Fast 500 Jahre existieren die Uffizien, die umfangreichste Kunstsammlung der Renaissance, in Florenz. Sie haben Revolutionen, Kriege, Anschläge und Seuchen überstanden. Corinna Belz, die insbesondere mit ihren einfühlsamen Filmportraits über Gerhard Richter und Peter Handke einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde und Enrique Sánchez Lansch, in dessen filmisches Œuvre viele Musikdokumentationen zu finden sind, haben binnen 13 Monaten in 11 Drehblöcken einen Film zu dem zweitältesten Museum der Welt gedreht. Ein Glück war, dass die Dreharbeiten 2019 vor der Pandemie endeten.
Es gibt mindestens drei Hauptdarsteller in diesem Film, der am 25. November in die Kinos kommt. Zum einen die Mitarbeiter des Museums, allen voran der (deutsche) Direktor Eike Schmidt, der die Uffizien seit 2015 leitet. Man sieht ihn, wie er einen Hintergrund für eine Neugestaltung von Sälen aussucht, mit Mitarbeitern Visitenkarten konzipiert, Blickachsen überprüft, der Reinigung eines Gemäldes beiwohnt, zahlungskräftige Spender der »Friends of the Uffizi Gallery« (Postadresse Florida, USA) durch neu zu restaurierende Säle führt und eine Figur des zeitgenössischen Künstlers Antony Gormley ausrichtet, die in einer ständigen Ausstellung integriert werden soll. Letzteres gestaltet sich schwierig, weil die Vorstellungen des Künstlers und den Gegebenheiten des Gebäudes (die Figur wiegt 500 kg!) nicht sofort in Übereinstimmung zu bringen sind. Schmidt wirkt wie ein Fels und zugleich erfrischend unspektakulär. Fließend sein italienisch, welches, wenn es sein muss, in ein amerikanisch getauchtes englisch übergeht. Er kümmert sich darum, wenn es kein Licht gibt, der Aufzug wieder einmal steckenbleibt und organisiert die Hängung in einem neuen Saal. Und er hat das Museum ins Internet und die Menschen ins Museum gebracht (von 2,2 Millionen für die Uffizien ist die Rede – natürlich vor der Pandemie).
Aber auch andere Personen kommen zu Wort, wie der Leiter der Bibliothek, Claudio di Benedetto, der Depot-»Chef« Demetrio Sorace oder der leitende Architekt, Antonio Godoli. Man bekommt einen kurzen Einblick in die Restaurierungswerkstatt von Daniela Lippi, die ein Gemälde Stück für Stück wieder zusammensetzt, welches bei einem Anschlag der Mafia 1993 praktisch zerstört wurde (nicht nur Taliban und IS zerstören Kunstwerke). Bei dem Anschlag gab es fünf Tote. Der Saalaufseher Giuseppe Rizzo erzählt vom Glück, in mitten dieser Kunstwerke Dienst zu tun. Im Gegensatz zu deutschen Museen ist in den Uffizien das fotografieren gestattet (allerdings ist der Selfiestick verboten). Fabio Sostegni, der Hausmeister, ist davon ein bisschen betrübt. Er sehe so viele Besucher die hastig ein Foto von einem Kunstwerk machen würden und wenn sie dann eines gemacht hätten, weitergingen für die nächste Fotografie. Sie hätten dann am Ende zwar viele Fotos gemacht, aber die Kunstwerke eigentlich nicht gesehen.
