John Wil­liams: Stoner

John Williams: Stoner

John Wil­liams: Stoner

Wenn es ein Buch 2013 ge­schafft hat, die zu­wei­len kon­sta­tier­te »Ver­kom­men­heit« des Li­te­ra­tur­be­triebs (nicht nur Fritz J. Rad­datz’ Ur­teil) für we­ni­ge, kost­ba­re Au­gen­blicke durch so et­was wie Em­pa­thie und Mil­de zu er­set­zen, dann dürf­te es John Wil­liams’ »Stoner« ge­lun­gen sein. Kaum je­mand konn­te sich der Begeis­terung ent­zie­hen, von El­ke Hei­den­reich über Hu­bert Spie­gel bis Ul­rich Grei­ner, von »Bild«, über »FAZ« bis zum »Play­boy« schie­nen al­le ver­söhnt durch ei­nen Ro­man der 1965 in den USA er­schie­nen war und über Um­we­ge erst seit ei­ni­gen Jah­ren in den eu­ro­päi­schen Sprach­raum ein­dringt. Merk­wür­dig, dass dies in Deutsch­land so spät der Fall war – ein Land, in­dem an­son­sten fast je­des Ro­man­de­but ei­nes Schreib­schul-Jün­gel­chens me­di­al auf­motzt und auch schon ein­mal stan­te pe­de mit Tol­stois »Krieg und Frie­den« gleich­ge­setzt wird

Da­bei ist »Stoner« ein voll­kom­men aus der Zeit ge­fal­le­nes Buch. Es wird kei­ne Ziel­grup­pe be­dient. Zeit­ge­nös­si­sche »Pro­blem­stel­lun­gen« feh­len. Die Welt soll we­der ver­bes­sert noch ge­ret­tet wer­den. Und al­les spielt weit ent­fernt von un­se­rer un­mit­tel­ba­ren Er­fah­rungs­welt. Der Ti­tel­held, Wil­liam Stoner, ist 1891 ge­bo­ren und stirbt 1965. Ein aukt­oria­ler Er­zäh­ler hält bis auf we­ni­ge Aus­nah­men streng die Chro­no­lo­gie ein. Stoner ist der ein­zi­ge Sohn ei­nes Far­mer­ehe­paars, wel­ches mit ein­fach­sten Mit­teln ihr Land be­wirt­schaf­tet. Die El­tern hei­ßen Ma und Pa; die Ar­beit do­mi­niert das Le­ben. Der Sohn wird auf die Uni­ver­si­tät von Mis­sou­ri nach Co­lum­bia ge­schickt. Er soll Agrar­wis­sen­schaf­ten stu­die­ren und da­nach zu­rück­kom­men und die Farm über­neh­men. 1910 be­tritt der jun­ge Stoner die Uni­ver­si­tät. Bei dem Vet­ter sei­ner Mut­ter, der eben­falls ei­ne Farm be­sitzt, wohnt er auf Kost-und-Lo­gis-Ba­sis, die er fast mit Fron­ar­beit an Wo­chen­en­den und frei­en Ta­gen ab­zu­ar­bei­ten hat. Das na­tur­wis­sen­schaft­li­che Stu­di­um fällt ihm leicht. In ei­ner Vor­le­sung über ameri­kanische Li­te­ra­tur be­gei­stert ihn der Pro­fes­sor, Ar­cher Sloane, mit ei­nem Shake­speare-­Son­nett. Prak­tisch so­fort än­dert er sei­ne Plä­ne, schreibt sich in Li­te­ra­tur­vor­le­sun­gen ein und gibt sein Agar­stu­di­um auf. Sei­nen El­tern sagt er dies erst, als er sei­nen Ba­che­lor be­kam. Spä­ter im Buch ist von ei­ner »Epi­pha­nie« Stoners die Re­de, durch Wor­te et­was zu er­ken­nen, was sich in Wor­te nicht fas­sen ließ; viel­leicht wä­re In­itia­ti­on bes­ser.

