Wie wäre das eigentlich: Ein Buch von Thilo Sarrazin erscheint – und niemand regt sich darüber auf, bevor er es nicht mindestens gelesen hat?
Schwierig wohl, denn die Wellen zu »Deutschland schafft sich ab« schlagen heute noch hoch. Dabei war es nicht damit getan, Sarrazin an einigen Stellen seinen biologistischen Unsinn vorzuhalten und abzuarbeiten. Man benutzte diese Stellen, um das, was in dem Buch ansonsten angesprochen wurde, per se zu diskreditieren. Bei einem zweiten Buch – zu einem vermeintlich anderen Thema – soll nun diese Vorgehensweise perfektioniert werden. »Halt’s [sic!] Maul« protestiert man dann auch schon vorher – und beweist eine bemerkenswerte Diskussionskultur. Als die Protestler am 20.05. vor der Fernsehsendung »Günther Jauch« entsprechend demonstrierten (Sarrazin war dort zum Gespräch mit Peer Steinbrück geladen), dürften sie unmöglich das Buch gelesen haben, um das es in der Sendung ging. Ihnen und auch den Beobachtern der »Nachdenkseiten« stört so etwas nicht: Im Zweifel haben sie sich schon eine Meinung gebildet bevor das, was sie das, was sie kritisieren, überhaupt kennen. Denn sie wissen es ja: Ein »Rassist« und ein »rechter Sozialdemokrat« im Gespräch – da kann nichts rauskommen. Dabei reagieren sie wie Pawlowsche Hunde und ersetzen Intellekt bereit- und freiwillig mit Affekt.
Ich hatte am Mittwoch (16.05.) ein Leseexemplar vom Verlag zugeschickt bekommen. Es ist kaum möglich, innerhalb von vier Tagen das Buch vernünftig zu lesen, durchzuarbeiten und ein konzises Urteil zu fällen. Und obwohl ich davon ausgehe, dass Leute wie Steinbrück eine etwas längere Zeit zur Verfügung hatten, merkte man dem Gespräch an, dass der Contra-Anwalt erhebliche Lücken offenbarte, was Sarrazins Buch anging und der Autor mit seinen Entgegnungen entsprechend kontern konnte.
Zwei Botschaften und ein Sündenfall
Sarrazins Buch hat zwei Botschaften. Eine ist unmittelbar aus dem Titel herauszulesen. Dort steht: »Europa braucht den Euro nicht«. Wenn der Kritiker des Deutschlandradios hier ein »eigentlich« einfügen möchte [im Podcast] und nur aus kommerziellen Gründen die Pointierung im Titel sieht, ist dies nur halb richtig. Tatsächlich lässt Sarrazin am Ende die »Euro-Frage« offen, was ihm natürlich vorgehalten wird (wobei dies heuchlerisch ist – denn wenn er sich vehement gegen den Euro ausgesprochen hätte, dann wäre ihm exakt dies als gestrig vorgeworfen worden). Der Subtext ist jedoch ein anderer. Er lautet »Deutschland braucht den Euro nicht«. Auf der letzten Seite traut er sich dies sogar anzudeuten: »Entweder wir erfüllen das No-Bail-Out-Prinzip mit neuem Leben, oder wir müssen grundsätzlich andere Lösungswege beschreiten, die auch den Austritt aus der Währungsunion nicht ausschließen.«
Die andere, ebenfalls unterschwellig vorgebrachte Botschaft lautet: Wir brauchen Europa nicht. Wenn er auf das Ende der »Vielvölkerstaaten« (gemeint sind Jugoslawien und die Tschechoslowakei) zu sprechen kommt und die Zeit dieser »Kunstgebilde« postuliert (und dabei außer Acht lässt, dass eigentlicher jeder Nationalstaat »künstlich« ist), meint er durchaus auch den Staatenbund Europa. Eine politische Union (die oft genannten, tatsächlich aber von der Politik nie gewollten »Vereinigten Staaten von Europa«) wird (mindestens mittelfristig) abgelehnt. Habermas bekommt einige Spitzen ab und Sarrazin schlägt vor, die Bürger der Mitgliedsstaaten sollten mehr in den europäischen Prozess eingebunden werden – in der Hoffnung, Europa erreicht keine signifikanten Mehrheiten. Dabei vergisst er übrigens, dass auch Habermas diese Bürgerbeteiligung fordert (freilich mit einer anderen Intention). Im günstigsten Fall will Sarrazin eine europäische Freihandelszone mit einheitlichen Standards in Handel, Verkehr und Umweltschutz. Alles andere bereitet ihm irgendwie Unbehagen. Das ist etwas mehr als die Linie der Briten, die seit Jahrzehnten erfolgreich alles Weitergehende blockieren.