Wie Recht er hat sieht man am Medusa-Kopf von Caravaggio, der in dauerhaftem Handygewitter zu stehen scheint. Womit man bei der zweiten Gruppe von Hauptdarsteller ist – den Kunstwerken. Es ist zwar nicht Absicht des Films, ein kunsthistorisches Panorama der Kunst der Renaissance aufzufächern. Dennoch widmet sich man sich ausgesuchten Bildern. Es sind dies unter anderem die »Venus von Urbino« von Tizian, die mit einem klugen Kommentar einer englischsprachigen Führerin (Lisa Marie Browne?) vorgestellt wird. Weitere Kunstwerke sind Leonardos »Anbetung der Könige« und der »Engelsturz« von Andrea Commodi. Fast noch schöner die Momente, wenn die Kamera wie die Kinderführerin Donatella Chiari dies vormacht, sich sozusagen auf den Boden legt und über die Deckengemälde streift. Eine statische Sicht ist vielleicht aus gutem Grund nicht mehr angesagt, aber hier hätte man sich noch ein bisschen weniger Bewegung und mehr Muße gewünscht.
Der überwölbende Hauptdarsteller ist natürlich das Museum selber, die Uffizien. Kurz wird die Geschichte gestreift, es gibt einen kleinen Überblick über die zahllosen Portraits der Medicis – eine Strecke, die eine Führerin zur »Facebook«-Parallele greifen lässt. Man erfährt auch, dass das Museum nach dem Zweiten Weltkrieg vorübergehend Flüchtlingen Obdach gab und wie man besondere Kunstschätze vor Bombenangriffen oder Raub schützte (bei manchen gelang es nicht, wie Fotos zeigen, die gestohlene Bilder aus der »Sammlung Göring« zeigen, die wieder zurückgebracht wurden).
Einen interessanten Aspekt bringt Claudio Di Benedetto ins Spiel: »Es ist in gewisser Weise beunruhigend, genau zu wissen, dass die Bilder, mit denen wir uns beschäftigen, uns von oben herab betrachten, vielleicht sogar mit Verachtung. Denn sie sehen, wie wir uns abmühen, gefangen in der Gegenwart.« Im Film führt er diese Anthropomorphisierung der Bilder bzw. der Figuren, die auf den Bildern abgebildet sind, kurz weiter aus. Manche Kameraposition – etwa bei der Venus von Urbino – zeigen dem Betrachter, wie er angeschaut wird. Leider wird der Gedanke nicht weiter verfolgt.
Die drei »Hauptdarsteller« des Films sind ineinander verwoben. Hinzu kommen noch kurze Szenen von bilderschauenden Menschen, ihre Blicke und im ein oder anderen Fall Gedanken dazu. Um den Kinozuschauer nicht noch mehr zu verwirren, gibt es keine Namenseinblendungen, weder von den gerade agierenden Personen noch den Kunstwerken. Der Erzähl- und vor allem der Bildfluss soll nicht gestört werden (zudem es noch – unvermeidbar – Untertitel gibt).
Da das Museum an sich Besucher schon überfordert (man müsste eigentlich vier oder fünf Tage einplanen, so Herr Sostegni), so überfordert sich der Film in 96 Minuten selber. In dem der Alltag der Mitarbeiter in einem Museum, die ausgestellten Kunstwerke und die Geschichte der Uffizien gezeigt werden sollen, zeigt man von allem etwas, aber am Ende nichts genau. Es bleibt episodisch; ein kurzer »Blick hinter die Kulissen«, wie man so etwas nennt. Aber dies sei, so die beiden Regisseure, durchaus beabsichtigt. Mag sein, aber man transformiert die Überforderung, die den gehetzten Besucher vor Ort allzu rasch ereilt nahtlos auf den Betrachter dieses Films, der sich schüttelt, wenn dann plötzlich schon der Abspann kommt. So viele Fragen noch. Und nachträglich denkt man, dass man mindestens den Erzählstrang über Antony Gormleys Figur hätte man weglassen können; sie wirkt zwischen all den Renaissance-Schätzen wie ein Zirkon unter lauter Diamanten.
Ich habe vergessen, wer von den Uffizien als die »ewige Arche Noah« gesprochen hat. Es klingt leicht pathetisch, aber es dürfte stimmen. Wie gerne möchte man jetzt aufbrechen.