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Vielleicht neigt jeder, der glaubt, genau Bescheid zu wissen, zur Rhetorik. Es gibt dann beim Schreiben nichts mehr zu erarbeiten, zu erforschen, man ist nicht auf‑, sondern abgeklärt und wird sich von nichts überraschen lassen. Die Gedanken verfertigen sich unter solchen Voraussetzungen nicht beim Sprechen/Schreiben. Es geht nur noch darum, die passenden, d. h. wirksamsten Formulierungen zu finden. Nach meinem Empfinden ist das ein kaltes Schreiben, die Rhetorik ein kaltes System (was man durchaus, von Fall zu Fall, schätzen kann). In meinem eigenen Fall kommt es häufig vor, daß ich mich auf dem diskursiven Weg nicht mehr auskenne, und auch jetzt in diesem Moment ist das ein wenig der Fall. Vielleicht bin ich damit nicht der einzige; im schon ein gutes Stück fortgeschrittenen 21. Jahrhundert sind wir doch alle – alle? – ziemlich ratlos; die Ratlosigkeit ist unsere condition actuelle. Mit meiner Kritik am hysterischen Literaturbetrieb, am Optimierungswahn, am Bildungsabbau, an der gesellschaftlichen Infantilisierung und anderen Phänomenen unserer schönen, grauenhaften Gegenwart, ernte ich regelmäßig Zustimmung, nichts als Zustimmung – freilich gepaart mit der Bemerkung, leider könne man nichts dagegen machen. Der Neoliberalismus ist auf zahllosen Schleichwegen totalitär geworden; du mußt und willst mitmachen, es gibt keinen Ort außerhalb. Du mußt wollen; du willst müssen. Unterdessen sind wir ratlos, ich und meine Gleichgesinnten, die – so mein Eindruck – mehrheitsfähig sein könnten.
Warum kann man nichts machen? Etwa weil das revolutionäre Subjekt fehlt? Oder, besonnener, das alternative Subjekt? Mit der Arbeit ist die Arbeiterklasse verschwunden (die ohnehin vorher schon »verbürgerlicht« war). Und auf Minderheiten kann man nicht bauen, sie bilden kein kollektives Subjekt. Oder? Bei Forrester bleiben diese Fragen unbeantwortet, sie werden nicht einmal gestellt. Ihre Rhetorik läuft auf einen Punkt am Horizont hinaus: bedingungsloses Grundeinkommen für alle! Vom Staat oder einer anderen Körperschaft zu garantierende Erhaltung aller, unabhängig davon, ob sie arbeiten oder nicht. Das aber ist eine Maßnahme, die allein nicht ausreicht, weil sie nur fruchten kann, wenn sie von mindestens einer zweiten begleitet wird: Bildung für alle, in einem radikalen Sinn, ohne Hierarchien, ohne Prüfungen, ohne Wettbewerb, ohne zeitliche Grenzen (die tatsächliche Entwicklung geht in die Gegenrichtung).
Allein, ob das die Subjekte auch wollen? Liegen sie nicht lieber auf der faulen Haut? Ziehen sie sich nicht endlos YouTube- und TikTok-Späßchen, Pornographieseiten und Fußballspiele, im besseren Fall: Netflixserien rein? Begleitet von Bier- oder Was-weiß-ich-Konsum. So sieht doch das Schlaraffenland aus, von dem die Menschheit über die Jahrhunderte hinweg geträumt hat und das sich jetzt in greifbarer Nähe befindet. »Vielleicht ist es aber auch ein Charakteristikum unserer Zeit, daß ein Großteil der Kommunikation in den Netzen als Unsinn angesehen werden kann«, sagte Joseph Weizenbaum schon im Jahr 2000, und der Unsinn hat seitdem gewiß nicht abgenommen. Dazu sein Seufzer: »Es scheint einfach unter uns Menschen nicht so viel Kreativität zu geben.«
Doch wie gesagt, die Menschen sind nicht einfach so, wie sie sind; sie sind geworden. In Wahrheit muß auch das Schlaraffenland täglich erarbeitet und in Stand gehalten werden. Das süße Nichtstun, wenn es wirklich süß schmecken soll, erfordert aktive Menschen; nicht eilige oder gestreßte, aber aktive. Und das Lehrpersonal dieser neuen pädagogischen Provinz müßte zum größeren Teil aus Künstlern bestehen.1 Aus Leuten, die die eigene Schaffensfreude auch vermitteln können. Arbeit und Studium wären dann Spiel, wie Charles Fourier es sich erträumte. Im heutigen Japan beobachte ich die gegenteilige Tendenz, obwohl in diesem Land der Automatisierungsgrad der Produktion hoch ist. Arbeit und Freizeit sind hier streng getrennt, was sprachlich in den beiden antagonistischen Wörtern shigoto und asobi zum Ausdruck kommt. Arbeit, shigoto, wird als Nicht-Spiel abgegrenzt und definiert. In der Firma, im Büro gibt es keinen Spaß, kein Vergnügen, kein Ausprobieren, keine spielerische Annäherung an Problemlösungen. Umgekehrt hat das Spiel, die Freizeit, asobi, mit ernsthafter Tätigkeit nichts zu schaffen, auch dann nicht, wenn das Hobby – was oft der Fall ist – mit größter Ernsthaftigkeit betrieben wird. Arbeitsvergnügen, spielerischer Wettbewerb zwischen den Arbeitenden, Bedeutung der Form, fallweise Hintanstellung des Ökonomischen – Marx hat einiges von Fouriers Konzept des travail-plaisir übernommen. »Das Reich der Freiheit beginnt erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.« Dieser Satz steht im dritten Band des Kapitals (bis zu dem ich als Student nicht vordrang). Wahre Demokratie wäre erst unter solchen Voraussetzungen möglich; es könnte in breitem Maßstab das stattfinden, was Hannah Arendt noch über die freie Tätigkeit, die die mühselige Arbeit ablösen soll, stellt: intersubjektiver Austausch. Die Leute hätten Muße genug, um sich mit ihren Mitmenschen zu beraten und Entscheidungen im Hinblick auf das Gemeinwohl zu treffen, anstatt diese irgendwelchen »Repräsentanten« zu überlassen, zu denen im 21. Jahrhundert niemand mehr Vertrauen hat – auch die nicht, die sie gewählt haben. Forrester zufolge wurde dieser nicht bloß utopische, sondern realiter gangbar gewordene Weg durch den von allen traditionellen politischen Parteien widerspruchslos angenommenen und in die entsprechende gouvernance umgesetzten Neoliberalismus abgeschnitten. Damals, um 1980, hätte man den Berg der Arbeit – verstanden als fremdbestimmte Mühsal – langsam und vernünftig abtragen können. Diese Befreiung hätte, so Forrester, ein Aufblühen des Lebens der Menschen bewirkt. Die Chance wurde verpaßt; die Bereitschaft, nach Alternativen für die tägliche Tretmühle zu suchen, ist weithin abhanden gekommen.
