Eigentlich hat Wolfram Schütte in seinem Text über den »jokosen Totschlag« Jan Böhmermanns schon alles gesagt, was ich sagen wollte. Seine Stimme wird aber vielleicht verhallen, weil die publizistischen Akteure für Meinungs‑, Presse- und Satirefreiheit die Causa Böhmermann weiterhin als Opfergeschichte erzählen wollen. Die Panama-Papers als Distinktionsobjekt ihrer Existenzberechtigung genügt ihnen nicht. Sie kapern sich auch den Möchtegern-Satiriker Böhmermann und kühlen ihr Mütchen an ihm. Mit der üblichen Hysterie wird im Netz die Angelegenheit noch verstärkt; einige verirrte Geister wittern Böhmermanns Leben in Gefahr, so als sei er in Deutschland mit Kerker oder gar schlimmerem bedroht.
Was zunächst erstaunt ist die Fokussierung deutscher Medien auf den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan in den letzten ein, zwei Wochen. Zwar ist dessen autokratischer Regierungsstil immer wieder ins Visier der politischen Beobachter geraten, aber als Comedy- oder Kabarett-Subjekt taugte Erdoğan schon allein aus politischer Korrektheit nicht unbedingt. Und wenn doch, so schien Claudia Roth unausgesprochen ein Kritikmonopol auf innertürkische Angelegenheiten zu besitzen.
Aber die von Publizisten allerorten als für ihre Flüchtlingspolitik »alternativlos« gefeierte Kanzlerin musste auf nicht so ganz euphorische andere Stimmen in ihrem Partei- und Wählervolk reagieren. Sie wählte den mephistophelischen Pakt mit Erdoğan, einem immerhin demokratisch gewählten Herrscher, der allerdings dabei ist, den Pluralismus in seinem Land sukzessive in Schranken und, schlimmer noch, Gefängnisse zu verweisen. Merkels Vorgehen, das sie als gemeinsame EU-Politik ausgibt, ist das, was man gemeinhin »Realpolitik« nennt. Erdoğan nutzt seine geopolitische Lage, um den auf Eis gelegten EU-Beitritt der Türkei, den Merkel immer abgelehnt hatte, erneut auf die Agenda zu setzen. Über die NATO ist Deutschland eh in die von Erdoğan losgetretenen (Bürger-)Kriege indirekt involviert – da kann eine kleine Geldgabe kaum mehr größeren Schaden anrichten.
Weil die politische Journalistik in der Erfassung des Phänomens Erdoğan versagt hat und sich auf die folkloristischen Elemente konzentrierte (der neue Palast!), nimmt sich jetzt die Comedy seiner an. Dass dieser Mann eine politische Agenda hat und diese mit der gebotenen Rücksichtslosigkeit durchzusetzen bereit ist, kann man vermutlich dem öffentlich-rechtlichen Gebührenzahler besser als Satire (oder das, was man dafür hält) beibringen. Der angenehme Nebeneffekt: Man kann die Politik der geschätzten Kanzlerin kritisieren, ohne diese direkt selber anzugreifen. Die älteren erinnern sich: Man nannte dieses Spiel früher einmal »Schwarzer Peter«. (Es funktionierte schon in der Ukraine-Krise.)
Interessant wie Christian Schertz, der, wie ich las, Böhmermanns Anwalt sein soll, vor knapp einem Jahr über Satire und deren strafrechtliche Grenzen geurteilt hatte: »Die Satire erfährt da ihre Grenze, wenn es bei einer Äußerung oder Zeichnung vorrangig um die persönliche Diffamierung des anderen geht und nicht mehr um eine, wenn auch polemische oder überspitzte Kritik, mithin dann, wenn die Menschenwürde betroffen ist, die bekanntermaßen unantastbar ist. Eines steht damit aber ebenso fest: Satire darf nicht alles.«
Jetzt melden sich wieder die Freiheitskämpfer in Sachen Satire. Es sind eben auch jene, die bei den Karikaturen und Äußerungen, die nicht in ihr politisches Weltbild passen, ganz schnell nach Grenzen rufen oder mindestens das (eigene) Geschmacksurteil plötzlich zum absoluten Maßstab setzen. Als beispielsweise »Charlie Hebdo« die Ikonografie des toten syrischen Kindes karikierte, war die Empörung groß. Von den ekelhaften Karikaturwettbewerben, die im Iran ausgeschrieben wurden, will ich gar nicht reden.