Dabei reagiert Sarrazin über weite Strecken wie ein enttäuschter Liebhaber. 1996 hatte er sich noch für den Euro ausgesprochen, pochte jedoch damals bereits auf die Einhaltung der stark am Prinzip der Deutschen Bundesbank ausgerichteten Kriterien. Insbesondere die »No-Bail-Out«-Klausel war ihm wichtig. Hier sollte sichergestellt sein, dass bei Zahlungsproblemen eines Euro-Staates (damals dachte man gar nicht als Staatsinsolvenzen) keine Haftung durch die anderen Länder stattfindet. Immer wieder kommt er auf diesen verbrieften Haftungsausschluss zurück. Und immer wieder kreist das Buch um den »Sündenfall« vom 09.05.2010, »als das Ankaufprogramm für griechische, portugiesische und irische Anleihen gestartet« und Neutralität und Unabhängigkeit der EZB aufgehoben wurde. Seitdem, so Sarrazin, werden mit enormen Summen marode Staaten unterstützt, die im Gegenzug nichts Substantielles dafür tun. Der Euroraum betreibe inzwischen »de facto eine kollektive Haftung für Staatsschulden, die EZB steckt bis über beide Ohren in monetärer Finanzierung und ist tief eingebunden in die Bemühung um die Sanierung der Staatshaushalte. Das Ziel der Preisstabilität tritt sachte zurück gegenüber dem Ziel, die gemeinsame Währung um nahezu jeden Preis zu erhalten«. Soweit Sarrazins Analyse des Status quo, dem man schwerlich widersprechen kann. Die Meinungen gehen zumeist darüber auseinander, wie es jetzt weitergeht.
Aber es genügt Sarrazin nicht, die entsprechenden Länder und ihre Probleme beim Namen zu nennen. Er lässt seinem Zorn freien Lauf, spricht von »Sonnenländern« und auf Verweis mit Griechenland von einem »orientalisch geprägten Volk«, deren politische Klasse und letztendlich die ganze Gesellschaft von Egoismus und Korruption durchdrungen sei. Dabei ist es nicht fatal, dass er Mentalitätsunterschiede festmacht (diese gibt es zweifellos), sondern dass er diese Differenzen pejorativ verwendet. Akribisch trennt er in »Nordländer« und »Südländer«, wobei dieser Begriff wohl nicht rein geografisch verstanden wird (ansonsten müsste er auch über Österreich und Slowenien herziehen), denn auch Frankreich zählt er dazu (seine Attacken gegen den Sozialstaat Frankreich sind zum Teil heftig). Natürlich ist die Schweiz ein Musterland; Sarrazin erhebt die Eidgenossen sogar zum »erfolgreichsten Bundesstaat« der Welt (ein holpriges Unterfangen in vielfacher Hinsicht). Aber selbst hier trennt er zwischen den tüchtigen Deutschschweizern, den schon etwas lässigeren romanischen Bewohnern und dem Tessin: in einer Endnote dient ihm eine Meldung als Beispiel, in der die Disziplin nach Einführung der Gurtpflicht in der Schweiz untersucht wurde (leider nennt er nicht die Quelle für seine Behauptung).
Die politische Instrumentalisierung des Euro – und die Verschwörung
Fast noch größer als der Zorn auf die für ihn untherapierbaren »Südländer« ist der Groll gegenüber der politischen Klasse, die das Projekt Europa sozusagen um jeden Preis am Fetisch Euro festmacht. Als Angelpunkt hierzu dient ihm Merkels Satz »Scheitert der Euro, dann scheitert auch Europa«, den er ganz treffend analysiert. Tatsächlich musste die Intention über eine Währungsunion eine politische Vereinigung zu befördern, gründlich scheitern. Man baut ja kein Haus, in dem man mit dem Dach beginnt. Sarrazin vertritt die inzwischen gängige These, dass Deutschland der Euro sozusagen als Preis für die Deutsche Einheit oktroyiert wurde. Das ist inzwischen wohl hinreichend belegt. Nur am Rande kommt aber vor, dass die ursprüngliche Politik der »Vertiefung vor Erweiterung« Ende der 1990er Jahren zu Gunsten einer verfrühten Expansion der EU sozusagen »geopfert« wurde. Richtig bleibt zwar, dass der Euro von Anfang an ein politisches Instrument war und als solches auch konzipiert wurde. Kohl und Waigel setzten sich über alle Bedenken hinweg; Bundesbank-Chef Pöhl gab schnell im Dissens mit der Regierung auf (eine lange Reihe anderer Bundesbänker sollte folgen). Dabei geriet sukzessive ökonomischer Rat unter die Räder des politisch opportunen. Dennoch war es nicht zwangsläufig, dass ein Land wie Griechenland Mitglied der EWU wurde. Hierüber schreibt er erstaunlich wenig.