»Stimmt ja alles, aber leider kann man nichts machen…« Mit solchen Sätzen beschwichtigt man Kinder und Narren.
© Leopold Federmair
In Goethes pädagogischer Provinz (Wilhelm Meisters Wanderjahre) ist die Musikausübung das Alpha und Omega aller Bildung. ↩
Das »Miteinander« zu probieren, haben mich im November veranlasst, an der Entrepreneurship Masterclass von Günter Faltin teilzunehmen: »Für eine bessere, überzeugendere Ökonomie. Für bessere Qualität, für sparsameren Umgang mit den Ressourcen. Für organischen Anbau, für Rückstandskontrollen. Dies alles, und eben trotzdem ein niedriger Preis: fairer Handel auch für den Kunden. Mehr Produktwahrheit, mehr Transparenz – statt Aufbau und Pflege einer Luxusmarke.« Günter Faltin, Wir sind das Kapital – Aufbruch in eine intelligentere Ökonomie.
Ich reduziere die Ausführungen mal auf 2 Grundfragen: Erstens, inwieweit soll die Gesellschaft in die Definition und die Verteilung der Arbeit eingreifen?! Das ist die politische Dimension. Zweitens, inwieweit kann der Mensch die Existenziale »Arbeit« und »Freiheit« zusammenführen, bzw. kann er sogar ohne Arbeit leben, wenn die Bedürfnisse gestillt sind?! Das ist die anthropologische Frage.
Die zweite Frage finde ich spannender, weil sie sehr spekulativ ist. Sie zeichnet sich erst am Horizont einer automatisierten und hoch-produktiven Industrie ab. Sie entsteht an der Grenze von Kapitalismus und Wildnis. Ich habe darüber nicht unbedingt zielgenau nachgedacht, aber mir scheint, es ist die Frage nach den Sekundär-Gewinnen von Arbeit, und die Möglichkeit, jenseits der Produktivität ihren Nutzen abzuschätzen. Es geht ja das Gerücht um, dass die Menschheit ohne Arbeit in kürzester Zeit verrückt werden würde, weil niemand ohne ihren »zweiten Mehrwert« leben kann. Eine Schwierigkeit des Marxismus bestand (mutmaßlich) darin, dass die Theoretiker immer versucht haben, diesen zweiten Mehrwert zu retten und in ein neues System einzubetten, ohne die kontingenten Bedingungen des Individuums wirklich berücksichtigen zu können. Ein Planungs-Paradies für alle, obwohl kein einziger Sitzplatz so richtig angepasst wurde...
@die_kalte_Sophie
Naja, die Deutungen gehen ja eher dahin, dass Arbeit eine Last sei, die, schafft man sie erst einmal ab, ein großartiges, kreatives Potential der Menschheit entfaltet, welches mehrwertiger (!) ist als die als stumpfsinnig empfunde,womöglich ausbeuterische Arbeit. Nun kenne ich Menschen, die ohne Arbeit, d. h. natürlich auch ohne Struktur, große Probleme im Leben haben bzw. bekommen, und zwar nicht nur ökonomische. Wir hatten ja anhand des bedingungslosen Grundeinkommens diese Komponente angesprochen. Um den Titel der Reihe auch einmal anklingen zu lassen: Es ist nicht klar, welches Gräuel grauenhafter wäre...
Ich denke, daß ein Großteil der Bevölkerungen ohne Arbeit oder Ausbildung und deren Strukturen (allein schon die Zeiteinteilung) gar keinen Halt findet. In sich selbst finden die meisten Individuen keinen. Das beobachte ich jetzt in der Online- und Home-Office-Zeit – und da geht es noch gar nicht um Beschäftigungslosigkeit, nur um die Lockerung der Strukturen und mehr Eigenverantwortung.
Sophie, die kalte, hat vermutlich doch immer Eliten im Auge, kleine Minderheiten. Der Marxismus wollte, wenn ich recht unterrichtet bin, den Gegensatz von Arbeit und Freizeit aufheben. Adorno jammerte darüber, daß Freizeit nur der Regenerierung der Arbeitskraft diene und Muße als Bedingung von Kreativität durch Konsumzwang verdrängt worden sei. Arbeit spielerisch zu machen, ist heute ein Konzept der Unternehmensorganisation (wobei der Spielbegriff meist an Computergames angelehnt scheint). Im 21. Jahrhundert dürfte man den Menschen mehr Gutes tun, wenn man eine Barriere zwischen den beiden Bereichen aufrechthält.
Und doch, als Bewohner des Elfenbeinturms, verzichte ich ungern auf die Utopie von Kreativität von allen und für alle.
Ja, die Arbeit hat einen fürchterlichen Ruf. Die neuen unternehmerischen Konzepte wirken dagegen wie aus der Welt gefallen. Jetzt soll es also Spaß machen... Heiliger Bimbam!
Leider ist das Konzept der Kreativität auch schon gekapert worden, d.h. es gehen uns sprichwörtlich die Vokabeln aus, mit denen Utopien normalerweise geschrieben werden. Was haltet ihr denn von einem ambivalenten Arbeitsbegriff, würde das nicht den modernen Erfahrungen nahekommen?!
