»Zu Hitler fällt mir nichts ein«, schrieb Karl Kraus 1933 und sagte dann doch einiges über ihn.
»Zu Donald Trump fällt mir nichts ein«, denke ich manchmal, und mein Über-Ich, das wie immer recht hat, wendet ein, Trump sei nicht Hitler, und dann will mir wirklich nichts einfallen. Ich glaube nicht, daß ich, hätte ich die Möglichkeit, mich mit diesem Mann an einen Kaffeehaustisch setzen würde. Da verstehe ich Greta Thunberg gut. Der Mann redet ja nur über sich, zu sich und zu allen.
Zum Typus, der im Exemplar Gestalt angenommen hat, fällt mir aber doch etwas ein. Er interessiert mich, der Typus, weil ich überzeugt bin, daß der DT, der director técnico, wie man in hispanischen Ländern Fußballtrainer nennt, der beste Repräsentant jenes Menschenbilds ist, das der Neoliberalismus im Zuge der totalen Ökonomisierung der Gesellschaft ohne großes Hallo, vielmehr als »Selbstverständlichkeit«, verbreitet und eingewurzelt hat. DT, der Idealtypus: egoistisch, selbstdarstellerisch, mediensüchtig, ungebildet, laut, vulgär, stets den persönlichen Gewinn, d. h. seine Kohle im Sinn. Irgendwo, irgendwann, es ist Jahre her, gab es mal eine Diskussion, ob ein Land seine politischen Führer verdient habe oder nicht. Man sagt es nicht gern, niemand hört es gern, aber ich glaube wohl, daß es da eine Widerspiegelung gibt, auch wenn sie verzerrt und mißbraucht werden kann. Allerdings ist das eine Wechselwirkung, keine Einbahnwiderspiegelung, die Präsidenten und Kanzler spiegeln zurück, sie bestärken und beeinflussen die Masse und gebrauchen sie mittels der Mittler, also der Medien, und zwar so direkt wie möglich, ohne Journalisten als Dämpfer dazwischen: Mittler Twitter.
Der Präsident der Vereinigen Staaten von Amerika sagt also seinen Anhängern, die er spiegelt und die ihn widerspiegeln, in einer gemeinsamen Narzissenblase, was sie hören wollen, egal was, zum Beispiel, daß die anderen (irgendwelche anderen) an einer Misere schuld sind, und wenn ihm sonst nichts einfällt, reißt er eben Witze, streut Anekdoten aus, die gut ankommen werden. Eine dieser Ein- und Auslassungen, halb Witz, halb Anekdote, betraf den südkoreanischen Film Parasite, der bei den Oscarpreisverleihungen den Hauptpreis gewann. Ich glaube nicht, daß DT diesen Film gesehen hat, wahrscheinlich hat man ihm gerade mal gesagt, worum es geht, nämlich um Reiche und Arme, und vielleicht, daß die Reichen nicht hunderprozent gut wegkommen (die Armen auch nicht, aber das hat man ihm vielleicht nicht gesagt). Ich glaube nicht, daß es sinnvoll wäre, am Kaffeehaustisch mit DT über diesen Film zu sprechen.
An DTs Auslassung finde ich zweierlei bemerkenswert und aufschlußreich, sogar lehrreich. Erstens, daß DT auf keine ästhetischen oder filmischen Kriterien oder Begründungen zurückgriff, sondern allein auf ökonomische. Daß Parasite in den USA große Publicity bekommt, sei schändlich, weil: America first. Südkorea, als Volkswirtschaft, schlüge schon genügend Vorteile für sich heraus, wenn jetzt eine US-amerikanische Institution diesen Film ins Rampenlicht stellt, schneidet sie sich ins eigene Fleisch, d. h. ins Fleisch der nationalen Volkswirtschaft, an der die Filmindustrie einen nicht unwesentlichen Anteil hat. Das einzige Kriterium für das Urteil des DT ist also ein ökonomisches, Filme haben in seinen Augen allein den Zweck, profitabel zu sein und der eigenen Volkswirtschaft – Arbeitsplätze, Einschaltquoten usw. – zu dienen, America first.
Zweitens, DT bediente in seiner Auslassung die Nostalgie derer, die er repräsentiert, d. h. spiegelt, d. h. seiner Fans. Früher hat man uns nur US-amerikanische Filme vorgesetzt, unterstellte DT, und sie waren gut, seien besser gewesen als heute die Filme mit ihren Winzlingen à la Brad Pitt, der es gewagt hatte, den DT bzw. ein Verfahren um seine Person zu kritisieren. Einer wie DT, dieser Idealtypus, will nichts Neues, und wo es sich zeigt und er es vielleicht nicht gleich versteht, verdammt er es lieber, als sich damit auseinanderzusetzen. Der eine von zwei Filmen, die er dabei nannte, Gone With The Wind, stammt aus dem Jahr 1939, und verharmlost nach Ansicht mancher Kritiker die Sklaverei in der US-amerikanischen Vergangenheit. Der zweite erschien 1950, Regie führte der große Billy Wilder, und mit seiner Geschichte vom Sunset Boulevard wollte er nicht zuletzt jene Kulturindustrie und Traumfabrik demaskieren, die DT in seiner Auslassung so emphatisch verteidigte (ein kleiner Widerspruch, der ihm offenbar entging).
Sanfter Terror der Ökonomie, alte Hüte der Kultur. Mehr fällt mir auch zum Idealtypus nicht ein.
Ich glaube, Trump ist mehr als nur Reflexion aus der Bevölkerung. Es ist eine Art von Hilferuf von denjenigen, die in den Jahren des »Neoliberalismus« ökonomisch unter die Räder gekommen sind. Die haben eben keine Lust, sich an den Phrasen der Hollywood-Millionäre zu ergötzen. Sie haben auch keine Zeit, sich um die Befindlichkeiten eines schwedischen Teenagers zu kümmern. Für sie ist eine diskriminierungsfreie Kunst, wie sie in den New Yorker Galerien gehypt wird, nicht wichtig. Ich muss in diesem Zusammenhang immer wieder auf George Packer hinweisen (kein Apologet Trumps, eher im Gegenteil, aber einer der wenigen, die auch jetzt – sofern ich das mitbekomme – einen kühlen Kopf bewahren).