Zu großer Form läuft Sarrazin auf, wenn er hinter der Implementierung des Euro eine Verschwörungstheorie Frankreichs und anderer »Südländer« sieht, die deutsche Wirtschaftskraft mit Hilfe der Gemeinschaftswährung sozusagen auszusaugen. Hart kritisiert er deutsche Politiker, die aus der historischen Schuld der Deutschen im Zweiten Weltkrieg eine Legitimation beispielsweise für vertragswidrige Haftungen ableiten mögen. Besonders hat er es auf Wolfgang Schäuble (mir fiel dabei dessen skurril anmutende Karlpreis-Verleihung ein; man sehe das Schlussbild mit den pfeifenden Zuschauern und Schäubles maskenhaftes Mienenspiel) und Helmut Schmidt abgesehen. Schmidt wirft er mangelnden Sachverstand vor; er sei als »relativer Amateur« in Finanzpolitik eingestiegen. Dabei war nicht – wie Sarrazin dies suggeriert – der SPD-Fraktionsvorsitz von 1966–1969 dessen alleinige Qualifikation. Vorsätzlich wird unterschlagen, dass Schmidt immerhin Diplom-Volkswirt war. Seine Rede auf dem SPD-Parteitag im November 2011 sieht er als exemplarisch für das »Dilemma Deutschlands« nämlich »das anhaltende Gefangensein in der Schuld der Nachkriegszeit«. Später wird er dies noch deutlich er formulieren, wenn er Vertretern von SPD (sic!), Grünen und Linkspartei vorwirft, sie seien »getrieben von jenem sehr deutschen Reflex, wonach die Buße für Holocaust und Weltkrieg erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben.«
Tatsächlich wirken die Appelle an die deutsche Vergangenheit als Legitimation für eine ökonomisch falsche Konzeption einer Währung deplatziert. Ein wie auch immer drohender Krieg, wie ihn nicht nur deutsche Politiker immer wieder als ausmalen (»Ein Tag Krieg in Europa ist teurer als uns die ganze Euro-Rettungsaktion jemals kosten wird«), ist natürlich beim Ausscheiden einiger Länder aus dem Euroraum oder sogar beim Scheitern des Euro generell glücklicherweise nicht zu erwarten. Man sollte diese Drohszenarien lassen. Aber Sarrazin macht es mit seiner Verschwörungstheorie nicht besser.
Je heftiger sich die Gegner Sarrazins auf dessen bewusst provokative Wortwahl kaprizieren, je mehr dürfte er damit zur Ikone der Euro-Skeptiker werden. Man darf sich auf die ausgelegten Fallstricke in diesem Buch nicht einlassen, sondern sollte argumentieren. Wenn er gegen Ende seines Buches noch einmal Status quo und Ausblick auf die einzelnen Krisenländer gibt, erscheint alles in milderem Licht. Irland: ein »Nordland« und keine Überschuldungskrise. Spanien: Immobilienblase – halb so wild. Portugal: auf einem guten Weg. Italien: Monti ist wie ein Deutscher, nur höflicher (vermutlich das ultimativste Kompliment, das Sarrazin machen kann). Einzig Griechenland kommt nicht gut weg.
Verbesserungen hat Sarrazin nicht viele zu bieten. Gut versteckt im Buch sind einige sehr brauchbare Vorschläge wie die Politik die Banken ausbremsen könnte (beispielsweise: Trennbankensystem; Mindestquote des risikoadjustierten Eigenkapitals der Banken [bis zu 30% im Gegensatz zu Basel-II mit 4,5%; hierdurch wären die horrenden Renditeforderungen an das Eigenkapital à la Ackermann von vornherein hinfällig]; weltweit einheitliche Bewertungs- und Bilanzierungsvorschriften; stringente Eigenkapitalanforderungen beim Erwerb von Immobilien). Ansonsten geht er milde mit den Banken um, rügt sogar ab und an Kommentatoren, die die Eurokrise als Bankenkrise sozusagen missverstehen (nach seiner Diktion). Die Schuldenbremse wird’s seiner Meinung nach nicht richten; eine Fiskalunion lehnt er ohne politische Struktur ab. Ebenso Gemeinschaftshaftungen wie Eurobonds oder einen »Schuldentilgungspakt«.
Rein ökonomische Sichtweise
Sarrazins wirtschafts- und währungspolitisches Credo ist das der Bundesbank: Stabilität und Unabhängigkeit. Daher sollen auch die Länder des EWU weiterhin selbständig bleiben; die Möglichkeit einer Insolvenz muss erhalten bleiben. An deutschem Wesen soll die Welt nicht genesen – aber auch nicht umgekehrt. Griechenland hatte seine Chancen – eine neue, funktionierende Finanzverwaltung aufbauen, Steuern eintreiben, Kürzungen vornehmen. Über die bereits bestehenden Verpflichtungen hinaus sollte man Griechenland (bzw. die Banken – das verschweigt Sarrazin sehr oft) nicht mehr unterstützen. Schon um die Anstrengungen von Ländern wie Estland (neuestes Euro-Mitglied) und anderen, Nicht-EWU Ländern wie Lettland und Tschechien, nicht zu konterkarieren.