Ich neige inzwischen zu der Ansicht, dass die Erfahrung der Last unersetzlich ist. Sie spielt nicht nur eine Rolle bei den eigenen Bewertungen, sondern macht auch erwachsen. Das fällt bei den gesellschaftlichen Diskursen komischerweise unter den Tisch. Stattdessen verfällt die Öffentlichkeit auf eine narzisstische Deutung, um all die Fußballspieler und Rockstars zu würdigen. Hans-Werner Sinn meinte zur Ungleichheit der Einkommen: »Die verdienen Millionen, und denen macht das auch noch Spaß!« (Missbilligendes Lächeln)
Eine Gesellschaft, die darauf abfährt, hat keine große Zukunft. Aber wie kann man den Sinn einer Last kommunizieren, ohne zu heucheln?! Authentisch ist hier doch nur die Selbsterfahrung.
Meine Hypothese: Humans are a Beast of Burden! – But they don’t know...
Arbeit wird von der Linken noch weitgehend mit Steinbruch, Bergbau oder Fließband assoziiert. Da es keine gesellschaftlichen Utopien mehr gibt, die nicht schon gescheitert sind, muss jetzt die Arbeit als fremdbestimmt klassifiziert werden, damit man sich von dieser noch »befreien« kann. Die Zauberformel ist dann das bedingungslose Grundeinkommen, welches zum Kreativitätsschub führen soll.
Ich warte immer noch auf die Antwort auf die Frage, wie diese vermutlich letzte Utopie bezahlt werden soll. Vielleicht wird die Pandemie die Antwort unfreiwillig sozusagen selber geben, denn die Unsummen, die jetzt als Überbrückungshilfen für Shut- und/oder Lock-Downs angeboten werden, sind de facto nicht vorhanden. Ich bin gespannt, wer sie zurückzahlt. Mein Tip: Man streicht einfach irgendwann ein paar Nullen und fängt wieder von vorne an.
@ Gregor
Klar, in der Pandemie gibt man bedenkenlos aus. Oder mit Bedenken, aber so ist eben der Zwang der Verhältnisse. Und es kann schon sein, daß ein Zusammenbruch kommt und alles neu aufgebaut wird. Womöglich wird dann auch Demokratie wieder gangbar.
Nach Forresters Darstellung, der gegenüber ich natürlich skeptisch bin, bringt uns das Verschwinden der Arbeit, wenn nicht nach Alternativen für die Arbeitsgesellschaft gesucht wird, ebenfalls in eine Katastrophe. Nur geht dieser Prozeß schleichender, und weder Regierende noch Bevölkerung sind bereit, riesige Ausgaben zu tragen. In der Pandemie ist plötzlich der große Schreck da.
»Utopien«: Man müßte es halt anpacken, Schritt für Schritt, ohne Zwang, alles nach Strich und Faden zu verwirklichen. Wenn wir schon auf Statistiken zurückgreifen, hier die abstraktesten: Militärausgaben in Deutschland pro Jahr an die 50 Milliarden Dollar. USA: mehr als zehnmal so viel. Vermögen der Reichsten (1 Prozent) in Deutschland, nach älteren Statistiken: an die 5.000 Mia. Dollar. Das ruft nach Umverteilung – und ich höre den Chor der Stimmen, daß das nicht machbar sei.
Es gab Generationen, die drei Wirtschaftszusammenbrüche miterlebt haben und jedesmal ihr gesamtes Sparvermögen verloren haben. Der Zusammenbruch ist im Kapitalismus eingepreist. 2008 hat man ihn gerade noch abgewendet und was den Euro angeht, ist alles offen. Die EZB kauft lustig weiter Staatsanleihen, druckt praktisch Geld, obwohl sie dies nicht darf (es wird verbrämt). Das ist pandemieunabhängig. Irgendwann wird es zum Crash kommen. Dann kommt der große Gleichmacher.
Die Militärausgaben Deutschlands liegen bei 1,2% des BIP. Das ist – pardon – ein lächerlicher Betrag. Die Bundeswehr ist praktisch wehruntüchig; die Ausrüstung größtenteils veraltet.
Die Umverteilung ist die nach dem BGE die zweite Milchmädchenrechnung, die natürlich nur global funktionieren würde (Kapitalflucht). Ich wäre erst einmal dafür, dass Unternehmen, die ihren Sitz in der EU haben und hier agieren, einheitliche Steuern bezahlen. Das wäre thereotisch sofort möglich. Es bedürfe dazu nur eines Satzes in irgendeiner EU-Verordnung. Für die Weltrevolution ist das natürlich als politisches Ziel ganz schlecht.
Bitte nicht die Vermögenswerte mit Liquidität verwechseln. Vermögen existiert nur in den Bilanzen, nur die Liquidität kann ich »spontan diktatorisch« umverteilen, aber ihre Beträge sind bei weitem geringer.
Beispiel: man kann ALDI ja konfiszieren und an die Russen verkaufen, und die 30 Milliarden verteilen, aber das kann man nur genau 1x machen, und nicht jedes Jahr, und ALDI gehört dann den Russen, was ja auch irgendwie unbefriedigend ist...
Nochmal zurück zur Utopie der Arbeit, bzw. der gesellschaftlichen Immanenz des Arbeitsbegriffs: es ist ja schon bemerkenswert, dass die Kommunisten diese »Verhandlungstatsache« Arbeit aufgreifen, und zu einem Phantasma umformen. Wenn wir uns die Rhetorik ansehen (über die Zeitläufte hinweg), dann reden alle wie Materialisten. Handwerker. Dachdecker, Honecker zu Ehren! Aber besonders realitätsfest ist die Polit-Prominenz ja nicht. Wie @Gregor schon sagte, bedient man sich immer noch sehr körperlicher Schreckens-Visionen, und verzichtet auf einen Abgleich mit den neuen Lebensverhältnissen. Kann es sein, dass hier ein »körperliches Ideal« der Stärke vorliegt, bzw. eine Vision der Strafe und der Demütigung?! Ich erinnere mich an die beliebten TV-Bilder aus Gambia: die Kinder, die im Erdreich wühlen auf der Suche nach was-weiß-ich Kobalt, Rhodium, usw.
