In den nächsten Wochen werden die politischen Gesprächssendungen in Radio und Fernsehen nur ein Thema haben: Wer wird zukünftig im Bund regieren? Einen Vorgeschmack auf den Tsunami des Geschnatters vermeintlicher Experten hat man in den letzten Tagen schon bekommen. Ich erspare mir die Aufzählung der üblichen Verdächtigen.
Da werden veritable Gegenargumente für die Große Koalition aufgebracht. Man kann diese Phrasen allesamt in das Reich der Fabel verweisen. Es gibt keine andere Möglichkeit als die Koalition zwischen CDU/CSU und SPD. Man kann seine Lebenszeit besser verbringen, als der Kaffeesatzleserei unterbeschäftigter Medienvertreter anzuschließen. Was immer in den ach so schönen Planspielen der Diskutanten ausgeblendet wird: Die Situation im Bundesrat.
Die Länderkammer ist nämlich schon seit geraumer Zeit in Rot-Grüner Hand. Nimmt man alle Bundesländer, in denen die SPD regiert bzw. mitregiert (Baden-Württemberg: grüner Ministerpräsident; Schleswig-Holstein mit dem SSW; Brandenburg mit der Linken), so kommt man auf aktuell 36 Stimmen – und dies ohne das Ergebnis in Hessen zu berücksichtigen. Die Mehrheit im Bundesrat liegt bei 35 Stimmen (von 69). CDU/CSU und FDP haben dies in den letzten Monaten Ihrer Regierung schmerzhaft erfahren.
Eine Koalition CDU/CSU und SPD käme auf derzeit 27 Stimmen (wobei Bayern bereits alleine der CSU zugeschlagen wurde). Käme es zu einer Koalition der CDU mit der SPD in Hessen würde sich der Anteil auf 33 erhöhen. Das Zünglein an der Waage ist dann die Alleinregierung der SPD in Hamburg, die plötzlich nicht mehr an ein Rot-Grünes Enthaltungsvotum gebunden wäre. Damit würden CDU/CSU und SPD – parteikonformes Abstimmen vorausgesetzt – auf 36 Stimmen im Bundesrat kommen.
Der entscheidende Punkt ist also die Koalitionsbildung in Hessen. Hier entscheidet sich, ob die Koalition zwischen CDU/CSU und SPD wenigstens theoretisch regierungsfähig wäre. Ein Schwarz-Grünes Bündnis hätte übrigens null ‑6- (sechs) Stimmen im Bundesrat. Alleine aus diesem Grund ist eine solche Überlegung nichts anderes als Folklore.
Es ist erstaunlich, dass im politischen Journalismus die Bundesrats-Situation gar nicht bis kaum thematisiert wird.
Frage: Ist Ihnen da ein Fehler unterlaufen ?
Bei KroKo im Bund und Grün in der Oposition, Müste ein Rot/Grünes Hamburg sich doch enthalten !
Zustimmung zu Gesetzen wäre doch immer von allen Koalitionspartnern des jeweiligen Bundeslandes zu tragen !?
Hamburg ist SPD-Alleinregierung. Nicht Rot-Grün!
Hier hatte ich vor einiger Zeit etwas darüber gelesen.
Die Aussage in dem Artikel, dass im Bundesrat rechnerisch »SPD, Grüne und Linkspartei« die Mehrheit haben, egal wie die Koalitionsverhandlungen in Hessen ausgehen, stimmt ja nur für den Fall, wenn es Schwarz-Grün geben würde (oder die CDU eine Minderheitenregierung anstrebe). Kommt es zur Koalition zwischen CDU/CSU und SPD und die gleiche Koalition käme in Hessen zustande, dann würden die SPD-Stimmen aus Hamburg (3) nicht mehr automatisch Rot-Grün zugerechnet werden können.
