Anmerkungen zu einem Anti-Phrasenbuch und ein kleiner Exkurs in die Vergangenheit
Der Titel des neuen Buches von Alexander Kissler (Ressortleiter beim Magazin »Cicero«) ist kämpferisch: »Widerworte – Warum mit Phrasen Schluss sein muss«. Kissler sieht es als eine Pflicht an, 15 der gängigen Phrasen der letzten Jahre zu widersprechen, denn nicht die Lügen seien die Gefahr für das Denken, sondern die Phrase, so im Vorwort.
»Vielfalt ist unsere Stärke«, »Das ist alternativlos«, »Gewalt ist keine Lösung«, das sich immer rasanter ausbereitende Credo vom allseitig notwendigen Respekt, »Unser Reichtum ist die Armut der Anderen«, sowie die Mutter aller Phrasen der letzten Jahre »Wir schaffen das« – um nur einige der analysierten und sezierten Redewendungen zu nennen. Das Buch wendet sich diesen Phrasen in Texten zwischen fünf und zwanzig Seiten zu, wobei die Intensität der Besprechung Rückschlüsse auf die Phrasenhaftigkeit der Phrase, also der Notwendigkeit von deren Dekonstruktion zulässt.
Phrasen sind »Umwertungsversuche«, sollen Gedanken lenken, Meinungsströme einhegen, Gewissheiten betonieren. »Die Phrase beginnt, wo das Denken endet«, so Kissler an einer Stelle süffisant. Im harmlosen Fall ist es nur ein Werbespruch, der in den Kanon der Redewendungen einfliesst und sich dort zuweilen verselbständigt. »Zur Phrase wird ein Spruch, wenn er einen wahren Teilaspekt ausspricht und diesen zur ganzen Wahrheit erklärt.« Kissler meint damit die politisch aufgeladenen Phrasen, deren Aussagen zu Gewissheiten erklärt werden. Bei der Lektüre stellt sich ein erstaunliches Erlebnis ein: Die Phrasen werden von etlichen Massenmedien häufig gar nicht mehr befragt, sondern in einer bisweilen seltsam anmutenden Eintracht mit Politik und/oder Institutionen (NGOs, Kirchen, Wissenschaften) als Gebote angesehen und weiterverbreitet.
Wer diesen Phrasen nicht uneingeschränkt zustimmt, wer ihren Gebrauch kritisiert oder gar ablehnt, befindet sich sofort in einer von außen oktroyierten, moralischen Zwangslage. Kissler zitiert den linken Sozialphilosophen Ulrich Sonnemann, der sich in den 1960er Jahren »den Konformitätszwang in Adenauers Deutschland« feststellte und – mit einiger Berechtigung – gegen die »Diffamierung des Dagegenseins« eintrat. Fünfzig Jahre später wird das »Dagegensein« oft genug als Sakrileg an einen als absolut gesetzten Konsens angesehen. Der Deutsche als »Stabilitätsnarr im Konsenswahn«. Fragend fährt Kissler fort, ob »Kritik, die heute vor allem eine Kritik der Phrase sein muss, noch oder wieder als Unbotmäßigkeit« gilt. (Sicherlich sind Phrase und Konsenswahn nicht unbedingt nur ein deutsches Phänomen.)
Eines der Kernstücke des Buches von Kissler bildet die Auseinandersetzung um den »Wir schaffen das«-Spruch Merkels vom Herbst 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle. In sehr feinen Schnitten wird nicht nur der »Pluralis Majestatis« des Wörtchens »wir«, der natürlich das Autoritätsgefälle zwischen Politik und Volk auf subtile Weise aufzeigt, seziert sondern er entwickelt anhand von Transkriptionen der Aussagen der Bundeskanzlerin in der »Anne Will«-Sendung vom 31. August 2015 die These, dass Merkels Handeln »die Welt« veranlassen sollte, »die Deutschen von ihrer Geschichte« freizusprechen. O‑Ton Merkel: »Die Welt sieht Deutschland als ein Land der Hoffnung und der Chancen, und das war nun wirklich nicht immer so.«
Bei aller Kritik muss man allerdings konstatieren, dass der Versuch einer Historisierung der Ereignisse einem Kontrollverlust der Regierung ob der Ereignisse geschuldet ist. Wenn man Robin Alexanders exakte Chronologie »Die Getriebenen« liest (bis heute gibt es kein Detail aus diesem Buch, welches seriös widerlegt wurde), wird die Hilflosigkeit der Handelnden deutlich. So handelt es sich beim »Wir schaffen das« zwar um einen »autoritären Verzweiflungsruf« (Kissler), aber er ist eben auch den Überforderungen der Protagonisten geschuldet.
Das angesprochene »Wir« in Merkels Phrase kann man womöglich noch als Versuch sehen, an das revolutionäre »Wir sind das Volk« von 1989 anzuknüpfen. Merkel wollte an einen Gemeinsinn appellieren bzw. anknüpfen, der besser aussehend sollte als seinerzeit Helmut Kohls Ausspruch von den »blühenden Landschaften«. Die ehrlichen Ansprachen über die Herausforderungen der jeweiligen Ereignisse blieben zu Gunsten paternalistischer Durchhalteparolen, die bestenfalls das Volk narkotisieren, aus. Der Kollateralschaden dieses stümperhaften Agierend war, dass ein im Sommer 2015 politisch am Boden liegender politischer Haufen Gestriger wie weiland zum Frankenstein erweckt wurde.
Unklar bleibt, wer das »Wir« in »Wir schaffen das« sein sollte. Es wird appelliert an eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft, die in dieser Form weder existiert besonders gewünscht war. Kissler vernachlässigt diesen Aspekt. Jegliches aufkommendes Gemeinschaftsgefühl war – mit durchaus guten Gründen – jahrzehntelang einer skeptischen Sichtweise unterzogen worden, galt insbesondere nach ’68 als reaktionär. Intellektuelle wehrten sich 1989/90 gegen die Vereinigung mit der DDR. Sie begriffen die Spaltung als Urteil der Geschichte. Tatsächlich blühte im Westen längst der Individualismus der Babyboomer. Globalisierung und Digitalisierung potenzieren auf ihre jeweilige Art diese Entwicklung noch und machen aus dem »Ich« ein narzisstisches »Selbst«. Ein »Wir«, welches plötzlich zu einer gemeinsamen Reaktion ermutigt werden sollte, war außerhalb von Multikulti-Adepten mit ihren »Welcome«-Schildern nicht zur Hand. Daher erstaunen die Ausführungen des Ehepaars Münkler nebst deren »Vision« eines »neuem Wir«, auf die Kissler zu recht kritisch rekurriert.
Die Mehrzahl der untersuchten Phrasen und Parolen, die zu Handlungsimperativen mutieren, hatten sich im Rahmen des Flüchtlingsdiskurses gebildet. Die Konzentration hierauf ist schade für das Buch, weil man sich auch die Dekonstruktion anderer Phrasen – von »Tragödie« über »Vision«, »Nachhaltigkeit« bis hin zum »gesunden Essen« – gewünscht hätte. (Aber das Wünschen hat noch nie geholfen.)
An seiner Ablehnung von Merkels als Politik getarnten Überforderungsmanagements (mit recht seltsamen Verrenkungen, siehe »Türkei-Deal«) der Jahre 2015ff lässt Kissler nicht nur keinen Zweifel aufkommen, er thematisiert dies zuweilen innerhalb seiner Vignetten zu den jeweiligen Phrasen. Das wirkt teilweise etwas überambitioniert und birgt die Gefahr, seine trefflichen syntaktischen Analysen als tendenziös gefärbt abzuwiegeln. Etwa wenn er Katrin Göring-Eckardts Diktum von der Vision eines »neuen Landes« zitiert – ein Ausschnitt aus ihrer Rede im November 2015 in Halle – und dies als eine durch die Migrationspolitik vorangetriebene »Umcodierung der deutschen Gesellschaft« interpretiert. (Ein aktuelles Europawahlplakat der Grünen spricht tatsächlich davon, ein »neues Europa« zu »bauen«.) Er entdeckt darin sogar Parallelen zwischen ihr und Alexander Gauland – wenn auch mit diametral entgegen gesetzten Vorzeichen. Oder wenn in Anbetracht der Verweigerung der Grenzschließung im Herbst 2015 die Rechtstreue der Bundesregierung angezweifelt und die Kanzlerin als desintegrierend bezeichnet wird. Mit den Adepten der »offenen Gesellschaft«, die sich in dem, was sie »Haltung« nennen suhlen und die Diskurse mit moralinsaurer Aggression führen, kann Kissler wenig anfangen; sie stehen bei ihm – nicht ganz unbegründet – unter Ideologieverdacht. Selbstverständlich ist das diskussionswürdig und interessant, aber ob dies dann im Rahmen einer Phrasenkritik in der gebotenen Tiefe möglich ist, kann man bezweifeln.