Und ich erinnere mich an Georg Orwell, der die Minenarbeiter besucht hat, und zweimal schockiert war: erst mal, wie die Bergleute schuften, und dann, wie uninteressant seine Berichte für die Linken in London waren (»Das wussten wir!«). Sprich, neben einer Vision der Pein (Mitgefühl), gibt es ein dringendes Bedürfnis nach einer »zeitgenössischen Überlegenheit«, um nicht zu sagen, eine Verarbeitungshilfe für die Zumutung der Wirklichkeit.
Wie unerträglich sie sein kann, nicht wahr?! Das sind die Gräuel. Aber eine Politik, die aus einer sehr begrenzten Vorstellungskraft heraus agiert, rückversichtert nur durch den eigenen Echoraum, kann BELIEBIG falsch sein. Das ist das Problem mit Links.
Gesetzt, Arbeit wäre Selbstausdruck des Menschen, Offenbarwerden von Begabung und Neigung, gestaltete Anschlussbereitschaft und das Maß für ein Tätigwerden in diesem Sinne die Bedürftigkeit des Mitmenschen, dann wäre die Finanzierungsfrage des BGE geklärt. Es gäbe dann alles, was es braucht und das Geld wäre (was es eigentlich auch jetzt ist) allein der Mittler. Insofern wäre Bildung der notwendige Schlüssel zur Verwirklichung solch einer Utopie. Mir leuchtet Götz W. Werners Satz ein: Die Menschen müssen eine Idee denken können (wollen), dann werden sich Lösungen für die zu klärenden praktischen Fragen finden lassen. Die angesprochene Kälte und das verzweifelte Gebaren, mit Hilfe von Selbstoptimierung ins Warme zu kommen, beschreibt auf der klimatischen Ebene eine um sich greifende Ratlosigkeit, die allen Sinnfragen (Was ist der Mensch) ausweicht, oder gleich die Sinnhaftigkeit solcher Sinnfragerei selbst, mit distanzerzeugendem Zynismus, negiert.
@ Florian Appel
Dem kann ich mich anschließen. Vollinhaltlich.
@ Gregor
Die deutschen Militärausgaben sind ein Klacks (Bildungsausgaben fast viermal soviel: gut so!), und doch sind es über 50 Milliarden Dollar. Wozu Waffen? Wozu Atomwaffen? Ich weiß, man kann nicht mir nichts dir nichts einseitig abrüsten. »Man kann« so vieles nicht. Der erste Auslandsbesuch D. Trumps war, wenn ich mich recht erinnere, in Saudi Arabien. Er jubelte, weil er denen Militärgerät im Wert von 1 Milliarde Dollar angedreht hatte (eine Zahl dieser Größenordnung, wenn ich mich recht erinnere). Arbeitsplätze? Nein! Und wenn: Brauchen wir nicht! Solche jedenfalls nicht. Saudi Arabien hat ein Militärbudget von 8 Prozent des BIP.
Trump ist kaum im Dunstkreis deutscher Politik zu verorten. Und das Militärbudget von Saudi Arabien können wir nicht ändern. Deutschland hat übrigens – aus gutem Grund! – keine Atomwaffen (außer einige auf seinem Territorium, die aber den USA gehören). Im übrigen ist Deutschland in ein Bündnis eingebunden. Das kann man natürlich auch gleich über Bord werfen und so tun, als sei die Welt ein Hort des Friedens. Ist sie aber nicht.
Grundsätzlich »kann man« natürlich alles. Ökonomische und politische Autarkie haben im 20. Jahrhundert mehrere Länder versucht. Zumeist endete es entweder in eine Art Steinzeitgesellschaft (Kambodscha unter Pol Pot) oder in Kriege, um die notwendigen Ressourcen die man selber nicht hatte, zu erobern. Der globalisierte Kapitalismus hat gravierende Fehler und Ungerechtigkeiten, aber es gibt m. E. kaum eine funktionierende Alternative dazu. Die »Gräuel« wären einfach andere und womöglich gravierendere als die der Gegenwart.
@Florian Appel
Gesetzt, Arbeit wäre Selbstausdruck des Menschen, Offenbarwerden von Begabung und Neigung, gestaltete Anschlussbereitschaft und das Maß für ein Tätigwerden in diesem Sinne die Bedürftigkeit des Mitmenschen, dann wäre die Finanzierungsfrage des BGE geklärt.
Pardon, das ist mir zu schwammig. Bitte entwickeln Sie Rechenmodelle.
Götz Werner ist übrigens ein eher schlechtes Beispiel. Sein Modell sieht eine Finanzierung über eine erhöhte Umsatzsteuer vor. Das wäre, salopp ausgedruckt, das Prinzip »linke Tasche, rechte Tasche«.
Genaueres kann man hier (pdf) nachlesen. Fazit aus diesem Papier:
quote
a) Würden die gesamten Sozialtransfers in ein bedingungsloses Grundeinkommen umgelenkt, könnte ein monatlicher Betrag in Höhe von 645 € gezahlt werden. Dieser verringert sich um die Kosten für die notwendigen Krankenversicherungsbeiträge.
b) Um ein Grundeinkommen in der von Götz Werner als Ziel angegebenen Höhe von 1300–1500 € zu sichern, wäre ein Finanzierungsvolumen erforderlich, das mindestens das Doppelte der bisherigen Sozialtransfers umfasst. Entsprechend müssten Steuern, Abgaben bzw. Beiträge erhöht werden.
c) Ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 645 € in der beschriebenen Form würde pro Kopf der Bevölkerung gleichmäßig anfallen. Bezieher darüber hinaus gehender Sozialtransfers müssten mit dem Grundeinkommen teilweise erhebliche Einschränkungen in Kauf nehmen. Dies gilt insbesondere für die Bezieher von Renten. Andererseits würde die Gruppe der Bevölkerung, die im Moment keine oder nur geringe Sozialtransfers bezieht, zum Nettogewinner der Einführung eines Grundeinkommens. Ein solches System hätte also bei einem konstanten Aufwand an Sozialtransfers eine erhebliche Umverteilung von Transferströmen zuungunsten der bisherigen Empfänger zur Folge. Wollte man solche Kürzungen z. B. bei den Renten vermeiden, würden für die Gewährung eines Grundeinkommens von 645 € weitere, über die bereits heute erhobenen Abgaben/Steuern/Beiträge hinausgehende Belastungen auf die Bürger zukommen.
unquote
Die Menschen müssen eine Idee denken können (wollen), dann werden sich Lösungen für die zu klärenden praktischen Fragen finden lassen.
