Gruss aus der Kü­che

Re­por­ter­spra­che bei der Fuß­ball-EM – Es ist (zum Glück) bald vor­bei.

Ich weiß nicht war­um, aber ich kann mit mei­nem schon et­was äl­te­ren Fern­se­her das Schwei­zer Fern­se­hen un­ver­schlüs­selt emp­fan­gen. Das ist manch­mal in­ter­es­sant, et­wa bei in­ter­na­tio­na­len Nach­rich­ten, wenn dort un­auf­ge­reg­te Kor­re­spon­den­ten Sach­ver­hal­te be­rich­ten statt nur Mei­nun­gen ab­zu­ge­ben. Groß­ar­tig ist das je­doch bei Sport­er­eig­nis­sen wie der Fuß­ball-EM. Nicht nur, dass man al­le Spie­le über­trägt, auch die Prä­sen­ta­ti­on un­ter­schei­det sich wohl­tu­end vom deut­schen Fern­se­hen.

Vor­ab sitzt ein Mo­de­ra­tor mit zu­meist zwei Ex­per­ten (bei­spiels­wei­se Mla­den Pe­tric, Bru­no Ber­ner oder Mar­ti­na Mo­ser; ein­mal auch Lutz Pfan­nen­stiel) im Stu­dio (au­ßer bei den Schwei­zer Spie­len; da war man vor Ort). Sie re­den – Wahn­sinn! – tat­säch­lich über die bei­den Mann­schaf­ten, die da auf dem Platz ste­hen, wä­gen Chan­cen ab, er­läu­tern tak­ti­sche Stär­ken und Schwä­chen. Sie lau­fen da­bei nicht wie Hel­den in dem Stu­dio ein und frot­zeln sich auch nicht ge­gen­ein­an­der auf bil­li­ge Wei­se an. Quo­ten gibt es nicht. Mal sit­zen drei Frau­en dort (mit An­net­te Fet­sche­rin als Mo­de­ra­to­rin), mal drei Män­ner. Der Deut­sche muss aber ge­nau hin­hö­ren, denn al­les läuft in Schwy­zer­dütsch. Egal, es lohnt sich.

Die Spie­le wer­den dann von ei­nem Re­por­ter in hoch­deutsch kom­men­tiert. Auch hier do­mi­niert die Un­auf­ge­regt­heit, au­ßer wenn es um die Schweiz geht, doch da­zu spä­ter. Tak­ti­sche Din­ge wer­den ein­ge­streut, wo dies not­wen­dig ist. Kei­ne Über­frach­tun­gen. Pla­stik­be­grif­fe wie zum Bei­spiel der »Ex­pec­ted Goal«-Wert sind an­schei­nend ta­bu. Was ge­nutzt wird, sind die sich aus dem Spiel ab­zeich­nen­den Ball­sta­ti­sti­ken. So er­fährt man, wie­viel CR7 ge­lau­fen war. Oder das Ka­ne vier Ball­kon­tak­te in ei­ner Halb­zeit hat­te.

An ei­ni­ge Vo­ka­beln muss man sich ge­wöh­nen. Spie­ler, die auf dem Ra­sen lie­gen, wer­den dort nicht »be­han­delt«, son­dern »ge­pflegt«. Ei­ne Un­ter­bre­chung ist ein Un­ter­bruch. Statt auf­wär­men heißt es ein­wär­men. Und manch­mal wird ein Spie­ler »eli­mi­niert« – wenn man ihn nicht zur Ent­fal­tung kom­men lässt. Der Tor­wart heißt kon­se­quent Goa­lie. Die Na­tio­nal­mann­schaft »Na­ti«, was nichts mit ei­ner rech­ten Ge­sin­nung zu tun hat, ob­wohl es ähn­lich klingt.

Wenn es nichts zu se­hen gibt, wird ge­schwie­gen, ma­xi­mal ab und an der ge­ra­de ball­füh­ren­de Spie­ler ge­nannt. Die Aus­nah­me ist hier Ma­rio Geh­rer, der an deut­sche Viel­red­ner er­in­ner­te. Manch­mal wird das Spiel­ge­sche­hen mit ei­nem Aper­cu gar­niert. Als sich der spa­ni­sche Spie­ler Na­cho im Fal­len auf den Kopf des fran­zö­si­schen Spie­lers Ko­lo Mua­ni ab­stütz­te und die­sen auf den Bo­den press­te, kom­men­tier­te Da­ni Kern dies als »klei­nen Gruß aus der Kü­che«. Die deut­sche Bi­got­te­rie, die Pfif­fe der tür­ki­schen Fans ge­gen die Nie­der­lan­de als »Stim­mung« aus­zu­ge­ben (»be­waff­net mit Pfif­fen«, tön­te Wolff Fuss), wäh­rend man die Pfif­fe ge­gen Cu­cu­rel­la (die sich auf sei­ne Hä­me in der Pres­se­kon­fe­renz be­zo­gen, nicht auf das Hand­spiel) pflicht­schul­digst »ver­ur­teil­te«, blieb ei­nem er­spart. Die Cu­cu­rel­la-Pfif­fe kom­men­tier­te Kern hu­mo­rig als Hil­fe, weil man dann er­füh­re, wenn er am Ball ist. Man er­fuhr auch, wie schlecht der Ra­sen in Frank­furt, Gel­sen­kir­chen oder Dort­mund war, wäh­rend man in Deutsch­land im­mer al­les lob­te.

