Ein Bericht über einen Fund
Also wieder so ein Buch über Massenmedien und »wie sie uns in die Irre führen«. Und es gibt sofort harten Tobak:
»Wir werden nicht richtig informiert. Wir leben mit der Desinformation. […] Desinformation wird von einem Kartell aus Politikern, Funktionären, Öffentlichkeitsarbeitern und Pressesprechern betrieben. Sie tun das ihnen Mögliche, die Presse in ihren Dienst zu nehmen und sie nur insoweit mit der Wahrheit zu bedienen, als sie dem jeweiligen Mitglied des Kartells nicht schädlich ist.«
Der Autor skizziert die Selektion in den Nachrichtenredaktionen und kritisiert sie:
»Die Meinung ist frei, doch worüber die Bürger überhaupt Meinungen haben können, das haben zuvor zu einem erheblichen Teil die Journalisten per agenda-setting entschieden.«
Und dann wendet er sich diesen Journalisten zu:
»Sie lügen, weil sie unter Erfolgszwang stehen und von ihren Chefs oder Auftraggebern unter Druck gesetzt werden, interessanter zu schreiben als die Konkurrenz. Sie lügen, weil sie nur Informationen verkaufen können, die andere nicht haben. Sie lügen, weil sie in der Redaktionshierarchie aufsteigen wollen, weil sie mit ihrer Geschichte auf der ersten Seite oder weil sie den Pulitzerpreis bekommen wollen. Und sie schlittern in die Lüge hinein, weil sie mit Übertreibungen begonnen haben und das Übertriebene immer noch weiter gesteigert werden muß, damit es interessant bleibt.«
Immerhin wird konzediert:
»[D]ie dreiste Lüge ist freilich selten…Häufiger liest man…die Legierung aus Dichtung und Wahrheit.«
Und die Abwesenheit von Lüge ist ja noch lange nicht identisch mit der Anwesenheit der Wahrheit. Aber:
»Die tägliche Desinformation…findet sich vor allem in der unverfänglich wirkenden politischen Berichterstattung. Die Manipulation beginnt mit der Entscheidung über die Platzierung einer Nachricht…setzt sich fort in der Zuspitzung in der Schlagzeile und führt zur Unterdrückung gegenteiliger Stellungnahmen und zur Überbewertung geschätzter Standpunkte.«
Und:
»Nicht der einzelne Bericht ist falsch, aber die staatserhaltende Froschperspektive verfälscht die Realität. Die Misere zeigt sich oft weniger an dem, was berichtet wird, als an dem, was nicht im Fernsehen zu sehen ist.«
Wetten, dass schon mehr als 50% der Lesenden kurz davor stehen, in den heutzutage so bequemen »Lügenpresse«-Abwehrreflex zu flüchten? Wer behauptet, dass Journalisten die Unwahrheit sagen, schreiben, kommentieren gilt schnell als AfD-Anhänger, rechtsextrem, Reichsbürger oder alles zusammen. Zweifellos ist der »Lügenpresse«-Vorwurf, wenn er pauschal erhoben ist, falsch und ungerecht. Aber er ist neben der politischen Instrumentalisierung eben auch ein Aufschrei eines Überdrusses an Tendenzberichterstattungen. Wer hat eigentlich die Meinungsströme der letzten zwanzig, dreissig Jahre einmal nachträglich auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht? Wann wurde jemals zur Hauptsendezeit nachträglich die Jugoslawien-Berichterstattung in den 1990er Jahren offensiv auf den Prüfstand gestellt? Wer hat der breiten Masse jahrelang suggeriert der Bundeswehreinsatz in Afghanistan sei so etwas wie Entwicklungsarbeit (»Brunnen bohren«) und damit die Gefahren und tatsächlichen politischen Gegebenheiten ausgeblendet – ob bewusst oder aus einfacher Dummheit? (Erst knapp neun Jahre später drehte sich der Wind: Plötzlich war vom »Krieg« die Rede und die gleichen Reporter, die eben noch die Harmlosigkeit des Einsatzes betonten, verfielen nun in Panik.) Wo gab es die Berichtigungen wenn, wie beispielsweise 2008 in der ARD, ein Interview oder ein Bild vorsätzlich manipuliert wurde? Wann gab es einen »Brennpunkt« oder »zdf-spezial«, um die Kampagne gegen Christian Wulff zu entskandalisieren? Und wer möchte all die »Fake-News« der letzten zwanzig Jahre in den sogenannten Qualitätsmedien einmal auflisten?
