1991 schmiedete der damalige US-Präsident George Bush eine weltweite Koalition, mit der er über die UN die Ermächtigung erhielt, das von Saddam Husseins Truppen eingenommene Kuwait unter Führung der USA zu befreien. Später wurde bekannt, dass es zum Teil Desinformationen gab, um die Bereitschaft in den jeweiligen Bevölkerungen, Teil dieser Koalition zu sein, zu erhöhen. Der Fakt der Invasion selber hielt stand. Es war m. W. der erste und bisher einige von der UN gebilligte Krieg. Die deutsche Friedensbewegung war schockiert, witterte (nicht ganz zu Unrecht) ökonomische Interessen und man kam in die Schlagzeilen der damals noch mächtigeren Leitmedien mit der Aktion, weiße Bettlaken aus dem Fenster zu hängen. Die Farbe weiß ist in der Kriegsdynamik immer die Farbe der Kapitulation, des Aufgebens. Die Friedensbewegung sorgte sich nicht um das kleine Emirat Kuwait. Sie sorgte sich um die Ruhestörung, die eine solche Intervention zur Folge hatte. Sie sorgte sich nicht darum, dass auch Israel von irakischen Scudraketen angegriffen werden könnte – was dann auch geschah. Das hat Tradition dort – das Schicksal Israels war ihnen immer gleichgültig. Es genügten ein paar griffige Slogans – und Bettlaken, um sich auf der sicheren Seite der Geschichte zu wähnen.
Die Befreiung Kuwaits war nicht nur die einzige diplomatisch legitimierte kriegerische Aktion der USA nach 1945, es war auch die einzige, die nachhaltig Erfolg hatte. Alle anderen zuvor und vor allem danach scheiterten am Ende. Regionale Diktatoren konnte man beseitigen. Aber dauerhaft gelang es nirgendwo, die zu Beginn hochgesteckten Ziele zu erreichen. Die Bilder des kopflosen Abzugs aus Afghanistan 2021 erinnerten an den letzten Hubschrauber von Saigon 1975. Die Weltmacht, der »Westen« (es ist keine geographische Bezeichnung, sondern eine politische), waren gescheitert.
Als die Koalition 1991 Kuwait von irakischen Truppen befreite, sahen die im Süden des Irak lebenden Schiiten ihre Chance. Sie waren in Saddam Husseins Diktatur eine unterdrückte Minderheit. Die amerikanischen Geheimdienste ermunterten zunächst die Schiiten zum Aufstand. Als die irakischen Truppen nach dem Waffenstillstand mit den USA mit unfassbarer Brutalität dem Aufstand begegneten, wandten sich die Rebellen verzweifelt an die Amerikaner. Sie unterstützten sie nicht militärisch. Das war nicht Teil ihrer Mission. Die Zahl der Opfer dieses Aufstandes wird zwischen 30.000 und 60.000 geschätzt.
Als man 2001 die Taliban wegbombte, glaubte man, Afghanistan als neuen, demokratischen Staat erschaffen zu können. Dieses »Nation Building« wurde rasch ad acta gelegt, als man die Clanstrukturen des Landes besser einschätzen konnte. Die Taliban – keine reguläre Armee – waren nie geschlagen, sie hatten sich nur zurückgezogen. Die USA und auch Deutschland konzentrierten sich auf einzelne Städte. Die deutsche Öffentlichkeit wurde dahingehend beruhigt, dass die Bundeswehr dort nur Brunnen bohre und Polizei ausbildete. Nahezu alle Medien produzierten dieses Narrativ. Man erzählte den Menschen von den neuen Freiheiten, ermunterte Frauen, ihre Rechte wahrzunehmen. Es gab keine Kandidaten, aber das erste, was man einführte, waren Wahlen. Zwanzig Jahre später klammerten sich all die Männer und Frauen, die den Versprechungen des Westens, ihren »Werten«, Glauben schenkten fast wörtlich an Flugzeuge, um dem erneut drohenden Steinzeittalibanismus zu entkommen.
