Da haben wir also wieder einmal einen zünftigen Skandal. Endlich. Da hat der chinesische Autor Mo Yan den Literaturnobelpreis bekommen – und reagiert dabei so gar nicht, wie man sich dies wünscht. »Empörung über regimefreundliche Äußerungen von Mo Yan« titelt exemplarisch die »Zeit«. Im hastig zusammengeschriebenen Artikel steht die Anklage schon im Untertitel: Der Schriftsteller habe die chinesische Zensur verteidigt und dies in einer Pressekonferenz mit den Kontrollen am Flughafen verglichen. »Verleumdungen, Verunglimpfungen, Gerüchte und Beleidigungen muss man schon zensieren«, so wird Mo Yans Äußerung zitiert. Der »Zeit« reicht dies, die Stimmen der Empörten lawinenhaft auszubreiten.
Wäre es nicht ein Fall von journalistischem Ethos (in diesen Zeiten?) gewesen, Mo Yans Äußerungen vollständig und kontextuell einwandfrei zu zitieren? Er sagte:
I’ve never given any compliments or praised the system of censorship but I also believe that in every country of the world, censorship exists. […] The only difference is in the degree and way of censorship. Without censorship, then any person could on television or online vilify others. This should not be allowed in any country. As long as it is not contrary to the true facts, it should not be censored. Any disinformation, vilification, rumors or insults should be censored.
Zitiert wird – nicht nur in der »Zeit« – nur der letzte Satz, und dies auch noch entstellend. Tatsache ist ja, dass Verleumdungen, Schmähungen und Verunglimpfungen auch im deutschen Rechtssystem strafbewährt sind und zu »Zensurmassnahmen« (wenn man dies denn so bezeichnen will) führen können. (Von der »Zensur«, die »Auschwitz-Lüge« als Volksverhetzung unter Strafe zu stellen, gar nicht erst geredet.)
Das deutsche Feuilleton ficht das nicht an. Fast unisono verknappen sie auf die Schlagzeile Mo Yan rechtfertige das chinesische Regime und deren Zensur. Dass Mo Yan sehr wohl für seinen Landsmann Lu Xiaobo eingetreten ist, wird im Sinne der Hyperventilation verschwiegen.
Exemplarisch, wie man auf zeit.online in den Kommentaren damit umgeht. Bis zur Stunde gab es dort 56 Kommentare, von denen 18 entfernt wurden und 2 gekürzt. Waren diese Kommentare alle »unsachlich«? Warum rüffelt man einen Kommentator, der einen Zusammenhang zwischen Mo Yans scheinbarer Zustimmung zur Zensur und dem Entfernen bzw. Kürzen von Kommentaren herstellt (# 24)?
Ich bin im übrigen auch dafür, dass beleidigende und schmähende Kommentare beispielsweise in Onlineforen gelöscht werden sollen. Aber waren die inkriminierten Kommentare tatsächlich alle verleumderisch, unsachlich oder beleidigend? Und was würde damit über Mo Yans Äußerungen und deren vermeintliche Regime-»Rechtfertigung« ausgesagt?
Woher rührt überhaupt die Idee, ein Schriftsteller, der den Literaturnobelpreis (oder eine andere hohe Auszeichnung) bekommt, müsse in den Gesinnungskopfnoten des deutschen Feuilletons nur Bestnoten stehen haben, um sich diesen gewissermaßen noch einmal zu verdienen? Dass die Nobelpreis-Akademie hierzu mit ihrer Auszeichnungspraxis einiges beigetragen hat, ist sicherlich richtig. Ohne politische Implikationen und Infiltrationen wären Autoren wie Günter Grass, Herta Müller oder ein zweitklassiger Possenreißer wie Dario Fo (gegen Berlusconi!) kaum Nobelpreisträger geworden. Sie hatten die »richtige« Einstellung, die sich auch (vor allem?) außerhalb ihrer Literatur zeigte. Dass es zwischenzeitlich Preisträger gab, die den literarischen Aspekt wieder in den Vordergrund rückten sind die berühmten Ausnahmen von der längst etablierten Regel.