Das Buch ist immer dann stark, wenn Kissler sich auf seine stilistisch anspruchsvolle Sprachkritik konzentriert. Etwa wenn er den Fauxpas als den »natürliche[n] Aggregatzustand der Reden Merkels« hervorhebt. Oder in den Erörterungen zur Phrase, jedem sei unterschiedslos mit Respekt zu begegnen. Damit ist heutzutage immer mehr der »Applaus ohne Ansehung der Leistung« gemeint, eine »Achtung ohne achtenswerte Gründe«. Kissler konstatiert (mit Hilfe von Kant, Hegel und sogar Max Stirner) die seltsam anmutende Verwechslung zwischen Würde und Respekt. Würde steht jedem Menschen per se ohne Unterschied zu – Respekt will erworben werden und existiert nicht als Wert an sich.
Manches stellt Kissler schlichterweg vom Kopf auf die Füße. Etwa wenn er den Vorwurf, Europas Werte würden im Mittelmeer ertrinken zunächst einmal dahingehend kontert, dass nicht Werte sondern Menschen ertrinken und dann auf die Verantwortung der Regierenden hinweist, vor deren Unfähigkeitsregime die Menschen fliehen. Und ja, es scheint fast anachronistisch zu sein auf den freien Willen und die Selbstverantwortung derer hinzuweisen, die sich auf Nussschalen übers Mittelmeer auf den Weg machen.
Kissler bezeichnet die Gegenwart als ein »Interregnum der entleerten Begriffe«. Aber wie setzt sich diese »Zwischenphase« fort? Wer wird am Ende die Deutungsmacht über Begriffe und schließlich über die politische Verfasstheit der Gesellschaft haben? Das phraseninduzierte Unbehagen ist inzwischen längst auch bei den kritischen Geistern im universitären, sozialliberalen Milieu angekommen.
Womit man wieder im Adenauer-Staat angekommen zu sein scheint. Passend hierzu entdeckte ich folgendes Zitat:
»Man könnte […] sagen, daß heute überall, wo Menschen sich in die Brust werfen – dabei denke ich nicht nur an einzelne Menschen, sondern vor allem an das, was geschrieben, was durch die Massenmedien verbreitet, was getönt wird – und sich auf die Idee des Guten berufen, diese Idee des Guten unmittelbar, das heißt, soweit sie nicht der Widerstand gegen das Schlechte ist, immer und ausschließlich gerade das Deckbild des Schlechten ist. […] Auf der einen Seite nämlich ist der Haß auf das Böse heute wirklich im Namen des Guten zu etwas Zerstörendem und Destruktivem geworden, auf der anderen Seite ist das Gute, das sich selbst als Positivität aufwirft, anstatt nur das Böse als Index seiner selbst zu sehen, zu dem Bösen geworden.«
Nein, hier schreibt kein Werte-Relativierer, Neu-Rechter oder Alt-Linker. Die obigen Zeilen stammen aus der 17. Vorlesung über »Probleme der Moralphilosophie« von Theodor W. Adorno vom 25.7.1963. Es ist jene Vorlesung über die Differenz von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik, in der er seinen inzwischen selber zur Phrase gewordenen Satz das »im falschen Leben ein richtiges nicht möglich sei« erläutert. Sofern es, so Adorno, überhaupt so etwas wie »eine Unterscheidung zwischen dem richtigen und dem falschen Leben gibt, ist sie wohl am ehesten darin zu suchen, ob man blind nach außen schlägt – und sich selber und die Gruppe, zu der man gehört, als Positives setzt und das, was anders ist, negiert -, oder ob man statt dessen in der Reflexion auf die eigene Bedingtheit lernt, auch dem sein Recht zu geben, was anders ist, und zu fühlen, daß das wahre Unrecht eigentlich immer genau an der Stelle sitzt, an der man sich selber blind ins Rechte und das andere ins Unrechte setzt.«
Ob Alexander Kisslers »Widerworte« die »Reflexion auf die eigene Bedingtheit« im Jahr 2019 befördern wird? Oder ob einem in Anbetracht der sich »in die Brust« werfenden Moralisierer (nebst den mehrheitlichen Claqueuren in den Medien) nur das Hissen der weißen Fahne mit dem Wunsch, wenigstens in Ruhe gelassen zu werden, bleibt?
Zuerst sagen Sie, es handle sich beim »wir schaffen das« der Kanzlerin um einen pluralis majestatis, Gregor Keuschnig, dann schreiben Sie: Unklar bleibt, wer das »Wir« in »Wir schaffen das« sein sollte.
Ich meine, beides trägt eher zur Verunklarung bei. Zufällig habe ich den Video-Mtischnitt gerade nochmal ngeschaut: Es ist klar, dass die Kanzlein mit »wir« Deutschland und die Deutschen meint. – Sei will uns allen Mut zusprechen (wohl auch sich selbst) – da steckt meines Erachtens kaum eine Anmaßung darin.
Kissler probiert zu sehr, alles auf ein paar Wörtlein zu reuzieren, und verliert sich dann in Abstraktionen: »und sich auf die Idee des Guten berufen, diese Idee des Guten unmittelbar, das heißt, soweit sie nicht der Widerstand gegen das Schlechte ist, immer und ausschließlich gerade das Deckbild des Schlechten ist.« Das ist zu abtrakt, und daher nicht mehr trennscharf und auch nicht aussagekräftig, ja sogar falsch und verwirrend. – Es kommt mir vor wie ein verunglückter Goethe-Nachall (Mephisto).
Nun ja, es ist schon Dümmeres geschrieben worden.
Zudem: Die Merkel-Bemerkung bei Anne Will: »Die Welt sieht Deutschland als ein Land der Hoffnung und der Chancen, und das war nun wirklich nicht immer so« kann redlicherweise nicht als Beleg dafür genommen werden, dass die Kanzlerin versuchte, »die Deutschen von ihrer Geschichte« freizusprechen. Gemeint ist einfach: Früher handelten wir schlecht, jetzt handeln wir in den Augen der Welt gut – das ist doch gut.
An sich ist das auch gut, und der Fehler ist gleichwohl durchaus gegeben, da stimme ich Kissler natürlich zu, aber er liegt auf einer anderen Ebene: Nämlich da, wo die Kanzlerin ein Geschäft macht: Grenzen weiterhin (!) auflassen ohne wenn und aber – und daüfr eine weitere Verbesserung des Deutschen Ansehens in der Welt. Sie setzt das Deutsche Ansehen über das deutsche Interesse: Das ist der Kardinalfehler!
Letzte Woche Markus Lanz: Das Deutsche Interesse muss es sein, im Jahr mindestens (!) 300 000 Zuzüger zu gewinnen. Wegen der Überalterung und der Rente und den Arbeitsplätzen usw.! – Hätten Wissenschftler ihm gesagt, stimme ganz genau... Und in Japan werde das neuerdings ganz gleich gesehen – wisse er ebenfalls aus eigener Anschauung, zumal seine Frau eine »Halbjapanerin« sei. – Alles klärchen my dear! – so geht das heute in besten Deutschland, das es je gab. Besonders medial sind wir offenbar in top-Form!
»und sich auf die Idee des Guten berufen, diese Idee des Guten unmittelbar, das heißt, soweit sie nicht der Widerstand gegen das Schlechte ist, immer und ausschließlich gerade das Deckbild des Schlechten ist.«
Das ist von Adorno, nicht Kissler.
Ah, hab’ ichs nicht gesagt, es ist schon Dümmeres geschrieben worden. Aber der unbeholfene Rückgriff auf Goethe nutzt hier nix, dabei bleibe ich.
[gelöscht]
[gelöscht]
Die letzten beiden Kommentare habe ich gelöscht. Mögen die Herren ihre Zwistigkeiten anderswo austragen – hier nicht. Auf Wiedersehen. Oder, besser: eher nicht.
Oh, schade. Das waren gar keineZwistigkeiten. Das war ein höflicher Gedankenaustausch.