Trump ist für etliche eine Art Heilsbringer, weil er ihnen noch einmal sagt, wie gut alles früher war und ihnen Glauben macht, die Welt wieder zurückdrehen zu können. Dass das nicht geht, weiss er sicherlich selber (so blöd, wie er dargestellt wird, ist er mit Sicherheit nicht). Daher braucht er immer wieder »Schuldige«, die diese Restauration verhindern, wie z. B. die Chinesen mit ihrer Wirtschaftsmacht (in Wahrheit zielt er dabei auch auf die militärische Macht). Der Ausspruch »America first« ist an Banalität im übrigen kaum zu überbieten. Wenn man sich Mühe macht, findet man diesen Tenor in Beiträgen aller amerikanischen Präsidenten, inklusive Obama. Wem auch sonst sollte ein amerikanischer Präsident verpflichtet sein?
Das Verrückte – und das hat bisher niemand von den Demokraten einem Großteil der Bevölkerung klarmachen können: Trumps Restauration soll mit den gleichen Mitteln geschehen wie der von Packer beschriebene »Niedergang« der amerikanischen Kernindustrien seit den 1960er Jahren. Salopp gesagt: Trump will den Neoliberalismus mit Hilfe des Neoliberalismus zu Gunsten der »guten, alten Zeit« (die natürlich nie so war, wie sie dargestellt wird), abschaffen. Statt irgendwelche lächerlichen »Verfehlungen« Trumps zu suchen, sollte man dieses Konzept benennen und auseinandernehmen.
Der Journalismus ist aber lieber auf der yellow-press-Seite. Man zerlegt seine Tweets statt sie nüchtern einzuordnen und – das ist auch möglich – zu ignorieren. Erst die Erregungen machen Trump noch größer…es gibt das Sprichwort »Viel Feind, viel Ehr«. So tickt Trump.
Ein politisches Konzept gegen Trump sehe ich allenfalls bei Sanders (ohne dass ich mit ihm übereinstimme). Die gesammelten FeministInnen müssen allerdings erst ihr Geschwätz vom »weißen, alten Mann« revidieren, bevor sie dem 77jährigen Sanders Referenz erweisen. Sein Makel ist ein anderer: Er ist für amerikanische Verhältnisse zu »links«. Er würde – das ist sicher – im Kongress an der Mehrheit der Republikaner scheitern. (Auch Obama war innenpolitisch bis auf eine Ausnahme eine »lame duck«.) Und ja, ich halte auch das Alter für grenzwertig. (Im Nachhinein war die Nominierung von Clinton ein strategischer Fehler. Nur weil man unbedingt die erste Frau im Weißen Haus wollte.)
(»Neoliberalismus« setze ich in Anführungszeichen, weil es ein Begriff ist, der von seiner ursprünglichen Bedeutung losgelöst verwendet wird. Ich wäre für »Deregulierung«, aber auch das ist unvollständig.)
Noch einmal, zumal sie erwähnt ist: Thunberg und Trump sind sich in Hinsicht auf die Medien nicht unähnlich. Beide bauen auf mediale Erregungen. Hierfür setzen sie sich direkt, d. h. ohne den gängigen Journalismus in Szene. Der nimmt sie nur auf – allerdings mit diametral entgegengesetzten Vorzeichen: Trump ist durchweg negativ konnotiert (außer in »seinen« Medien), Thunberg ausnahmslos positiv. Während Trump eine Restauration anstrebt, ist es bei Thunberg eine Art Revolution. Leicht kann man die globalisierungskritische Komponente, die beide eint, übersehen. Der gravierendste Unterschied ist der der institutionellen Macht.
Mit Karl Kraus als Massstab hat LP die Latte hoch gelegt – und reüssiert. DT als Filmkritiker erweist sich als ergiebiges Thema.
Das hervorragende Buch von Packer habe ich damals nach der Besprechung in Begleitschreiben gelesen. Danke auch für den Hinweis auf das Interview mit Packer in der WOZ. Ich habe es u. a. als Bestätigung meiner kleinen Spiegeltheorie gelesen, z. B. diesen Satz: „Dieser aktuelle Populismus ist eher eine Art Celebrity-Populismus, eine Verknüpfung dieser «Götter» mit den Massen, die quasi durch sie leben: Man übergibt ihnen seine Träume, damit die Promis sie weitertragen.“
Ihren Anmerkungen stimme ich weitgehend zu. Mein Text sollte punktuell sein und von da aus ein paar Schlaglichter auf Allgemeineres werfen. „America first“ ist ein Slogan, wie er in amerikanischen Wahlkämpfen typisch ist. Sehr reduziert, zwei Wörter, aber nicht dumm. Trump versucht, ihn durch alte Rezepte umzusetzen – nicht mit sonderlich viel Erfolg bisher. Protektionismus, Handelskrieg, Strafzölle, Ausstieg aus internationalen Abkommen, Rückzug amerikanischer Militärs und sonstiger Spezialisten aus Gegenden, wo es nichts zu holen gibt für America. Es ist die Maxime des Egoismus, gegen die Idee der Solidarität, für die – nach Trump – Obama steht. In diesen Kontext paßt seine Kritik an „Parasite“ bzw. den Oscars dafür wie die Faust aufs Auge. Dann die Tatsache, daß er gern auf alte Rezepte aus den Achtzigern zurückgreift, wie auf alte Filme aus der mittleren Hollywood-Ära. Schließlich die zur Schau gestellte Vulgarität, die bei den Modernisierungsverlierern, bei denen er am meisten punktet, gut ankommt.
