Josef Winkler, Büchnerpreisträger 2008, in Neuss
Nach der Lesung aus einem Buch »Roppongi« wurde Josef Winkler aus dem Publikum gefragt, ob er einen Grund nennen könne, warum so viele, eigentlich die meisten wortmächtigsten, zeitgenössischen Schriftsteller deutscher Sprache aus Österreich kommen würden (Handke, Jelinek, Thomas Bernhard und natürlich auch Winkler).
Winkler überlegte kaum, antwortete sehr schnell, anfangs mit einer Art Stottern oder, besser, Stammeln, als hätte er die Frage schon Wochen vorher gewusst. Naja, sagte er, es gäbe doch auch einige sehr gute Schriftsteller aus der Schweiz. Gelächter im Publikum. Dann hatte Winkler seine Gedanken sortiert. Handke, Jelinek, Bernhard – das seien europäische Ausnahmeerscheinungen. Insbesondere Handke.
Er käme nicht sehr viel zum Lesen, würde aber »schmökern«. Nach einigen Seiten merke man an der Sprache, ob das etwas Neues, Einzigartiges sei, oder so altbacken, dass er es schon fünfzig Jahre vor seiner Geburt hätte lesen können. Diese Mitteilungsliteratur.
Er habe alle dicken Bücher von Handke gelesen. Einige Kapitel seien, naja, da wisse er nicht so ganz genau. Aber dann immer wieder diese Stellen, die man fünf- oder zehnmal lesen würde – und wo man sich auch als Schriftsteller, der vielleicht nicht ganz so schlecht schreiben könne, frage, wie der das nur mache. Winkler hält Handke für den sprachgewaltigsten europäischen Schriftsteller. Gegen Handke bin ich ein Analphabet, so Winkler, und er sage dies ohne Koketterie.
Auf meinen Eindruck hin befragt, dass ich Thomas Bernhard, dessen frühe Werke wesentlich stärker seien (Winkler stimmte zu), in den späteren Büchern (»Holzfällen« beispielsweise) immer ein bisschen als den Salonaufreger, Winklers Furor jedoch für »authentischer«, ehrlicher, gehalten habe, meinte er, man solle sich nicht täuschen, auch er wäre ein grosser Schwindler. Winkler betonte ausdrücklich die Fiktionalität von Literatur.
Aber natürlich wäre Thomas Bernhards Einfluss auf seine (Schriftsteller-)Generation enorm gewesen. Auch die Generation danach hätte ihn fast aufgesogen. Bernhard (und Handke) seien die Vorbilder (dieses Wort benutzte er nicht) gewesen. Die ganz jungen würden ihn jetzt nicht mehr lesen.
Es gäbe Parallelen zwischen ihm und Bernhard in den »Themen« (bspw. Tod, Katholizismus). Der Grund, dass er, Winkler, kein Bernhardiner geworden sei, liege in der Sprache. Er benutze Sprache mit einer starken Bildstruktur. Das unterscheide essentiell ihn von Bernhard.
Natürlich wurde Winkler auch auf das Versöhnlerische in »Roppongi« angesprochen; die Milde im »Umgang« mit seinem Vater. Winkler antwortete sehr persönlich und offen. Er habe sich auf seine Art und Weise, also durch das Schreiben, an seiner Kindheit, an dem spannungsreichen Verhältnis mit seinem Vater, dem Ungeliebtsein, abgearbeitet. Er habe es durch das Schreiben verarbeitet. Etwas anderes, also zum Beispiel eine Psychotherapie, wäre für ihn nie infrage gekommen.
Und sogar auf seine früher virulenten Selbstmordgedanken kam Winkler zu sprechen. Alleine dadurch, dass die Selbsttötung als Möglichkeit erschienen sei, hätte ihm geholfen, mit seiner Verzweiflung fertig zu werden. Zur Ausführung brauchte es dann nicht mehr kommen.
Als Kind oder Jugendlicher habe der Vater niemals ein »ich hab’ Dich gern« zu seinem eher schwächlichen Sohn gesagt. Und wenn er sich an die seltenen Augenblicke des Angenommenseins erinnere, so daran, wenn abends vom Heuboden die Ratten in den Keller herunterkamen: die Geste, er, der Vater, aus der Lektüre seiner Zeitung aufblickend und der Sohn das Lesen von Karl May unterbrechend – und dann ging es zum gemeinsamen Rattentöten.
Am Ende hielt es Winkler nicht mehr auf seinem Stuhl; die letzte Frage nahm er stehend entgegen, setzte sich dann wieder hin. Er sei jetzt müde, sagte er. Am Schluss noch das Simon Zitat Alles ist autobiografisch, um das Paradoxon der Vermischung zwischen Fiktion und Realität aufzuzeigen. Und als er heute abend angekommen sei, kurz vor sieben, da sei dieses Läuten wieder gewesen. Diesen Katholizismus werde man nie mehr los, so Winkler. Nie mehr. Sagt er. Fast triumphierend. Sich abfindend. Das Beste daraus machend. Dann geht er weg, begrüsst eine Frau in der Vorhalle, kommt wieder zurück und signiert Bücher. Er fragt immer, ob er auch das Datum schreiben soll.