Die Uni­ver­si­tät als Zu­fluchts­ort

Die an­de­re ent­schei­den­de Sze­ne, die sich im­mer wie­der im Le­ben Stoners spie­geln wird, ist ein Abend beim Bier mit Da­ve Ma­sters und Gor­don Finch, zwei Kom­mi­li­to­nen, mit de­nen sich der schüch­ter­ne Stoner an­ge­freun­det hat­te. Da­ve be­ginnt mit ei­ner Sua­da über das wah­re We­sen der Uni­ver­si­tät. Sie sei ei­ne Klap­se oder – wie nennt man das heu­te? – ei­ne Art Se­nio­ren­heim, ei­ne Zu­flucht für die Ge­brech­li­chen, die Al­ten, die Un­zu­frie­de­nen oder die auf an­de­re Wei­se Un­zu­läng­li­chen. Gor­don Finch, so Da­ve, sei der Un­zu­läng­li­che, ge­ra­de mal klug ge­nug um zu be­grei­fen, wie es dir drau­ßen in der Welt er­ge­hen wür­de.Und Wil­liam Stoner der Träu­mer, der Ver­rück­te in ei­ner noch ver­rück­te­ren Welt, un­ser Don Qui­chot­te des Mitt­le­ren We­stens, der, wenn auch oh­ne Sancho, un­ter blau­em Him­mel her­um­tollt. Da­ve ver­schon­te sich sel­ber auch nicht. In ei­ner Mi­schung aus Frech­heit und Me­lan­cho­lie kon­sta­tier­te er: Ich bin zu klug für die­se Welt und kann den Mund nicht hal­ten; ge­gen die­ses Ge­bre­chen ist kein Kraut ge­wach­sen. Al­so muss ich dort ein­ge­sperrt wer­den, wo ich ge­fahr­los un­ver­ant­wort­lich sein, wo ich kei­nen Scha­den an­rich­ten kann.

So feu­er­zan­gen­bow­lesk die­se Sprü­che da­her­kom­men – beim Le­sen wird ei­nem so­fort klar, dass sie ge­ra­de­zu pro­gram­ma­tisch für die­sen Ro­man sind. Stoner wird die Uni­ver­si­tät Mis­sou­ri in sei­nem gan­zen Le­ben nie­mals mehr ver­las­sen und der Don Qui­chot­te des Mitt­le­ren We­stens blei­ben. Finch wird nach sei­ner Rück­kehr vom frei­wil­li­gen Ein­satz als Sol­dat im Er­sten Welt­krieg sehr schnell sei­ne Chan­ce er­grei­fen, Kar­rie­re ma­chen und am En­de De­kan sein. Die Freund­schaft zwi­schen Stoner und Finch wird im­mer Be­stand ha­ben und auch die In­tri­gen, de­nen sich Stoner im Lau­fe sei­nes Uni­ver­si­täts­le­bens aus­ge­setzt sieht, wer­den von Finch zwi­schen den Mög­lich­kei­ten des in­for­mel­len Ver­hal­tens­ka­nons und der Freund­schaft der bei­den im­mer aus­ba­lan­ciert be­han­delt wer­den. Da­ve Ma­sters aber, der ge­nia­lisch-sehn­süch­ti­ge Zy­ni­ker, wird im Er­sten Welt­krieg in Eu­ro­pa ge­tö­tet wer­den. Im­mer, wenn in dem Buch je­ner Abend der Be­wusst­wer­dung des uni­ver­si­tä­ren Par­al­lel­le­bens re­flek­tiert wer­den wird, zeigt sich, wie die­ser Da­ve Ma­sters fehlt. Mit ihm wä­re das Le­ben der bei­den an­ders ver­lau­fen.