Das ist ein fast gefährlicher Satz, weil es bedeutet: Erst mal machen, dann finden sich die Lösungen schon. Wohlklingende Worte fürs Posesiealbum ersetzen kein verantwortungsvolles politisches Handeln.
Im übrigen (Zustimmung @Gregor) ist das BGE nur eine Sicht auf die »Hälfte des Kapitalismus«. Wo sind die Investitionen?! In dieser Halb-Welt gibt es nur Arbeit und Einkommen, – der Umsatz, die Abschreibungen und die Investionen werden nicht besprochen. Das sind in der Regel die Probleme von Unternehmern...
Es ist sonderbar, dass die Kritik immer nur die Hälfte der Probleme analysiert. Es kommt damit stillschweigend zu einer »Industrie-Kultur«, wo alle Einheiten so viel arbeiten/produzieren, wie sie »wollen/können«... Die Anführungszeichen kann man gar nicht genug betonen. Die Arbeit wird eher locker verrichtet, toll für die Belegschaft, aber die Preise müssen stabil bleiben, weil man die Kaufkraft erhalten möchte, und Sim-sala-Bim sind wir wieder bei der Lohnerhöhung, mit zugleich leeren Regalen.
Und für neue Maschinen (Bad News: Sie altern und sterben, genau wie wir!) stellen wir einen Antrag bei der Zentralen Planungskommission. Wird schon durchgehen!
Die Dysfunktion des Sozialismus gründet sich auf sein mangelhaftes Nachfrage-Feedback (zu viel/ zu wenig Produktion für den Bedarf), und sein fehlendes Investitions-Risiko (wer hätte nicht gern neue Maschinen, aber wem soll der Stabschef die Genehmigung verweigern, ohne sinnlos Geld zu drucken?!).
Die von Viviane Forrester in Aussicht gestellte Befreiung aus dem eisernen Gefängnis der Hörigkeit ist eine Verheißung. Als Rechtfertigung dient die Unzufriedenheit, das vorhandene weitherum grassierende Künstlerpech, der Mangel an Respekt, Beachtung, Wertschätzung, millionenfach erlebt, aber auch so schreckliche wie das körperliche Leiden, die Krankheit, ja selbst den Tod kann man bei der Ökonomie abladen – und tut auch das gerne und massenhaft, tagein, tagaus.
Wenn Linke alt werden, wissen sie aus lebenslanger Erfahrung, wieviele verschiedene Formen die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden annimmt – und manche sind deshalb imstande, eine große Resonanz bei einer großen Gruppe von Menschen zu erzielen, wenn sie zu ihrem letzten Befreiungschlag sich aufraffen. Die Realität, auf die sich Mme. Viviane Forrester beziehen, ist eine sujektive. Die Späre, in der sich der Alltag in France oder Austria oder D vollzieht, besteht freilich nicht allein aus dieser subjektiven Realität, sondern auch aus einer physischen/technischen Welt und einer hochfunktionalen sozialen Welt, die einander brauchen, um effizeint zu sein (das ist immer noch Max Weber). Für diese – reale – Seite der Gleichung interessiert sich Mme. nur insofern, als sie deren Schwächen (= deren potentielle Hinfälligkeit) moniert. Da wir in einer hochsäkularisierten Gesellschaft leben, ist das ehedem massenahaft konsumierte Genre der religiösen Erbauungsschrift verweist. Das hat Mm. Forrester verstanden – und diesem Bedürfnis hilft sie ab. – Die Menschen mögen es, wenn man ihnen ein wenig den Druck nimmt, der von der Sündhaftigkeit der Welt (= ihrer
Fehlerhaftigkeeit/Ungeerechtigkeit/Ineffizienz/Umweltschädlichkeit...) produziert wird und ihnen jetzt schon ein wenig von dem Trost in Aussicht stellt, der traditionell der Trumpf der Jenseitsvorstellungen war. die Sache hat auch etwas Wiedertäuferisches.
Deshalb aber sage ich Euch: Gehet hin und lest die beiden Romane: »Unsere Liebe Frau vom Wald« und – »Ed King«. Das letztere Buch zeigt, wie heilsbedürftig alle Menschen sind – und wie suggestibel noch die größten Potentaten (in Silicon Valley, an der Westküste der USA – in ihm finde ich auch Spuren des formidablen Reform(!)-Drogisten Götz (!) Werner) – und das erstere zeigt die nämliche Geschichte aus der Perspektive der niedrigeren Schichten (Holzfäller, Krankenschwestern, Baggerfahrer, Lokaljournalisten usw.) an der Nordwestküste der USA. Diese Bücher sind gleichsam die Kür zu Frau Forresters etwas ausgeleierten, weil schon oft vorgespielten diskursiven, massenkompatiblen Erlösungsphantasien.
»Vielleicht neigt jeder, der glaubt, genau Bescheid zu wissen, zur Rhetorik. Es gibt dann beim Schreiben nichts mehr zu erarbeiten, zu erforschen, man ist nicht auf‑, sondern abgeklärt und wird sich von nichts überraschen lassen. Die Gedanken verfertigen sich unter solchen Voraussetzungen nicht beim Sprechen/Schreiben. Es geht nur noch darum, die passenden, d. h. wirksamsten Formulierungen zu finden. Nach meinem Empfinden ist das ein kaltes Schreiben, die Rhetorik ein kaltes System. . . .«
Diese Sätze sind, für mich, lebenswichtig. Genau Bescheid zu wissen heißt nichts zu wissen. Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden (Kleist) ist genau was ich beim Lesen Ihres Buchs... Annäherungen an Peter Handke ... erlebe, wie auch beim Lesen von Handkes Werk. »Ich sehe die Schrift seines (Handkes) Briefs, die zittert. Es ist ein feines Schwanken und Zittern, das die Kraft umgibt.« Ihr Schreiben ist ein warmes Schreiben.