Ausser die kursiv gedruckten Stellen, die wörtliche Wiedergaben von Josef Winkler sind, handelt es sich um ein Gedächtnisprotokoll der Lesung und anschliesenden Diskussion vom 28.08.2008 in der Neusser Stadtbibliothek. Die Äusserungen sind sinngemäss zu verstehen; es kann sein, dass der ein oder andere Ausdruck nicht wortwörtlich verwendet wurde.
kurz kommentar von einem winkler übersetzer
ich fand es interessant das »keuschnig « Bericht erstattete über die Begegnung mit josef winkler, dessen »zögling’s Buch des jean genet« und »Butterblumen« Texte ich ins amerikanisch übertragen habe. warum es mehr »Naturwuchtige/ wuechsige« [so würde ich’s formulieren]
österreichische und Schweizer Schriftsteller [z.b. Hänny, Reto] gibt, vielleicht gibts nicht mehr genügend tiefes, existentiell gefährdendes Unglück, ist alles zu aufgeklärt.
ich erinnere mich als der Innerhofer bei mir in new york auftauchte [»schöne tage«, war das buch dass ich in einer schönen Übersetzung verlegt hatte als ich lektor war] ein ewig gekneteter und geschlagenes dorfs kind: also ich bin sofort mit ihm in seine ad infinitum Depression gesogen worden, und zu einem erinnerungwürdigen gespräch ist es kaum gekommen, trotzdem ich ihn sofort zu meiner geliebten winzigen bar barnabux rex an der duane street nahm und wir uns an ein der zwei winzigen Tische draussen setzten. dass der Innherhofer dann nach noch einigen Büchern selbstmord... ist ne interressante periode wenn so bisschen hoffnung und aufklärung in diese Dorfgemeinschaften kommt, so’ne kurze periode; sonst bleibt das gros der lieben gemeinschaft wie ihre stiere und kühe...
dass winkler die fiktionalität seines Werkes betont deutet auf die langweiligkeit der kategorie authenzität hin.
. wortmacht ja. mit handke hat winkler natürlich recht, and damit dass er ihm auf die schliche kommen möchte, die schrifstellerischen. die so zwanzig seiten [im deutschen, in der amerikanischen edition sind’s zehn] wo handke die vernichtung die der orkan in seinem chaville wald beschreibt [im »del gredos,« ein gebirgszug und als metapher für lebenserlebnis zu verstehen]... der handke hat schon glück gehabt als cezanne ihn darauf brachte, als er Not hatte sich zu erweitern, bildliche DSarstellungsmöglichkeiten mit hinein ins Spiel zu bringen.
»lass uns mal zusammen Ratten fangen gehen« auch so’n Vater winkler Sohn Verhältnis, also der Mann hat Witz, deswegen hat er das überlebt.
ich wunderte mich als ich hörte dass er verheiratet sei, Kinder hatte. nach dem »Zöglings« Buch über Jean Genet hatte ich erwartet, dass er Männer Liebe mehr benötigte, auch des Grunderlebnisses wegen dass da immer wieder auftaucht in seinem Frühwerk der zwei Knaben die sich da am Kalbsstrick an ihrer Liebe zu einander erhängt haben. ja, man vergibt den blöden Vätern ihre Unbeholfenheit ihr Ausgerichtetsein dann mit der Zeit, was aber nicht sehr ergiebiege Narben hinterlässt. life is tough, especially in austrian villages! village life in general. xx michael r.
dass winkler die fiktionalität seines Werkes betont deutet auf die langweiligkeit der kategorie authenzität hin.
Ja, diesen Satz müsste man all den sogenannten Kritikern in Stein gemeisselt nach Hause schicken. Und auch all den Schreibschuldozenten und ‑absolventen mit ihrer läppischen (ein Handke-Ausdruck – wer wüsste das besser als Sie) Scheisse, die da produziert und multipliziert wird.
Was mir ein bisschen in der Antwort von Winkler zu kurz kam: Die deutschsprachige Literatur ist besser als ihr Ruf (vor allem in Deutschland)! In Deutschland gibt’s jemand wie Marcel Beyer. Natürlich Botho Strauß. Das sind Schriftsteller, die in den Massienmedien nicht auftauchen, die aber entweder mindestens europäische Bedeutung haben, wenn nicht mehr (bzw. bekommen können; Beyer ist wohl noch nicht ganz so weit).
Anfangs wurde Winkler ja mit Innerhofer verglichen. Bei Winkler hat das Schreiben aber geholfen; bei Innerhofer nicht. Wer war der bessere Autor? Was meinen Sie?
„tiefes, existentiell gefährdendes Unglück“
Mmh, vielleicht ist das hier ein Schnellschuss – und ich bin auch kein wirklicher Kenner Winkler / Innerhofer – aber ich wundere mich doch spontan über eine etwas andere, harschere, eindeutigere Tonlage bei dem sonst spürbar um Abwägung bemühten Gregor Keuschnig. Ist das fast so etwas wie Parteinahme? Leidenschaft?
Und, um das gleich offen zu sagen, denn ich bin da verführbar, wie er vielleicht durch seinen Vorredner verführt wurde. Aber wird hier das Österreichische Elend – das ich in seinen künstlerischen Ergebnissen ein wenig kenne und teils auch schätze, in seinem Auftreten und dem Beharren darin, in der Verliebtheit also in „die liebe Not“, dazu in der Bestimmtheit so macher Personen allerdings weit weniger – wird das Elend hier nicht ein bisschen zu sehr gefeiert?
Ich frage ganz unpolemisch, um die Haltungen es besser zu verstehen.