Der Anschluss ans System ist die Tugend der Stunde: Mehr bleibt dem auf Funktionalität Reduzierten auch nicht. Nur wird das immer gründlicher, ein bisschen Mittun genügt nicht mehr: Dabei sein von Anfang an! Niemand will draußen sein! Und wie die Blödheiten sonst noch lauten. Das Verhängnisvolle der Phrasen ist weniger dass sie das Nachdenken verhindern, als dass sie eine Art kollektive Abholbereitschaft vorbereiten und sicherstellen (besonders dort, wo man sich weniger gut auskennt und dort wo man ungenau hinsieht). Auch wenn man sich dessen bewusst ist, irgendetwas bleibt hängen, das oftmals Gehörte wird vertraut. Hüten muss man sich, da lag Adorno völlig richtig, gerade vor dem, das schön klingt, von sich aus gut und wohlmeinend daher kommt, ja unschuldig erscheint. Auch, weil Begriffe umgedeutet und ihre Bedeutungsfelder verschobenen werden (darin sehe ich die größere Gefahr). Dazu passt, dass das Wedeln mit dem Fähnlein, also das Anzeigen korrekter Gesinnung, nicht: Argumentieren, Diskutieren, immer stärker in den Vordergrund rückt: Auch ich bin dabei! Kritik wirkt da immer mehr selbstkonstituierend, als dass sie noch etwas ausrichten könnte. Oder?
Die Frage ist, ob die von Kissler »Interregnum« genannte Periode tatsächlich vorübergehend ist oder ob sich hier dauerhaft neue Tugendzwänge aufbauen. Bereits jetzt muss man, um in bestimmten Kreisen beruflich reüssieren zu können, sozusagen »mit den Wölfen heulen«. Widerspruch ist längst Luxus geworden. Das ist allerdings nicht neu – jede Zeit hat ihre Gewissheiten und damit ihren speziellen Opportunismus erzeugt. Manches erledigt sich irgendwann von selber, anderes sickert dauerhaft ein. Die Gegenbewegung – das zeigt sich gerade in den USA – ist natürlich auch in ihrem Extremismus nicht wünschenswert.
#8 metepsilonema
Der Konformitätszwang, das Einlullende ist gegeben, Metepsilonema, und da hat Kissler recht. Will und Illner laufen überwiegend in diesem Modus. Auch die Nachrichtensendungen der hiesigen Öffis. Sowie der Spiegel.
#9 Gregor Keuschnig
Die Gegenbewegung in den USA und der Angloshphere und in France und soweiter (Dänemark, Finnland, Ungarn, Italien...) hat, wie alles Menschenwerk, ihre Schattenseiten, stimmt. Aber auch ihre Glanzpunkte, die ich hier beleuchten will. – Wer der Ansicht ist, dass der Brexit nicht grundsätzlich schlecht ist, kann sich bei Dominic Cummings auf dessen brillanten Blog umtun. Oder Douglas Murrays Artikel und Vorträge online zur Kenntnis nehmen, oder sein Buch The Strange Death of Europe lesen – deutsch bei Tichys.
Zu den Lichtblicken der Gegenbewegung in den USA zählt der formidable US Blogger Steve Sailer und die Psychologen Pinker, Peterson und Haidt sowie die Literturwissenschaftlerin Camille Paglia.
Es fällt auf, dass die Literaten auf diesem Feld weitgend abgedankt haben.
Murray könnte man dazurechnen, und als lose literarisch könnte man die enorm einflussreichen Komiker Joe Rogan und Dave Rubin mit ihren – allerdings ernsten! ‑Online-Interviewformaten ansehen: Rubin Report und Joe Rogan Experience.
Der Sozialpsychologe Jonathan Haidt leistet nicht allein mit seinen Forschungsarbeiten und Büchern und Vorträgen erhebliche Aufklärungsarbeit, sondern mit der Heterodox-Akademie auch eine konkrete organisatorische Arbeit. Er schuf eine soziale Gegenbewegung gegen die Verknuddelung des amerikanischen Geistes »The Coddling of the American Mind« (das neueste Buch – zusammen mit Greg Lukianoff) innerhalb der US-Unis. Großartig!
Der schottischstämmige Historiker Niall Ferguson gibt in diesem höchst einsichtsreichen NZZ-Interview einen Überblick über die Lage – und kommt auch auf Haidt und Deutschland zu sprechen:
https://www.nzz.ch/feuilleton/niall-ferguson-als-rechter-bist-du-ein-potenzieller-nazi-sozialisten-und-kommunisten-hingegen-sind-moralisch-einwandfreie-sozialdemokraten-ld.1467954
Die einzige deutschsrachige Zeitung, die über diese Dinge regelmässig und kenntnisreich bereichtet, ist die NZZ.
Online gibt es einiges über diese Leute bei Tichys und auf der Achse des Guten.
(»Die Presse« bringt manchmal was über diese Dinge, aber das verfolge ich nicht so genau.)
Naja, auf Tichys Einblick finde ich zu 90% tatsächlich nur Schrott – Dagegensein um Dagegenzusein. Ähnlich mit der »Achse«. Meinungsjournalismus möchte ich nicht mit Meinungsjournalismus austreiben. Daher sind solche Seiten meist Zeitverschwendung. Sie bilden nur ein Ventil für ihre Blase.
Die NZZ ist tatsächlich in vielen Dingen ein akzeptables Korrektiv.
@Dieter Kief
Das habe ich auch nicht bestritten. Ich glaube nur nicht, dass sich diejenigen, die zum Nachdenken befähigt sind, das von ein paar Phrasen austreiben lassen (die Frage ist eher, wer sie noch hören wird oder kann).
@ Gregor Keuschnig
Naja, 10 % bei TE sind schon eine Ausbeute. Mir reicht das. Was mich nicht intressiert, les’ ich einfach nicht.
Douglas Murray ist ein ertklassiger Autor, der in Deutschland wegen “Islamfeindschaft” nur bei Tichys vorkommt – unglaublich; das ist – ich sags mal ganz sanft: Argumentationsboykott, also imKern gegenaufklärerisch.
Dito Jordan B. Peterson auf der Achse. Die letzte Attacke von Elif Sharack im Guardian auf Peterson, Haidt usw. (Pinker, Sarrazin) wurde vom Perlentaucher munter weitererzählt – dass die Dame außer Ressentiment argumentativ gar nichts zustande brachte, spielt dann keine Rolle mehr: Hauptsache international renommierte Frau und gegen die Unterdrückung.
Erfreuliche Ausnahmen: Harald Martenstein und Ulrich Bahnsen in der Zeit sowie die unermüdliche Claire Lehmann mit ihrem online Wissenschaftsmagazin Quillette (20% Treffer).
@ metepsilonema
Ihre Anlyse teile ich, aber ihr letzter Satz scheint mir quietistisch oder ein wenig hoffnungslos. Ob Sie da nicht bereits den Irrlichtern Adornos aus dem Grand-Hotel Abgrund folgen?
Es scheint mir so: Wenn man wie Adorno das zweifellos tut, in den Sackgassen der Subjektphilopohie herumgeistert, weiß man am Schluß leicht nicht mehr, wo hinaus. Diesen philosophischen Irrgarten hat Habermas eigentlich sehr schön und fasslich ausgeleuchtet.
Man muss dann, würde ich sagen, bald einmal wieder konkret werden, und sorum wird dann auch viel leichter ein Schuh daraus. – Wer immer Argumentationsverbote aufstellt im Namen des Fortschritts oder des Multikulturalismus, wer immer das Gefühl über das Argument stellt, oder den Internationalismus für prinzipiell gerechtfertigt ansieht oder meint, dass Herrrschaft prinzipiell abzulehnen sei, oder dass es zwischen Männern und Frauen keine biologischen Unterschiede gebe, oder dass die Linke historisch schuldlos sei – die alle sind, wieder sehr mild ausgedrückt: Leute, die der zeitgenössischen Problemlage nicht Herr werden, weil ihre Konzepte die notwendige Trennschärfe / Komplexität vermissen lassen. Kissler hat recht mit seiner Phrasen-Kritik, aber es ist vielleicht nicht ganz verkehrt, derlei sprachkritische Überlegungen in dem ganz handfesten Rahmen der vier-fünf Punkte, zu verorten, die ich gerade genannt habe.
Hier ist noch einer der brillanten NZZ Artikel, die unmittelbar hierher gehören – ebenfalls ein Gespräch René Scheus, diesmal mit dem Stanforder Ideengeschichtler Robert Harrison:
https://www.nzz.ch/feuilleton/robert-harrison-kinder-sind-wir-in-unserer-anspruchshaltung-ld.1474483
Es ist schon frappant zu sehen, wie hier ein riesen Feld intellektueler Welterkundung im deutschsprachigen Raum weitgehend unbestellt bleibt wegen »Rechtsabweichung«.