Sa­scha Rue­fer, der un­ge­krön­te Star des Kom­men­ta­to­ren­quar­tetts, be­fand, dass die Tri­kots der Fran­zo­sen so schön sei­en, dass man da­mit auch zu ei­nem Be­wer­bungs­ge­spräch ge­hen kön­ne. Er ist durch­aus mei­nungs­stark und geht da­bei Ri­si­ken ein, aber wenn er zum Bei­spiel ei­ne Aus­wechs­lung kri­ti­siert hat­te, das sich nach­träg­lich als rich­tig zeig­te, ge­steht er die Falschein­schät­zung ein. Rue­fer kom­men­tier­te al­le Spie­le der Schweiz und na­tür­lich ist er par­tei­isch. Aber nicht so, dass er die Fuß­ball­re­geln au­ßer Kraft set­zen möch­te. Un­ver­ges­sen, als er bei der letz­ten EM die Mann­schaft sar­ka­stisch für ih­re Fri­su­ren lob­te – das Spiel kön­ne es ja nicht sein, und man ha­be sich eben auf die Coif­feur-Be­su­che kon­zen­triert. Von die­sem Gram heu­er nichts. »Wir füh­ren 1:0 ge­gen Deutsch­land«, froh­lock­te er im Grup­pen­spiel, zähl­te fast die Se­kun­den – bis Füll­krug doch noch traf (und uns in den fal­schen Tur­nier­baum schick­te). Und dann der Tri­umph, nach 31 Jah­ren über Ita­li­en ge­siegt zu ha­ben. Rue­fer war au­ßer sich vor Freu­de – wie ein Schwei­zer das eben ist. Man hör­te ihn dann im Vier­tel­fi­na­le ge­gen Eng­land lei­den, ein Ball­ver­lust wur­de schon ein­mal mit ei­nem Knirsch­laut be­glei­tet. Und nach dem ver­lo­re­nen Elf­me­ter­schie­ßen mach­te Rue­fer das, was Gerd Gott­lob in der ARD äqui­va­lent zum ver­lo­re­nen Deutsch­land­spiel nicht mach­te und was all die an­de­ren Re­por­ter von ARD und ZDF viel zu we­nig ma­chen: Er schwieg! Er ließ die Zu­schau­er mit den Bil­dern al­lei­ne. Je­der konn­te für sich trau­ern (oder ju­beln).

Der SRF-Zu­gang er­spar­te mir weit­ge­hend den Feld­zug Ma­nu­el Grä­fes ge­gen Fe­lix Zway­er, aber vor al­lem Viel­falt-Schmidt, Pan­nen-Neu­mann, Nu­schel-Schwein­stei­ger, Me­ta­phern­un­glück Fuss, »Box«-Broich, »Das-war-doch-ein-Elfmeter«-Hitzlsperger, Nör­gel-Schult, Wort­le­g­asthe­ni­ker Mat­thä­us, Brüll-Gott­lob, La­ri­fa­ri-Bartels und all die Ge­sprächs­run­den, die ei­nem die un­be­strumpf­ten, in ir­gend­wel­chen Pla­stik­schu­hen ge­steck­ten Fü­ße der Prot­ago­ni­sten leid­lich prä­sen­tier­ten und man bei län­ge­rem An­schau­en glaub­te, die ent­spre­chen­de Tran­spi­ra­ti­on schon zu rie­chen. Ich konn­te rasch um­schal­ten – es gab et­was Bes­se­res.

Und wie so oft ist mir das End­spiel nach die­sem Ma­ra­thon fast nur noch gleich­gül­tig.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Dass man in der Schweiz ganz all­ge­mein et­was we­ni­ger zu dra­ma­ti­scher Auf­ge­scheucht­heit neigt als in Deutsch­land (im Gu­ten und Schlech­ten) ist schon häu­fig fest­ge­stellt wor­den und es ist auch durch­aus et­was dran. Ei­ne ge­wis­se Kon­kor­d­anz­kul­tur wird si­cher et­was da­mit zu tun ha­ben.

    Die re­la­ti­ve Un­auf­ge­regt­heit beim Fuss­ball mag noch et­was spe­zi­fi­scher dar­in grün­den, dass wir in der Schweiz das Ver­lie­ren ge­wohnt sind, wäh­rend Deut­sche al­les au­sser Tur­nier­ge­winn als Scha­dens­fall be­trach­ten, für den je­mand zur Re­chen­schaft ge­zo­gen ge­hört.

    In Sa­chen Sach­ver­hal­te sei Ih­nen noch der abend­li­che Nach­rich­ten­pod­cast »Echo der Zeit« des deutsch­spra­chi­gen Schwei­zer Rund­funks ans Herz ge­legt. Den soll­ten Sie in Deutsch­land ei­gent­lich ab­ru­fen kön­nen.

  2. Ich ken­ne ja noch Re­por­ter wie Ernst Hu­ber­ty, Wer­ner Schnei­der und Rolf Kra­mer. Da­ge­gen ist Sa­scha Rue­fer heu­te ein Vul­kan. Als Hu­ber­ty vor ei­nem Jahr starb, lob­te man uni­so­no sei­ne knap­pen, ru­hi­gen Kom­men­ta­re. Statt sich die­ser zu be­sin­nen, quatscht man nun noch mehr, bis­wei­len so­gar zu zweit und zwar meist das, was der Zu­schau­er eh’ sieht. Hin­zu kom­men all die­se un­säg­li­chen Flos­keln und Su­per­la­ti­ve.

    Da­ke für den Tipp. Pod­cast ist abon­niert.

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