Dabei kann ich beruhigen: Das Wort »Lügenpresse« fällt in dem Buch, aus dem oben zitiert wurde, nirgends. Es war damals nahezu unbekannt und wenn, dann nur als Kampfruf der DDR-Medien gegen die westlichen Massenmedien, insbesondere diejenigen des »Springer«-Konzerns.
Damals, als dieses Buch erschien, gab es noch die DDR. Man schreibt das Jahr 1984 und das Buch heißt »Unsere tägliche Desinformation«. Als Autor fungiert Wolf Schneider (am Ende des Buches werden noch andere Autoren erwähnt: Bernd Matthies, Matthias Nass, Christian Nürnberger, Martin Tschechne und Bernd Ziesemer). Vorne im Buch liest man von Heiner Bremer, Michael Jürgs und Klaus Liedtke als Herausgeber. Publiziert worden ist es als »Stern-Buch« bei Gruner & Jahr. Neuauflagen gab es zahlreich bis in die 1990er Jahre hinein.
Schneider ist heute 91 Jahre alt und ein vehementer, scharfzüngiger Medienbeobachter, der auf die Print- und Fernsehmedien konzentriert ist. Besonders hervorgetreten ist er seit seiner Eigenschaft als Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule (1979–1995) als Kritiker der Journalistensprache. Sein Ton ist zuweilen oberlehrerhaft, was den meisten genügt, ihn deswegen abzulehnen oder, noch schlimmer, zu ignorieren.
Neben der erfrischenden Art, in der gänzlich befreit von politisch oder sonstwie korrekten Wahrheitsministern (die es damals einfach noch nicht gab), beeindruckt die Durchdringung der Dilemmata von Medien. Zum Beispiel: Wann soll etwas berichtet werden und wann nicht? Wie beeinflussen Journalisten bereits durch ihre pure Anwesenheit die Ereignisse, über die berichten sollen? Wann wird man zu Propagandisten von Politikern, Lobbygruppen, Aktivisten oder sogar Terroristen? Und wann wird man, wenn man es verschweigt, zu Lügnern?
»Berichten hieße, sich zum Handlanger einer Medienstrategie machen, seinem Publikum eine mediengerecht aufgeputzte Realität als Wirklichkeit ins Haus liefern und dramatisch agierenden Minderheiten den Bildschirm als Spielwiese freigeben. […] Nicht berichten aber hieße: Lesern und Hörern eine Information vorenthalten, die sie eben doch etwas angeht, und sie überdies verwirren, wenn man als einziger nicht das registriert, wovon auf dem Medienkarussell die Glocken klingeln.«
Die Lösung könnte, so Schneider, »mehrstufig« aussehen. In dem man sich beispielsweise nicht sofort mit Kamera und Mikrofon zu erkennen gibt. Oder das Ereignis entsprechend ihrer Wichtigkeit bewertet.
Alle Punkte, an denen noch heute die Medien kranken, führt das Buch aus dem Jahr 1984 auf: Die Rekord-Manie, der Sensationalismus, die »Sensationslüsternheit und Anomaliesucht«, dieses »Monopol des Negativen«, die Lust nach Skandalen und Eklats – aber auch die Schönfärbereien und Irreführungen nebst willfähriger, kritikloser Berichterstattung über Verlautbarungen von Politikern, NGOs oder anderen Lobbygruppen.
Auch der inzwischen grassierende Meinungsjournalismus ist nicht neu. Schneider erklärt bereits damals, dass »Spiegel« und »Stern« keine Nachrichten- sondern Meinungsmagazine seien. Sein Credo verhallt heute erst recht:
»Wer Meinungen verbreiten möchte, sollte sie als solche kenntlich machen. Wer Nachrichten anzubieten behauptet, sollte denen, die ihm vertrauen oder auf seine Informationen angewiesen sind, nicht stattdessen Meinungen unterjubeln.«
Aber gibt es überhaupt so etwas wie Objektivität? Wahrheit? Die Mehrzahl der Journalisten heute bestreiten dies. Auch Schneider et. al. sehen ein, dass bei einer philosophischen Erörterung des Objektivitätsbegriffs dieser Zustand am Ende als nahezu unmöglich erscheint. Daher versucht er die Begriffe Überparteilichkeit bzw. Unparteilichkeit einzubringen. Reporter und Journalisten sollten mindestens bemühen, ihre eigenen Meinungen auch nicht suggestiv einfliessen zu lassen. Das bedeutet nicht, dass man jede Lüge eines Politikers kommentarlos wiedergeben muss. Ziel soll es sein, nichts zu unterdrücken, nichts verfälschen und nicht Sprachrohr einer Partei zu sein. Journalist ist ausschließlich journalistischen Kriterien gegenüber verantwortlich. Er soll sich, so Schneider, vom Sockel der scheinbaren Allwissenheit begeben und widerstehen, Ereignisse aus Ruhmsucht heraus zu inszenieren. Handwerk statt Gesinnung.