@Dieter Kief
Ich bin in der Tat nicht (sonderlich) optimistisch, weil die durchschnittliche Fähigkeit zur Kritik gering ausgeprägt ist und die Strukturierung der Subjekte so einfach gelingt.
Wenn Sie noch formulieren, was Habermas ausgeleuchtet hat, wäre das schön, das würde mir nämlich helfen Ihre Position nachvollziehen zu können. Ich glaube, dass die Analyse des Aufklärungsprozesses von Horkheimer und Adorno richtig ist und das was die beiden als instrumentelle Vernunft beschrieben haben, das Handeln der meisten Menschen bestimmt. Eine Vernunft, die sich gegen Sinnlichkeit, Gefühl und Natur richtet, die nicht fähig ist, etwas, wie die beiden formulierten, mimetisch in sich aufzubewahren. Nehmen Sie einmal zwei Aspekte unserer Gegenwart und beziehen Sie diese darauf: Den Umgang mit Mobiltelefonen in der Öffentlichkeit (vor allem im Zusammenhang mit Kindern) und das Auftreten von Burnout bzw. Depression: Beides verweist auf eine Verletzung, Überspielung und Unterdrückung dessen was man als ästhetische Wahrnehmung bezeichnet. Was muss man seiner Eigenwahrnehmung antun, wenn man erst merkt wie schlecht es einem geht, wenn man unter dem Schreibtisch liegt? Warum schließt man sich selbst via Bildschirm oder Ohrenstöpsel permanent kurz? Ich muss in der Öffentlichkeit ständig Menschen ausweichen, die nicht mehr fähig sind, andere und sich selbst wahrzunehmen (und die folglich nicht mehr wissen, wann sie der ständige Input überfüllt). Der Gipfel von dem ist, dass viele Eltern ihren Bildschirmen mehr Aufmerksamkeit schenken als ihren Kindern: Soziale Beziehungen verkommen zu einem Nebenher, man beachtet und nimmt den anderen wie sich selbst nur mehr ungenügend wahr. In Summe: Unsere rational verengte Kultur richtet sich immer mehr gegen die Subjekte die sie hervorbringen, das ist ihr »Preis«. Das haben die beiden beschrieben und das ist immer noch richtig. Genauso wie es richtig bleibt, dass diese Verengung das, was an der Aufklärung richtig war, die Selbstkritik und Reflexivwerdung des Subjekts – wie wir gegenwärtig sehen –, unterminiert. Es geht im Kern also um eine Ausgewogenheit von Vernunft und Sinnlichkeit bzw. Gefühl. Und: Different sein zu können, ist das Maß, das an eine Gesellschaft gelegt werden sollte.
@ metepsilonema
Adorno kreist um sich selber – und folgt darin, so Habermas, einer ehrwürdigen Tradition. Man kann es dabei belassen.
Habermas Ausweg besteht darin, offene Fragen nicht in foro interno monologisch auszudeuten – sondern die Sujektkapsel aufzuspregen und dem frischeren Wind der sich intersubjekiv entfaltenden Vernunft Raum zu geben.
Das ist eine Weichenstellung, und es gibt nun zwei Neuigkeiten: a) Komnunikation tritt an die Stelle der früher als substantiell angesehenen fundamentalen Fragen unseres Lebens und wird zur neuen Leitfrage. b) Alles, was früher über lange Herleitungen zu der Frage wie man am besten leben solle erläutert und hin- und hergewendet wurde, wird nun gestrichen. Philosophie soll sich der Fragen nach dem guten Leben inskünftig enthalten.
Was passiert aber nun damit? – Nun, die Leute sollen sich darüber auseinandersetzen, und sollen es mit einander und gegeneinander auskarteln. Zuerst klärt man öffentlich , was man in Sachen X will. Wenn man sich nicht einigt, muss die Merhheit entscheiden.
Der Mehrheitsentscheid ist kein Beweis dafür, dass eine Position richtig ist. Er entscheidet aber darüber, was jetzt gemacht wird. Ob das richtig ist, muss sich zeigen.
Man muss im Zweifel erneut alles auf den Prüstand stellen, und sich anschauen, ob die Pro-Argumente gehalten haben, was sie versprachen, und ob die (unterlegenen) contra-Argumente nach wie vor so schwach aussehen, wie sie aussahen, als sie dazu führten, dass man X abgelehnt hat.
Zu beachten bei den öffentlichen Debatten ist, dass man die drei großen Wertsphären schön getrennt hält: Also dass man Dinge die im Grunde zu messen oder durch Messung zu bestimmen sind (=vulgo: Naturwissenschaften), trennt von den Dingen, die normativen Character haben (Gesetze, Konventionen, Sitten, Gebräuche) und diese beiden von der ästhetischen oder Geschmacks-Sphäre (das ist das Schema der drei kantischen Kritiken durch die Mühle der Neukantianer gedreht – eine der großen Entdeckungen des späten Neunzehnten, frühen Zwanzigsten Jahrhunderts auf den Grundfesten Kants).
Also die Adorno Stelle oben – davon bleibt nicht viel übrig, sobald man die von Adorno darin angesprochenen Probleme sortiert und nach dem (neukantianschen) Kant-Schema sortiert. Dann wird insbesondere klar, dass Adorno oben so tut, als ob die Fragen der Anteilnahme, die er in der Vorlesung über Moraltheorie anspricht, ans Rechtssystem zurücküberwiesen werden sollen zur besseren Klärung.
Mit Habermas (seufz – jetzt mehr »Faktizität und geltung«, seien Rechtstheorie) – man kommt aus solchen Fragestellungen nicht via Recht heraus, wie Adorno da andeutet, weil das Recht keine genuine oder vielleicht noch deutlicher: Keine besonders rein sprudelnde Quelle für die Lösung solcher Probleme wie das der Fremdheit oder der Migration usw. oder dem Umgang mit dem Fremden darstellt.
Das Recht ist lediglich ein Verfahren zur Regelung komplexerer praktische Probleme. Es stellt eine Möglichkeit dar, ethisches Handeln zu formen.
Aber entspringen tut die Ethik nicht dem Recht und angewiesen für ein gutes ehtisches Verständnis von der Welt ist man auch nicht ausschließlich darauf.
Es ist sogar so, dass das richtige ethische Verständnis von einer Situation durch das Recht verstellt werden kann. Viele der Fragen, die sozialstaatlich rechtlich zu regeln sind, sind ihrer Natur nach gar nicht rechtsförmig. Der Rechtsstaat ist ständig davon bedroht, dass er seine moralischen und sittlichen und ehtischen Energien an das abtrakter und abstrakter werdende Recht v e r l i e r t . Die Verrechtlichung von Lebensbereichen kann diese paradoxer Weise gerade unmenschlicher machen.
Man könnte also in dem obigen Adorno-Abschnitt ein Exempel dafür erkennen, wie man es nicht machen soll, denktechnisch. Es ist uns Nachgeborenen nun möglich zu sehen, dass die instrumentelle Vernunft auch das Rechtssystem affizieren kann: Dass das Rechtssystem deshalb alles andere als eine Versicherung gegen die Überhandnahme »systemischer Imperative« (Habermas, Theorie des Kommunikativen Handelns) darstellt, die unsere Lebenswelt in den Würgegriff nehmen. Es kann sich selber als ein »weiches Monster« (Kief/Enzensberger) entpuppen ( k a n n – man muss immer im Einzefall kucken) und steht dann gerade als ein Beispiel intrumentellen Handelns – uns entgegen.
Was das konkret heißt im Hinblick auf die sinnvollen Kontexte, in die eine Lösung für dieses und andere der drängenderen unserer Probleme zu findnen sind, habe ich oben skizziert unter #13// metepsilonema, dritter Abschnitt.
@Dieter Kief
Ich finde bei Adorno wie auch bei Horkheimer eine Analyse, die mir hilft, viele gegenwärtige Entwicklungen und mein mit ihnen einhergehendes Unbehagen zu erklären. Im Kern geht es dabei um die Instrumentalisierung der Sinnes- und Gefühlswelt durch eine von ihnen getrennte Vernunft. In jedem Kommunikations- oder Führungskräfteseminar lernt man heute, was man als Führungskraft sagen muss, um einen Mitarbeiter in eine bestimmte Richtung zu lenken, wie man bei einem Gespräch sitzen soll, um beim anderen einen bestimmten Effekt zu erzielen (z.B. um ihm Offenheit zu zeigen). Die Frage ist immer, was muss ich tun um etwas zu erreichen, nicht was tue ich im Einklang mit dem, was ich empfinde (hinsichtlich mir selbst, der Situation und meines Gegenübers). Daraus resultiert ein Handeln, das in der Tendenz gegen einen selbst gerichtete ist, aber auch gegen meine Mitmenschen. Das hat mich immer schon befremdet, lange bevor ich etwas von Adorno gelesen habe. Aber seine Erklärung warum das so ist, ist luzide.