Wenn Sarrazin zunächst rein ökonomisch urteilt, kann man ihm nicht wie Peer Steinbrück dies gemacht hat genau das vorwerfen, da Sarrazin ja ausdrücklich die politische Dimension des Euro-Projekts negiert. Verweigert man jedoch die Auseinandersetzung mit den ellenlangen, komplizierten und zum Teil redundanten ökonomischen Daten und den hieraus gewonnenen Thesen suggeriert man, dass diese zu stimmen scheinen (Steinbrücks Kritik an den Statistiken, die zurechtgebogen worden sein sollten, bleibt leider sehr unkonkret). Die bloße Behauptung, der Euro sei sozusagen »alternativlos« und in einer »Schicksalsgemeinschaft« (Trichet; Merkel) mit dem Projekt der Europäischen Union verknüpft, birgt große Gefahren, weil er eine dringend notwendige ökonomische Debatte zu Gunsten einer politischen Uniformität unterbinden möchte. Wer in Anbetracht einer »No-Bail-Out«-Klausel als eine der Grundbedingungen des Maastricht-Vertrages mit »solidarischen Leistungen für hilfsbedürftige Nachbarn« (Steinbrück) kontert, mag sich moralisch gegen den »Buchhalter« optimal positionieren, verliert dann aber seinerseits die Dimension dieser EWU-Krise aus dem Auge.
Raum für Kritik dürften Sarrazins Schlüsse allemal erlauben. So ist es doch offensichtlich, dass der Handel Deutschlands mit den EU-Ländern nicht unbegrenzt steigen kann. Dies als Nachteil des Euro zu verkaufen, mag zwar aus den Zahlen hervorgehen, wenn man aber von irgendwann gesättigten Märkten ausgeht, sind solche Schlüsse mit Vorsicht zu genießen. Zahlen liefern ist das eine, diese in Relation zueinander setzen, das andere.
Dass sein Buch »langweilig« sei, wie viele konstatieren, mag dem vielleicht reduzierten Aufnahmeniveau einiger Leser geschuldet sein. Zumal die Materie nicht besonders spektakulär ist. Da ist von »Target-2-Krediten« (ein sehr lesbares Kapitel), einem »Todeszins«, »Supreme Loans«, Sovereign Debt«, »Moral Hazard« und vielen anderen Details die Rede. Aber wie wäre es, Sarrazins Behauptung einmal zu überprüfen, dass eine Binnenverschuldung eines Staates (d. h. ein Staat leiht sich Geld von seinen Bürgern) einer Auslandsverschuldung (Handelsbilanzdefizit) vorzuziehen sei? Und warum bricht Sarrazin mit seinen eigenen Thesen, wenn es um die Kreditwürdigkeit Großbritanniens und den USA geht mit dem simplen Spruch, dass das immer schon so gewesen wäre, dass die USA Kredit bekommen und zwar unabhängig ihrer Schulden (im Ausland)? Was anderes als »Politik« spielt hier eine Rolle – just jene poltischen Implikationen, die Sarrazin für den Euro abstoßen möchte.
Wenn er mit quälend langen Ausführungen belegen möchte, dass der Euro für Deutschland keinerlei wirtschaftlichen Vorteile gebracht hat – warum zieht er als Referenzgrößen Länder wie Schweden und die Schweiz heran (nach dem Motto: denen geht es besser), ohne auf die globale Verflechtung Deutschlands als Produktionsstandort, die ungleich komplexer ist als die von Nischenländern, einzugehen? Wie hätte der deutsche Export ausgesehen, wenn eine noch stärkere D‑Mark in den Jahren 2006ff den US-Dollar noch mehr heruntergedrückt hätte? Sarrazin übersieht, dass der US-Dollar im Verhältnis zum Euro unter anderem aus politischen Gründen heraus derart schwach war (und nicht aufgrund der Stärke des Euros oder Europas). Aber: Müssen diejenigen, die immense Vorteile im Euro sehen, die jetzt bereits entstandenen (nebst eventuell drohenden) Kosten im Falle der Rettungsschirmzahlungen nicht mit in ihre Bilanz einpreisen? Wie sieht es dann aus?
Henkels »Nordeuro« versus »Südeuro« möchte er nicht übernehmen; zu eindeutig wäre das Postulat einer Zweiklassen-EWU. Er rät (aus durchsichtigen Gründen) Deutschland, sich aus der Finanzierung weiterer Rettungsmaßnahmen herauszuhalten, um nicht als Oberlehrer Europas dazustehen. Wie kann das aber passieren, wenn der Untergang der deutschen Wirtschaftskraft bereits beschlossene Sache in Brüssel ist? Einmal betont er, dass Deutschland innerhalb der EU mit der Eurokrise eine größere Verantwortung zugewachsen sei. Wie kann das sein, wenn gleichzeitig eine Art »Ausverkauf« stattfindet? Tatsächlich ist der »Club Med« wie Sarrazin die »Südländer« auch nennt, in den Gremien der EZB bereits federführend. Andererseits attestiert er dem jetzigen EZB-Präsidenten Draghi »Bundesbank-Denken«.