Letztens wurde mal die Frage nach den Österreichern und ihren besonderen Qualitäten in der Literatur gestellt. In der Musik ist das bestimmt eindeutiger zu beantworten. In der Literatur sehe ich ungefähr folgende Einflüsse:
- die sicher mächtige sprachkritische Schule (Mach, mit einem pragmatischen Umweg über Leute wie Karl Kraus und Altenberg, also die an ihrer Verdichtung geschulten „Kaffehausliteraten“, in der Nachfolge die „Wiener Gruppe“ – dieser Zug zieht sich aber bis zu Jelinek, meine ich);
- sicher stark als Orientierung per se auch die nationalen „Singularitäten“, also Musil, Hermann Broch, dann Bernhard, aber auch Freud als Literat – dessen Qualitäten als jemand, der zuletzt Fiction schreibt wurden verschiedentlich schon herausgestellt und waren sicher ein starker lokaler Bewusstseinseinflüsterer; weiter ist Handke natürlich ein ganz Eigener;
- dann die Erleider der austriakischen Inzucht, der spezifischen Enge und der Zwänge, sich persönlich-künstlerisch daran abzuarbeiten und eine Intensität per se, nämlich als „Authentizität“ herzustellen, die dann vielen imponiert;
- und dann noch die, die anderswie „leiden“ (ob an Waldheim oder am Heldenplatz, am „System Österreich“ ([Menasse] oder etwa am K.u.K.-Niedergang, und damit etwa auch an der Kleinheit ihrer ehemals größeren Zuordnungseinheit – ich sage es extra derart um Neutralität bemüht; man sehe die irische, als von einem größeren Nachbarn nicht wirklich dominierte, aber auch die vergleichsweise niederländische Literatur, die dennoch Große hervorbringt); aber auch Streeruwitz, die sich etwa im Gender-Dingsbums und nah am Zeitgeist auf einer eigenen Höhe (und Leidensfähigkeit, und wiederum mit Sprach-Radar) abarbeitet.
Das ist das, was mir spontan einfällt. Ich kann nur ahnen, wen oder was ich da gerade alles vergesse.
Meine Frage auf den Verdacht hier aber ist, der mir früh kam und nie ganz wegging (obwohl der Winkler in seiner Rom-Zeit etwa mir ziemlich „imponiert“ hat): Macht da „tiefes, existentiell gefährdendes Unglück“ die Sache bedeutend? Und wo steckt da auf einmal die Fiktion, wenn solcherart Literatur – zumindest nach meinem Empfinden – sich durch die Person (klar: niemals 1:1) auch des Schriftstellers begründet? Oder wie übersetzte sich das in eine eigene, womöglich dann doch wieder kategorisierende Qualität von Literatur? Welche Rolle spielt da das sich durch Exotisches zu verstärken Suchende, etwa in Winklers Indien? (Und mit „Roppongi“ ist ja wohl der Stadtteil in Tokyo angesprochen, oder? Ich kenne das Buch nicht.) Inwiefern sucht das alles anderswo einen Anschluss an das, was ihn überhaupt beginnen ließ, die Todesrituale? Ist es doch wieder der österrichische Todesding? (Der Tod als Wiener, aber auch Hermann Nitsch usw.)
Jedenfalls merke ich – und das ist der Vorbehalt, auf den ich hinauswill; man verzeihe die lange Vorrede – misstraue ich diesem „stellvertretenden“ Unglück. Ist es nicht ein bisschen sehr das Jesus-Ding?
Es ist nicht, dass diese Schrift dann zu einem Gutteil Fiktion ist. (Das sei immer konzediert; schließt IST es ja Literatur. Als das stellt es sich ja oft auch bei anderen mit ihrem Unglück groß gewordenen Schriftstellern heraus.) Sondern meine Frage wäre, warum sich solcherart potente Fiktion dann überhaupt auf das Unglück stützt (stürzt) und nicht gleich auf ganz was anderes? Liegt es dann an der Person – oder doch der Nation?
Das Schimmern der Schlangenhaut
Es sind ja solche Schnellschüsse, die Sie da aufwerfen, die einem zum Denken zwingen, die das »Bloggeschäft« überhaupt so attraktiv machen und nicht schon längst zur Resignation geführt hat.
Also zunächst mal vielen Dank für den kursorischen Aufriss österreichischer Literaturgeschichte der letzten rund einhundert Jahre. Das zeigt mir übrigens wieder einmal, welchen hohen Stellenwert (sowohl quantitativ als auch qualitativ) die österreichische Literatur in der deutschsprachigen Literatur besitzt (wir hatten das ja schon mal in der Jelinek-Diskussion). In Ihrer Kategorisierung würde Winkler in die Rubrik des Erleiders rücken. Das stimmt einerseits. Andererseits glaube ich – und hier liegt seine Stärke -, dass er den Erleider irgendwann abgestreift hat.
Der Gedanke, dass österreichische »Elend« würde »gefeiert« ist ja nichts anderes als der Vorwurf des Manierismus, einer Art Austro-Manierismus. In der Tat ist die Gefahr virulent, zumal Winkler ja selber auf die Bildhaftigkeit seiner Sprache hinweist. Und hier sehe ich eine die Differenz zu Bernhard. Der frühe Bernhard (»Frost«, »Verstörung« vielleicht bis zum »Kalkwerk«) mit seiner Sprachmacht und –wut, seiner Monomanie und mit seinen tiefdüsteren Stimmungen beeindruckte aber irgendwann in einen dem Publikum bedienenden Skandal-Manierismus abglitt, der zwar höchst unterhaltsam sein konnte, aber eben literarisch nicht mehr befriedigen konnte. Man feierte die Gesinnung Bernhards, weniger das Literarische. Mitte der 80er geriet Bernhard zum Denkmal seiner selbst – man denke an die Interview-Filme mit Kristin Fleischmann. Ich liebe diese Filme und den dort auftrumpfenden Bernhard, aber spricht da noch der Dichter oder nur der Unterhaltungskünstler? Handke nannte ihn in einem »Spiegel«-Interview 1990 einen »Witzel«:
Aus Handke spricht ein bisschen Desillusion, finden Sie nicht?