@ Gregor K.
Historisch betrachtet, und überhaupt, rückblickend, in unseren Biographien: Wenn sich etwas Grundlegendes geändert hat, wurde erst mal gemacht. Jede Entscheidung birgt Risikos. Die man natürlich abwägen soll. Die Corona-Zeit ist in mancher Hinsicht lehrreich. Unter anderm zeigt sie, daß Nichtstun ebenso gefährlich ist wie blinder Aktivismus. Der Weg dazwischen ist oft eng.
@ Scott
Eine Spur Arroganz ist in Texten wie diesen schon auch nötig. Glaube ich.
Derjenige, der am meisten »gemacht« hat, ohne Folgen zu bedenken, ist gerade in den USA abgewählt worden. Überhaupt ist die Außenpolitik der USA ein sehr gutes Beispiel dafür, wie Politik, die immer erst einmal dem Aktionismus verfällt, scheitert und am Ende zwar ein Problem löst, dafür aber mindestens zwei andere neu erschaffen hat.
Corona ist dahingehend nicht vergleichbar, weil es mehr oder weniger unverhofft kam.
Mir scheint die Frage nach der Finanzierung eines BGE zunächst vernachlässigbar. Es handelt sich beim BGE – soweit ich es verstehe – nicht um zusätzliche Geldsummen. Geld ist selbst kein Wirtschaftsgut, sondern ein Mittler für deren Verkehr. D.h., nur wenn es Güter und Dienstleistungen gibt, lässt sich über eine gerechte Teilhabe (vor allem in Bezug auf allgemeine Grundgüter) nachdenken. Insofern ist es eine Milchmädchenrechnung, anhand der Staatsquote einen theoretisch auszahlbaren Betrag zu ermitteln, denn nicht eingerechnet wären ja all die privatwirtschaftlich erzielten Einkommen, welche jetzt schon über einem bedingungslosen Mindesteinkommen liegen. Der Betrag eines BGE wäre dort bereits anteilig enthalten.
Einkommen werden durch Preise finanziert, die wir als Konsumenten zahlen. Wenn es Güter und Dienstleistungen gibt, dann haben die einen Preis und diesen Preis zahlen wir aus unseren Einkommen. Und die gezahlten Preise sind ihrerseits wieder Einkommen. Geld ist in letzter Konsquenz immer Einkommen. Auch Kredite sind Einkommen für Investitionswillige. Mit Sozialismus hat all dies nichts zu tun. Der selbstregulierende Machanismus Angebot-Nachfrage bleibt davon unberührt. Nur wäre die Wahlfreiheit eben auf den Bereich der Arbeit ausgeweitet (und nur so ließe sich überhaupt von „Arbeitsmarkt“ sprechen). Selbstverständlich kann es nach der hier vorgestellten Lesart ein Grundeinkommen nur geben, wenn es die entsprechenden Güter und Dienstleistungen gibt. Wenn es sich so verhält, wie manche Unken aus stehenden Gewässern quaken, dass nämlich dann zuviele Menschen in ihren Hängematten liegen bleiben, dann ist ein BGE nicht möglich. Womit wir beim Denken und der Bildung wären.
Mit „eine Idee denken können“ habe ich gerade nicht „erst mal machen“ sagen wollen. Lösungen finden sich durch’s Denken, durch’s Wahrnehmen (auch eine Form des Denkens), manchmal heuristisch (auch hier braucht’s das Denken). Aber Denken bitte „mit Herz“. Oder um es mit Alexander Kluge zu sagen: „Verstand ist nur brauchbar, wenn er eine intensive, zugespitze Form von Gefühl ist“. Ich bitte um Verzeihung, wenn das wieder (?), unangemessen (?) nach Poesiealbum klingt. So ist es nicht gemeint. Und wenn Poesiealbum, dann nur in der Form, dass ich mir durchaus auch verantwortungsvolles politisches Handeln aus einer ums Poetische erweiterten Weltschau vorzustellen vermag.
Mir scheint die Frage nach der Finanzierung eines BGE zunächst vernachlässigbar.
Sorry, danach habe ich aufgehört, zu lesen. Das ist Träumerei.
@ Florian Appel u. Gregor Keuschnig
Geld als Vermittlungsgut – oder eben reines Tauschmittel – das ist die Einsatzstelle der anthroposophischen Traktate, – - – - wie auch der Marxschen Ökonomie. Die Stärke solcher grundsätzlichen Überlegungen liegt – in ihrer Grundsätzlichkeit. Sie erlaubt denjenigen, die sie denken, den momentanen flash, den schwindeln machenden (=berauschenden) kühnen Adlerblick hinunter auf die Anstrengungen der armen Irren in ihren alltäglichen Mühen (Finanzierungsfragen usw.). Hier treffen sich – Götz Werner, Joseph Beuys, Robert Habeck und – Koal Moax, aber auch der Träumer vom siebten Land, wenn er die balkanesischen (=ursprünglichen, = menschlichen) Märkte kontempliert. »Es ist eine interessante Gegend / Teilweise erschreckend und teilweise erregend«, wenn ich nun Chris Kristofferson noch herzitierend/paraphrasierend mich – öh – das hier abzurunden bequeme, ne.
Ganz zu schweigen von den Millionen von dann Arbeitssuchenden, die in Jobcentern und Sozialämtern keine Verwendung mehr finden würden, weil es ja ausser dem BGE keine Sozialleistungen mehr gibt...