Scheu und vor­sich­tig nä­hert sich Stoner dem Uni­ver­si­täts­be­trieb, be­kommt von Slo­aner früh die Mög­lich­keit ge­bo­ten, Kur­se für Erst­se­me­ster zu ge­ben. Schließ­lich spe­zia­li­siert er sich auf die (eng­li­sche) Li­te­ra­tur der Re­nais­sance. Sein Weg ver­läuft grad­li­nig, aber auch un­spek­ta­ku­lär: 1914 Ba­che­lor, 1918 Dok­tor. Be­reits zu Be­ginn wird er­zählt, dass Stoner zeit sei­nes Le­bens As­si­stenz­pro­fes­sor blei­ben wird; den Ti­tel des or­dent­li­chen Pro­fes­sors soll­te er nie er­hal­ten. Im wei­te­ren Ver­lauf wird deut­lich war­um – im­mer kommt irgend­eine uni­ver­si­tä­re Ei­gen­heit – sei­en es In­tri­gen oder ein­fach nur Per­so­nal­pla­nun­gen – da­zwi­schen. Statt Kar­rie­re zu ma­chen, geht es Stoner mehr um die Sa­che, um das Leh­ren und um die eng­li­sche Li­te­ra­tur. Als er sei­nen Freund Finch mit sei­ner Am­bi­ti­on auf den Fach­be­reichs­lei­ter­po­sten in Ver­le­gen­heit brin­gen könn­te, lehnt er (zur Er­leich­te­rung Finchs) schnell ab. Spä­ter wird er sich mit sei­nem de­si­gnier­ten Chef Lo­max an­le­gen, weil er Wal­ker, ei­nem von Lo­max pro­te­gier­ten Stu­den­ten, durch­fal­len las­sen will, weil er des­sen Qua­li­fi­ka­ti­on als Leh­rer in Zwei­fel zieht. Der Le­ser be­kommt Ein­blick in das Uni­ver­si­täts­we­sen, wo­bei es zwar um die Jah­re zwi­schen 1910 bis 1956 in den USA geht, aber Par­al­le­len zu tat­säch­lich im­mer noch exi­stie­ren­den Zu­stän­den si­cher­lich nicht ganz ab­we­gig sein dürf­ten.

Es wä­re ein Miss­ver­ständ­nis, Stoner Op­por­tu­nis­mus zu un­ter­stel­len. Das Ge­gen­teil ist der Fall: Sein (Arbeits-)Ethos wird von der Lie­be zur Li­te­ra­tur do­mi­niert. Halb­her­zi­ge Kom­pro­miss­an­ge­bo­te lehnt er ab; lie­ber gibt er voll­stän­dig auf. Ein Kämp­fer ist er nicht. So un­ter­liegt Stoner in den ent­schei­den­den Macht­spie­len in dem Ap­pa­rat der von Da­ve so ge­nann­ten »Un­zu­läng­li­chen«. Die Kon­se­quen­zen er­trägt er nach au­ßen gleich­mü­tig; die Par­al­le­len zum Stoi­zis­mus des Farm­be­stel­lens sei­nes Va­ters (aber auch der Mut­ter) sind evi­dent.

Ediths Lau­nen

Den Gleich­mut braucht Wil­liam Stoner auch, wenn es um sein Pri­vat­le­ben geht. Er lernt 1918 die ei­ni­ge Jah­re jün­ge­re Edith Elai­ne Bost­wik auf ei­ner in­for­mel­len Uni­ver­si­täts­fei­er ken­nen und ver­liebt sich so­fort. Es ge­lingt ihm, die jun­ge Frau kurz vor ih­rer Rück­kehr in ihr El­tern­haus zu ei­ner Art Ge­fühls­beich­te an­zu­re­gen. Sie ist Ein­zel­kind, die Fa­mi­lie gut si­tu­iert; ihr Va­ter steht ei­ner klei­nen Bank vor. Stoner be­kun­det sei­ne ern­sten Ab­sich­ten; die El­tern re­agie­ren eher zu­rück­hal­tend. Edith stimmt schließ­lich zu: Steif und hochge­wachsen stand sie vor ihm, das Ge­sicht blass – so heißt es un­mit­tel­bar nach­dem be­schlossen wur­de, zu hei­ra­ten. Die jun­ge, ver­wöhn­te Edith ist le­bens­un­tüch­tig und auf ei­ne ge­ra­de­zu an­rüh­ren­de Art un­schul­dig; die Flit­ter­wo­chen sind keusch und die Er­zäh­lung hier­über eben­falls. Kurz dar­auf ent­wickelt sie ein lau­nen­haf­tes We­sen; viel­leicht wür­de ihr heu­te ei­ne bi­po­la­re Stö­rung at­te­stiert. Ei­ni­ge Jah­re nach ih­rer Hoch­zeit be­schließt Edith plötz­lich, dass sie ein Kind ha­ben möch­te. Für zwei Mo­na­te ver­än­dert sie sich nun: das einst schüch­ter­ne Mäd­chen wird wol­lü­stig, was sich eben­so schnell legt wie es ge­kom­men war.