Irgendjemand hatte auf Twitter dieses Buch erwähnt. Was für ein Fund!1 Sehr vieles was hier in Bezug auf Print- und Fernsehmedien beschrieben wird, hat sich kaum verändert. Natürlich sind seine Beispiel aus den 1980er Jahren (inklusive der Referenzen), aber man entdeckt ohne Probleme die Modi operandi von heute. Würde man die alten Belege durch neue ersetzen, könnte es zu vielleicht 70% einfach neu aufgelegt werden.
Der größte Vorteil dieses Buches ist es, dass die gängige Ausrede, dass der Journalismus durch die Digitalisierung leide hiermit die Qualitätseinbrüche begründet werden, nicht verfängt. Dieses Buch macht deutlich, dass das Internet Entwicklungen beschleunigt, aber nicht erzeugt hat. Die Ursachen für den Niedergang dessen, was deren Urheber gerne Qualitätsjournalismus nennen (in den 1980er war man vor solchen Selbstbeweihräucherungen noch gefeit) sind komplexer als man denkt und liegen in Entwicklungen begründet, wie weit vor dem Internet-Zeitalter eingesetzt hatten. So wird in diesem Buch bereits auf das Lokalzeitungssterben hingewiesen. Und auf die zunehmende Unternehmenskonzentration im Verlagswesen. Schneider hält den Ausdruck »freie Schreiber« für diejenigen, die keiner Redaktion angehören, für Verhöhnung. Dass diese irgendwann die Honorare und Gehälter in den Redaktionen drücken, schimmert schon durch. Auch diese Entwicklung ist also nicht ursächlich in der Digitalisierung zu sehen.
Viele der Verbesserungsvorschläge im Buch wirken immer noch wie fromme Wünsche. Nicht weil sie unerfüllbar sind, sondern weil inzwischen das Problembewusstsein bei den handelnden Medienakteuren noch weniger als damals ausgeprägt zu sein scheint. Der Rezipient kann nur eines: genauer hinhören, hinschauen, lesen. Und das hat sich ebenfalls im Vergleich zu 1984 kaum verändert.
Die Zitate beziehen sich auf die Ausgabe der 4. Auflage von 1990. ↩
Mit dem Bewusstsein von heute habe ich mir selber schon oft den Vorwurf gemacht, früher,d.h. bis Anfang der Neunziger, relativ blauäugig meinen Lieblingsmedien einfach vertraut zu haben. Dies fiel auch leicht, denn meine Lieblingsmedien stand immer ein starker Medienblock entgegen, der der Tendenz meiner Lieblingsmedien diametral entgegen argumentierte. Mein Herz schlug links, eher linksliberal und so empfing ich die Bestätigung meiner Einstellung wie selbstverständlich aus eben solchen Medien.
„Überparteilich“ hatten alle in ihrem Titel, die stockkonservative Kölnische Rundschau wie auch der ehemals linksliberale Kölner Stadtanzeiger. Der konservativen Welt oder der FAZ setzten die SZ oder die Frankfurter Rundschau eine linksliberale Meinung entgegen und im Fernsehen freute ich mich über Merseburgers Panorama und fand ZDF’s Löwental ganz fürchterlich. Die BILD-Zeitung war per se unglaubwürdig und für mich allein wegen der anbiedernden „einfache-Leute-Sprache“ einfach unlesbar, was aber letztlich auch nicht notwendig war, weil die „Meinung“ , die dort gepuscht wurde, erfuhr man durch die 10 Millionen Konsumenten jederzeit und überall. Umso intensiver las ich den Spiegel, denn dort wurde ich in meiner Meinung bestätigt und das gefiel mir.
Aber da war die Welt noch in 2 Blöcke geteilt – bei uns im Westen die „Freiheit“ und die Diktatur im Herrschaftsbereich der Sowjetunion. Wir waren die Guten, das war auch damals schon klar und im Gegensatz zu heute war auch ich davon überzeugt
Im Bundestag standen sich ebenfalls 2 Blöcke , CDU/CSU/ und SPD und eine lavierende FDP fast gleichstark gegenüber, sodass es im Parlament zumindestens aussah, als gäbe es eine Alternative zur jeweiligen Regierung.