Studium der Referenzen und Quellen
Woraus bezieht, womit belegt Sarrazin seine Thesen? Die Tabellen im Buch stammen aus amtlichen Statistiken von Eurostat oder dem Statistischen Bundesamt (interessant dürfte es sein, seine manchmal eingefügten »eigenen Berechnungen« zu überprüfen). Sieht man von den bereits angesprochenen Invektiven gegen die »Südländer« ab (die das Buch durchziehen) und analysiert sein Referenz-System anhand der 556 Endnoten im Buch, kommt man auf ein verblüffendes Ergebnis: Es ist nahezu alles basiert auf der Lektüre der einschlägigen Wirtschaftspresse – bevorzugt bedient er sich der FAZ und der FAS. Die folgende Tabelle zeigt dies deutlich*:
Läßt man noch die Selbstzitate (aus Büchern) und die ausschließlich erläuternden (zum Teil anekdotischen) Endnoten ohne eine Quellenangabe weg, fasst FAZ und FAS zusammen und erstellt nun für jedes Medium einen Prozentanteil, ist die Dominanz noch deutlicher:
Also kein Neuland, welches da betreten wird. Leider lässt Sarrazin die wirklich dringenden Fragen offen: Wie kann ein Land überhaupt aus dem Euro austreten? Ist es möglich, Griechenland weitere Zahlungen aus den diversen Rettungsschirmen einfach zu sperren, wenn die gewünschte Politik nicht umgesetzt wird? Was würde passieren, wenn Griechenland insolvent ginge? Wie hoch wären die Kosten zu veranschlagen?
Das Versäumnis des offenen Diskurses
Dramaturgisch geschickt sind die Einblicke geschrieben, die Sarrazin zu Beginn des Buches in die Bundesministerien der 1970er Jahre gibt, als er dort seine politische Karriere begann. Später nimmt er den Faden auf und schildert seine weiteren Stationen. Seine letzte Berufung bei der Bundesbank stand unter keinem guten Stern; massiv attackiert er die zögerliche Haltung Axel Webers zum oben angesprochenen »Sündenfall«. Sein Anti-Euro-Buch bedient dabei in erstaunlichem Maß eine Sehnsucht nach der alten Bundesrepublik, in der alles noch halbwegs übersichtlich war und EG-Gipfelgespräche mit der realen Wirklichkeit der Menschen nichts zu tun hatten.
Der Duktus zeigt sehr schön, wohin ein nicht ausgetragener gesellschaftlicher Diskurs führen kann. Geschickt werden Ressentiments mit Tatsachen verquickt. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 rächt sich die von oben aufgepfropfte (bzw. als solche empfundene) Politik vor allem (aber nicht nur) in Deutschland. »Europa« gilt als weithin elitäres Projekt; Brüssel als »sanftes Monster«, in einem Raumschiff Aliens gleich. Jegliche Diskussion ist unerwünscht; nahezu alles sakrosankt. Wer den Rettungsschirmmechanismus kritisiert oder eine Insolvenz Griechenlands als Möglichkeit sieht, wird sofort als »europa-kritisch« oder sogar »rechtspopulistisch« apostrophiert. Drunter geht es nicht mehr.
Statt endlich offensiv Europa zu vertreten und die Politik jenseits der Interessen von »Finanzmärkten« (in Wahrheit ist es ein Markt) zu betreiben, igelt sich eine fast bündisch zu nennende Klasse hinter denunziatorischen Vokabeln ein. In öffentlich-rechtlichen Medien wird dann lauthals verkündet, wie scheinbar heldenhaft die EU-Kommission für die Senkung der Roaming-Gebühren bei SMS von und nach dem Ausland eingetreten ist. Das interessiert die Kleinsparer in Griechenland, Spanien oder Portugal allerdings herzlich wenig: sie haben Sorgen um ihr in der Regel mühsam verdientes Geld.
EU-Adepten wie Robert Menasse sehen in Deutschland einen Nationalismus schon lange nicht mehr aufkommen und vertritt das Modell seines eurozentrischen Bürokratismus, der keiner demokratischen Legitimation bedarf. Dieses System nennt er »vernünftige Elitenbildung«. Unter Leugnung aller zur Verfügung stehenden Tatsachen, leugnet er nicht nur die falsche griechische Politik des billigen Kredits, sondern macht sogar Deutschland für die Finanzkrise verantwortlich. Dabei offenbart sich nicht nur seine selektive Wahrnehmung, sondern auch seine ökonomische Impotenz.
Wie aus dieser Haltung heraus ein neues »Narrativ« für Europa jenseits des »W« in der alten »EWG« entstehen soll, bleibt fraglich. Es ist ein massives Versagen nahezu aller politischen Eliten, die Fokussierung auf das Ökonomische betrieben zu haben. Zumal es in Zeiten der Prosperität und Stabilität des Euro ein willkommenes Argument war. Jetzt bricht es weg und es gibt keine neue, belebende Geschichte.
Sarrazins Buch könnte die Beteiligten dahingehend fordern, jenseits von Rettungsschirmen und apokalyptischen Visionen eine zusätzliche Klammer zu entdecken oder notfalls zu erfinden. Aber ist dies einer EU zuzutrauen, die Glühbirnenverbote ausspricht und neue Regeln für Tagesmütter durchsetzt, sich aber nicht zuständig fühlt, einheitliche Kontrollmechanismen für Kernkraftwerke zu implementieren? Einer EU, die sich noch nicht einmal auf den offiziellen Titel eines »EU-Außenministers« (bzw. Außenministerin) zu einigen vermag? Man hat da so seine Zweifel. Schade.