Das Kind heißt Grace und im Lau­fe der Zeit hat man das Ge­fühl, es ge­be ei­nen Wett­streit der El­tern un­ter­ein­an­der um das Kind. Mal küm­mert sich Stoner um sie, macht nach dem Be­ruf noch den Haus­halt, wäh­rend Edith er­mat­tet nie­der­liegt. Dann wie­der­um zieht sie al­le Ak­ti­vi­tä­ten an sich, schirmt Grace ge­ra­de­zu von ih­rem Va­ter ab und ver­zieht sie. Das Ver­hält­nis Stoners zu Edith nimmt nun dau­er­haft Scha­den, was er ihr je­doch nicht di­rekt zu ver­ste­hen gibt und sich nicht an­mer­ken lässt.

Es gibt nun drei stän­dig mit­ein­an­der ver­wo­be­ne Hand­lungs­ebe­nen im Ro­man: das Uni­ver­si­täts­le­ben, die Ehe mit Edith und das Ver­hält­nis zu Grace, wel­ches je nach Si­tua­ti­on von Edith be­stimmt wird oder eben nicht. Selbst die Welt­ge­schich­te (z. B. der aus der Fer­ne wahr­ge­nom­me­ne Fa­schis­mus in Spa­ni­en und Deutsch­land) ver­än­dert kaum das All­tags­le­ben Stoners. Die Uni­ver­si­tät bleibt der per­fekt ab­ge­schot­te­te Raum. Dies än­dert sich nur zwei­mal: gleich zu Be­ginn mit Ein­tritt der USA in den Er­sten Welt­krieg und dann 1942 mit Pearl Har­bour. Die­se Er­eig­nis­se spie­geln sich je­doch fast aus­schließ­lich in Per­so­nal­be­le­gun­gen des Uni­be­triebs – Stu­den­ten und Do­zen­ten mel­den sich frei­wil­lig zum Kriegs­ein­satz oder wer­den ein­ge­zo­gen.

Aber ein­mal, kurz nach sei­nem 40. Le­bens­jahr Stoners, ge­ra­ten die­se schein­bar fest ze­men­tier­ten Le­bens­stra­ßen für ei­ni­ge Mo­na­te durch­ein­an­der. Er lernt die 20 Jah­re jün­ge­re Stu­den­tin Ka­the­ri­ne Dris­coll ken­nen, die zu­nächst ei­ne Aus­kunft über ei­nen von ihr ver­fass­ten wis­sen­schaft­li­chen Text wünscht. Stoner, der wi­der­wil­lig zu le­sen be­ginnt, ent­flammt so­fort für die Ar­beit – und gleich­zei­tig für die jun­ge Frau. Hier ent­deckt er end­lich die Sym­bio­se von Geist und Sinn­lich­keit. Es ist zu­nächst vor al­lem der In­tel­lekt der jun­gen Ka­the­ri­ne, den er bei sei­ner Frau so schmerz­lich ent­beh­ren muss. Stoner ver­liebt sich; es ist ei­ne Lie­be, die als Akt der Mensch­wer­dung emp­fun­den wird. Die bei­den le­ben für kur­ze Zeit je­de freie Mi­nu­te in ih­rer klei­nen Woh­nung, hau­sen wie zwei lie­ben­de Stu­den­ten. Er im zwei­ten Früh­ling; sie er­füllt von sei­nem gro­ßen In­tel­lekt, von dem sie (fast als ein­zi­ge) über­zeugt ist. Edith be­kommt Wind von der Af­fä­re, dul­det sie aber und Stoner ist über­rascht, dass sich trotz­dem das Ver­hält­nis zu sei­ner Frau spür­bar ver­bessert. Stoner wid­met sich ei­ner­seits die­ser auch se­xu­ell an­re­gen­den und er­fül­len­den Af­fä­re, an­de­rer­seits dem All­tag in der Uni­ver­si­tät: Die Welt, in der sie leb­ten und die al­les Gu­te in ih­nen zum Vor­schein brach­te, war ei­ne Welt des Däm­mer­lichts, so dass ih­nen die äu­ße­re Welt, in der Men­schen gin­gen und re­de­ten, in der es Ver­än­de­rung und ste­te Be­we­gung gab, nach ei­ner Wei­le falsch und un­na­tür­lich vor­kam. Ih­re Le­ben wa­ren ra­di­kal in zwei Wel­ten ge­teilt; und sie fan­den es ganz na­tür­lich, so ge­teilt zu le­ben.