Winkler macht eine andere Entwicklung durch. Sie sprachen bereits von der »römischen Zeit«. Meine beiden Lieblingsbücher stammen aus dieser Periode: »Friedhof der bitteren Orangen« und die Novelle »Natura morta«. Diese Bücher stellen thematisch, aber auch literarisch Fortentwicklungen zur Kärnten-Trilogie dar. Ich rede nicht von »Fortschritten«, sondern von Entwicklungen. Dennoch wären beide Bücher ohne »Menschenkind« und die anderen Romane vorher nicht möglich gewesen.
Ihre Frage, ob die Fiktion nicht durch Authentizität quasi beschädigt wird bzw. – ich übertreibe jetzt – wertlos wird, ist natürlich bei jemandem wie Winkler legitim. Ich habe seine Antwort auf diese Problematik, die ich mit meiner Frage anschlagen wollte, nicht vollständig wiedergegeben. Winkler meint nicht nur, dass er auch schwindelt, sondern er sagt deutlich, dass es uninteressant ist, ob diese »Intensität« (Reich-Ranicki zum »Friedhof«-Buch im Literarischen Quartett) echt ist oder nur behauptet. Er lässt zwar keinen Zweifel daran, dass die Person »ich« in seinen Büchern er selber ist, aber er will damit NICHT gesagt haben, dass es in irgendeiner Art und Weise ein »authentisches« Buch ist. Denn Authentizität sei unerheblich, so Winkler (sinngemäss).
So unerheblich sie sein mag – sie trägt aber unter Umständen zur Intensität in der Sprache bei. (Intensität im Sinne von Dieter Wellershoff, als Summe von Sinnlichkeit, Leidenschaftlichkeit, Fülle, Dichte, Neuartigkeit, Prägnanz, auch Plötzlichkeit und Schrecken). Das ist es, was ich konzidieren möchte. Ein Josef Winkler ohne diesen »Hintergrund« in seiner Kindheit und Jugend hätte DAS nicht schreiben können. Nein: Er hätte DAS nicht SO schreiben können. Und das ist es, was am Werk dann nachher doch ein gewisses Interesse am »richtigen Leben« eines Schriftstellers weckt. Ich bestehe aber darauf, dass die Reihenfolge eine andere sein muss, als dies in der gängigen Rezeption (Kritik) geschieht: Man schliesst dort fast immer zunächst vom Leben auf das Geschriebene und sucht aus dem Biografischen die Details im Fiktiven. Ich würde dies nur umgekehrt als spätere Exegese teilweise zulassen: Das Fiktionale weist diese und jene Parallelen zum Biografischen auf. That’s it. Ich gestehe allerdings, dass mich solche Diskurse nicht besonders interessieren (ich bin nun mal kein Wissenschaftler).
So ist es zum Beispiel aufgrund seiner Literatur absolut naheliegend zu vermuten, dass Winkler homosexuell ist. Aber in dem er sozusagen Partei für die Homosexuellen und ihr gesellschaftliches Stigma nimmt und seine Ich-Person in Stricher-Kreisen verkehren lässt (die Nähe zu Genet ist ja gewollt und artikuliert), ist damit letztlich über die »Neigung« Winklers im »richtigen Leben« nichts ausgesagt. Das meint er wohl mit schwindeln; es ist im übrigen Handke entlehnt, der das »lügen« nennt, allerdings ausser in der »Kindergeschichte« und der »Niemandsbucht« seine Ich-Erzähler nie mit Autobiografischem ausgestattet hat; meistens wählte er distanzierende Figuren, die personal erzählten.
Leiden, irren, sterben…die fiktionalen Figuren anstelle von einem selbst? Ja, davon bin ich überzeugt. Und das ist der elementare Lustgewinn von Literatur. Der Schriftsteller ist der Zeremonienmeister eines symbolischen Menschenopfers, und die Leser bilden die Gemeinde, die das Ritual mitvollzieht, in dem die fiktionalen Figuren als Sündenböcke geopfert oder von Fall zu Fall begnadigt werden. Es ist ein sublimiertes Ritual der Unglücks- und Todesabwehr durch stellvertretende Opfer… so Dieter Wellershoff in seinen »Frankfurter Vorlesungen«. Natürlich ist da was dran, aber klingt das nicht arg technisch? Fast so, als bastle sich der Autor Voodoo-Püppchen, um sich nach den Nadelstichen wohler zu fühlen? Unterscheidet sich nicht dieser unkontrollierte Strom von Winklers Sätzen von den wohltemperierten Voodoo-Püppchenschreibern (zu denen ich Wellershoff gar nicht zähle)?