Ich will nicht in eine Diskussion Adorno vs. Habermas, weil das unerquicklich ist und vom Thema wegführt, daher nur das Notwendigste: Ich kann nachvollziehen, dass man die Formulierungen Adornos und seine Art des Nachdenkens als ein im Kreis drehen verstehen kann; aber wenn wir das im Ausgangstext angeführte Zitat auf die Gegenwart beziehen, dann fallen mir sofort die Kriege der vergangenen Jahre ein, die im Namen von Menschenrechten und Demokratie geführt wurden (vgl. »[...] auf der anderen Seite ist das Gute, das sich selbst als Positivität aufwirft, anstatt nur das Böse als Index seiner selbst zu sehen, zu dem Bösen geworden«). Sicher ist die Formulierung schriftstellerisch und deutbar, aber dennoch treffend. Oder? Und ich glaube nicht, dass Adorno mit »Recht« und »Unrecht« kodifiziertes Recht meint, aber ich mag mich irren.
Die Subjektkapsel hat nur einen Eingang, jenen über die Sinne. Das gilt auch für das, was Sie Kommunikation nennen. Was ist gewonnen mit einer intersubjektiv sich entfaltenden Vernunft, wenn deren Verselbstständigung unser Problem ist? Eine wie immer auch argumentierende, diskutierende, kommunizierende Vernunft muss genauso auf die sinnliche Welt bezogen bleiben, sonst verrät sie diese. Jene leere Sprache, die sich um das Physische nicht kümmert und den anderen stets zu manipulieren versucht, ist auch Kommunikation, genauso wie es vernünftig ist, den Systemschluss mitzumachen und zu jubeln, wenn es für die Karriere wichtig ist (es mag für einen selbst vielleicht schlecht sein, aber das ist eine Frage der Wahrnehmung und erst dann eine der Vernunft). — Verzeihung, wenn ich polemisch bin und das mag nicht Habermas’ Schuld ist, aber wozu hat das kommunikative Paradigma denn geführt? Doch zu einem Haufen ungebundenem Gerede, allerorten und das ist auch völlig klar, wenn gerade die substanziellen Fragen außen vor bleiben.
@ metepsilonema
Adorno hat schon auf das formale Recht gesetzt. Und jetzt wurde in Frankfurt, am Institut für Sozialforschung, unter der Leitung von Martin Seel ausdrücklich in den Fußstapfen Horkheimer/Adornos ein Sonderforschungsbereich migrantisches Recht aufgemacht mit dem Ziel, die ganze Welt zu einem für Migranten prinzipiell offenen, also prinzipiell grenzenlosen Raum zu machen; und das rechtstheoretisch abzusichern. Das wird auf allen Ebenen durchgzogen – EU-Recht, Bundesrecht, UN-Migrationspakt. Die anywheres versuchen der somewheres Herr zu werden.
Ein Fehler liegt tatsächlich in Horkheimer/Adornos subjetphilosophischen Denk-System oder vielleicht besser: In den Grenzen, in denen Horkheimer/Adorno – wie viele andere (nicht zuletzt deren Antipode Marin Heidegger) – subjektzentriert dachten.
Insofern ist das berühmte Beispiel, das Gregor Keuschnig hier hergestellt hat aus Adornos Vorlesungen über Moralphilosophie keineswegs zufällig, sondern steht für eine bei Adorno durchgängige Tendenz. Wers mir nicht glaubt, kann das en détail in Habermas’ »Der Philosophische Diskurs der Moderne« nachlesen.
Systematisch ist das kein Wunder, denn Horkheimer/Adorno stehen – für Neomarxismus. D. h. für die Idee, es müsse eine – zunächst – intellektuelle Gegenwelt gegen den voller Übeln steckenden Kapitalismus geschaffen werden; die Merkmale dieser Gegenwelt aber sind, auf ihren Kern reduziert: Herrschaftskritik und Internationalismus – gepaart mit der Gleichheitssidee und Atheismus: A l l e vom Opium der Religion entwöhnten Menschen – werden nach Marx Brüder (und nun halt auch Schwestern – oder gleich Schwestern!)
Diese Dinge wandeln sich unablässig. So hat sich mit der Zeit ein Feld herauskristallisiert, das vor dem Hintergrund des Neomarxistischen Gleicheitspathos
die Menschenrechte betont und stärkt.
Im Grunde ist das die Quadratur des internationalistischen Marxistischen Kreises: Da alle Menschen gleich sind, sind sie auch gleichberechtigt, und da alle gleichberechtigt sind, kann man auch keinen mehr ausschließen. – Das aber heißt in der Konsequenz: Die Marxistischen internationalistischen unversalistischen Anywheres siegen über die beschränkten, neurotischen, anal-sadistsichen, provinziellen, tendenziell nazistischen und deshalb zumindest latent homophoben und Islam- und frauenfeidnlichen, antisemitischen und autoritätsgläubigen rassistischen Somewheres – wie z. B. – naja: Somewheres wie die Schweizer – oder die Dänen neuerdings und ganz sicher die Norweger und die Mehrheit der englischen Wählerinnnen und Wähler usw. ...
Und an dieser Stelle machen eben Leute wie Robert Putnam und Jonathan Haidt und Camille Paglia und Steve Sailer und Charles Murray und Thilo Sarrazin und Eric Weinstein und Steven Pinker und Claire Lehmann und – - – - als einer der ganz seltenen Deutschen unter den aktiven Profs: Der Konstanzer Evolutionsbiologe Axel Meyer langsam nicht mehr mit. – Sowie die Achse des Guten, Tichy’s Einblick, TUMULT, und – was die intellektuelle Trennschärfe angeht – vor allem die NZZ.
Jetzt hab’ ich Ihre Anklage der verlogenen oder einfach schlichten und groben und manipulativen Experten für Unternehmenskommunikation usw. gar nicht berücksichtigt. Nur soviel: Wer würde bei klarem Verstand solche Leute oder Geisteshaltungen gutheißen? Andersherum: Ich denke, da sind wir uns einig.
PS
Es gibt natürlich auch respektable Unternehmenskommunikationseperten.
Da wirds schon kniffliger: Aber ich denke, grundsätzlich wären wird uns auch da noch einig. Oder? Komisch ist: Mir will grad’ außer Dilbert keiner einfallen. Dilbert ist aber wirklich komisch. Und: Ha – der Verfasser des Dilbert ist so ein Unternehmenskommunikationsexperte, den man, denke ich , als respktable Figur ansehen kann: Scott Adams. Das wäre wohl auch – Steven Pinker – und Cyril Northcote Parkinson. In gewisser Weise auch George Lakoff – na ja – wenigstens partiell.
Ich halte aber dafür, dass die Unternehmenskommunikation ein Nebenkriegsschauplatz ist. Die aktuellen Hauptkonfliktlinien laufen durch meine Punkte, dei ich oben unter #13 metepsilonema Absatz 43 genannt habe.