Diese kleine Reminizenz soll eigentlich nur darstellen, warum die sicher richtige Aussage des Buches, Lücken – und Meinungsjournalismus wäre auch damals Gang und Gäbe gewesen, nicht so auffiel. Die fortschreitende Medienkonzentration und der immer größere Druck auf die Journalisten, einerseits die Erwartung des Lesers/Nutzers zu erfüllen, es sich aber andererseits nicht mit dem Eigentümer zu verscherzen, führt zu diesem unerträglichen Einheitsbrei der Medienlandschaft – und, durch das Internet ist plötzlich die Deutungshoheit in Frage gestellt.
Die erstaunliche Klar-und Weitsicht des Authors bereits in den Achzigerjahren ist wirklich zu bewundern und mir ist meine damalige Mediengläubigkeit inzwischen doch recht peinlich.
Peinlich? Nein, warum? Denn es gab ja tatsächlich kaum Korrektive und die Meinungsmacht von »Spiegel«, »Stern« oder »Zeit« (gegen »ZDF-Magazin«, »FAZ« oder sogar »Bild«) war aufgrund ihrer Suggestivität schwer zu durchschauen. Zudem umgab sich doch damals schon jeder nur mit Gleichgesinnten. Auch das ist kein Phänomen des Internet.
Irgendwann konnte ich aber den »Spiegel« nicht mehr lesen; die subkutanen Anspielungen und Manipulationen waren mir zu deutlich geworden und mit den Jugoslawienkriegen hörte es dann wirklich auf. Etwas länger ging es bei mir mit der »Zeit«. Inzwischen
steht manstehe ich mit allergrösster Skepsis allen Nachrichten und Medien gegenüber – sogar denen, denen ich eigentlich glauben möchte. Aber auch die Watchblogs und »kritischen« Webseiten finde ich zum großen Teil inzwischen nur noch peinlich, weil sie der Parteilichkeit des Mainstreams einfach nur mit einer Gegenmeinung begegnen. Jetzt mag minus mal minus ja plus ergeben (warum das so ist, habe ich in Wahrheit nie verstanden; my fault), aber das bloße »Schwarz« bei der Nachrichtenlage »Weiß« hilft mir dann auch nicht weiter.Ich glaube, dass sich der Journalismus zurück entwickelt hat. Die 1980er Jahre waren ja – wie eben dieses Buch auch zeigt – keine Paradieszeit, aber es gab damals eine gewisse Toleranz der abseitigen, anderen Sichtweise gegenüber. Vielleicht sogar eine gewisse Neugier (die »Bild« hat man schon genommen, wenn sie am Arbeitsplatz rumlag). Inzwischen schottet man sich in der Filterblase ab; die Welt ist (scheinbar) zu komplex geworden um sie jeden Tag neu zu befragen. Es ist ja viel einfacher stündlich neue Texte, Videos und Fernsehberichte über die Niedertracht von Putin oder die Gefährlichkeit von Trump zu fabrizieren. Wer länger dabei ist, kennt das längst (Reagan; Chruschtschow/Breschnew). Das Netz potenziert den Blödsinn nur noch.
„Inzwischen steht man stehe ich mit allergrösster Skepsis allen Nachrichten und Medien gegenüber – sogar denen, denen ich eigentlich glauben möchte.“
Ja, genauso ist es und dass es soweit gekommen ist, ist wirklich nicht lustig. Immer mißtrauisch, immer in Kontroversen verwickelt mit nahestehenden Leuten, die einfach nur glauben wollen – kein angenehmer Zustand. Dennoch – alle guten Wünsche für ein gesundes und glückliches 2017.
Interessanter Einblick. Vielleicht kann man aber Unterschiede zu damals noch deutlicher formulieren, da sich das Instrumentarium der Macht in der Zeit deutlich verbessert hat.
1. Durch die Hintergrundgespräche haben Politiker und Journalisten sich gemeinsam gegen die interessierte Öffentlichkeit gestellt. Wer regelmäßig viele unterschiedliche Medien konsumiert, wird schnell hellhörig, wenn sich wieder eine Sprachregelung breit macht. Häufig bis zum Wortlaut. Natürlich hat man sich auch in Bonn in einer Kaschemme getroffen, aber die Institutionalisierung der Hintergrundgespräche in der Berliner Republik ist schon ein qualitativer Unterschied.