@Gregor Keuschnig, darf ich Sie bitten, bei Gelegenheit meine Zeilen doch noch ein Stück weiterzulesen? Ihrer Aufforderung an mich, Rechenmodelle zu entwickeln, habe ich versucht, im Rahmen meiner begrenzten Möglichkeiten wenigstens grundsätzlich Folge zu leisten. Dass ich die Finanzierungsfrage eines BGE für nachgeordnet erachte, will allein zum Ausdruck bringen, dass m.E. zuerst die Ideen in Bezug auf die vermeintlich trivialen, aber gerade deswegen doch entscheidenden Grundfragen (Menschenbild, Gesellschaftordnung) skizziert, bewegt, geordnet, ausgetauscht, begriffen werden wollen und alles Technische daraus später resultiert. Es mag sein, dass das hier an diesem Ort schon zur Genüge geschehen ist. Und selbstverständlich wollte ich in diesem Falle den Betrieb nicht weiter mit Poesiealbumsprüchen aufhalten.
Nur klingt mir eben auch Leopold Federmaiers Satz aus dem anlassgebenden Essay im Sinn: »In meinem eigenen Fall kommt es häufig vor, daß ich mich auf dem diskursiven Weg nicht mehr auskenne, und auch jetzt in diesem Moment ist das ein wenig der Fall.«
Seit Jahren lese ich die anregenden Beiträge und Diskussionen an diesem Ort. Ich meine, mich daran zu erinnern, dass Sie einmal in einem Beitrag ausdrücklich dazu ermuntert hatten, sich ins Diskussiongeschehen einzuklinken und nicht nur still vor sich hin mit-zulesen. Ich gestehe, dennoch etwas gezögert zu haben, meine ersten Zeilen hier zu veröffentlichen. Ich hatte selbst schon vermutet, ich schriebe zu „unterkomplex“. Leopold Federmaiers ermunternde Zustimmung hatte mich dann für den Moment dazu ermutigt, „am Ball“ bleiben zu dürfen.
Kurzer Exkurs. Als freischaffender Musiker wäre von mir wohl zu erwarten, in den Chor empörter Künstler einzustimmen und mit Verweis auf die gesellschaftliche Notwendigkeit von Kultur zu mahnen, dass man „uns“ nicht vergessen dürfe. An dieser Stelle kann ich mich eines gewissen Poesiealbumgefühls nicht erwehren. Ich störe mich daran, dass jetzt jede gesellschaftliche Gruppe unter Aufbietung aller Theatralik empört auf ihre Systemrelevanz pocht. Von welchem System ist denn überhaupt die Rede? Und ist Gesellschaft nicht weit mehr als ein kühles System? Das Virus trifft nicht gesellschaftliche Einzelgruppen, sondern uns alle. Nicht einzelne Gruppen bedürfen der Solidarität, sondern alle. Und alle wären in der Lage, politisch beschlossene Maßnahmen solidarisch mitzutragen, wenn sie nicht in Sorge darüber geraten müssten, sich dieses Mittun auch „leisten“ zu können.
Es mag ja sein, dass es zum globalisierten Kapitalismus keine (wünschenswerte) Alternative gibt. Aber bieten nicht gerade Ausnahmezeiten wie diese die Chance (und verlangen geradezu danach), frisch zu denken und (in zunächst gerne nur zeitlich begrenztem Rahmen) neue Wege zu wagen?
Das Nachdenken über gesellschaftliche Bedingungen eines bedingungslosen Grundeinkommens vor dem Hintergrund einer Ausnahmesituation wie dieser kann doch mehr sein, als träumende Glasperlenspielerei.
Der Weg zwischen blindem Aktionismus und Nichtstun ist eng. Und weiter Leopold Federmaier: »Auch als Bewohner des Elfenbeinturms, verzichte ich ungern auf die Utopie von Kreativität von allen und für alle.«
Ich werde mich zukünftig wieder gerne auf’s Lesen hier beschränken und bitte nur um eines: behalten Sie auch schlichtere Gemüter wie mich im Blick!
Ein Hoch auf die Musiker, @Florian. Sie bestreiten die höchste Kunst, und erfahren wenig Anerkennung. Ich bin ebenfalls mit diesen Musenkindern ver-band-(?!)-elt, und ich kenne ihre Einkommensprobleme.
Ich kann ihren Beitrag insofern ernst nehmen, als die Musik die reinste autopoetische Dimension aufweist. Ihre Schöpfung und ihr Lohn fallen praktisch in eins. Imgrunde ist die Ignoranz der Leistungsgesellschaft ihr gegenüber gar nicht mal so fies. Es wäre natürlich versponnen zu glauben, Musiker lebten von Luft und Liebe, aber vom Standpunkt einer »Verallgemeinerten Ökonomie« ist da was dran. In die Erschaffung und Produktion von Musik geht kein Fremdinteresse ein. Es gibt kein Geben und Nehmen, weil die Grenzen des Subjekts aufgehoben werden.
Das ist in der grauen Welt der Arbeit natürlich anders. Hier befinden sich alle außer dem Einzelunterrnehmer in einer Schräglage. Es muss all die Zeit über erwogen werden, ob man bereit ist, »mehr zu geben«, als man kann, oder auf Bedürfnisse zu verzichten, um den Unternehmenserfolg zu gewährleisten. Dabei erscheint in der Breite genau das, was ich oben den »zweiten Mehrwert« genannt habe, also Selbstwirksamkeit sowie Anerkennungs- und Distinktionsgewinne, als Buchungsgegensatz zur Ausbeutung. Ich fürchte, das wird in keiner Soziologie-Vorlesung richtig behandelt, weil die libinösen Konzepte immer auf den KONSUM abzielen. Das ist natürlich eine zu starke Vereinfachung.
Für den Kapitalismus gilt immer noch: Wenn ich schon arbeiten muss, (anstatt zu musizieren), dann kann ich immer noch das Beste daraus machen.
Zur Geldtheorie wollte ich bemerken: Geld ist nicht nur ein Tauschmittel, genauer gesagt ein allgemeines Äquivalent, sondern auch ein »Handelsgut« und eine »Ressource«. Das gilt für alle Subjekte. Die Fixierung auf den Tausch ist (wie beim Konsum) eine unverhältnismäßige Vereinfachung dieser Ökonomie.