* Bedingt dadurch, dass in einer Endnote mehrere Referenzen angegeben werden können, ist die Gesamtzahl der Treffer mit 587 höher als die 556 Endnoten. Wenn aus einem Artikel oder Buch mehrfach zitiert wurde, wurde dies auch als solches gezählt. Unter dem Rubrum »Andere« findet man beispielsweise Mitteilungen aus dem Bundesgesetzblatt, dem Bundesverfassungsgericht, dem Bundespresseamt, dem Sachverständigenrat der Bundesregierung und dem Internationalen Währungsfonds; je eine Referenz der »Bild«-Zeitung (Kohl-Artikel) und der »Welt am Sonntag«. Unter »EU-Quellen« wurden auch EZB-Statement rubriziert.
Ergänzende Ausführungen (30.05.2012; 17.30 Uhr): Von den insgesamt 587 eingestuften Referenzen und Quellen (inklusive Erläuterungen, die unter »ohne Referenz« zusammengefasst wurden) stammen 152 von der FAZ und 44 von der FAS. Addiert man beide Werte und lässt Selbstzitate und Erläuterungen weg, kommt man auf 196 Treffer (von 537), was einen Prozentsatz von 36,50% ergibt. Die deutschsprachige Tages- bzw. Wochenpresse (FAZ, FAS, WiWo, SZ, Zeit, Handelsblatt) kommt zusammen mit zwei Springer-Referenzen auf 283/527 = 52,7%. Zählt man die angelsächsische Presse (The Economist und Financial Times) hinzu ist die Quote noch höher (63,5%).
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Herzlichen Dank für diese Rezension / Analyse!
Die »völkerpsychologische« / ethnizistische / biologistische »Argumentations»linie (faule Südländer, fleißige Nordländer) passt ganz gut zu Sarrazins Politikverweigerung, denn wenn das alles Natur ist, lässt sich da mit Politik auch nix machen. Daran krankt ja auch sein »Wir werden alle sterben!«-Bestseller: Indem er soziale und sozioökonomische Verwerfungen bevorzugt biologistisch/rassistisch erklärt, fehlt ihm jeder demokratisch-politische Handlungsspielraum, außer großangelegte Aussiedlungsaktionen und Aufrassungsprogramme (Kopfprämie für deutsche akademische Mütter). Ironischerweise machen das ja auch Sarrazins Lieblingsfeinde aus der Multikulti-Fraktion, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen.
Was ich aber – unter seinem eigenen Anspruch betrachtet, Experte zu sein – wirklich etwas peinlich finde, ist die Quellenlage: Hauptsächlich Tagesmedien? Fast nur deutschsprachige? Nichts aus den online leicht zugänglichen Archiven der großen Ökonomie-Institute und / oder Analysten? Noch nix mal aus den großen Econ-Blogs? Als einziges IfO-Schnelldienst?
Da frage ich mich, ob das Weltbild schon so geschlossen ist, dass der garnix mehr aktiv ausblenden muss, oder ob da noch aktive Verdrängungsarbeit zu leisten ist. Ähnlich extrem selektiv ist er ja auch bei »Wir werden alle sterben!« vorgegangen. Mich wundert wirklich, dass er das mit seinem Selbstbild als »Experte« vereinbaren kann. Wo er doch sonst immer auf seinen analytischen Fähigkeiten herumreitet...
Seinen Furor gegen diese ewige »Ohne Europa Weltkrieg III!« kann ich super nachvollziehen.
Äußert er sich denn zur eigenen Rolle als Politikfunktionär und Teil der Elite-Eurobürokratie, die uns das alles eingebrockt hat? In der BuBa hat er den Mund ja aufgemacht – und durfte dann jau auch, seiner eigenen politischen Tapsigkeit zuzurechnen, gehen.
Ich werde womöglich heute Abend noch etwas Ergänzendes bringen: »Financial Times« und »Economist« sind die »Originale«, also in englisch. Ansonsten – ja, tatsächlich fast nur die deutschsprachige Tagespresse.
Sarrazin gibt durchaus Einblicke in sein Schaffen und plaudert ein bisschen aus dem Nähkästchen. Einiges davon versteckt er in den Endnoten, so etwas sein von Anfang an gestörtes Verhältnis zu Axel Weber. Ein bisschen geriert er sich als kontinuierlicher Kämpfer für Marktwirtschaft und solide Finanzen und gegen die Verteilungspolitiker in der SPD (die schon in den 1970er Jahren sukzessive dominierten – will man ihm glauben). Besonders kränkt ihn wohl das »Umfallen« Ehrenbergs Anfang der 1980er Jahre. Ob und was davon geschönt ist, vermag ich nicht zu sagen. Einzig dass die Bundesbank 2010 zu spät offiziell reagiert hat, ist meines Erachtens Fakt.