Wer Satire nur dann goutiert, wenn sie (mehr oder weniger) die eigene Weltanschauung bestätigt, entkernt sie am Ende zum billigen Haudruff-Theater, wie man es in der so hoch gepriesenen »heute-show« Woche um Woche sehen kann. Wer die Grenze von künstlerischer Freiheit und Schmähkritik nicht zieht, weil er alles akzeptiert, muss beachten, welche Konsequenzen dies unter Umständen haben kann. Und damit rede ich nicht über vermeintlich überholte Strafgesetzparagrafen wie § 103, auf den sich Erdoğan jetzt beruft. (Es gibt übrigen auch § 90 StGB, der auch die Schmähkritik des deutschen Bundespräsidenten unter Strafe stellt; den müsste man dann auch für obsolet erklären.) Wer Böhmermanns »Satire« als Mittel politischer Auseinandersetzung (nichts anderes versucht Satire zu sein) sieht, sollte überlegen, wohin dies führen kann.
Das bedeutet nicht, dass man Erdoğans Drängen auf Bestrafung nachzugeben hätte. Hierfür gibt es glücklicherweise Gerichte, die in Deutschland mindestens halbwegs unabhängig von politischen Einflüssen sind. Umso lustiger (um nicht ein anderes Wort zu verwenden) ist es, dass Böhmermann ausgerechnet bei der Politik Schutz suchte.
Die Reaktion der Kanzlerin, ihr vorauseilender Gehorsam, ist der beste Beweis, dass Böhmermann mitten ins Schwarze getroffen hat. Man mag darüber streiten, ob er das wirklich so intendiert hat. Ich glaube schon und vor allem glaube ich, dass die Plumpheit des Säbelstrichs nicht mit der Treffsicherheit des Angriffs verwechselt werden sollte.
Mit welcher Dummheit (mir fällt kein besseres Wort ein) Merkel sich durch eine Folge von massiven Fehlern in die Lage gebracht hat, von Erdogan abhängig zu werden, hätte kaum besser transparent gemacht werden können. Ich habe Merkel immer für eine skrupellose Opportunistin gehalten, aber das letzte dreiviertel Jahr hat sie endgültig entzaubert und ich denke sie weiss das auch. Nur die fehlende Alternative und Österreich hat sie bisher noch gerettet.
Eine (bewusst) an Plumpheit nicht zu überbietende Invektive entlarvt die handelnden Personen und lässt sie ohne Kleider im Rampenlicht. Was soll denn Satire mehr erreichen?
Merkel hatte bei Sarrazin schon ähnlich reagiert. Das Buch sei »nicht hilfreich«, so kommentierte die Kritikerin, die zugab, den inkriminierten Text gar nicht gelesen zu haben. Sarrazin war nur ein Paria, daher fiel es kaum auf.
Ich stimme Ihnen was die Dummheit von Merkels Politik angeht durchaus zu. Aber ein politisches Arrangement mit der Türkei wäre auch dann notwendig geworden, wenn sie nicht erst mit einem halben Jahr Verspätung reagiert hätte.
Was die Böhmermann-Satire angeht sind wir unterschiedlicher Meinung. Nehmen wir an ein Polizist hält mich auf der Straße an und ich sage zu ihm: »Ich halte Sie für ein A******, aber das darf ich nicht sagen, da ich sonst von Ihnen wegen Beleidigung angezeigt werde, also sage ich nicht, dass Sie ein A***** sind.« Wie, glauben Sie, wird die Reaktion wohl ausfallen? Der zweite Punkt ist, dass wir uns auf ein Niveau begeben, dass womöglich mit Kunstfreiheit gedeckt sein mag (was ich ehrlich gesagt nicht glaube), aber ein katastrophales Niveau erreicht.
Na, ihr Polizist hat aber auch keinen Krieg gegen die eigene Bevölkerung vom Zaun gebrochen und hält den Krieg im Nachbarland auf Temperatur. Und, wie ich schon schrieb, es hat funktioniert.
Ich behaupte nicht eine Lösung zu haben, aber das »Arrangement« mit der Türkei halte ich für indiskutabel und noch dazu erst durch Merkels »Willkommenskultur« nötig geworden. Ich weiss nicht, ob hier zu Lande klar geworden ist, wie wütend z.B. unsere französischen und britischen Nachbarn auf diese Politik sind. Unsere Presse zeigt Clooney-Merkel-Bilder, während in der französischen Presse brennende Flüchtlingsunterkünfte zu sehen sind. Dort macht man die Schotten dicht, findet ein paar warme Worte, während bei uns das halbe Land von sich selbst besoffen ist.