Eine Kritik des Kapitalismus habe ich immer nur in der Form einer verkürzten Darstellung gefunden, ebenso wie die Entwürfe des Sozialismus. Je genauer man die Systeme aufschlüssel, desto weniger ist »von vorne herein klar«, welches System besser ist. Ich bin mir selbst auch nicht zu 100% sicher, aber die historischen Experimente sind grauenhaft verlaufen.
Solange ich in meinem Übekabuff sitze, stelle ich aus mir heraus her, das ist freilich richtig. Aber ohne das gemutmaßte (spätere) Gegenüber würde ich wenigstens als der Nachschöpferische, als der ich mich im Sinne des Fremdmaterial-Verlebendigers verstehe, so nicht tätig werden. Einfacher gesagt: würde ich nicht die Erfahrung gemacht haben, dass „meine Kunst“ gebraucht, weil genossen, oder Anregungen (Sinn?) erzeugend, wäre, und mir darüberhinaus Mittel (also meistens Geld) zugänglich gemacht würden, die meine Arbeitskraft erhielten, dann würde ich in diesem Metier nicht arbeiten (können). Bei der originär arbeitenden Komponistin, oder ganz allgemein Autorin, verhält es sich im ersten Punkt womöglich anders. Aber spätestens im zweiten braucht auch sie letztlich jemanden, der sagt, schön und gut, dass du bist und dass du machst, was du machst. Selbst ein Van Gogh brauchte seinen Bruder, um tätig sein zu können. Heißt Fremdinteresse nicht: da ist jemand, der hat etwas, das ich nicht habe und an dem möchte ich gerne partizipieren? Auf Bedürfnisse muss ich doch nur dann verzichten, wenn ich erkenne, dass Bedürfnisse anderer jetzt vorrangig sind (oder verletzt würden), oder dass es zu deren Befriedigung gerade keine Mittel und Wege gibt. Und was ist eigentlich Unternehmenserfolg? Kann dass denn wirklich mehr sein, als die Bereitstellung von Dingen und Leistungen, die gebraucht werden? Ich stimme @Sophie zu (vorausgesetzt ich schlussfolgere richtig), dass Wertschätzung im Wirtschaftssystem als Wert an sich nicht recht bedacht wird. Aber wie auch sollte sich dies abbilden lassen?
Grundeinkommen hieße für mich zuallererst: Dein Grundrecht, ein Mensch zu sein, wollen wir Dir, weil wir das dazu Benötigte haben (für den Fall, dass wir es haben), nicht nur ideell, sondern leibhaftig zusichern.
Und nochmal zur Geldtheorie: ich verstehe, dass die Funktion von Geld auch die der Speicherung von Möglichkeiten ist und als solche gehandelt werden kann. Aber realisiert sich diese Größe letztlich nicht nur da, wo sie als Einkommen jemandem zugute kommt?
@ Florian. In ihren Überlegungen fehlt definitiv ein Verständnis für den Begriff Ressource. Sie bringen immer Beispiele des Unendlich Teilbaren, also Wissen, Ideen, ästhetische Erfahrung, sofern vermittelbar.
Dagegen steht praktisch die Erfahrung der gesamten Menschheit: Knappheit an Gütern. Wir nähern uns ja rapide einem schizophrenen ökologischen Universum, wo die Knappheit von Ressourcen komplett ersetzt wird durch eine »Verletzlichkeit der Natur«, aber ich möchte Sie dennoch bitten, die Realität nicht aus den Augen zu verlieren. Ein Minimum an Bedürfnissen zu formulieren, ist eine selbstgefährdende Angelegenheit... Mit anderen Worten: Sie wären überrascht, wie weit unten man dieses Minimum ansiedeln kann. Zwei Dollar am Tag?! Dann sind schon richtig arm dran, aber »leben« immer noch. Ich würde vor allen Regimen warnen, die sich anmaßen zu wissen, was Sie zum Leben nötig haben, und was nicht (Hartz IV = Sozialismus. Genau dieselben Härten)...
Fremdinteresse: Gibt es auch in der Musik, zum Beispiel der Nachbar, der mein Piano hasst. Ich habe keineswegs die Begierde gemeint, aber letztlich sind Sie natürlich befugt, meine Worte »zu entführen«, und ihnen einen ganz anderen Sinn zu verleihen.
@Florian Appel
Es ist bezeichnend, dass die meisten BGE-Befürworter damit argumentieren, dass man erst einmal damit beginnen sollte um dann irgendwann zu sehen, wie es weitergehe. Während die Gegner Rechnungsmodelle in die Diskussion werfen.
Nehmen wir an, Sie entdecken in einem Geschäft einen Gegenstand, den sie beruflich unbedingt haben wollen und von dem sie sich langfristig Einkommensvorteile erhoffen. Sagen wir ein besonders schönes Instrument, um in Ihrem Beruf zu bleiben. Es kostet einen sehr hohen Betrag, sagen wir 10.000 Euro. Dieses Geld haben Sie nicht. Es ist Ihnen auch nicht klar, wie sie dieses Instrument bezahlen wollen. Eine Bank möchten Sie nicht konsultieren. Würden Sie es kaufen in der stillen Erwartung, dass es sich irgendwann amortisiert? Hegen Sie keinen Gedanken an die Nachhaltigkeit Ihres Budgets? Warum soll ausgerechnet ein Staatswesen plötzlich alle Nachhaltigkeitsüberlegungen aufgeben?
Nahezu alle Berechnungen gehen davon aus, dass durch den Wegfall außerordentlicher Sozialleistungen zu Gunsten eines BGE vor allem untere Einkommen und Kleinselbständige Nachteile davon haben würden. Von den Massenarbeitslosigkeiten des Behördenpersonals, welches dann nicht mehr gebraucht würde, nicht zu reden.
Ich finde im übrigen den Appell, dass das Menschsein damit beginnt, dass der Staat finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, reichlich krude. Beispiele in der Vergangenheit haben im übrigen gezeigt, wohin solches Denken am Ende führt bzw. geleitet werden kann. @Sophie hat darauf hingewiesen.