Soziale Medien wie Twitter erlauben DT, die Presse und alle sonstigen Instanzen zu gehen, direkt zu seinen Anhängern zu sprechen und im Endeffekt in den traditionellen Medien noch mehr präsent zu sein, als es US-Präsidenten bisher waren. Bei aller berechtigten Kritik an der Presse, es braucht einfach Kontrollinstanzen, es braucht Filter (ja!), es braucht kompetente Leute (und nicht Automaten), die sie handhaben, es braucht Investigation und differenziertere Reflexion. Packer ist auch Journalist, er beweist doch, daß wir auf Leute wie ihn nicht verzichten können.
Leopold Federmeier, Sie konzedieren, dass Trump militärisch nicht expanisv politisiert. Ich möchte noch dazusetzen: Anders als Barrack Obama und Hillary Clinton. Bei Steve Sailer heißt das: Don’t invade – don’t invite – also kein illegaler Massenzuzug und keine militärischen Interventionen.
Die kleine-Leute-Perspektive bei Trump ist etwas, das Steve Sailer schon vor der Wahl (!) mit Daten aus dem amerikanischen Sozialleben unterfüttert. Er setzt das fort, so letzten Montag, wo er online auf Taki’s Magazine die Höhe der Hauspreise in den USA mit Blick auf das Wahlverhalten der Bewohner in Beziehung setzt und findet: Niedrige Hauspreise und höchste Hauspreise (Manhattan Park Avenue) = mehrheitlich Republikaner Gegend, // hohe (=weiße und asiatische Mittelschicht) und super-niedrige Hauspreise (= Viertel der Schwarzen) = Wähler der Demokraten.
Matt Taibbi vom Rolling Stone hat ähnliches gesagt, zuletzt bei seinem Gespräch mit Joe Rogan diesen Winter, aber auch gleich nach der Wahl in einem sehr selbstkritischen Artikel im Rolling Stone, wo er schrieb, dass der gesamten liberalen Elite genau dieses Faktum während des Wahlkampfs genau vor Augen gestanden hat, aber keiner hat’s geschrieben – aus, wie Matt Taibbi im Rückblick (auch selbstkritisch) sagt, falschen journalistischen ‑Sendungsbewußtsein heraus). – Ein interessanter Vorgang, wie ich finde.
Zu Packer, dessen Optimismus ich nicht ganz teile, gehört auch die Hillibilly Elegie von J. D. Vance – und (mein persönlicher Favorit, by a long shot): »Deer Hunting with Jesus« von dem unterdessen leider verstorbenen großartigen US-Aussenseiter Joe Pageant. Der hatte auch eine Webseite – weiß aber nicht, ob die seinen Tod überstanden hat.
Ebenfalls in diese Kerbe haut Charles Murray mit seinem sehr datenreichen Buch »Coming Apart«, über das die Bloomberg Business Week seinerzeit geschrieben hat: – « (...) an incisive, alarming and hugely frustrating book about the state of the American scoiety.« – Das war zu Obamas Hochzeit, 2012 nebbich.
@Dieter Kief
Ich will Ihnen da nicht widersprechen. Der Friedensnobelpreis für Obama war eine Farce. Und was Packer Obama nicht verzeiht: daß er die Finanzspekulanten und Immobilienhaie (zu denen Trump ja zumindest ursprünglich gehört) nach der von ihnen verursachten Krise von 2008 nicht zur Verantwortung gezogen hat.
@Leopold Federmair
Naja, Trump versucht, seine Wahlversprechen jenseits des Blödsinns der Mexiko-Mauer einzulösen. Dazu gehörte die Beendigung des Engagements in Syrien und Afghanistan. Das sind auch elementare Forderung europäischer Linker. Auch Protektionismus und Zölle findet man dort. Sanders ist in der Wirtschaftspolitik übrigens näher bei Trump als man denkt.
Packers Zitat über den Celebrity-Populismus kann man doppeldeutig interpretieren. Für mich der »Populismus« der Hollywood-Kaste ähnlich der von Trump. Auch in Deutschland erlebt man seit vielen Jahren, dass bspw. Schauspieler ungefragt und dauerhaft politische Statements abgeben. Das zeigt, dass der Populismus-Vorwurf auf den zurückfallen kann, der ihn äußert.
Inzwischen haben sich die Lager stillschweigend auf eine gegenseitigen Verachtung geeinigt. Das treibt die Polarisierungen noch weiter an. In den USA hatte das bereits mit Clinton vs Gingrich begonnen. Die Tea-Party-Bewegung spaltete die Republikaner. Trump sich noch einmal darüber hinweg gesetzt. Vielen Republikanern selbst der Tea-Party ist er inzwischen peinlich.
Dass flammende Plädoyer für den Journalismus vermag ich für das, was ich inzwischen von Journalisten zu lesen und zu hören bekomme, nicht teilen, weil sich immer mehr der »Haltungsjournalismus« durchsetzt. Man wähnt sich über den Dingen stehend als Wahrheitsverkünder. Intuitiv ahnen viele, dass das nicht stimmt. Das Problem ist, dass sie dann anderen Parolendreschern drohen aufzusitzen.
Gregor Keuschnig, Sie schreiben:
»Das flammende Plädoyer für den Journalismus vermag ich für das, was ich inzwischen von Journalisten zu lesen und zu hören bekomme, nicht teilen, weil sich immer mehr der »Haltungsjournalismus« durchsetzt. Man wähnt sich über den Dingen stehend als Wahrheitsverkünder. Intuitiv ahnen viele, dass das nicht stimmt. Das Problem ist, dass sie dann anderen Parolendreschern drohen aufzusitzen.«
Ich habe auf Matt Taibbi – und Joe Rogan hingewiesen und gesagt, dass die journalistische (Selbst-) Kritik üben, in den USA, das ist doch erfreulich! – Zumal sie bei weitem nicht die einzigen sind. Jonathan Franzen hat dieses Problem ebenfalls ausführlich (am Beispiel!) behandelt in »Purity« – auf Deutsch merkwürdiger- ja:womöglich sogar unsinnigerweise »Unschuld«. Das Buch beginnt ja mit einer Szene, in der die NYT eine unübersehbar attraktive Rolle spielt und behandelt dann auch den unabhängigen Netzjournalismus.