P.S. In dem Zusammenhang ist mir wieder der Fall Falwell eingefallen. In den USA müssen Figuren des öffentlichen Lebens ganz anderes aushalten.
Darf ein Potentat denn eher beleidigt werden als eine andere Person? Ich bin da ein bisschen im Zweifel, ob Böhmermanns Weg der politischen Auseinandersetzung angemessen ist. Wenn Erdogan klagen kann, dann darf er das auch. Der Rechtsstaat gilt eben auch für solche Leute.
Die Politik Erdogans – insbesondere die einseitige Aufkündigung des Friedens mit den Kurden – ist ja viel zu wenig in den Medien thematisiert worden. Auch die Duldung der IS-Aktivitäten in der Türkei (mindestens bis zum Herbst 2015) spielte keine besondere Rolle. Hier wurde m. E. durchaus Rücksicht auf Erdogan genommen. Das war und ist falsch. Dieser Satirekonter aber ist auch nicht die Lösung.
Dass Merkels Flüchtlingspolitik in der EU verflucht wird, musste und muss man ja auch aus anderen als den deutschen Medien erfahren. Die (nicht nur) von Ihnen konstatierte »Besoffenheit« ist ja durch die gesamte mediale Prominenz aufrecht erhalten worden. Daher finde ich das Gewinsel um den Türkei-Deal ein bisschen scheinheilig. Wenn man es mit moralischen Kriterien ernst meint, müsste ein Land wie Ungarn aus der EU und die Türkei aus der NATO entfernt werden. Die Realpolitik zwingt dazu, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Die Freizügigkeit in den USA würde natürlich auch dazu führen, dass ein Horst Mahler nicht im Gefängnis sitzen würde. Und sie führt auch dazu, dass Obama bzw. andere politische Entscheidungsträger ohne Folgen auf das Übelste diffamiert werden konnten bzw. können.
Dass Erdogan gegen Böhmermann klagen möchte, ist legitim. Zeigt aber auch, was für ein Würstchen er ist. Der europäische Edelmann hätte Böhmermann gar nicht für satisfaktionsfähig gehalten. Am besten tun wir so, als hätten wir es nicht bemerkt... hieß es mal in einer Werbung. Den Rat hätte der Großwesir ihm geben sollen.
Das Entscheidende ist aber, dass Böhmermann die deutsche Regierung dazu gezwungen hat, Stellung zu beziehen, eine Haltung einzunehmen. Was prompt (erwartungsgemäß?) in die Hose gegangen ist. Wer hätte das sonst geschafft?
Und ja, ich bin da ganz auf der Seite Herwigs. Es gibt intelligentere Lösungen als Totschweigen. Ursachen bekämpfen, nicht Wirkungen.
Das mit dem Würstchen sehe ich ähnlich. Es gibt ja Leute, die sehr schnell beleidigt sind. Man mag dies mit ramponierten Ego erklären (das tue ich auch). Oder es ist einfach eine Art Größenwahn...
Ich bin nicht sicher, ob die deutsche Regierung (bzw. Merkel) so reagieren musste, wie sie es getan hat. Eine vermutlich falsche Reaktion auf eine sogenannte Satire hat ja auch noch nichts mit dem Vertrag zu tun, den man (vulgo die EU und nicht nur Merkel alleine) mit der Türkei abgeschlossen hat. Letzteres ist Realpolitik. Die zuweilen hysterisch geführte Debatte in den Medien, dass die Bundesregierung auch mit anderen Autokraten noch verhandeln wird, ist doch lächerlich. Diese Maßstäbe als Regierungspolitik und es hätte nie Brandts Ostpolitik gegeben und der Handschlag Schmidts mit Mao würde zum Verbrechen.
Herwigs Text fand ich damals wie heute genial. Er zeigt, dass die Grenzen des Andersdenkens gewissen Einschränkungen unterliegen. Um es platt zu formulieren: Ich bin so lange für Meinungsfreiheit, so lange Du mit mir übereinstimmst. Das Schlimme ist, dass diese »Methode« inzwischen immer mehr in den politischen Diskurs Einzug hält. (Mahlers Vergehen wird allerdings als »Volksverhetzung« eingestuft. Die Sache ist natürlich fraglich. Aber andererseits wäre es mir nicht besonders wohl dabei, die Holocaustleugnung als zulässige Meinung zu akzeptieren. Ich weiss, dass ich mich damit in einem Zwiespalt befinde.)