Als irgendwie Mithelfer zu den Maastrichter Verträgen gibt er eben an, dass er auf die Buchstaben und den Geist des Vertrages vertraut hatte (insbesondere der Haftungsausschluß und die Stellung der EZB). Tatsächlich ist ja erstaunlich mit welcher Grandezza man sich vom »No-Bail-Out«-System verabschiedet hat. Dieser Punkt ist in einer Hinsicht sehr interessant: Er zeigt, dass alle von Menschen abgeschlossenen Verträge und eben auch Rechtszusagen immer und jederzeit gebrochen werden können und auch gebrochen werden, wenn vermeintlich eine entsprechende Lage dies zu verlangen scheint. Das mag bei Verträgen zu einer Währungsunion noch sehr abstrakt wirken, betrifft aber grundsätzlich alle sogenannten Vereinbarungen. Nichts ist wirklich und für immer unwiderruflich. Selbst der heilige Artikel 1 des Grundgesetzes ist also grundsätzlich disponibel und antastbar. Man denke daran, wieviele sogenannte Bürgerkriege durch einseitige oder erzwungene Verfassungs- bzw. Rechtsänderungen zurückzuführen sind. In der EU wird exakt das Gegenteil praktiziert und propagiert: Ein Festhalten an einen Vertrag gilt als gefährdend für die Stabilität; der Vertragsbruch wird als Solidarität aufgehübscht. Ob dies identitätsstiftend ist, ist ja die große Frage. Und in diese Wunde streut Sarrazin Salz.
Eben – weil es sich um Politik handelt, und eigentlich ist das auch nicht schlecht. Die Volksverdummung beginnt ja damit, dass versucht wird, durch Vertraglichungen und Verrechtlichungen die Politk zu camouflieren und damit auch der tranparenten Diskussion zu entziehen. Als reines Vertragswerk ohne tiefgreifende gemeinsame demokratische Prozesse wird das nix erfreuliches mit der EU, das sehen wir ja. Die vielbeschworene in der Verfassung verankerte Schuldenbremse ist genauso ein Schwachsinn. Solche Manöver schaffen nur eins: Futter für die Verachtung von Politik und Politikern.
Naja, das sehe ich teilweise anders, denn es handelt sich ja nicht um den Kauf von drei Brötchen. Wenn man so etwas wie eine Währungsunion unter bestimmten Bedingungen aushandelt, müssen diese auch eingehalten werden – es sei denn, alle Teilnehmer beschließen explizit etwas anderes (was dann nie rückwirkend geschehen kann). Eine zeitnahe Insolvenz Griechenlands (bzw. der Gläubiger) ohne diverse Rettungsschirme, die ja wie reine Machtphalusse gegenüber einer in dieser Hinsicht vollkommen unbeeindruckbaren Finanzwelt sind, hätte man potentiellen Gläubigern gezeigt: Wir machen Ernst. Dass man danach der griechischen Volkswirtschaft (!) hilft, wäre dann nicht mehr das Problem gewesen.
Grundsätzlich hat der Euro schwache Volkswirtschaften ermutigt, Kredite zu niedrigen Zinsen zu besorgen. Sarrazin beschreibt, wie nahe die Zinsen für die einzelnen Länder zunächst waren. Mit diesem Geld wurden aber keine Investitionen finanziert, sondern – vereinfacht ausgedrückt – Konsum. Hinzu kam, dass die Banken für Staatsanleihen keine Rücklagen zu bilden brauchten, weil sie absolut sicher galten. Dieses Konstrukt ist 2009 durch das Eingeständnis Griechenlands zusammengebrochen.
Natürlich ist die sogenannte Schuldenbremse dahingehend schon Unsinn, weil sie auch schon an sich wieder Ausnahmen enthält (Notlagen). Sie anderen Ländern zu oktroyieren, ist genau so unsinnig, wie Zuwiderhandlungen mit finanziellen Sanktionen zu belegen – wenn jemand kein Geld hat, kann ich nicht noch mehr mit Geldbussen strafen. Da hat man das Scheitern schon mit in den Vertrag hineingelegt.
Davon konnte aber streng genommen beim Maastricht-Vertrag nicht die Rede sein. Die Crux war da, dass die ersten »Sünder«, die gegen Konvergenzkriterien verstossen hatten, Deutschland und Frankreich waren. Und die hatten das unter den Tisch kehren lassen. So gab es natürlich keine Vorbilder.
Oh, da bin ich etwas arg weit in den Okkasionalismus hineingespurtet. Mir ging es eigentlich darum, dass es per se keine Katastrophe ist, wenn Gesetze, Verträge oder Vereinbarungen neu oder nachverhandelt werden. Das ist ja etwas anderes, als das Hinterzimmer-Dealmaking, das für die Umgehung von EU-Verträgen angewendet wird – und bei dem Deutschland immer ganz super mit dabei ist.
Mir scheint, dass es gerade die Sorte von EU-Verträgen sind, die niemals explizit zur eu-weiten ABstimmungsdebatte gestllt worden sind, die den Hang haben, unter der Hand und in irgendwelchen Dealmaker-Hinterzimmern partiell ausgehebelt zu werden.