Dann ist da noch Tom Wolfe mit seinen Betrachtungen zum Fernsehjournalismus – und wie da die Fakten davoschwimmen, buchstäblich, zeigt er ausführlich in seinem letzten Roman »Back to Blood«.
Ein erstrangiges Beispiel davon zirkuliert gerade durch die Blogs, nämlich die zum NYT- Editorial Board zählende Journalistin, die, zu Gast beim Sender MSNBC über Michael Bloombergs unglaublichen Reichtum zu berichten weiß, dass Bloomberg allein für seinen Präsidentschaftswahlkampf soviel Geld ausgegeben habe, dass dieses Geld dazu reichen würde, jedem Amerikaner und jeder Amerikanerin und auch allen Kindern in den USA usw. eine Million Dollar zu geben – und dass dann immer noch nicht einmal das Geld ausgegeben wäre, das Bloomberg allein für den Wahlkampf ausgegeben habe – und how amazing that is, usw. ....
Dass es doofe und korrupte Journalisten gibt, spricht wohl nicht gegen diesen Beruf selber.
Steve Bannon hat einiges Interessante über den US-Journalismus und die Tea-Party zu sagen, übrigens, derzeit auch in einem Dokumentarfilm über ihn.
Es geht nicht darum, ob Journalisten »doof« oder korrupt sind. Es geht darum, ob Journalisten Meinung von Nachricht trennen bzw. inwieweit sie dies längst verquirlen. Diesen Text hier werden Sie sicherlich kennen. Er skizziert das Problem.
Und Bannon kann ich mir nun wirklich nicht als Medienkritiker vorstellen. Er ist ja selber ein Demagoge, der seine Ideologie als Wahrheit verkauft.
2) @ Leopold Federmair wegen Obamas nähe zu den Finanzspekulanten &
1) @ Gregor Keuschnig – wg. Bannon – Der ist (war zusammen mit Andrew Breitbart – den Packer ja einlässlich abhandelt) einer der einflussreichsten Medien-Selfmade-Unternehmer der letzten Dekade. Er hat immense Erfahrung auf diesem Gebiet – und er hat mitgeholfen, eine der großen Machtfragen zu gewinnen, die unsre Zeit kennt: Nämlich die, wer der mächtigste Mann der Welt wird.
Von diesem mächtigsten Mann der Welt ist er dann hinauskomplimentiert worden, weil er seinen Überzeugungen auch im Oval Office treu blieb. Insbesondere, was die Frage der illegalen Immigration und den Rückbau der Militärmacht USA angeht. -
– Das Sprichwort heißt, wer mit dem Teufel essen will, braucht einen langen Löffel. Ich denke an Goethes Faust – etwas, ich geb’s zu, das Bannon auch gerne (und häufig) tut.
Hier noch was zu beider Clintons und Obamas verderblicher Nähe zu Big Money mit Blick auf den o. a. investigtiven Rolling-Stone Schreiber Matt Taibbi.
2) Der mittlerweile – unter den Happy few – berühmte erste Absatz des Goldman-Sachs-Artikels Matt Taibbis im Rolling Stone:
»The first thing you need to know about Goldman Sachs is that it’s everywhere. The world’s most powerful investment bank is a great vampire squid wrapped around the face of humanity, relentlessly jamming its blood funnel into anything that smells like money. In fact, the history of the recent financial crisis, which doubles as a history of the rapid decline and fall of the suddenly swindled dry American empire, reads like a Who’s Who of Goldman Sachs graduates.«
Hier der ganze Artikel
https://www.rollingstone.com/politics/politics-news/the-vampire-squid-strikes-again-the-mega-banks-most-devious-scam-yet-101182/
Taibbis Lead: From tech stocks to high gas prices, Goldman Sachs has engineered every major market manipulation since the Great Depression — and they’re about to do
it again
Das ist der Nacholger sechs Jahre später https://www.rollingstone.com/politics/politics-news/the-great-american-bubble-machine-195229/
Banks are no longer just financing heavy industry. They are actually buying it up and inventing bigger, bolder and scarier scams than ever
Da war mitten in Obamas Regierungszeit.
2016 gab es die Anweisung an die Angestellten der großen Banken, nicht für Trump zu spenden – Big Money setzte voll auf Hillary Clinton. Verständlich. Hat auch ums Haar geklappt.
Matt Taibbi kommt übrigens in den US-Medien vor, auch außerhalb
des Rolling Stone,Joe Rogans und seiner Bücher. – Aber dosiert. Diese Dosierung scheint zu genügen. Sie sorgt dafür, dass Taibbis Bücher und Artikel auch in Deutschland kaum einer rezensiert, zitiert und/ oder kennt.
Auch George Packer und Michael Lewis erwähnen ihn leider nicht.
Danke für den Taibbi-Artikel, der mir unbekannt war. Er weist ja u. a. auch auf Clintons Abschaffen des Glass-Steagull-Acts hin, der das Zocken erst ermöglichte.
Ein bisschen nonchalant subsumiert er Lehman und AIG als »collapsed«. Tatsächlich wurde ja AIG gerettet, in dem man Lehman in die Pleite schickte.
Dass Trump die Banken an die Kandare nimmt, kann man ja nun wirklich nicht sagen. Sie können einfach weitermachen.
Auch ich danke für den Link zu Taibbi. Der Abschaffung des Glass-Seagull-Acts miß auch Packer in seinem Buch große Bedeutung bei, das fand ich damals schon überzeugend. Liest man Taibbi, ist zu befürchten, daß man aus der Krise von 2008 nichts gelernt hat. Wie Gregor K. habe ich auch den Eindruck, daß DT kein Interesse daran hat, das Bankwesen zu regulieren.