Schließ­lich wird die La­ge für den bi­got­ten Uni­ver­si­täts­be­trieb zu of­fen­sicht­lich. Lo­max, in­zwi­schen Stoners Feind, droht mit Kon­se­quen­zen für Dris­coll, die als Do­zen­tin an der Uni­ver­si­tät ar­bei­tet. Am En­de beu­gen sich bei­de; Stoner zieht die er­bärm­li­che Si­cher­heit des Fest­an­ge­stell­ten vor und wagt nicht den Aus­bruch mit Ka­the­ri­ne. »Denn dann« er­klär­te es Stoner sich selbst, »wür­de all das kei­ne Be­deu­tung ha­ben – nichts von dem, was wir ge­tan ha­ben, was wir für­ein­an­der ge­we­sen sind. Ich wür­de si­cher nicht mehr un­ter­rich­ten kön­nen, und du…du wür­dest zu ei­ner an­de­ren wer­den. Wir wür­den bei­de zu je­mand an­de­rem wer­den, zu je­mand an­de­rem als wir selbst. Wir wür­den zu – nichts.« Ka­the­ri­ne ver­lässt die Uni­ver­si­tät und die Stadt. Bei­de ver­hal­ten sich streng ver­nünf­tig; auf­se­hen­un­er­re­gend. Die Tren­nung der bei­den, 14 Jah­re vor Wil­liam Stoners Tod, ist pa­ra­do­xer­wei­se ei­ne der schön­sten Stel­len im Buch. Sie wer­den sich nie mehr wie­der­se­hen, wie der Le­ser er­fährt.

Zu­tiefst exi­sten­tia­li­stisch

Hier und an der Er­zäh­lung des To­des von Stoner auf den letz­ten Sei­ten zeigt sich, dass es sich bei Wil­liams’ Ro­man um ein zu­tiefst exi­sten­tia­li­sti­sches Buch han­delt. Und dies bis in den spre­chen­den Na­men der Prot­ago­ni­sten. So ist Stoner Si­sy­phos, der­je­ni­ge, der den Stein be­wegt. Ein Mann, der sich in vor­aus­ei­len­dem Schick­sals-Ge­hor­sam ein­fügt und der sein Le­ben der Li­te­ra­tur und dem Lehr­be­trieb un­ter­ge­ord­net hat. Da­bei ist auch Stoner ein glück­li­cher Mensch – nicht trotz, son­dern we­gen sei­ner emp­fun­de­nen Be­ru­fung. Pas­send da­zu gibt auch kei­nen me­ta­phy­si­schen Trost; das Wort »Gott« fällt im­mer nur als Aus­ruf.