2. Wenn Politik heute ein Thema auf die Agenda setzen mnöchte, werden erst die schwarzen Reiter ausgeschickt, so wie man ein anzugreifendes Ziel erst sturmreif schießen muss. Neben der direkten Kontakte zu Journalisten, schiebt man via Bertelsmannstiftung, INSM, Wirtschaftsinstituten, bezahlten Pseudoexperten etc.pp. noch eine Schicht dazwischen, um noch ein Quäntchen Glaubwürdigkeit zu erzeugen. Vor dem Jugoslawienkrieg (sie sagen es!) war ich da tatsächlich auch deutlich naiver. Mittlerweile habe ich das frühzeitige Erkennen solcher Kampagnen zum Sport gemacht. Wenn ich zwei gleichklingende Meldungen höre, starte ich eine Recherche über die üblichen Verdächtigen. Meine Trefferquote wird immer besser. Früher hatte man mehr Meinung oder Haltung. Heute mehr Funktion. Einem Michael Hüther würde ich auch zutrauen, morgen den Sozialismus zu predigen. Wenn es sich denn lohnen würde.
3. Im Netz wird sehr viel Unsinn verbreitet. Im Netz kann man sich mit vorhandenem Vorwissen und nötiger Skepsis aber auch selbst ein Bild machen. Vermutlich stimmt auch hier das alte Jauch-Diktum: »Es macht Kluge klüger und Dumme dümmer«. Wir erleben ja gerade ein Trommelfeuer der Diffamierung aller Netzquellen. Muss man einfach nur lauter sein als Andere? Vorbeugung? Irgendjemand vermutete, dass nächstes Jahr fiese Informationen über die Parteienfinanzierung öffentlich werden. Z.B. Nächstes Jahr wird man noch hellhöriger sein müssen, als schon bisher.
Wenn man jetzt noch in Betracht zieht, dass durch Konzentration, Internet und Desinteresse der Bevölkerung die früher unverschämten Renditen nicht mehr da sind, wird auch verständlich, dass die Karriere mehr Kompromisse nötig macht. Ob solche Kraken wie Joffe oder Elitz heute nochmal entstehen?
@Joseph Branco
Interessante Erläuterungen; vielen Dank hierfür.
Dass die Institutionalisierung von Hintergrundgesprächen sich in Berlin im Vergleich zu Bonn professionalisiert hat, ist sicherlich richtig. Ich glaube aber, dass das, was Sie feststellen – die immergleiche Semantik quer durch alle Medien – diesen Effekt merkwürdigerweise konterkariert. Vielleicht hatte man »damals« (in den 80ern/90ern) einfach nicht das Gefühl, überall nahezu identische Formulierungen und Schwerpunkte »serviert« zu bekommen. Inzwischen ist es ja tatsächlich so, dass es Nachrichtentrends zu geben scheint, denen man kaum entrinnen kann. Dadurch wächst eine »kritische Masse« (und zwar in alle politische Richtungen), zumal auch die Wohlstandsversprechen der Politik (durch die Medien verbreitet) erodieren.
(Ein interessantes Beispiel – nicht aus dem politischen Bereich, aber wie Medien neuerdings funktionieren: Im Oktober 2016 gab es urplötzlich in nahezu allen Medien Berichte über »Horror-Clowns« in den Städten. Diese »Welle« ging nur über eine knappe Woche – danach wurde das Thema nicht mehr relevant verfolgt. Warum?)
Vereinfacht formuliert durchleben wir Zyklen von Kampagnenjournalismus, der zuweilen genau so schnell verschwindet wie er gekommen ist. Sie erwähnen die durchweg negative Berichterstattung über das Netz. Hier kommt noch dazu, dass man dies unbedingt braucht, um das eigene Angebot zu erhöhen.
Hinzu kommt ja, dass das »Krakentum« im Netz ähnliche Blüten treibt. Ich denke da an Figuren wie Sascha Lobo aber auch Don Alphonso. Da Lobo dem Mainstream das Wort redet, wird er inzwischen von den öffentlich-rechtlichen Medien vereinnahmt. Es wird nicht besser.
Ich würde Schneider und die anderen Ex-Alpha-Journalisten gerne mal zu dem Thema hören, warum all diese hoffnungsvollen jungen Menschen, die durch ihre Schulen gegangen sind, größtenteils auch nicht mehr bringen als Meinung, Hochmut statt Kritikfähigkeit und schlechten Stil. Schneider hat seinen mir schleierhaften Ruf als »Stilist« und »toller Journalist« lange dazu genutzt, um in gut bezahlten Lehr- Kurzauftritten bei Pressekonzernen erstmal die versammelten Volontäre und Praktikanten zusammenzuscheißen als wäre man beim Kommis. Das einzige, was man lernen konnte, war aufzustehen und zu gehen. Hat von den zukünftigen Vertrtern der 4. Gewalt aber kaum einer getan. Die Stromlinienförmigkeit gerade der Leute, die von den Journalistenschulen produziert werden, ist so groß, denen muss man gar keine Kampagnenplanung unterstellen, das läuft Social Bot-mäßig von alleine.