@Dieter Kief
Aus dem Zitat oben: »[...] auch dem sein Recht zu geben, was anders ist, und zu fühlen, daß das wahre Unrecht eigentlich immer genau an der Stelle sitzt, an der man sich selber blind ins Rechte und das andere ins Unrechte setzt« geht das nicht hervor. Und wenn jemand an Adorno anknüpft, gerade wenn es um ein Forschungsprojekt geht, man also Gelder dafür benötigt, sagt das nicht viel, da ist jeder willkommen, der einen Namen hat. Sie drehen da einen Zusammenhang zusammen, der nicht hält (Ein Zitat von Adorno nach dieser Quelle, die Sie kennen):
„Das geläufige Argument der Toleranz, alle Menschen, alle Rassen seien gleich, ist ein Bumerang. Es setzt sich der bequemen Widerlegung durch die Sinne aus, und noch die zwingendsten anthropologischen Beweise dafür, daß die Juden keine Rasse seien, werden im Falle des Pogroms kaum etwas daran ändern, daß die Totalitären ganz gut wissen, wen sie umbringen wollen und wen nicht. Wollte man demgegenüber die Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, als Ideal fordern, anstatt sie als Tatsache zu unterstellen, so würde das wenig helfen. Die abstrakte Utopie wäre allzu leicht mit den abgefeimtesten Tendenzen der Gesellschaft vereinbar. Daß alle Menschen einander glichen, ist es gerade, was dieser so paßte. Sie betrachtet die tatsächlichen oder eingebildeten Differenzen als Schandmale, die bezeugen, daß man es noch nicht weit genug gebracht hat; daß irgend etwas von der Maschinerie freigelassen, nicht ganz durch die Totalität bestimmt ist. Die Technik der Konzentrationslager läuft darauf hinaus, die Gefangenen wie ihre Wächter zu machen, die Ermordeten zu Mördern. Der Rassenunterschied wird zum absoluten erhoben, damit man ihn absolut abschaffen kann, wäre es selbst, indem nichts Verschiedenes mehr überlebt. Eine emanzipierte Gesellschaft jedoch wäre kein Einheitsstaat, sondern die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen. Politik, der es darum im Ernst noch ginge, sollte deswegen die abstrakte Gleichheit der Menschen nicht einmal als Idee propagieren. Sie sollte statt dessen auf die schlechte Gleichheit heute, die Identität der Film- mit den Waffeninteressenten deuten, den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann. Attestiert man dem Neger, er sei genau wie der Weiße, während er es doch nicht ist, so tut man ihm insgeheim schon wieder Unrecht an. Man demütigt ihn freundschaftlich durch einen Maßstab, hinter dem er unter dem Druck der Systeme notwendig zurückbleiben muß, und dem zu genügen überdies ein fragwürdiges Verdienst wäre. Die Fürsprecher der unitarischen Toleranz sind denn auch stets geneigt, intolerant gegen jede Gruppe sich zu kehren, die sich nicht anpaßt: mit der sturen Begeisterung für die Neger verträgt sich die Entrüstung über jüdische Unmanieren. Der melting pot war eine Einrichtung des losgelassenen Industriekapitalismus. Der Gedanke, in ihn hineinzugeraten, beschwört den Martertod, nicht die Demokratie.“
Neomarxismus? Wenn, dann Freudomarxismus. Mich würde aber viel mehr interessieren, was das – wie die Subjektzenrismuskritik – nun mit der von mir angeführten Analyse des Aufklärungsprozesses bzw. der Moderne zu tun hat. Um die geht es doch (mir jedenfalls). Und lassen Sie bitte das Namedropping, das ersetzt keine Argumente.
Wenn wir uns einig sind, dass die Art und Weise wie in der Ökonomie vielfach kommuniziert wird, problematisch ist, weil sie einen Mitarbeiter als steuerbare Verfügungsmasse ansieht (daraus resultiert dann das, was man Humankapital nennt); wenn wir ins Auge nehmen, dass Begriffe wie der der Ressource, die genau dasselbe Denken enthalten heute in pädagogischen und Sozialberufen zum festen Bestand gehört, dann wird doch deutlich, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall, sondern ein kulturelle Entwicklung handelt, es ist eben kein Nebenschauplatz, sondern ein Spezialfall, der beispielhaft für das Allgemeine steht. Ist das denkbar für Sie?
@ metepsilonema #18 (u. #13)
Man muss aufpassen, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht übersieht. Es ist eine soziale Tatsache, dass Habermas in dem nicht unerheblichen Buch »Der Philsopshische Diskurs der Moderne« zeigt, dass dem Adornoschen Denken etwas Substantialistisches eignet, und dass Adorno diese Eigenschaft ironischerweise mit seinem Groß-Antipoden Heidegger teilt (auch mit Derrida).
Mit Habermas gesprochen: Man kann alles so sagen, wie Adorno oben, aber man wird sich nichts vergeben, wenn man anerkennt, dass es nicht reicht, auf den Kapitalismus oder die Ökonomie als Sündenbock zu verweisen.
Das heißt ganz und gar nicht, dass man nicht Dinge am Kapitalismus kritisieren soll. Es kann freilich nicht schaden, sich klarzumachen, dass das Maß an Selbstbestimmung und Freiheit, das unter den Bedingungen des (sozialsaatlich gezähmten!) Kapitalismus erreicht worden ist, weltgeschichtlich seinesgleichen sucht.
Um es noch weiter zu vereinfachen: Fragen der praktischen Politik werden nicht dadurch leichter kösbar, dass man sich der Illusion hingibt, sie seien erst dann wirklich anzupacken, wenn die Systemfrage zufriedenstellend beantwortet wäre. Habermas ist mit Schwung anti-revolutionär, Adorno – und Marcuse insbesondere, – waren da zumindest zweideutig.
Habermas’ Haupteinwand an dieser Stelle ist: Dass ethische und ästhetische Fragen in streng ökonomischen Kontexten nichts zu suchen haben. Punktum. Und dass diese Systemdifferenzierung gut ist und sogar einen Fortschritt darstellt.
Wo Adorno nach der mimetisch zu vollziehenden Großversöhnung zwischen aller leidenden Kreatur auf Erden unter den Auspizien der kruden bestehenden politischen Realität seherisch greift, redet er irre. (Spuren dieses Irreredens finden sich auch in dem langen Adorno-Zitat Gregor Keuschnigs – es ist auch dort die Illusion genährt, es könne und solle sozusagen jeder jedermanns Nächster sein – das ist der Kern von Adornos obigem Irrtum – und der ist interessanter Weise ein theologisch fundierter Irrtum, denn er überträgt unausgesprochen das Gebot der Nächstenliebe auf das Feld der Ethik und unter der Hand wird Adorno daraus ein Gebot selbst der Fernstenliebe – und das genau ist die falsche Verheissung des Marxistisch inspirierten Internationalismus, die aktuell in Gestalt offener Grenzen eingefordert wird – nicht ganz zufällig an Horkheimer/Adornos einstigem Institut, unter der Leitung von Martin Seel , einem direkten Nachfahren sozusagen, der alten Frankfurter. Mein schlichter einwand lautet: Diese Fernstenliebe geht einfach nicht – und eine solch Ethik ist im Kern monströs und in ihrer gnadenlosen Überforderung dessen, was wir als Einzelwesen zu schaffen vermögen, unmenschlich).
Derlei Denken zeugt zwar von durchaus österlicher Erlösungshoffnung, fällt aber beim philosophischen (!) Habermasischen Realitätstest durch. Die Ökonomie folgt zunächst eigenen Gesetzen, und das ist nicht schlecht, sondern sinnvoll und sehr sehr hilfreich: Ein wirklicher Fortschritt – cf. Steven Pinkers neuestes Buch »Aufklärung jetzt!«, das zu diesem von den Neomarxianern gerne übersehenen – wo nicht rundweg bestrittenen ‑Punkt enorm viele und durchaus instruktive Beispiele aufführt.
Das Gleiche lässt sich auch in Sachen Ressource und Sozialpädagogik oder Pädagogik sagen. Man muss im Einzelfall (!) zeigen, welcher Gebrauch von diesen Vorstellungen gemacht wird, und warum dieser spezifische Gebrauch jeweilen falsch wäre. Es gibt hier nicht mehr die Abkürzung des Marxschen (oder Marxistischen) Adlerblicks, so Habermas. Ich würde aus eigener Kenntnis anfügen: Es gibt auch Fälle, wo von dem Begriff der persönlichen Ressource(n) ein durchaus sinnvoller Gebrauch gemacht wird. Und der hat eine ehrwürdige Tradition, nur dass man früher nicht von Ressourcen, sondern vom Vermögen jedes Einzelnen sprach, im Sinne von Fähigkeiten. So gesehen ist das ein ganz menschenfreundliches aufklärersiches Konzept. Aber diese positiven Beispiele sprechen nicht grundsätzlich gegen Ihren Einwand.
Vom Ökonomen Marx bleibt verständlichrweise auch kaum was übrig – gerade wegen der sozialstaatlichen Zähmung des Kapitalismus, die auch in meinen Augen als alter Reformist ein erhebliches (und sehr sehr erfreuliches) Faktum darstellt. Tatsache scheint zu sein, dass Adorno nach dem Krieg jedenfalls SPD gewählt hat – und nicht die Gesamtdeutsche Volkspartei Gustav Heinemanns und des jungen Erhard Epplers, oder die KPD oder wen. Sagt jedenfalls irgendwo Jürgen Habermas, ganz nebenbei.