Wie Sloane al­tert er nach der auf­ge­ge­be­nen Lie­be sicht­bar. Oh­ne die exi­sten­tia­li­sti­sche Sicht­wei­se des Bu­ches wä­re es merk­wür­dig, ja fast wi­der­sprüch­lich, dass der Er­zäh­ler zu er­zäh­len weiss: Die Jah­re, die un­mit­tel­bar auf das En­de des Zwei­ten Welt­kriegs folg­ten, wa­ren sei­ne be­sten Jah­re an der Uni­ver­si­tät und in man­cher Hin­sicht die glück­lich­sten Jah­re sei­nes Le­bens. Al­so nicht die we­ni­gen Mo­na­te der er­füll­ten Lie­be mit Ka­the­ri­ne, son­dern die Jah­re, als er nur sel­ten von sei­ner Hin­ga­be an die Ar­beit ab­ge­lenkt wur­de. Als er ir­gend­wann Ka­the­ri­nes Buch in Hän­den hielt (mit der Wid­mung für »W. S.«) heißt es zwar ganz kurz: Da brach sich das so lang auf­ge­stau­te Ver­lust­ge­fühl Bahn, über­flu­te­te ihn, und er ließ sich mit­rei­ßen, ver­lor al­le Be­herr­schung. Aber so­fort da­nach lä­chel­te er lie­be­voll wie über ei­ne Er­in­ne­rung, und ihm kam der Ge­dan­ke, dass er auf die sech­zig zu­ging, wes­halb er ei­gent­lich über sol­che Lei­den­schaf­ten er­ha­ben sein soll­te, über ei­ne sol­che Lie­be. Nur ei­nen klei­nen Rest-Zwei­fel lässt er zu.

Die An­teil­nah­me, die selbst hart­ge­sot­te­ne Le­ser die­sem Buch, die­ser Fi­gur ge­gen­über zei­gen, re­sul­tiert dar­aus, dass die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit die­sem Stoner so leicht ge­lingt. Wir sind al­le ein biss­chen (bzw., sei­en wir ehr­lich, sehr viel) Stoner. Gleich­zei­tig su­chen wir et­was jen­seits ma­te­ria­li­sti­scher, ideo­lo­gi­scher oder me­ta­phy­si­scher Trö­stun­gen, was uns mit un­se­rer Exi­stenz ver­söhnt. Und da­bei sind wir ge­rührt, wie sich Stoner mit sei­nen letz­ten Be­we­gun­gen auf dem Ster­be­bett an sein ihm fremd ge­wor­de­nes, ein­zi­ges Buch klam­mert (ein Pro­jekt für ein zwei­tes Buch hat­te er auf­ge­ge­ben) – als sei dies Sinn und Ver­mächt­nis sei­nes Le­bens.

Die ful­mi­nan­te Ster­be­sze­ne ent­schä­digt für ei­ni­ge Län­gen wie die Schil­de­rung der Af­fä­re um Lo­max’ Pro­te­gé Charles Wal­ker (»Wal­ker«, der be­stimmt ist, zu ge­hen – trotz man­geln­dem Ta­lent; wie­der so ein spre­chen­der Na­me, wie auch »Dris­coll«) oder die aus­gie­bi­gen De­tail­schil­de­run­gen der Edith-Ge­zei­ten. Der In­itia­ti­on für die Li­te­ra­tur durch Sloane fehlt ein we­nig die Über­zeu­gungs­kraft. Aber viel­leicht muss­te das al­les so ge­schrie­ben wer­den, weil erst da­durch die Durch­schnitt­lich­keit von Le­ben und Werk Wil­liam Stoners, al­so von uns al­len, ma­ni­fest wird. »Stoner« über­zeugt nicht un­be­dingt als sprach­li­ches Kunst­werk, son­dern packt, ja reißt den Le­ser emo­tio­nal mit. Das ist per se noch kei­ne li­te­ra­ri­sche Qua­li­tät. Aber Stoners ge­leb­ter Exi­sten­tia­lis­mus, der die Blei­we­ste des Trüb­sinns ab­ge­streift hat wie ein zu en­ges Klei­dungs­stück, ver­eint für ei­nen Augen­blick (fast) al­le Le­ser in ei­ner be­son­de­ren Form von An­dacht. Das Buch er­zeugt die­se Ex­pres­si­vi­tät un­ter jeg­li­cher Ver­mei­dung kit­schi­ger Ele­men­te oder süss­lich-kleb­ri­ger Sen­ti­men­ta­li­tät. Und das ist ei­ne gro­ße Lei­stung.


Die kur­siv ge­setz­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.