Oh – bitte, sehr gern!
Wg. AIG – Die beiden (!) Taibbi-Artikel sind online und on the run geschrieben und nicht nachbearbeitet – die stehen da wie vor Jahren verfasst. Die Bücher Taibbis geben dann mehr Perspektive und Details.
Einer der großen Unterschiede zwischen Steve Bannon und Donald Trump ist, dass Bannon klar ist, dass die Entkoppelung von Finanzwirtschaft und realer Wirtschaft in den USA unheilvoll ist. Sein Hauptargument: Es entfallen die Rückkoppelungsschleifen, die normalerweise dafür sorgen, dass die Finanzwirtschaft der Realwirtschaft dient. Normalerweise steigert die Finanzwirtschaft die Effektivität der Realwirtschaft, indem sie effektiver arbeitende/ undoder planende Unternehmen bei der Finanzierung bevorzugt und so ein Anreizsystem schafft, die Produktion bzw. das Angebot zu verbessern.
Das funktioniert nicht mehr richtig. Das ist die Dynamik von Somewheres und Anywheres (David Goodhart/ Michel Houellebecq/Tom Wolfe (»A Man in Full« – a true somewhere), Christophe Guilluy (No Soiety)), befeuert durch B. Clinton ff. – und die entfesselte Globalisierung.
Ein Ergebnis ist, dass die Finanzwirtschaftsprofite sich von der nunmehr lokalen (!) US-Wirtschaft lösen und die realen US-Firmen fast wie Spielmarken benutzen. Und selbst die Regierung kann unter den derzeitigen Bedingungen daran kaum etwas ändern. GM wurde – auch mit Steuergeldern – wieder flott gemacht, aber die Produktion in den USA ging dabei dabei peu á peu verloren. Derzeit werden 40% der in den USA verkauften GM-Autos in China (!) produziert.
Apple beschäftigt in den USA keine Arbeiter mehr. – Nur noch Konstruktion, Marketing (Reklame) und Verkauf – das wars.
Trump hat das angesprochen und ein bissl was gemacht. Packer nennt ein paar Beispiele von Gründungen und Start-Ups usw. – Das ist aber sicher zu wenig. Sowohl bei Packer als auch bei Trump. Ein Lichtblick ist, dass die Trump-Administration das deutsche duale Berufsbildungssystem auf die Agenda gesetzt hat. Das könnte sich – zumindest langfristig – als segensreich herausstellen.
Das Problem der quasi verwendungsunfähigen US-Unterschicht ist so groß, dass ich öfter in US-Diskussionen den Eindruck bekomme, selbst kühnen Leuten mit weitem Horizont wird die Dimension langsam unheimlich.
Steve Bannon gehört zu den eher furchtlosen Debatteuren, und wenn ich wählen müsste zwischen Steve Bannon und George Packer, würde ich meinen, Bannon sei jedenfalls in dieser Liga und seine Ideen nicht zu verachten. Dass er Goethe liest und Thomas von Aquin kennt, finde ich ebnfalls gut (mein weak spot).
Ich empfehle seine Dikussion in der Oxford Student Union, da kommt viel von dem, was ich hier anspreche, explizit zum Tragen. Oder das interview, das er PBS ickjloobe in den USA gegeben hat. Das ist sehr unaufgeregt. Stehen beide online. Ich meine, es gebe mehr Geminsames als Trennendes zwischen Steve Bannon und Matt Taibbi, und finde es merkwürdig, dass diese Gemeinsamkeit nicht gesehen wird.
Nochmal wegen der US-Unterschicht. Ich war ein paar Wochen in Detroit, das ist zwar schon eine Weile her, aber ich war downtown in einer alternativen Schule – und hab’ die ganze Gang-Realität usw. – auch den Idealismus der jungen Weißen, die diese Schule ausschließlich aufgebaut und betrieben haben, miterlebt.
Es hat sich seitdem nichts gebessert. Und keiner hat für diese quasi aufgegebene Millionenstadt einen Plan. Nun, um den Blues vollends hinauszuposaunen, noch dieser Gedanke: Detroit ist nur ein Beispiel; es gibt in den USA viele solcher Städte oder Bezirke (Ferguson). Das wird noch lange so weitergehen. – Fly-Over-Country.
Was die Rolle des Journalismus betrifft, bin ich auf der Seite von Dieter Kief, nicht auf des (sonst natürlich sehr geschätzten) Gregor Keuschnig. Die kommunikationstechnische Möglichkeit für eine Einzelperson, auf direktem Weg Millionen zu erreichen, hat ganz wesentlich zu dem Schlamassel beigetragen, das wir mit den Sozialen Medien jetzt haben, mit der ganzen Vermüllung, der Randposition vernünftiger Diskurse, der Vorherrschaft von unreflekierten Gefühlen (Empörung, Hass, Lynchlust), von Verschwörungstheorien, von bewußt in die Welt gesetzten Gerüchten, von systematischer unterschwelliger Beeinflussung von großen Massen, die oft bei Firmen, jedenfalls Profis in Auftrag gegeben wird. Populisten und skrupellose Extremisten kommen mit diesem Medium sehr viel besser zurecht als solchen Werten wie Vernunft, Bildung, Diskussion verpflichtete Personen und Gruppen. Das ist m. E. kein Zufall und kein strategischer »Vorsprung«, vielmehr entspricht die Struktur dieser Medien der Denk- und Aktionsstruktur der Populisten.