Zwei Beispiele von vielen. Die Botschaft am Anfang: »Macht es uns nach«. Und als es zu schwierig oder zu teuer wurde, sagte man »Sorry«. Das sind die »Werte« des Westens: Sie gelten bei schönem Wetter. Ein Haus ohne Dachstuhl.
Jetzt gibt es die Ukraine. Kein Vorzeigeland; große Korruption. Aber man setzt auf »den Westen«. Das gefällt Russland nicht. Es betrachtet die Ukraine als Teil ihres Imperiums. Scheibchenweise akzeptierte man in Europa die Destabilisierung der Ukraine 2014. Es dominierten die Konfliktforscher, die, wie Sozialarbeiter, die Schuld immer bei denen sehen, die Opfer werden. Täter bekommen mildernde Umstände.
Bei einigen fallen nun die jahrelang liebgewonnenen Gewissheiten wie ein Kartenhaus zusammen. Es war bequem, sich auf eine moralische Überlegenheit auszuruhen; Gendersternchen und EU-Verordnungen sind etwas anders als strategisches und ökonomisches Denken. Inzwischen hat die Unterlage Löcher bekommen.
Die Abhängigkeit von Russlands Energielieferungen war eine Binsenweisheit. Man wollte sie nicht hören. Kein Wunder, denn die Ministerien und politischen Entscheider verfügen immer weniger über elementare Kenntnisse in politisch-ökonomische Prozesse. Politikerkarrieren werden über Parteikarrieren und Proporzbestimmungen begründet. Entsprechend sieht auch die Politik aus.
Die schlechten Nachrichten hören aber nicht auf. Zu einem Totalboykott russischer Energielieferungen sieht sich die deutsche Regierung nicht in der Lage. Die wirtschaftlichen Verwerfungen wären zu hoch. Vermutlich haben sie recht, zumal es nicht darum geht, mal etwas zu frieren (wie uns der mit > 200.000 Euro im Jahr gut gebettete ehemalige Bundespräsident erklärte), sondern um einen langwierigen Prozess über mehrere Jahre. Wie will ein Land, welches on einer bisher zweijährigen Pandemie nicht einmal eine Kohortenstudie auf die Beine bekommen hat, in kurzer Zeit Energieabhängigkeiten abbauen – ohne gleich wieder in neue zu verfallen? Putin weiß das. Er liefert einfach weiter. Die Botschaft: »Ihr mit Euren Werten! Und wo ist die Konsequenz?« Er führt uns vor.
Wie nicht anders zu erwarten war wird Russland von China unterstützt. Es ist für die Chinesen eine einmalige Gelegenheit: Die Rohstoffe werden benötigt – man erhält jetzt sie sicherlich unter Marktpreis. Dafür gibt man politische und wirtschaftliche Unterstützung. Vermutlich auch militärische. Langfristig wird Russland zur chinesischen Kolonie. Obervolta mit Atomraketen ist es ja schon lange.
Schon wieder sind wir in der Falle: Einen Boykott chinesischer Handelswaren würde binnen weniger Wochen den endgültigen Kollaps der deutschen (und vermutlich europäischen) Wirtschaft bedeuten. Womöglich müssen wir noch froh sein, wenn China nicht einmal kurzfristig die Lieferungen einstellen sollte. Bei Gartenscheren und Saugrobotern wäre es verkraftbar. Aber beispielsweise wäre die chemische Industrie rasch am Ende. Allenfalls eine Neubewertung von Chinas »NordStream 2«, die sogenannte »Neue Seidenstrasse« könnte erfolgen. Zu mehr sind wir nicht in der Lage. Aber vermutlich auch hieran wird die Politikerriege versagen.
Politisch, so liest man, habe Putin den Krieg verloren. Wieder so eine Beruhigungspille, die vielleicht für eine historische Betrachtung stimmen mag. In zwei, drei, vier Jahren vielleicht. Bis dahin gibt es allerdings unfassbares Leid, Hundertausende Tote – eventuell.