Naja, zum einen ist ein Lehrer nicht für die spätere Laufbahn seiner Schüler verantwortlich zu machen. Und zum anderen werden auch noch so emsige Schüler am Ende vom System und deren Zwängen vereinnahmt, um nicht das hässliche Wort korrumpiert zu verwenden.
Schneiders Nimbus des tollen Journalisten erklärt sich m. E. auch dahingehend, dass es viele öffentliche Personen gibt, die am Ende schlichtweg verklärt werden. Als Moderator der NDR-Talkshow war er um Äonen interessanter als die Figuren, die das heute machen. Und ein Restaurantkritiker muss ja nicht besser kochen können als diejenigen, die er kritisiert.
Der letzte deutsche politische Journalist, der mich dann doch manchmal mit seinem Schematismus zur Weißglut brachte, im wesentlichen allerdings interessante Verknüpfungen eröffnete war Scholl-Latour. Mein aktuelles Interesse an den Berichten zur Innen- wie Außenpolitik in der deutschen Presse flaut immer mehr ab, weil ich zumeist nach wenigen Zeilen schon weiss, wie die Tendenz aussieht. Die allgegenwärtigen Meinungsjournalisten lese ich fast nur noch, wenn der Kaffee mich nicht so recht munter machen will.
In der Politik ist es ja ziemlich häufig, dass »Pensionisten« plötzlich als moralische Rettungsanker für die Gesellschaft fungieren. Von den noch Lebenden fällt mir da beispielsweise Heiner Geißler ein, der ein furchtbarer CDU-Generalsekretär war und seit vielen Jahren als das soziale Gewissen der Union unterwegs ist und diese Rolle auch annimmt. (Eine Variante ist der Nimbus der früh Verstorbenen – beispielsweise bei den Kennedys.)
Für den Mangel an handwerklichem Können ist der Lehrer schon verantwortlich, sonst könnte man sich das ganze Journalistenschulsums ja sparen. (Da scheint ja vor allem Habitus vermittelt zu werden – aber das ist vielleicht auch alles, was den Journalisten ausmacht.)
Der Klassiker für Alte-Männer-Hagiographie in DE: Helmut Schmidt. Vor allem bei Menschen, die den als handelnden Politiker gar nicht mehr kennen.
Sehe ich anders. Selbst ein begnadeter Lehrer kann aus einem untalentierten Schüler keinen Meister machen. Aber er muss ihn weiter unterrichten. Aus mir hätte Riemenschneider keinen Bildhauer und Cézanne keinen Maler machen können. Auch die sogenannten Schreibschulen zeigen ja da deutliche Grenzen auf. Einzig der Korpsgeist, eine veritable Besserwisserarroganz, wird und wurde vermittelt. Und da ist man dann wieder bei Schneider.
Schöner Text, ebensolche Diskussion.
Die Versuche auf Massenmedien Einfluss zu nehmen, sind wohl ebenso alt wie diese (denken wir etwa an die Zeit vor und während des ersten Weltkriegs). Von diesen bewussten Versuchen bestimmte Meinungen und Sichtweisen zu verbreiten, ist das Erzeugen von Konformität oder besser: die Reproduktion (des Bekannten, Gewohnten, des Etablierten, der herrschenden Sicht auf die Dinge) zu unterscheiden und vielleicht ist es letztere, die unsere Zeit von vergangenen in besonderem Maß unterscheidet (oder fällt uns der Vergleich heute nur besonders leicht?). Zu nennen wären die ökonomischen Strukturen, das Handwerk, der Betrieb und seine Funktionalität (Presseagenturen!), die Digitalisierung inklusive ihrer Dynamik und letztlich wohl auch eine entsprechende Sozialisierung.
Das witzige an dem Buch ist ja, dass die Digitalisierung damals gar kein Thema war – die Klagen aber ähnlich. Der (spürbare) Unterschied: Damals war die Gatekeeper-Funktion der Journalisten noch intakt. Meine These geht dahin, dass die journalistischen Reihen heutzutage sich vor allem deswegen in Richtung Meinungskorridor schließen, weil man befürchtet, dass Kritik von der »falschen Seite« instrumentalisiert werden könnte. Das ist ja eine Art Standardvorwurf geworden. Damit überlässt man aber den Verschwörungsexegeten im Netz allzu bereitwillig das Feld: Sie können sich als Helden der Meinungsäußerung gerieren.