DIE Frage: Muss die Verzweiflung echt sein, um Literatur zu werden? Nein, muss sie nicht. Aber – und das ist Winklers Antwort paraphrasiert: Sie, die Verzweiflung, kann mich, den Leser nur erreichen (und packen), wenn sie in Sprache umgesetzt ist. Das unterscheidet Literatur vom therapeutischen Schreiben. Das unterscheidet Winkler von Innerhofer: Winkler »entwickelt« sich, schreibt ein »Entwicklungswerk« – jemand wie Innerhofer dreht sich im Kreis, feiert seine Verzweiflung, an die er letztlich aber krepiert, weil diese kurzen Feiern nur hohl sind.
Noch einmal Dieter Wellershoff. Er sieht vergleicht die Lage, die zum Schreiben führt, als überquere man auf einem ausgespannten Seil einen Abgrund und müsse strikt geradeaus blicken, um nicht zu straucheln. Und was sich in diesen labilen Augenblicken in der aufgedeckten Tiefe zeigt, möchte ich das »Schimmern der Schlangenhaut« nennen. Ein schönes Bild: Den Absturz über die Schlangengrube gilt es zu vermeiden.
Tja, warum stützt sich Fiktion auf das »Unglück«? Ich erspare mir die polemische Antwort, ‘weil es sonst ein Groschenroman wäre’. Wellershoff meint, Literatur werde immer durch eine krisenhafte Situation (oder Verfassung) ausgelöst. Mag sein. Diese Aussage ist mir ein bisschen zu allgemein. Entscheidend bei Winkler ist, ob dieser im 13. oder 14. Buch seine Verzweiflung noch als Monstranz vor sich herträgt. Dass er das nicht macht, dass er versucht, den Tod in anderen Kulturen zu entdecken, ihn als »willkommenen Gast« zu betrachten, macht die Entwicklungsgeschichte seines Werkes aus.
Am Ende der Veranstaltung wies Winkler auf die lebenslängliche Prägung durch den Katholizismus hin. Das ist zweifellos richtig. Nicht umsonst sind viele Bilder bei Winkler nicht nur aus Hass auf diesen Katholizismus entstanden, sondern auch aus einer gewissen Hassliebe. (Denken Sie an das pietá-ähnliche Schlussbild in »Natura morta«.) Auch das unterscheidet ihn mit den Vereinfachern und Religionshassern. Was war denn »Heldenplatz« von Bernhard in der Substanz anderes als ein Behauptungsstück voller Pointen, die auf den Skandal zielten. Das Winkler das vermieden hat bzw. jetzt im Ruhm vermeidet und »nur« Schriftsteller bleibt – das ist für Ausweis genug.
Ja, das mag alles Parteinahme sein. Soll es in diesem Fall vielleicht auch. Wäre das so schlimm?
zu #1 und #2 – Und Jesus sagte zu jedem einzelnen von ihnen: Du bist es selbst...!
Erst mal kurz zum Manierismus: Der kann ja unterhaltend und weiterhin erhellend sein, wenn jemand ein bestimmtes Ding zu seinen Höhepunkten an Raffinessen herauskitzelt; dann mag man ihn halt, und dann nicht mehr.
Zu Bernhard fast 100% Übereinstimmung. (Ein ganz Ähnliche seinerzeit war die Duras, die allseits brennend interessierte – und dann war sie irgendwann übersetzt und „durch“, und mit ihr eine Schreibweise, in der noch mehr zu stecken schien, die aber schon zur Mechanik leerlief und klapperte.
Ist aber solcherart Desillusion nicht bei jedermann irgendwann fällig, zumindest möglich?
Ich erinnere mich, nach der „Niemandsbucht“ war ich so erschöpft, dass es mir wirklich reichte an gewissen Unterströmungen in dem speziellen Tonfall, dessen Qualität ich doch anderswie weiterhin schätzte. (Die Journale brachten dann für mich wieder die Erfrischung; überhaupt merkte ich, dass mir der sich bewusst stilisierende „Epiker“ Handke – obwohl stets sich auch noch einmal immanent begründend und einleuchtend – auf einmal weniger wert war, als der in seiner ersten Wahrnehmung immer wieder Hellsichtige, doch eher Ungeformte – der gleichsam Wache im Vorfeld seiner Form. Ich bekenne, heute sind mir das Unterwegs-Buch und das Felsfenster fast die liebsten von ihm.
(Und, beiläufig gefragt: Kann im Wahrnehmen nicht schon eine Gewisses an „Vorformung“ oder „Formatierung“ stecken, mit anderen Worten ein gewisser „Manierismus“? Ich wäre dem gegenüber, wo immer es fruchtbar ist, doch offen.)
(Die ersten Winkler-Sachen sind in mir tief abgesackt als eine dunkle, starke Masse, aber in sich / in mir nicht mehr lebendig, während ich die bitteren Orangen bald gleich noch mal kaufen musste – die blaue Suhrkamp Ausgabe – weil die erste so zerlesen und abgegriffen war. So etwas ist bei mir immer ein Hinweis.)
Wie sie Winklers Selbstverständnis bei der Dichotomie Fiktion / Authentizität wiedergeben, leuchtet mir unmittelbar ein. Das weiß sogar ein marginaler Schreiber wie ich, dass der Text etwas ganz eigenes fordert, das mit der „nur“ guten Erfindung oder „nur“ der Wahrheit keine Kompromisse zu schließen hat – es scheint mir da sogar etwas Absolutes zu geben, das als „Kunst“ (oder eben in seinen je anzulegenden Graden des Gelingens) weder Erklärungen noch Rechtfertigungen mehr braucht, sondern ausschließlich nach seinen eigenen Gesetzen lebt, selbst wnen die noch gar nicht formuliert sind – sonst wäre es letztlich „nur“ Handwerk (auch wenn es gutes wäre, im Sennet’schen Sinne).