Gestern meinte ein Politikwissenschaftler, Schwarz-Grün sollte man unabhängig von den Bundesratsverhältnissen sehen, da bei den anstehenden Verhandlungen mit den Ländern bzgl. deines neuen Lädnerfinanzausgleichs eh die Parteifarbe nicht zähle. Das stimmt allerdings nur teilweise. Zwar sind die Länder »käuflich«, aber eben teuer.
Wir sollten doch nicht vergessen, dass die Kanzlerin die SPD für unzuverlässig hält. Die SPD selber wollte sich diese merkelsche Unverschämtheit aus dem Wahlkampf gut merken. Allein unter diesem Aspekt ist das ganze „staatspolitische Verantwortung“s‑Gesummse der CDU doch nur lächerlich. Soll die CDU doch sehen wie sie klar kommt. Und wenn nicht, dann gibt’s eben Neuwahlen. Evtl. kriegt die Union dann eine absolute Mehrheit, evtl. steht dann die FDP wieder auf von den Toten. Alles besser, als noch mal 4 Jahre ohne echte Opposition und ohne Alternative.
Natürlich ist das Wunschdenken, denn der Johannes Kahrs und seine Seeheimer Lobbyisten verteilen ja schon die Pöstchen.
Ja, das mit der Unzuverlässigkeit steht auch noch im Raum. Ich glaube allerdings, dass Gabriel derzeit »seinen Job« ziemlich gut macht. Schon jetzt sind 470.000 SPD-Mitglieder bei den Gesprächen, später bei den Verhandlungen virtuell dabei. Immer kann er aufstehen und gehen. Das wird er nicht tun. Die Koalition kommt, wird aber nur zwei, maximal drei Jahre halten. Bis dahin will er der SPD einen neuen Anstrich geben und dann ist die Ausschließeritis der Linken gegenüber beendet.
Vorausgesetzt, ich habe das deutsche Gesetzgebungsverfahren halbwegs richtig verstanden, dann liegt das kritische Zustimmungsquorum im Bundesrat bei 46 Stimmen. Denn nur bei den »Zustimmungsgesetzen« (betrifft z.B. verfassungsändernde Gesetze) gibt es keinen Weg am Bundesrat vorbei.
Die absolute Mehrheit im Bundesrat von 35 Stimmen ist nach meinem Verständnis insofern technisch irrelevant, als eine Ablehnung im Bundesrat vom Bundestag überstimmt werden kann. Das betrifft freilich nur die »Einspruchsgesetze«. Verglichen mit österreichischen Verhältnissen wäre dies ähnlich dem Beharrungsbeschluss des Nationalrates.
Eine 2/3‑Mehrheit im Bundestag ist nach meinem Informationsstand ohne Einbindung der »Opposition« im Bundesrat ohnehin nicht denkbar. Denkbar allerdings ist, dass ich Ihre, Herr Keuschnig, Überlegungen nicht korrekt nachvollzogen habe. Falls das zuträfe, würde ich um aufklärende Erläuterung bitten, weil mir am Verständnis für die Sache liegt.
Die 46-Stimmen-Mehrheit ist nur relevant, wenn verfassungstechnische Änderungen betroffen sind. Ansonsten gilt die 35 Stimmen-Mehrheit. Grundsätzlich sind nach wie vor alle Gesetze zustimmungspflichtig, die die Länder in irgendeiner Form tangieren (Finanzen oder hoheitlich). Zustimmungsgesetze sind nicht durch eine Abstimmung im Bundesrat aufhebbar. Anders sieht es bei den Einspruchsgesetzen aus. Die Situation ist gut abgebildet.
Vielen Dank für den vertiefenden Link. Ich habe darüber sehr rasch zum entscheidenden Schlüssel für mein Verständnis finden können.
Zu ergänzen wäre noch, dass eine Mehrheit im Bundesrat, zumal wenn sie knapp wäre, gelegentlich nicht der strikten Parteiräson unterworfen ist. manchmal werden Länder »herausgekauft«, d. h. sie haben (vermeintlich?) Interessen, die nicht unbedingt bundespolitischer Parteidisziplin unterliegen.