Im Prinzip ist diese Angst vor dem »falschen Applaus« ein Eingeständnis, dass man dem Rezipienten nicht mehr zutraut, autonom Urteile zu treffen. Daher auch der paternalistische Ansatz sogenannte »Fake-News« institutionell verhindern zu wollen. Dabei wird vermutlich der Begriff des »Fakes«, also der Lüge, im Laufe der Zeit immer breiter ausgelegt werden.
Hm, könnte es nicht sein, dass die Reihen deshalb geschlossen sind, weil die eigene (»moralisch richtige«) Sicht häufig in weiten Teilen mit der der politischen und wirtschaftlichen Eliten ident ist? Man verteidigt wofür man – warum auch immer – selbst steht. Und ja: Der Bürger wird offenbar und sogar in Meinungsangelegenheiten als zu belehrend angesehen (gut, man könnte sagen, dass zu diesem Programm natürlich gehört, dass man vermitteln muss welcher Seite man ja nicht zuarbeiten soll). — Woher diese paternalistische Haltung (auch in der Politik) kommt, ist mir nicht ganz klar.
Ich vermute, dass sich Journalisten für die besseren Welterklärer halten. Ihr Selbstverständnis als »Vierte Gewalt« hat damit zu tun. Hinzu kommt, dass ihnen vermutlich immer schon erzählt wurde, dass ihre Meinung per se andere interessieren muss. Die Nähe zur Macht, die dann bei den sogenannten »Edelfedern« fast unumgänglich zu sein scheint, korrumpiert ihre Eitelkeit zusätzlich noch.
Man kann zu Trump stehen wie man will (ich halte ihn insbesondere außenpolitisch für eine Katastrophe), aber die geradezu hysterische sogenannte Berichterstattung über ihn ist ein erschreckendes Symptom für diese Hybris. Das hat mit Journalismus nichts mehr zu tun.
Apropos Gatekeeper. Am 14.1. tweetet Hatice Ince zum Tode Ulfkottes:
Wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn Ince nicht für das Jugendressort des Spiegels Bento schreiben würde. Julia Rehkopf (Leitung der Formatentwicklung für das Junge Angebot von ARD/ZDF) klickt auf gefällt mir. Da ist die Jugend in besten Händen.
Man stelle sich vor, dies hätte ein AFDler zum Tode eines Grünen-Politikers getweetet. Hier aber Grabesstille Nicht ein Medium außerhalb der üblichen Verdächtigen hat es für nötig gehalten, auch nur eine Kurzmeldung zu bringen. Doch, Gatekeeping funktioniert noch. Man verstehe dies bitte als vollkommen neutrale Beobachtung.
Naja, Merkel hatte ja damals auch der Tod von Bin Laden gefreut...
Immerhin brachte der Spiegel zu Ulfkotte ein Portrait von Fleischhauer – aus dem Jahr 2015
Ja, Gatekeeping funktioniert besser als man denkt und insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien geben hier immer wieder sehr gute Beispiele ab.
Sie sehen in der Häme keinen Unterschied? Noch dazu von der Jugendabteilung? Sie glauben nicht, dass ein entsprechender AFD-Tweet ein breites Echo gefunden hätte? Das kann ich nicht glauben.
Ich habe jetzt einmal ein bisschen hin- und hergeklickt. Hatice Ince kannte ich vorher nicht und als »Bento«-Schreiberin war (und ist) sie für mich auch vollkommen bedeutungslos. Das gilt auch für die Dame Rehkopf. Ähnlich ginge es mir, wenn irgendein AfD-Anhänger einen äquivalenten Tweet über einen linksliberalen oder grünenfreundlichen Journalisten verfasst hätte. Diese Leute lasse ich nicht mehr an mich heran; sie sind für mich nicht satisfaktionsfähig. Ihren Äusserungen zu folgen ist reine Zeitverschwendung; sich darüber aufzuregen schadet mir geradezu physisch (das meine ich nicht ironisch).