Um es mit dem von Ihnen eingebrachten Wort zu sagen: Der „Schwindel“ ist der bloßen Wahrheit ja oft überlegen. Und das bereits, weil er wiederum an alle denkbaren Wahrheiten anzuschließen oder sie aufzuschließen fähig ist (während die eine kleine Wahrheit am Ende nur bei sich ist).
Allerdings – jetzt kann ich’s ja sagen – bin ich da in Wirklichkeit auch nicht stalinistisch, nicht einmal kleinlich, weil ich weiß, dass es in der eigenen Person eh Begründungen gibt, geben muss, die in keine Erklärungschubladen mehr passen. Und an wem sollte man sich denn als Künstler messen, wenn nicht am „Höchsten“ (also dem christichen Stellvertreter-Dispositiv schlechthin: Der Künstler als der, der sich stellvertretend für alle... ). Gefährlich, als zu Tage tretender Anspruch, war das noch für Albrecht Dürer oder Leonardo etwa. Bei den heute notwendigen Überbietungsstrategien würde ich das gerade bei solchen, bei allem Schwindeln doch „Ernsthaften“ wie Winkler, immer zugestehen.
Von daher ist auch solch eine Lebensausgangssituation nie unerheblich. Wahrscheinlich gibt es sogar einen Neid darauf bei den eher „formal“ sich in ihrer Kunst Begründenden, die den Schmerz oder irgendein ihre Kunst ur-kräftigendes Drama dann mit überreicher Theorie-Absonderungen ausgleich und womöglich überlagern müssen.
(Mir fiel neulich ein altes „Text-Buch“ von Heißenbüttel in die Hände – wie interessnat war das mal alles! Und wie leer kam es mir auf einmal vor, nichts, das mich einen Moment länger berührt hätte. Und die ganze Max Bense-Schule scheint heute nur mehr ihr eigenes Erbe, eine Fußnote, weiter nichts, auch wenn ein paar da tapfer weiter machen.)
Zu diesem Stellvertreter-Ding passt dann die Homosexualität, Sie nennen es das „Stigma“, und es ist ja eine erprobte Geste der Selbstauferlegung, um ein Außenseitertum und eine Besonderheit zu begründen. Kann sein, dass, weil ich da schon immer misstrauisch wurde – und Homosexualität als solche mich nie interessierte (offen gestanden nervt sie mich oft eher) – , ich deswegen eine gewisse Reserve überhaupt gegenüber solchen Strategien habe. Manchmal kann man sehen, wie fruchtbar sie sind, aber oft reichen sie nicht, meist sind sie Beiwerk, Kolorit, ein Tupfer „Underground“.
Und schon das bringt mich dann dazu einzusehen – und da weiche ich vielleicht von Ihnen ab –, dass die Verzweiflung vielleicht doch besser echt sein sollte (Pasolini), wenn es im Durchscheinen des Textes nach all seiner Lesarten und seiner Zeit zu seinem „Gehalt“ kommen muss, zu einem eigenen Schweregrad – letztlich zur Berechtigung des Textes unter allem sonstigen Text (denn da wird es ja doch entschieden).
Ich weiß, das klingt jetzt etwas essenzialistisch, ist aber dann vielleicht doch auch wieder unumgänglich als Abwägung: was bleibt von all dem? Nicht im Sinne eines weiteren Rankings, sondern der Bestimmung von etwas Größerem innerhalb der Literatur, dann einer Gesamtbewegung von Einzelnen, die dann auch uns Lesern eine Orientierung zwischen allen gibt. Letztendlich halte ich das für weiterführend.
Da wäre dann vielleicht auch der Berührungspunkt zu den Thesen von Wellershoff, der ja auch über das Schwersagbare manchmal fast so etwas wie eine Taxonomie versucht. (Das ist womöglich sein „Technisches“, das dann als bloß notwendig hereinzunehmen Gewusstes sein letztlicher Mangel an Leidenschaft oder Verzweiflung war – auch ein „Drama“ als nicht-erstrangiger Künstler.)
Bei Ihrem Schluss folge ich Ihnen, bezogen auf Winkler, wieder ganz, und mich überzeugte letztlich immer auch dessen größere Ernsthaftigkeit statt der Versuchung einer Masche (statt Manirismus) oder der bloßen Skandalisierung. Er hätte sich sicher auch einen „kommoderen“ Platz im Österreichischen aussuchen können.
(Und Parteinahmen sind natürlich überhaupt nicht schlimm. Nur fiel nach meinen Lesarten ihrer Beiträge bisher der zu Winkler auf einmal doch eher heraus. Oder hatte es etwas mit dem Vorredner zu tun? Manchmal antwortet man, affektiv angesprochen, ja auch eher auf Tonlagen denn auf Argumente. Wogegen auch nichts zu sagen wäre. Schließlich sind wir keine „Journalisten“.)
***
Da fällt mir noch ein Moment ein, das ich gestern nicht mehr einbauen wollte. (Ich weiß, ich bin immer zu lang.)
Nämlich, dass der gemeinsame Zug der österreichischen Literatur eben vielleicht das Monomane wäre. Das findet sich nämlich auch noch bei Bachmann und sogar bei Mayröcker, bei Stifter wie bei Marianne Fritz... während es im Deutschen vielleicht nicht Ausnahmecharater, aber doch eher abseits der sonstigen Gemeinsamkeiten läge.