Was einst die weißen Bettlaken waren, sind jetzt die ukrainischen Fahnen. Selbsthypnose zum Billigpreis. Der russische Vormarsch stockt oder scheint zu stocken. Viele glauben nun, Russland könne besiegt werden. Der tatsächlich heroische Kampf der ukrainischen Armee, unterstützt vom ukrainischen Volk, legt diese Deutung nahe. Der Westen liefert Waffen. Aber es bleibt dabei: Am Ende wird die russische Armee diesen Krieg mit furchtbaren Exzessen für sich entscheiden.
I want to be clear: We will defend every inch of NATO territory with the full might of a united and galvanized NATO.
But we will not fight a war against Russia in Ukraine.
A direct confrontation between NATO and Russia is World War III. And something we must strive to prevent.
— President Biden (@POTUS) March 11, 2022
Ungefragt melden sich »Experten«, die der Ukraine eine Kapitulation nahelegen um mehr Blutvergießen zu vermeiden. Nach dem 11. März bekommt diese Überlegung neue Nahrung. Der Tweet des US-Präsidenten Biden gibt Russland praktisch die Carte Blanche. Biden verzichtete darauf, eine rote Linie für das Eingreifen der NATO zu formulieren (also bspw. ein Angriff mit Massenvernichtungswaffen innerhalb der Ukraine). Dies würde den 3. Weltkrieg bedeuten, schreibt er. Dass eine Verteidigung des NATO-Gebietes ähnliches erzeugen würde, scheint er übersehen zu haben.
Die »Konfliktforscher« haben wieder Hochkonjunktur. Sie wollen, dass mit der Person verhandelt wird, die jeden Vertrag nach Belieben bricht. Was, wenn zur Verhandlungsmasse zwischen Russland und der Ukraine nicht nur die Territorien der Ukraine stehen, sondern auch die Sanktionen des Westens? Wäre man dann auch bereit, diese abzusetzen? Wegen der Gemütlichkeit?
So befindet sich der Westen, der längst ebenfalls zu einem Haus ohne Dachstuhl geworden ist, abermals in einem Dilemma. Wird die Ukraine am Ende einem Scheinfrieden mit dem Aggressor Putin geopfert werden? Vertröstet man die Ukrainer auf die Resultate »in der Geschichte«? Aber was wird »die Geschichte« mit dem Westen machen? Russland steht ja, im Gegensatz zu dem, was viele Medien derzeit suggerieren, längst nicht alleine da. Der Iran wittert Morgenluft, Indien arrangiert sich mit Russland. Die ASEAN-Länder zieren sich (bis auf Singapur). Wird man zukünftig überhaupt noch eine wesentliche Rolle in einem neuer geostrategischen Konfrontation Russland/China gegen USA spielen? Wird Europa mehr sein als nur Museum und Absatzmarkt, der (noch) hübsche Autos und ein paar nützliche Maschinen herstellen kann? Ach ja: Und ein paar nützliche Idioten, die in diesen Zeiten nichts anderes besorgt, drohe ein neuer Heroismus. So etwas nennt man dann Dekadenz.
Wie weiter?
Unterwerfung vs. WW3 oder gibt es noch einen anderen Weg für den Westen und wie könnte der aussehen?
Ihre Texte werden mir fehlen und hoffe sie bleiben wenigstens Twitter erhalten.
»Die Befreiung Kuwaits war nicht nur die einzige diplomatisch legitimierte kriegerische Aktion der USA nach 1945«
Koreakrieg?
@Oliver
Ich weiss es nicht. M. E. müsste man vielleicht versuchen, Belarus zu destabilisieren, um ein Überrollen der Westukraine zu verhindern. Nach Bidens Tweet bleibt allerdings nur noch die Möglichkeit grösserer Waffenlieferungen an die Ukraine, die natürlich auch abgefangen werden können. Ich glaube, dass Putin durchaus gewillt ist, eine taktische Atomwaffe einzusetzen. Die USA haben versäumt, dies als »rote Linie« zu markieren.
@Reiner Wadel
Naja, die USA wurden nicht direkt ermächtigt, in Korea Krieg zu führen, sondern die UNO. Erfolgreich war man ja dahingehend nicht, weil bis heute der Konflikt nicht zufriedenstellend gelöst ist. Es ist ein Waffenstillstand, kein Frieden.