Zu Sarrazins Bundesrepublik-Nostalgie: So ähnlich hat Niklas Maak (vielleicht täusche ich mich auch im Autor) das auch für »Wir werden alle sterben!« gesehen. Er hat es als eine Art Autobiographie aus einem verlorenen Land gelesen.
Griechenland in die Insolvenz gehen zu lassen, war der entscheidende Fehler. Staatsanleihen sind von der Struktur her ein völlig anderes Investment als Unternehmensanleihen etc. In der EWU musste das praktisch wie ein Kündigung wirken. Sie wird dann als Ganzes so behandelt, wie der schwächste Staat. Im Grunde hat sich die EWU schon zu diesem Zeitpunkt in ihre Nationalstaaten aufgelöst. Sarrazin weiß das auch alles. Er ist ja nicht blöd. Aber der Drops ist gelutscht.
Ihm geht es heute darum, Deutschland aus dem Korsett der bisherigen EWU zu befreien, um neue Handlungsspielräume zu bekommen. Ob mit oder ohne Frankreich lässt er offen.
Aber auf den Süden kann er verzichten. Er spricht damit nur aus, was andere nicht sagen. Daran liegt seine Brisanz.
@fl: Du gehst also davon aus, dass der EURO, wie wir ihn kennen, eigentlich schon Toast ist ... Und Sarrazin schlägt die DM-Werdung des EURO vor, mit Deutschland und ein paar Vasallenstaaten um uns rum? (Denn Österreich und die Niederlande, die ja aber nach den jüngsten Meldungen auch nicht so pricklend dastehen, sind doch dann nix anderes mehr.)
Doktor D
So kann man das sehen. Das ist auch der fortlaufende Irrtum von Carlos Manoso bei uns im Blog. Nur hat Sarrazin aus der Debatte um den Nordeuro mit Henkel gelernt. Den habe ich ja nun etwa immer für seine politische Ignoranz bzgl. Frankreich kritisiert. Sarrazin lässt das offen. Er ist eben im Gegensatz zu diesen ganzen deutschen Mickey Maus Ökonomen ein politischer Ökonom.
Er ist ja nicht so dumm, dass er etwa nicht weiß, dass er den Vorteil des Euro für Deutschland seit 2000 kaum wissenschaftlich »beweisen« kann. Das ist ihm auch egal. Ihm geht es nur darum, dass Deutschland unter heutigen Bedingungen besser mit einem anderen Euro – oder notfalls auch alleine – fahren würde.
Und er weiß um die Brisanz.
@f.luebberding
Sarrazin mag im Vergleich mit Leuten wie Henkel wie ein Riese erscheinen, aber von einem politischen Ökonomn ist er m. E. doch ziemlich entfernt. (Henkel durfte im Cicero mit seinem »Fukushima«-Wunsch für den Euro das Präludium auf Sarrazin spielen, obwohl er ihn mit keinem Wort erwähnt hatte.)
Sarrazin denkt vor allem nicht strategisch – und das versucht er als Vorteil herauszustellen. Gerade das macht seine Popularität aus. Da er explizit schreibt, dass Deutschland anderen Ländern keine Vorschriften machen sollte, läuft es auf eine Re-Implementierung der D‑Mark hinaus. Das ist aber in etwa so wahrscheinlich wie ein Sandsturm am Nordpol. Genau das weiss Sarrazin, aber wenn man keine politische Verantwortung mehr hat, lässt sich das doch schön darstellen.
Kurz vor Ende des Buches kommt Sarrazin darauf, einfach nichts mehr weiter im Fall von Griechenland zu unternehmen. Sie schreiben das ja in Ihrem Beitrag. Dies würde mir am logistischen erscheinen, obwohl er natürlich nicht wissen konnte, wie die Wahlen ausfallen. Übernimmt tatsächlich Herr Tsripas das Regiment (das griechische Mehrheitswahlrecht reicht ja, dass rd. 25% der Stimmen 40–45% der Sitze garantieren), wird Griechenland die EU mit den diversen Rettungsschirmen erpressen. Ob Gelder zurückgehalten werden können, wenn bestimmte Bedingungen von Griechenland nicht erfüllt werden, ist wohl nicht ausgemacht (wer hat den ganzen Papierwust wohl genau gelesen?).
Gregor Keuschnig
Es ist übrigens völlig irrelevant, wie eine Währung heißt. Ob ich den alten DM-Block auch so nenne – oder Euro oder Taler – ist ziemlich egal. Ökonomisch und vor allem geldpolitisch funktioniert er wie die DM.
Ja, natürlich: der Name einer autonomen deutschen Währung wäre wirklich irrelevant. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ein eigenständiger deutscher Austritt (mit einigen anderen kleinen Ländern zusammen) politisch unmöglich ist, Sarrazin aber die Sehnsucht nach den »guten Tagen« der »stabilen« D‑Mark ganz geschickt aufbereitet.
Gestern gelesen, danke für die Mühe. Leider weiß ich nichts Substanzielles »einzuwerfen«.