Bei dne deutschen Schriftstellern wäre das Gemeinsame eher das Vermittelnde, das (letztlich kantisch) um weitere Selbstaufklärung Bemühte. (Und das womöglich, weil auch die zu bewältigende zackige deutsche Obrigkeit in ihrem Charakter etwas anderes war als die walzer-beschwingte K.u.K.-Autoritäten?)
Aber auch das ist wieder nur ein Schnellschuss...
zu #5 – @en-passant
Ja, ich muss zugeben: Auch mich langweilt die Ausstellung von Homosexualität (oder anderer sexueller Formen) als blosser »Aufstockung«, als, wie Sie es treffend nennen, Masche. Ich fand dies bei Winkler auch eher langweilig, dachte es aber als authentisch und ähnlich wie Michael war ich lange der Meinung, Winkler sei auch in Wirklichkeit homosexuell. Nun erfährt man, dass er verheiratet ist und zwei Kinder hat (gut, das eine schliesst das andere nicht aus). Aber: Was hätte es am literarischen Wert seiner Bücher geändert? (Mich also wieder dabei ertappt, Urteile für wichtiger zu nehmen als die Literatur selber.)
Und ja, ich glaube auch, dass die Verzweiflung nicht ganz erschwindelt werden kann. Sie sollte schon irgendwie vorhanden sein. Sonst würden ja diese Schreibschulen »funktionieren« (sie funktionieren aus anderen Gründen – aber eben nicht aus literarischen). Aber die vorhandene Verzweiflung genügt eben alleine nicht. Sie schafft nicht automatisch literarische Qualität (ich weiss natürlich, dass ich Ihnen hier eine Binsenweisheit sage und dass Sie das wissen).
Die »moderne Literaturkritik« weiss das nicht mehr. Sie hält den blossen Rohstoff schon für ausreichend. Hierin liegt eine Gefahr, weil Prosa wie von Winkler, die mit ellenlangen Sätzen daherkommt und eine hohe Literarizität »einklagt«, als schwierig angesehen und zur Seite geschoben wird.
Noch etwas zum Manierismus: Wohin diese im negativen Sinne führen kann sieht man – finde ich – schön bei der Jelinek (obwohl ich gestehen muss, schon vor einigen Jahren aufgehört zu haben, sie zu lesen).
tut mir Leid, dass ich hier alles durcheinander gemacht habe...
Aber es würde mich doch noch interessieren: Was sagen Sie zu der (zugegeben etwas simplen) These mit der größeren österreichischen Monomanie als Motor für vergleichsweise dann soviel »intensiveren« literarischen Output? ?
noch eine verspaetete kurz bemerkung zu innerhofer und so
ist ja eine schoene unterhaltung zwischen »en passant« und keuschnig, was ich unten in klammern setze« hatte ich schon vor ein paar tagen hier deponiert aber es scheint verschwirrt zu sein. also: muss shakespeare selbst verzweifelt gewesen sein oder konnte er sich dass nur vorstellen und dan dafuer ueberzeugende von menschen verstaendliche worte, metaphern zu finden.
das wellershof zitat ist schon interressant wenn man es in verbindung bringt mit dem oestreichischen katholizismus der wohl mehr vom heidnischen behaelt als die nachfolge des protestatismus?
irgendwie kam mir berhnard eher erzdumm vor!
ich habe leider nicht alles von winkler bis jetzt gelesen, einfach eine frage der zeit, also kann ich seine weiterentwicklung nicht beurteilen, aber apropos homosexualitaet, erstens gibts da genau so viel unterscheidungen zu treffen wie bei der hetero, aber vielleich hat’s ihn dan gelangweilt: warum is genet homosexual geworden, doch aus reiner einsamkeit als weggebenes von der mutter kind... und dann der selbsthass den so ein kind daraus lebenslang zieht.... journal de voleur auch einige andere sachen ist mir ein wertvolles buch. also hier das verloren gegangene 2te comment: »Ich erinnere mich, dass ich Handke bat doch dem Innerhofer Buch »Schöne Tage« eine Empfehlung für den Klappentext zu schreiben. Das wollte er aber nicht tun, mit der Begründung, dass Innerhofer immer das selbe Buch schreibe. Das stimmte schon, Handke’s Zurückhaltung fand ich trotzdem was wir auf Amerikanisch »hard assed« nennen. Das Buch kam gut an, es war eins der ersten von Urizen Books verlegten, aber weiter hab ich auch nicht mit Innerhofer gemacht. Vielleicht war er jemand der nachdem er sein ungeheures Trauma abgeschrieben und auf seine Art durchgearbeitet hat, einen andern Beruf hätte aufnehmen sollen; oder sogar Bauer werden was ich jedenfalls für einen der ehrenwürdigsten und schönsten Beruf halte, trotz der ihre Kinder traumatiesierenden Bauern! Ob der Innerhofer das erwägt hat, ich weiss nicht genug über ihn Bescheid. Also Winkler hat sich entwickelt und was da noch zu erwarten ist steht offen.
