. 11
Es war auf einem CSD, als der CSD noch nicht vom ehemaligen Loveparadepublikum überrannt wurde. Es war so: Wir stehen am Großen Stern, es ist später Nachmittag, Sekt wird aus Flaschen getrunken, und bei uns ist grade leichte Flaute. Nun sollen, heißt es, vier Fahrgäste mit zwei Rikschas irgendwohin in die Nähe der Eisenacher Straße gebracht werden. Natürlich wissen alle außer mir, auch unbeteiligte Umstehende wissen es, dass einer dieser Vier kein Geringerer ist, als Udo Walz. Bevor wir losfahren, kann mein Kollege es mir im Vorbeigehen noch zuraunen: »Udo Walz, der Frisör der Kanzlerin.« (Gibt bestimmt Trinkgeld). Strecke und Preis sind vereinbart, der Kollege geht an sein Fahrzeug, die Gäste steigen ein. Kann einer, frage ich mich, der die Kanzlerin frisiert, noch bei Trost sein? Ich steige auf, löse die Bremsen, frage die Gäste: »Sitzen Sie gut?« und lehne mich nach einem geseufzten »Ach herrlich« gegen die Pedalen. Walz ist bei meinem Kollegen eingestiegen. Er hat etwas ungeheuer Sympathisches, man fühlt sich wohl in seiner Nähe.
Wir passieren die zur Seite gestellte Absperrung am Ende der Hofjägeralle. Mein Kollege, der für seine Haare nicht mehr und nicht weniger tut, als bei gelegentlichen, allzu langen Wartenzeiten mit gespreizten Fingern durchzufahren, mein Kollege scherzt mit den Gästen. Die Gäste erzählen mit Verve die gefärbte-Schläfen-Affäre des Alt-Bundeskanzlers Schröder nach. Gelächter umflattert die Rikschas. Wir sausen, in der Mitte der Fahrbahn, nebeneinander, die im Augenblick autofreie Klingelhöferstraße hinauf, fröhliche Kundschaft verleiht Flügel. Walz ist wahnsinnig entspannt und hält den kleinen Finger in den Fahrtwind. Ich lasse, während ich trete, den Lenker mit einer Hand los, mache den Rücken gerade und überlege, was mich mit Walz verbindet, und was mich von ihm trennt. Mit Walz verbindet mich, dass ich in seiner Kanzlerinnenfrisur ein Sinnbild ihrer Politik erkenne.
Als wir an der Ampel bei der CDU-Parteizentrale zum Stehen kommen, sage ich Walz, was es ist, das mich von ihm trennt: »Herr Walz, halten Sie von mir, was Sie wollen, ich muss es gestehen: Ich bin rundheraus gegen Frisuren. Und ich gehe grundsätzlich nie zum Frisör.« Die Ampel wird grün, wir fahren an und lassen die Parteizentrale hinter uns liegen. »Ja«, antwortet Walz, »da haben Sie völlig recht. Ich auch nicht. Kein Mensch braucht einen Frisör.«
Man mag es glauben oder nicht, aber ich lege meine Hand ins Feuer dafür, dass bei Walz nicht der leiseste Funke Koketterie mitgespielt hat. Jedenfalls war klar, dass nicht nur kein Mensch einen Frisör, sondern natürlich auch kein Mensch eine Rikscha braucht. Das verband uns nun wieder. Wir waren ruckzuck am Ziel. Ich fand es schade, dass die Tour nur so kurz war. Am Ende stieg die ganze Bagage unter allerlei flotten Sprüchen über Kalorienbomben aus, um händereibend in einer Konditorei zu verschwinden.
Naja, mindestens so verantwortlich wie die Trägerin einer Frisur ist der Meister ja selber...
dem Frisör ist nichts zu schwör!