Ich vermute, dass wir hierin vielleicht übereinstimmen. Ihren Einwand interpretiere ich nun dahingehend, dass die Invektive von Ince (Selbsteinschätzung im Sommer 2016: »Ich gehöre zu Deutschland. Warum wollt ihr das nicht akzeptieren?«) von den ansonsten so empfindlichen und alarmfreudigen Medien nicht mit der gleichen Empörung bedacht worden ist wie beispielsweise die Häme des Twitter-Pöbels als Volker Beck aufgrund seines eingestandenen Drogenkonsums vorübergehend seine politischen Ämter aufgab (dieses Beispiel ist mir gerade eingefallen; es gibt bestimmt treffendere).
Die Antwort ist meines Erachtens relativ einfach: Ulfkotte war – ob berechtigt oder nicht – zu einer Art »Unperson« geworden. All denjenigen, die in irgendwann einmal in diese Kategorie verbracht worden sind, darf offensichtlich der Respekt verweigert werden – ohne das hierüber Konsequenzen zu befürchten sind. Moralische Kriterien sind außer Kraft gesetzt. Ich glaube sogar, dass die Dame von Bento das registriert hat und der Tweet als eine Art »Versuchsballon« galt, um auszutesten, wie weit man gehen kann.
Als Beschreibung der Bigotterie der Medienschaffenden dient der Tweet als kleines Steinchen im Mosaik sehr gut. »Hate-speech« betreiben immer nur die anderen, »Fake-News« gibt es nur im Netz, nur die Bild-Zeitung hat über Wulff falsch berichtet, soziale Netzwerke sind in Wirklichkeit asozial, usw. Wer sich diesem Befindlichkeitsstrom widersetzt, wird mindestens skeptisch beäugt.
Das derzeit geradezu groteske Trump-Bashing hat für mich allenfalls noch Unterhaltungswert. Selten hat sich die journalistische Elite derart verrannt. Der Mann ist noch nicht einen Tage Präsident, wird aber beurteilt, als habe er die USA bereits in Schutt und Asche gelegt. Alles wird beobachtet, verabsolutiert und bekrittelt – sogar seine Physiognomie (mit den Haaren begann es ja). Etwas, was beispielsweise bei Obama strengstens sanktioniert worden wäre. Vermutlich analysiert demnächst noch jemand seinen Müll oder, wenn möglich, den Stuhlgang. Als Gegenbewegung wird in geradezu kindischer Manier bereits jetzt die Obama-Amtszeit verklärt. Das erinnert frappierend an die vorzeitigen Selig- und Heiligsprechungen in der Katholischen Kirche.
Vielleicht bin ich schon paranoid oder kleinlich; was mir dieser Tage unterkam: Unser Bundeskanzler Kern hat am Mittwoch den 11.1. abends eine Grundsatzrede gehalten und einen sogenannten »Plan A« für Österreich präsentiert; eine der enthaltenen Maßnahmen ist die Einführung eines Mindestlohns von 1.500 Euro. Zwei Tage später finde ich in der österreichischen Tageszeitung »Die Presse« einen Artikel, der, basierend auf einer APA-Meldung*, die Situation in einigen Brachen beschreibt, für die kein oder ein sehr niedriger, kollektivvertraglich vereinbarter, Mindestlohn gilt (in Österreich gibt es bislang keinen für alle geltenden, gesetzlich verpflichtenden Mindestlohn). Ob die Liste vollzählig ist, bleibt offen, erwähnt wird gleich zu Beginn, dass die Gewerkschaften 1.700 Euro fordern. Der Eindruck, der entsteht, unterstreicht die Forderung des Bundeskanzlers: Sie erscheint wichtig, geboten, dringend (dass die Gewerkschaften immer mehr verlangen, liegt in deren Natur, wird der Leser wahrscheinlich ergänzen). Tatsächlich gilt für ca. 80% der Branchen (vielleicht sogar mehr) seit 2014 ein Mindestlohn von 1.500 Euro, der Niedriglohnsektor umfasst in Österreich ca. 15% der unselbstständig Erwerbstätigen (ersteres wurde von derselben Zeitung im Jahr 2015 publiziert). Die Forderung unseres Bundeskanzlers dürfte nur wenigen Erwerbstätigen deutliche Verbesserungen bringen (etliche in dem Artikel angeführte Mindestlöhne liegen ja nur knapp unter 1.500 Euro) und politisch einfach durchzusetzen zu sein (egal welche Form die Regelung am Ende hat). — Mir scheint, dass hier eine politische Idee – ob absichtlich oder unabsichtlich – als etwas anderes dargestellt wird, als sie ist (im Jahr 2010 wurde die Niedriglohngrenze für Österreich mit 14 x 1.476 Euro brutto definiert).
*Ich gehe davon aus, dass das »(APA)« am Ende des Artikels keine APA-OTS Aussendung meint.