Der Ausdruck »sprachlich überzeugend« wäre Autenzität vorzuziehen, was da mehr auf die Dialektik zwischen Leser und Gelesenem hindeuted, Handke sowie Winkler [der ja auch vom bildlichen bei sich im Vergleich mit Bernhard spricht] haben das bildliche Fundament, das ja hinter jedem Wort, wenn auch unterbewusst liegt. Die erste Sprache, auch die Traumsprache ‑innere notwendigkeit sich mitzuteilen auch sich selbst – geht ja auf diese Weise vor; man sieht das an den ersten und ältesten Alphabeten, was für eine Anreihung von Bildern das sind; am leichsten offentsichlich an den Japanischen und Chinesischen Charaktären, Ideogrammen. Auch Sprache verlangt eben nach ewiger Erneuerung. Durs Grünbein sollte man nicht unter wichtigen Deutschen Schriftstellern vergessen, mehr wichtige aus der ehmahligen DDR?? Ich mit meiner Arbeit an eigenem Zeug und dem Handke Projekt komm mir in der Zwischenzeit ungeheur unbelesen vor, ein Fach Idiot, eine langsame Reise auf einem Frachtschiff um die Welt mit mehreren grossen Koffern voll Bücher wäre nötig mich wieder halbwegs belesen zu machen.«
Also Shakespeare war sicher sehr verzweifelt, das zeigt ja gerade sein fast einsames Talent, marginale Begebenheiten in dann doch solche gleichnishafte Höhen des nur mit nachsicht, also Humor zu durchdringenden „Menschlichen“ zu heben (UND sich vielleicht auch selbst unterhaltsam zu befreien).
Und der arme „hard assed“ Handke – war er nicht immer großzügig mit Zuspruch für Kollegen? Da muss man sich auch mal Kleinlichkeit leisten dürfen, find ich.
Und wenn das Östereichische die Verengung sozusagen auf das Wechselspiel spezifisch eng- oder gegeneinander geführter Extreme ist? Hass und Liebe (alle Ösis zu ihrer ja doch wirklich schönen „Heimat“) , Sprachmonomanie und Stumpfsinn (Bernhard), Wortspiel und hellsichtiges, unerbittliches Denken (Jelinek), Ingenieurstum und hochgradiges Scheitern „am Werk“ (Musil).
Ich nehme das „Monomanische“ zurück und verdächtige die Österreicher also einer größeren (mutigeren?) Nähe zum Extrem (und zum individuell auf sich genommen Leiden daran).
(Meine Beispiele sind natürlich willkürlich – allerdings auch noch ausbaufähig.)
(Und klar, solche nationalen Stereotypen sind immer blöd – aber alle Nationen orientieren sich so gegeneinander. Es geht hier nicht mehr um Rationalität. Auch Vorurteile bergen in sich ein Verstehensmoment.)
Bei der Authentizität weiß ich noch nicht recht... es gibt ja mehrere!
Etwa die, die berechnend weiß, dass sie immer eine gemachte ist; dann auch die, die sich quasi in der Sprache schon bewusst ist, wie sie eine hergestellte sein muss, aber sich dann doch auf eine das abbildend hinter sich lassende Weise findet (im spezifisch Künstlerischen, etwa auch eines Handke mit dem Willen zum Epischen und zur Beschreibung) (da ist aber auch der des roman noveau etwa der „Hornissen“ nicht weit); aber auch die „naiv“ sich schöpfende (als je selbstvergessen sich findende) Authentizität, die dann als gelungene Erzählung ganz untheoretisch, gleichsam näher an der Welt überzeugt.
Das Künstliche, da wo es über sich selber im Irrtum ist, kann ja selber wieder quasi „natürlich“ von etwas zeugen, und wäre es nur als Übersteigerung, der etwas eigenes deutlich zu machen gelingt.
Und, das alles hinter sich zu lassen: Versucht das nicht jeder, sein Ding aufgehen zu lassen im Text, wo es etwas „Höheres“ berührt (an das man nicht al glauben muss), alles ohne Begründungen richtig ist? Und wenn es nur schlichte Schönheit wäre. Von mir aus auch dann ohne Verzweiflung. Wenn sie noch keine verlachte ist...
Usw.
@en-passant – Zum Monomanischen
Tja, was ist monoman? Ist es das Ausufernde, das Nie-Endende? Da fällt mir noch Musil ein und der »Österreich-Ungar« Kafka. Immer am gleichen Buch schreibend. Oder ist das »Euphorie«? Nein. Oder gleich megaloman?
Ich versuche, einen deutschen Schriftsteller zu finden. Thomas Mann? Der hat auch »dicke Bücher« geschrieben. Aber monoman? Nein. Die Emotion war hier wohl versteckt, in einen Anzug verpackt; schön warm angezogen. Oder – komisch – Hermann Lenz und dessen Eugen-Rapp-Romane? Lenz schreibt immer eine gleiche Grundstimmung auf; aber in einer Chronologie (des Lebens von Eugen Rapp), eine Entwicklung. Keine Kreise, die ins Nirwana verlaufen oder in die Hoffnungslosigkeit (obwohl es am Ende…naja).
Aber warum sind diese Österreicher monoman oder haben diesen Hang dazu? Vielleicht weiss der psychoanalytische Michael Roloff hierzu mehr. Ich weiss nur, als ich weiland durch Wien im Taxi fuhr und mit dem Fahrer ins Gespräch über Thomas Bernhard kam: Er kannte den. Er mochte ihn nicht (und den »Piefke« Peymann – er wusste, dass ich auch einer war – auch nicht). Aber er kannte ihn, hatte ihn gelesen und fand es schade, dass er tot war. Für solch’ ein Publikum lohnt es sich doch, oder? Die Deutschen mögen Grass nicht, weil er bei der Waffen-SS war oder Willy Brandt mochte. Aber sie haben ihn nicht (oder nur sehr wenig) gelesen.