Gibt es einen unabhängigen Journalismus, werden die Äußerungen und Handlungen von Potentaten gesiebt (nicht jeder Furz, jeder Irrtum, jede Unbeherrschtheit geht in die Öffentlichkeit), hinterfragt, analysiert – kurz, durch ein vernünftiges Medium an die Allgemeinheit weitergegeben. Genau diese Rolle stört Trump an den New York Times. Nun mag es zutreffen, daß einzelne Journalisten korrumpiert sind; meiner Langzeitbeobachtung nach werden auch sie in ihrer Gesamtheit immer dümmer, unverantwortlicher, ungebildeter. Aber erstens sehe ich zu einem starken Journalismus keine Alternative, wenn weiterhin Demokratie existieren soll. Und zweitens, setzt man das voraus, geht es eben darum, guten Journalismus zu unterstützen und die Ausbildung zu verbessern (ich habe selbst Publizistik studiert).
Steve Bannon werde ich mir ansehen. Ich kannte ihn bisher nur aus der Schublade »Rechtsextremist«.
Ich glaube, es greift zu kurz, den »sozialen Medien« die Verantwortung für die Verrohung bzw. Verunmöglichung des (sogenannten) Diskurses anzulasten. Diese tragen natürlich für die Sichtbarkeit der divergierenden Meinungsströme und deren Verbreitung bei. Keine Frage. Aber dass Journalisten dabei die Felsklötze in der Brandung sind, ist ein eher ein Wunschtraum.
Ich habe natürlich nichts gegen »guten Journalismus«; aber wer definiert das? Da werden Journalisten wegen ihrer jeweiligen »Haltung« ausgezeichnet. Aber man hat nicht begriffen, dass derartige Bevormundungen im Publikum längst unerwünscht sind. Der Filter funktioniert – übrigens ähnlich einem Algorithmus – zumeist nur noch in eine Richtung. Das ist übrigen auf allen Seiten so. In den USA kann man das exemplarisch sehen: FOX News auf der einen, CNN auf der anderen Seite. Ein Austausch findet nur mehr selten statt – jedes »Lager« bleibt geschlossen und beisst Andersdenkende oder auch nur Fragende weg.
Ich möchte aber gar nicht in die USA abwandern. Deutschland genügt mir schon. Da hatte vor ein paar Tagen ein Radiomoderator, der seit sehr vielen Jahren zu später Stunde eine Art Seelensprechstunde macht (er hatte neulich seine Arbeit erst wieder aufgenommen) sanfte Kritik an Greta Thunberg geäussert. Sofort klirrten die Schwerter auf Twitter und Facebook. Man hat seine Einwände gar nicht versucht zu widerlegen. Man schritt sofort zur Diffamierung. Der Moderator war binnen Sekunden ein »Neu-Rechter«, ein »alter, weißer Mann« (er ist 62) und – natürlich! – ein Nazi. Der Satiriker Dieter Nuhr, der zuweilen auch die Inszenierungen der FFF satirisch gehandelt, bekommt ähnliche Attribute an den Kopf geschleudert. Das geht so weit, dass man fordert, dass seine Sendung in der ARD abgesetzt werden soll.
Vordergründig hat das zunächst einmal nichts mit Journalismus zu tun. Aber wenn man sieht, welche Meinungskorridore in den Medien angelegt sind, dann ahnt man, warum ein kritischer Journalismus bspw. über FFF unterbleibt.
Ich hatte nach meinem Umzug ein Probe-Abo für drei Wochen der Lokalzeitung gestartet. Demnächst darüber ein bisschen mehr. Nur so viel: Etliches waren abgeschriebene, vielleicht leicht veränderte Agenturmeldungen. Ganz viel Mainstream, den man – leider – nach Konsum der öffentlich-rechtlichen Sender nicht mehr braucht.
Natürlich sind die Sozialen Medien nicht allein an der Misere schuld. Es ist eine komplexe Entwicklung, die Kommunikationstechnologien sind aber im Zentrum des Sturms. Lagerdenken, Polarisierungen, »Haltung« statt Reflexion, Zweifel, Tatsachenprüfung (als »Faktencheck« auf den Slogan heruntergekommen) – ja, allenthalben. Da divergieren wir nicht. Die Ursachenanalyse ist schwierig, ich wage mich an dieser Stelle lieber nicht daran.
Ich wage die These. dass so etwas wie »Diskurs« in der heutigen Zeit kaum mehr möglich ist. Niemand ist mehr in der Lage, komplexe Sachverhalte zu durchblicken. Intuitiv ahnend, wird es auch gar nicht erst mehr versucht. Stattdessen beharrt jemand bei der einmal für sich gefundenen »Meinung«, die nun mit Zähnen und Klauen verteidigt werden muss.
Bis in die 1980er hinein gab es eine Fernsehsendung mit dem Titel »Pro und Contra«. Hier wurde wie in einem Gerichtsverfahren Positionen zu einem gesellschaftlichen Thema diskutiert. Mit Anwälten und »Zeugen«, d. h. Experten. Die Zuschauer stimmten VOR der Sendung ab (pro oder contra) und, das war der Kern, danach. Gemessen wurde dann der Unterschied. Zwar gab es hier nur zwei Möglichkeiten (Enthaltung vielleicht als Drittes), aber man musste sich die Argumente der jeweils anderen Seite anhören. Meist geschah dies ohne Murren.
Heute wird jede abseitige Position sofort in ein Lager verortet. Und das wird ja durchaus von der Journalistik befördert. Ich erinnere mich (noch einmal) an die Berichterstattung zur Trump-Wahl. Als die versammelten »Experten« (unter ihnen Schauspieler, aber auch ehemalige und aktuelle Korrespondenten) fassungslos dastanden und ihrer Empörung freien Lauf ließen. Das konnte einfach nicht passieren, weil es nicht sein durfte.
Jede, aber wirklich jede Diskussion in öffentlich-rechtlichen Sendern über die Wahlen in den USA beginnt mit einem Bekenntnis, wie schrecklich diese Trump-Zeit ist. Auf die Idee, dass man das nicht besonders erwähnen muss, kommt niemand. Jemand muss sofort seine Position setzen. Das verhindert natürlich jegliche halbwegs nüchterne Sicht auf die Dinge. Ich möchte einfach erst einmal erfahren, warum nach dreieinhalb Jahren Trump mehr als vielleicht 1 Million Menschen diesen Präsidenten noch einmal haben wollen. Dafür braucht es Empathie.