Immer noch gilt der Stoßseufzer Adornos über die (vermeintliche) Unmöglichkeit sich häuslich einzurichten als unhinterfragbares Diktum: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen«. Ursprünglich sollte der Satz »Es läßt sich privat nicht mehr richtig leben« heißen. Was immer übersehen wird: Ihn anzuwenden bedeutet immer auch, zu wissen, nicht »im falschen« bzw. zu wissen, »im richtigen« zu leben.
Der Gedanke, jemand befinde sich »im falschen« in so etwas wie der »inneren Emigration« ist in Deutschland nach dem Nazi-Regime diskreditiert, weil es als oft genug als Ausrede der Mitläufer galt. In den 50er Jahren wurde von den restaurativen Kräften in Deutschland das böse Wort der Emigrantenliteratur geprägt. Kurz stellte sich die Frage nach dem Zusammenbruch der DDR noch einmal. War die Literatur derjenigen, die in der DDR (aus welchen Gründen auch immer) geblieben waren, deswegen weniger »wert«, wie Werner Fuld dies tatsächlich in seltener Blödheit formulierte? Es ist so wohlfeil die Aussagen Mo Yans aus den warmen Redaktions- oder Schreibstuben heraus zu richten und ein adäquates Verhalten einzufordern.
Nein, damit ist nicht ausgedrückt, dass das Vorgehen der chinesischen Regierung was die Zensur im Internet oder die Behandlung von sogenannten Regimegegnern angeht, legitimiert werden soll. Aber Mo Yan hat den Literaturnobelpreis bekommen. Und das, so sagen einige, nicht so ganz zu Unrecht.
Ich kann Ihren Furor gegen das Feuilleton durchaus nachvollziehen. Ihre Einwände bzw. Bedenken über das Umgehen mit dem Nobelpreis von Mo Yan verstehe ich ebenfalls. Ich mag Ihren Optimismus, aber wieso erwarten Sie von den Feuilleton-Schreibern eigentlich etwas anderes als von den politischen Schreibern unter den Journalisten?
Die Desinformation und Meinungsmacherei unserer Journalisten ist spätestens seit Google-News offensichtlich, der copy and paste Journalismus feiert sich gegenseitig und lebt meines Erachtens überwiegend nicht in der Realität, bzw. die wenigsten schreiben über die herschende Realität.
Das hat aus meiner Sicht damit zu tun, das die Verlage und Zeitungshäuser eben auch wirtschaftliche Unternehmen sind, die bestimmte politische und natürlich auch geschäftliche Interessen verfolgen. Man muß sich nur mal die Schnittmengen der Eigentumsverhältnisse zwischen den Buch- und Zeitungsverlagen anschauen.
Wieso soll das gerade im Feuilleton anders sein?? Weil es da um Literatur geht? Wie gesagt, ich mag Ihren Optimismus, aber Literatur in den Feuilletons ist am Ende auch nur ein Geschäft. Und der geneigte Leser bzw. Literaturfreund, der sich auf dem laufenden halten will, ist schnell überfordert, weil er nur selten über die wahren Absichten dieser Lohnschreiber den Einblick bekommt. Das wissen die Feuilletonisten sehr wohl und versuchen das in ihrem »Sinne« auszunutzen.
Nicht alle sind wirklich so blöd wie der von Ihnen genannte Werner Fuld (danke für den Link!) der wohl hofft, als Literaturkritiker dem momentanen politischen Zeitgeist entsprechend mit seinen absurden Thesen ein Geschäft zu machen. Aber die meisten Feuilletonisten wollen aus meiner Sicht, dass man in der Hauptsache über sie redet und die Literatur kommt dann erst an zweiter Stelle. Wenn überhaupt...
Ihre Bewertung von Grass bzw. von Dario Fo teile ich ebenfalls. Allerdings finde ich, soweit ich die Texte von Herta Müller kenne, dass sie nicht in diesem von Ihnen hergestellten politischen Zusammenhang passt. Ihr literarisches und sprachliches Niveau alleine ist sehr hoch und ich bin keine Sekunde auf die Idee gekommen, als sie 2009 den Nobelpreis erhielt, dass ihre politischen Ambitionen dabei eine Rolle gespielt haben könnten. Aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen. Schöne Grüße!