Ich bin lax mit den Begriffen Neomarximus oder Freudomarxismus. Es läuft auf das gleiche hinaus in allen konkreten Zusammenhängen, und wenn ich mir die Linke vor Ort anschaue und/oder mit Linken diskutiere, versteht oft kaum noch wer, dass da überhaupt ein Unterschied zu machen wäre. Normalerweis zählt man die alten Frankfurter ausrücklich zum Neomarxismus, sagt aber, es handle sich bei etlichen dieser Neo- um – - – Freudomarxisten. Eh.
Naja, die Abneigung gegenüber Adorno mag eine Sache sein. Aber das pauschale Wegwischen gewürzt mit dem Attribut »neomarxistisch« kann eigentlich nur zwei Gründe haben: Entweder man kennt von ihm nichts. Oder man will sich ihm vom Leibe halten.
Ich möchte, dass an der Sache diskutiert wird und man doch wenn irgendwie möglich xenophoben Statements, die nichts mit den aufgeworfenen Fragen zu tun haben, unterlässt.
Zur Hergehensweise: Das Adorno-Zitat hatte jemand auf Facebook gepostet. Zunächst dachte ich, es sei aus dem Zusammenhang gerissen und bestellte mir das Buch, in der die Moralphilosophie-Lesungen abgedruckt sind. Tatsächlich entspricht es dem Tenor dort.
Zu spüren ist hier Adornos Unbehagen an einem Revoluzzergeist, der erst Jahre später die Universitäten brachial heimsuchen und dessen »Opfer« er werden wird. Nicht umsonst gab es das Habermas-Wort über die APO und den dort agierenden »linken Faschisten«, das Adorno im übrigen verteidigte. Interessant ist es, weil es eben von 1963 stammt – Adenauer ist noch Bundeskanzler; später im Jahr kommt Erhard [besser wird es nicht]. Das Paradoxon geht dahin, dass im Laufe von politischen Prozessen aus den Guten, die das Gute wollen, die Bösen werden, weil sie sich selbst ermächtigt sehen, das Böse zu definieren und dann irgendwann selber zum Bösen werden. Die Beispiele hierfür sind zahlreich. Daher ist Adornos Befund nicht »irre« (nebenbei disqualifiziert man sich doch selber, wenn man so etwas schreibt). Er ist auf verblüffende Art und Weise zeitgemäss.
Ehrlich gesagt bin ich zu müde, den zum Teil hanebüchenden Unfug von Herrn Kief zu analysieren oder gar aufzudröseln. Draußen ist einfach zu schönes Wetter.
Adorno ist ein Neomarxist reinsten Wassers. Der Nachweise sind unzählige. Ich weiß nicht, was es soll das Offensichtliche und weitherum Bekannte zu skandalisieren oder in Frage zu stellen.
Für ganz große Skeptiker empfehle ich, im Philosophischen Wörterbuch (Hamburg, 2005) aus dem (renommierten, bitteschön!) philosophischen Fachverlag Meiner nachzuschlagen. Es gibt da ein eigenes Stichwort für Neomarxismus – und da findet sich das, was ich geschrieben habe in haarkleinem Detail belegt. – Ich bin bass erstaunt – nicht nur über diesen Einwand, ehrlich gesagt.
Hier war auch schönes Wetter, aber nun ist es dunkel geworden, ne.
@Dieter Kief
Es wäre schön, wenn Sie mich nicht dauernd als fiktiven Adorno-Jünger angriffen, ich sozusagen projektiv für einen solchen herhalten muss. Mir geht es immer wieder so, ähnlich wie Gregor oben schrieb, dass ich verblüfft bin, wie aktuell vieles ist, was ich bei ihm lese. Wenn Sie mir schreiben, dass Habermas dieses oder jenes eingewandt hat, ist das gut und schön. Sagen Sie mir doch, warum das im gegebenen Kontext schlagend ist. Ich sehe nicht, dass ich über Menschen oder menschliche Belange diskutieren kann, ohne eine wie auch immer geartete Wesens- oder Substanzbestimmung vornehmen zu müssen. Und sei es nur die Annahme, dass wir als Angehörige einer Gattung bestimmte Merkmale teilen.
Ästhetik meint das sinnlich Wahrgenommene (nicht das Schöne und nicht den Geschmack). Wie soll das aus der Ökonomie draußen bleiben? Eine Ware ist nun einmal dinglich und wird wahrgenommen. Und Kosten‑, Preis‑, Effizienz- und Nützlichkeitsforderungen haben Auswirkungen darauf, wie wir der Welt um uns begegnen, und davor noch wie wir sie wahrnehmen. Als ästhetisches Wesen müsste ich mich selbst verleugnen, um ihrem Kriterium zu genügen.
Ja, seherisch kann man das schon nennen. Wir hatten oben doch Konsens darin, dass diverse, heute übliche Phrasen, auf eine Eintracht hin zielten oder diese erreichen, wenigstens suggerieren wollen. Den »[...] den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann [...]« wäre doch ein Ansatz. Ich jedenfalls sehe mich immer wieder damit konfrontiert, eigentlich nicht dazugehören zu wollen, aber eine Nötigung dazu doch verspüre. Oder schätzen Sie das Wort alternativlos? Vielleicht kann man aus dem Zitat auch eine Fernliebe ableiten, aber muss man das?
Witzig, dass gerade Sie im Fall meiner Argumentation auf den Einzelfall pochen, davor aber Adorno als Neomarxisten und von Habermas kritisierten rundheraus ablehnen. Ist es in ihrem Verständnis nach legitim eine Reihe von beobachteten Einzelfällen zu verallgemeinern oder darf man das – vielleicht laut Habermas – nicht? Was könnten wir sonst tun? Über Einzelfälle kommunizieren? — »Ich vermag etwas«, »ich bin fähig zu« und »ich habe Ressourcen für« ist semantisch nicht dasselbe, das eine streicht ein Können heraus, das andere bezieht sich auf die Mittel, die notwendig sind. Natürlich muss man einen veränderten Sprachgebrauch nicht als Zeichen für eine bestimmte gesellschaftliche Entwicklung sehen, aber bloß zufällig wird der nicht stattfinden. — Ich weiß schon, dass wir auf hohem Wohlstandsniveau über Dinge diskutieren, die beim raschen Hinsehen lächerlich erscheinen, trotzdem kann es sein, dass diese Entwicklung (der Wohlstand) mit (immer größeren) Nachteilen auf einer anderen Seite erworben wird. Dahingehend kann man sich überlegen was sinnvoll ist, von dem was man tut, was man muss und was nicht.
Übrigens trägt Adornos Denken im Sinne einer radikalen Kritik an der Aufklärung durchaus konservative Züge, steht aber möglicher Weise nicht im Wörterbuch...
Ja Adorno ist konservativ, er verachtet die Populärkultur, den Western, den Jazz und was nicht alles – den Schlager, Happenings, barbusige Frauen in der Öffentlichkeit. Liebt aber dafür das Deutsche Landstädtchen, – wenigstes das, das es einmal gab.
Dass man auch mal schwach sein darf – ein wunderbares Gefühl, das die Leute Koseworte füreinander sagen lässt: Baby, Schatzi, Hase usw. Teddy, hehe – es gab Menschen, die zu Adorno Teddy sagten. Dennoch hat er diese Sphäre nicht durchweg geschätzt. In einem vollbesetzten Bierzelt beim Maibock und lauthals gesungenen Schlagern- no go! Nähe schon – aber keineswegs so. Ein guter Roman über u. a. Adorno: Die Rothschilds von Hermann Peter Piwitt, der bei ihm studierte. Adorno firmiert darin als Tivoli Kunst. Das war frech, ging damals (19772) aber so grade eben noch durch. Auch der Titel ging damals noch. Piwitt schrieb – ganz anders, als er es bei Adorno gelernt hatte, natürlich erst recht über den Schlager. Er schrieb auch das da auf dem Umschalg des Buches, es wird Ihnen gefallen: »Der Roman ist eine Landschaft des Gedächtnisses. In einem Augenblick, in einem Geruchsreiz zum Beispiel, der von einem halb abgeblühten Apfelbaum ausgeht, zusammengedrängt eine Masse von Tagen. Zum Beispiel das Jahr ’58: Morgendämmerungen mit Amseln, die Packung »P 4«, kalte Straßenbahnen in der Frühe, Baldus’ Fahrrad, Rebeccas Parfum, die mütterlichen Litaneien, Frankfurt vor der Zerstsörung durch Banken, Versicherungen und Grundstücksspekulanten, die Bockenheiemr Landstraße während der Kastanienblüte, der Eiserne Steg, Erhards und Gerstenmeiers Reden, Paul Ankas »Diana«, die Nachkriegskarriere Onkel Rashas, die Münsterländer Bucht nach dem Krieg, die Nachkriegszeit als Ausbeutungidylle, der Philoemitismus als Form, über den Ursprung des Faschismus aus der kapitalistischen Wirtschaftsweise zu schweigen, das Baby Doll Kleid.«
Die Ökonomie als funktionaler Teilbereich betrachtet braucht die Ästhetik nicht – da geht es um Zahlen und Vorschriften usw. Profite. Habermas hat es für gut befunden, sich klar zu machen, dass es diese funktionalen gesellschaftlichen Teilbereiche mit ihren speziellen Logiken gibt.