Könnte sein, daß das Zeitalter des Diskurses vorbei ist. Das Zeitalter der kommunikativen Vernunft, der man sich in der Nachkriegszeit (bis etwa 1990 verstanden) durchaus annäherte, auch deshalb, weil die Massenmedien Foren boten, die wirklich genutzt wurden. Vielleicht idealisiere ich das im Rückblick, mag sein. Ich glaube aber nicht, daß die heutigen Schwierigkeiten an der undurchschaubaren Komplexität der Verhältnisse liegen. Sie waren immer komplex, jedenfalls seit dem 19. Jahrhundert, und zumindest versuchs- und annäherungsweise konnte man sie erhellen, konnte Theorien bilden etc. Was nicht mehr so recht funktioniert, ist die öffentliche Kommunikation, der Austausch. Auch die private Kommunikation übrigens, die von Facebook und Konsorten gesteuert wird. Oder es ist eben eine andere Art der Kommunikation, keine aufgeklärt-vernünftige, eine, die mir oft hysterisch und leer erscheint. Wie man sie benennen soll, weiß ich nicht, aber Selbstdarstellung spielt darin eine große Rolle, auch in dieser Beziehung kann Trump als Repräsentant gelten.
Wenn ich nicht irre, sind alle, die in diesem Blog diskutieren, also öffentliche Kommunikation treiben, in einem sehr bescheidenen Rahmen zwar, Angehörige dieser Nachkriegsgeneration (im weiten Sinne verstanden). Auf bestimmte Einlassungen bekommt unsereins von Jüngeren manchmal die Antwort: Du bist eben schon zu alt. Diese Antwort scheint mir bei langfristigem Überlegen immer passender. Die Frage ist, wieder für unsereins, was tun? Ich für meinen Teil habe vor einiger Zeit dafür optiert, die Werte und Techniken – u. a. Kommunikationstechniken – des überlieferten Humanismus geltend zu machen und zu sehen, ob und wie sie sich mit dem digitalen Zeitalter vereinbaren lassen. Beispiel Wikipedia, einer der aufklärerischen Leuchttürme des 21. Jahrhunderts, bei aller Problematik.
Ich bin mir allerdings gar nicht sicher, ob das neue Zeitalter so neu ist. Ganz ähnliche historische Abläufe gab es in der ersten Nachkriegszeit, nach 1918, nur lief alles schneller, fast möchte ich sagen: irrer ab. Ich bin nicht der erste, der die Parallele beobachtet. Die Gesellschaft hat sich damals, Weimarer Republik, mehr und mehr gespalten, bei steigender Gewaltbereitschaft der großen Lager, bis der Diskurs überhaupt nicht mehr mit Argumenten, nicht einmal mit Worten geführt wurde, sondern mit diversen Formen der Gewalt, schließlich mit Waffen. Sollten diese Beobachtungen zutreffen, möchte ich später nicht zu denen gehören, die sagen müssen, ich hab’s zwar kommen gesehen, aber es war mir egal.
Ich bin ja gegen die pauschale These, dass Kommunikation von Facebook oder von mir aus Twitter gesteuert wird. Sie wird abgebildet bzw. sie wird verstärkt, das ja. Aber gesteuert? Ist es nicht wirklich immer so gewesen, dass man sich die Meinung herausgesucht hat, die einem gefallen hat? Dies übernehmen jetzt Algorithmen, die in diesen Punkten unnachsichtiger sind. Aber was hindert einen daran, seine Freundschaften bei Facebook pluralistisch zu gestalten? Klar, wenn ich immer die gleichen Positionen »like«, treten die Abweichler in den Hintergrund bzw. verschwinden sie. Aber einem Forum die Alleinschuld zu geben?
Die extremen politischen Kräfte kamen in der Weimarer Republik vor allem auf, als die »Mitte« mehr oder weniger versagte. Was, wenn dieses Versagen heute in bestimmten Politikfeldern wieder empfunden wird? Anzeichen dafür sehe ich sehr wohl. Auch das ständige Berufen auf die »Demokratie« zeigt ja nur, dass da etwas ins Wanken gerät. Das liegt nicht nur an den populistischen Bewegungen. Diejenigen, die diese bekämpfen wollen, haben auch antidemokratische Rezepte zur Hand: Ausschließen und ächten. Nicht die Probleme sollen bekämpft werden, sondern diejenigen, die diese Probleme für eine wie auch immer falsch empfundene Wahlentscheidung nutzen. Das war am Ende der Untergang der Weimarer Republik: Linke und Rechte hatten die Mehrheit. Sie waren natürlich nicht untereinander koalitionsfähig. Aber die demokratischen Parteien waren es auch nicht mehr. Und sie waren nicht in der Lage, Mehrheiten zu organisieren. Berlin war Anfang der 1930er Jahre praktisch im Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nazis.
So weit sind wir noch nicht. Mehrheiten werden in Deutschland pragmatisch organisiert. Wir haben in den Bundesländern teilweise Dreierkoalitionen, in Thüringen eine Minderheitenregierung (befristet). Regiert wird da aber kaum noch, es wird nur verwaltet. Ein Hoch auf die Institutionen, die noch funktionieren.
Die politischen Lager spalten sich unterdessen zwischen Moralisten und Populisten. Beide vergiften auf ihre Art den Diskurs.
Vielleicht sind wir aber an die Grenzen dessen gestossen, was wir »Demokratie« nennen. Nicht nur Rechte, auch einige Linke sprechen ja inzwischen unverhohlen von Selektionsmechanismen für politische Beteiligungen. Wie kann man verhindern, dass in Parlamente Parteien gewählt werden, die dieses Parlament abschaffen bzw. bedeutungslos machen wollen?
Wir sehen in den USA derzeit schmerzhaft: Trump ist furchtbar. Aber die Alternativen zu Trump? Einer, der Gedächtnislücken aufweist und einer, der letztes Jahr einen Herzinfarkt hatte. Einer, der für das Establishment steht und ein Mini-Revoluzzer, der an den Institutionen scheitern wird. Beide besser als Trump, ja. Aber auch mehr?
Sogenannte Populisten sind durch wenigstens drei Eigenschaften gekennzeichnet:
1) Sie schaffen es, wie kein anderer Akteur im jeweiligen politischen System, Unzufriedene anzusprechen, sozusagen ein Kumulationsort für negative Affekte zu sein, was eine Existenz derselben voraussetzt (Populisten verstärken Unzufriedenheit, aber sie schaffen diese nicht).
2) Sie inszenieren sich als Gegner des Establishments, der Eliten, was nur deshalb gelingt, weil sie diesen tatsächlich in mancher Hinsicht widersprechen und von diesen bekämpft werden.
3) Sie greifen Themen auf, die brach liegen oder als moralisch anstößig gelten, auch das gelingt nur deshalb, weil es diese tatsächlich gibt.
Kurzum: Populisten und deren (relativer) Erfolg hat sehr viel mit dem Zustand und den Gepflogenheiten der jeweiligen Gesellschaften zu tun, man könnte sagen: Mit deren Schieflagen. Es gilt sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Weil das Wort Nachkriegsgeneration gefallen ist: Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, ob man Computer und neue Medien erst im Alter, in seiner Jugendzeit oder von Geburt an kennengelernt hat, also darin, ob man vor der Nutzung derselben bereits erwachsen oder seine frühen »kritischen« Entwicklungsphasen schon hinter sich hatte, also über einige Stabilität verfügte (das Wort Erziehung hat hier einen Platz). Die Bedienungsschwelle eines Smartphones oder Tablets ist – verglichen mit derjenigen eines herkömmlichen Fernsehers – gering, ja nachgerade kleinkinderfreundlich, weil diese Geräte gerade mit jenen Wischbewegungen steuerbar sind, die schon Kleinkinder beherrschen. Ein Aspekt, der mich verwundert, weil er kaum diskutiert wird, und das Scheitern dessen, was wir Bildung nennen, offenkundig macht, ist, dass die Elterngeneration(en), die noch ohne diese Medien aufwuchs(en), an Erziehung (und Bildung) ihres Nachwuchs gescheitert sind. Scheitern meint, dass ein erwachsener Mensch sich nicht von seinem Smartphone vereinnahmen lassen sollte und sich in den digitalen Weiten auch grundsätzlich wie ein Erwachsener verhalten sollte. Es geht also nicht darum, den Umgang mit diesen Medien zu lernen. Das gilt auch für den Diskurs: Seine Grundlage ist eine prädigitale.
@ metepsilonema
Man kann Kinder nicht erziehen, sie machen einem sowieso alles nach (Karl Valentin).
Es gibt ja diesen Begriff der digital natives. Wir gehören nicht zu diesen, aber die digitale Welt ist uns nicht ganz fremd (sonst würden wir uns nicht hier treffen). Metepsilonema stimme ich zwar zu, und füge hinzu, daß jüngere Elterngenerationen inzwischen auch schon digital natives sind und sogar jüngere Lehrer mit Büchern nicht mehr richtig umgehen können. Aber – Gregor K. weist manchmal darauf hin – dieser Verfall diskursiver Kultur hat begonnen, bevor das Internet in den Alltag von allen eingedrungen ist. Ich bin überzeugt, daß das Internet, wie es derzeit gestaltet und verwendet wird, den Verlust humanistischer Kompetenz verstärkt. Begonnen hat das aber vorher, das Internet könnte man als Perfektionierung und endgültige Realisierung der Spaßkultur sehen, die sich mit dem wirtschaftlich-politischen Siegeszug des Neoliberalismus entfaltete und quasi institutionalisierte. Der Umgang mit dem Internet sollte m. E. schon ein pädagogisches Thema sein. Unbedingt. Nicht die Techniken des Gebrauchs, sondern Voraussetzungen, Möglichkeiten, Gefahren.
Meine persönliche Illusion: Daß sich digitale und prädigitale Kompetenzen bündeln lassen. Die Wendigkeit, die zumindest potentiell den digital natives eignet, mit alter Gründlichkeit (den Dingen auf den Grund gehen) kombinieren.
@Karl Valentin: Stimmt, Kinder machen alles nach, im Guten wie im Schlechten. Erziehen kann man höchstens die Eltern. Und die Lehrer.
@Leopold Federmair
Das meinte ich eben, der Verfall begann schon in der analogen Zeit. — Natürlich sollen die neuen Medien ein pädagogisches Thema sein, aber davor gibt es viele Dinge zu lernen, zu erfahren, zu entwickeln: Konzentration z.B., die überall – könnte man pessimistisch sagen – versiegende Quelle aller Kultur. Oder einen Umgang mit seiner inneren Welt, eine emotionale Stabilität aus der die Vernunft wachsen kann. Usw. Danach gerne ein pädagogisches Thema zu den neuen Medien, alles zu seiner Zeit. Heute tendieren wir dazu Kindergartenkindern Themen nahezubringen und Entscheidungen aufzubürden, die diese noch gar nicht verstehen können, die Demokratieerziehung ist dafür ein gutes Beispiel.
@Dieter Kief
Ein nettes Bonmot, das allerdings nur gilt, wenn man den Subjekten eine eigene Logik abspricht. In Bezug auf Kinder heißt das, das »Wie« im Hinblick auf das »Was« zu übersehen.
Karl Valentin ist genial. Sie erläutern seinen Satz. Aber Sie machen ihn nicht dingfest, metepsilonema. Das geht auch gar nicht; weil Karl Valentin genial ist.
Ein Rondo, hehe.
Ein Zirkel, hehe.
Ai‑n – : – Wol-Za!