Es gibt daneben auch ästhetische Fragen, die im Zusammenhang mit der Wirtschaft stehen. Aber das ist ein mittelbarer Zusammenhang. Der Kern ist ein anderer.
Hm, nein, ich spüre da keinen Widerhall...
Natürlich braucht die Ökonomie keine Ästhetik. Aber vielleicht wäre sie einzufordern? Fragen wir von einer anderen Seite: Was ist der Sinn ökonomischen Handelns? Wenn es ein Teilbereich der Gesellschaft mit einer eigenen Logik ist, wie steht er im Bezug zu ebendieser? Er kann ja nicht Teilbereich einerseits sein und andererseits keine Verbindung mit der Gesellschaft haben. Dient die Ökonomie dem Menschen, indem sie seine Lebensbedingungen verbessert oder geht es bloß um den Profit um jeden »Preis«? Was, wenn sich ökonomische Logiken, also die eines Teilbereichs der Gesellschaft immer stärker auf die gesamte ausbreiten, wie würden Sie das bewerten? Wenn Bildung, wie in der Humankapitaltheorie, als Investiton verstanden wird, ist das doch die Überschreitung einer Grenze oder wenigstens eine einseitige Vereinnahmung. Spätestens da wären dann die ästhetischen Einwände im Recht.
# metepsilonema 24
»Wenn Bildung, wie in der Humankapitaltheorie, als Investiton verstanden wird, ist das doch die Überschreitung einer Grenze oder wenigstens eine einseitige Vereinnahmung. Spätestens da wären dann die ästhetischen Einwände im Recht.«
Ja, aber das hatten wir oben schonmal.
Es ist nicht falsch, die Ökonomie zu kritiseren. Es ist aber falsch zu denken, der Marxsitsiche Weg sei ein Ausweg. U. a. weil die globale Marxistische Kritik die Steuerungs- und Differenzierungsgewinne ignoriert, die der Kapitaslismus andauernd hervorbringt.
Man kann den Sozialstaat so verstehen, dass der Kapitalismus lernfähig ist und den Untergang des Kommunismus (oder Venezuelas) als Beispiel dafür nehmen, dass das Kommunistische System sytemische Defizite hervorbringt, die es (zu unser aller Nutz und Frommen) in aller Rgel scheitern lassen.
Zizek und Petersons Debatte ist gratis online – da wird das auch durchgenommen – und Zizek sagt klipp und klar: Marx’ Geschichtsphilosophie, seine Religinskritik und sein Glücksversprechen (=der Kommunismus als Himmel auf Erden) seien allesamt – - – gescheitert. Tja.
Der Arno Frank auf spon resumiert gleichwohl, Zizek habe die Debatte haushoch gewonnen. Puh.
Ob Adorno nun »Neomarxist« ist, Schlager mochte oder kleine Kinder zum Frühstück verspeiste – das, @Dieter Kief, spielt für die Beurteilung des Zitats keine Rolle. Alles andere sind Glasperlenspiele, die Sie hier vornehmen, die vom wesentlichen wegführen. Ihre Referenzen beziehen Sie aus »renommierten« Quellen – und machen den gleichen Fehler wie die Erregungs- und Phrasendrescher: Sie argumentieren nicht, Sie meinen – Sie setzen Ihre Meinung absolut und suchen nun nach Verbündeten, die Sie in elliptischen Bewegungen immer wieder zitieren. Alles andere wird ausgeblendet. Alleine dass Sie die Debatte Zizek/Peterson bewerten wie ein Fußballspiel zeigt dies. Kein Mensch von Verstand würde so etwas als »Resultat« heranziehen (dass es Spiegel Online macht, gilt nicht, weil es Journalistenschreibe ist, so zu denken).
Was ist daran so kompliziert, wenn ich Adornos Vorbehalte gegen die revolutionären Umtriebe, die sich in den 60ern andeuteten, aufschreibe und dazu die Parallelen zu heute ziehe? Ich finde das nämlich interessant, weil dies dem landläufigen Urteil widerspricht, Adorno hätte das begrüsst. Hat er auch, aber er hat eben auch die Gefahren gesehen. Ob der Marxismus gescheitert ist oder nicht ist dabei vollkommen unerheblich. Da Sie aber keine Argumente haben oder zur Sache nicht argumentieren wollen, zünden Sie diese Nebelkerzen. Sie sind wie einer dieser Pyro-Fußballfans, die ihre Leuchtraketen bei Ärger oder Zustimmung zünden und das Spielfeld dabei im Nebel lassen. Am Ende sieht man nichts mehr außer Egomanie.
Ich werde morgen den Thread und die Kommentare schließen.
Internet-Faustregel, Gregor Keuschnig: Ad hominems zeigen, dass einer eine Debatte für verloren ansieht.
Der Neomarxismus mit seiner ewigen Herrschaftkritik, verstrickt in die Aporien der Subjektphilosophie, hilft mit Blick auf Kisslers Phraseologie als Herrschaftkritik nicht weiter. Dass man derlei Erwägungen für Nebelkerzen halten kann, will ich Ihnen gerne glauben, richtig ist Ihr Verdikt aber keineswegs.
Dass Sie bereits die Bezugnahme auf spon in kritischer Absicht (!) schlechtreden lässt mich in der Tat verwundert zurückfragen: Ist das Ihr Enst?
Es ist Ihr freilich Ihr blog. – Schöne Feiertage!
Herr Kief, was Ihr Ernst ist, wage ich nicht zu fragen. Sie sind nicht fähig eine Diskussion auf dem Niveau eines Themas zu führen. Wenn Sie nicht mehr weiterwissen, eskalieren Sie auf Nebenzweige, die Sie aufplustern und in denen Sie dann herumwühlen.
In der ganzen Diskussion um das Adorno-Zitat in meiner Kissler-Besprechung haben Sie nicht ein Argument genannt, warum es in dem von mir gesetzten Zusammenhang falsch ist. Oder passte es damals in die Zeit nicht? Oder passt es nie, weil es per se falsch ist? Wir werden es von Ihnen nie erfahren, weil Ihnen die Person Adorno in diesem Zusammenhang nicht passt.
Dabei haben Sie in Ihrem ersten Kommentar dieses Zitat gar nicht als Zitat von Adorno erkannt. Ich musste Sie darauf hinweisen. Damals schrieben Sie )inklusive Schreibfehler):
»Das ist zu abtrakt, und daher nicht mehr trennscharf und auch nicht aussagekräftig, ja sogar falsch und verwirrend.«
Was bedeuet denn »ja sogar falsch«? Inwiefern? Was ist daran »verwirrend«?
Sie postulieren und mutmaßen dann (weil Sie nicht richtig gelesen haben):
»Es kommt mir vor wie ein verunglückter Goethe-Nachall (Mephisto).«
Als Sie erfuhren, dass es von Adorno war, fiel Ihnen nichts Anderes ein, als das Zitat durch Adornos »Zugehörigkeit« als »Neomarxist« zu denunzieren. Dieser Logik nach müssten ja Alexander Kissler mindestens ebenfalls »Neomarxist« sein, denn den hatten Sie ja ursprünglich für den Autor gehalten.
Damit war für mich die Diskussion eigentlich erledigt, zumal ich von einigen Lesern Post erhielt, wie lange dieses Spielchen noch weitergehen soll. @metepsilonema hat dann den Faden aufgenommen, Ihnen Fragen gestellt, die dann wiederum in Ihrem Stil »beantwortet« wurden (nämlich gar nicht). Das ist der Grund für mich, die Diskussion jetzt zu beenden. Es ist fruchtlos; reine Zeitverschwendung. Sie haben Ihre Meinung mehr als deutlich genannt, Nachfragen nicht beantwortet, sondern mit anderen Behauptungen, die nichts mit der jeweiligen Sache zu tun hatten, gekontert. Haben Sie sich wohl und ein langes Leben.