Ausgerechnet in der sich meinungsfreudig gerierenden Blogosphäre stößt das neue Engagement des ZDF-Journalisten Steffen Seibert als zukünftiger Regierungssprecher auf zum Teil drastische Ablehnung. So kann man beispielsweise nachlesen: »Wo Journalisten, und seien sie vormals auch noch so regierungsfreundlich gewesen, zu Propagandisten werden – und das ganz ohne sich vor der Öffentlichkeit zu schämen, ohne einen Rest von Alibi vorzuschieben -, da ist die unaufdringliche Berlusconisierung der Gesellschaft zum Tagesordnungspunkt erklärt worden.«
Was vielen geschichtsvergessenen Kommentatoren vielleicht nicht präsent ist: Es gab immer schon Journalisten, die von ihrem Amt in die Regierungsadministration wechselten. Und es waren nicht die schlechtesten: Conrad Ahlers beispielsweise (ein »Spiegel«-Mann und später, nach Aufgabe seines Regierungssprecheramtes, ein polemischer Regierungskritiker). Oder – ebenfalls für die sozial-liberale Regierung, Klaus Bölling und Rüdiger von Wechmar. Später dann für die Kohl-Regierung Peter Boenisch und – auch vom ZDF – Friedhelm Ost. Für die Regierung Schröder sprach mit Uwe-Carsten Heye auch ein gelernter Journalist.
Gestandene Journalisten wie Günter Gaus oder Klaus Harpprecht engagierten sich in den 1970er Jahren in der Regierung Willy Brandt unter anderem als Redenschreiber und kehrten danach in ihren Beruf zurück.
Waren das nun alles verkommene Propagandisten der Macht, wie uns suggeriert werden soll? Ist das gar die Stufe zur »Berlusconisierung der Gesellschaft«? Unsinn. Die Journalisten, die dieses Amt antraten, waren schon zu ihrer Zeit anerkannte Vertreter ihrer Zunft. Sie sympathisierten mit der jeweiligen Regierung. Man merkte es ihnen vielleicht schon vorher an ihrer Berichterstattung an. Journalisten waren und sind keine Meinungseunuchen. Sie sind auch keine Staatsanwälte, die fortlaufend irgendwelche Mißstände aufzudecken haben.
Der Wechsel in das Amt des Regierungssprechers hat das Ruhen der journalistischen Aktivitäten zur Folge. Nach ihrer Amtszeit waren sie natürlich mehr denn je mit dem Stempel des entsprechenden Lagers stigmatisiert, was einige nicht hinderte, Kritik auch an ihren »Freunden« zu üben.
Wer das schlimm oder verkommen findet, sollte nicht nur sein Politikverständnis überprüfen. Teilweise wird so getan, als sei Steffen Seibert einer verabscheuungswürdigen Sekte beigetreten. Die Empörungsmaschine, die hier losgetreten wird, ist lächerlich. Parallel hierzu findet eine fatale Verwechslung statt: Indem ein Journalist in die Staatsbürokratie wechselt, wird so getan, als sei dies ein Beleg für weiteren Einfluss der Politik in den öffentlich-rechtlichen Medien. Auch diese Annahme ist falsch. Die Politik ist ausdrücklich als »Mitspieler« bei den öffentlich-rechtlichen Medien vorgesehen. Und dass ein Journalist eine Meinung hat – siehe oben.
Die Mißgunst, die Steffen Seibert erfährt, spiegelt natürlich die (berechtigte) Unzufriedenheit mit dieser Regierung wieder. Und da ist jemand, der diese so verhasste Regierung »verteidigen« möchte, natürlich sofort eine Unperson. Hieraus gleich eine weitere Verlotterung der politischen Sitten herauszulesen, ist überzogen und hysterisch.
Ich vermute, es wäre aber auch fast undenkbar und vielleicht im Hinblick auf die Profession ein merkwürdiges Zeichen, als Journalist tatsächlich n i c h t zum innersten Kreis einer Regierung gehören zu wollen, wenn es denn einmal die Chance dazu gibt. In solchen Riegen »mitzuspielen« ist wohl an sich eine Besonderheit, ein Herausgehobensein: Die politischen und die Zeitumstände ändern sich rasch, aber diese sicher intimen Hintergrundkenntnisse (»networking«) sind später vielleicht, auch im Hinblick auf vieles anderes als nur den Beruf, unbezahlbar. Was natürlich die Korrumpierbarkeit nicht gerade mildert. Aber gewisse Dinge lehnt man eben nur schwer ab. Und der beamtenhaft vorgezeichnete Karriereweg im ZDF muss ja auch nicht jedem als Heilsversprechen vorkommen.
Eben diese Korrumpierbarkeit möchte ich relativieren. Wenn man sich die Riege der Leute anschaut, die früher in Regierungsdiensten waren – Ahlers, Bölling, Gaus (um nur einige zu nennen) – waren diese in irgendeiner Form »korrupt« oder korrumpiert? Sei es vorher oder nachher? Wenn ein Gesinnungsjournalist wie Küppersbusch sinngemäss sagt, wer ein solches Amt annehme, sei nie Journalist gewesen, muss ich mich fragen, ob er (1.) noch alle Tassen im Schrank hat und (2.) ob seine grandiose Gesinnungsethik nicht weit mehr Ursache für den politischen Niedergang der Repräsentationskultur ist, als Seiberts Affirmationsstreben.
Im Gegenteil,...
... mir ist es lieber, die politischen Preferenzen eines Journalisten zu kennen, schliesslich kann ich dann seine Berichte im entsprechenden Kontext lesen. Dieses »typisch deutsche« Gehabe, dass ein Journalist in jeder Hinsicht objektiv zu sein habe, ist sowieso Wunschdenken.
Da sind mir die USA lieber. So polemisch beispielsweise Fox News oder ein Glen Beck unterwegs sind, wenigstens ist jedem mit Hirn klar, das beide treu zu den Republikanern stehen. Auch dass ein Jon Stewart mit den Demokraten sympathisiert ist bekannt, wenn also in seiner Show die eine oder andere kritikwürdige Aktion von der Seite unter den Tisch fällt, beschwert sich keiner.
Sowas nennt sich IMHO Meinungsvielfalt, nicht die Forderung, dass eine Quelle alle Meinungen unter einen Hut bringen soll oder gar, dass alles aus einer subjektiven Sicht geschehen soll.
Aber dass diese Korrumpierbarkeit existiert, ist auch klar.
An dessen Tisch man sitzt...
Allerdings ist das auch unvermeidlich und kann wirklich nicht an sich verdammt werden. Wenn man die Hintergründe, Zwänge etc. einer Seite kennt, kann man aber die auch schlichtweg nicht mehr ignorieren, auch nicht im Sinne womöglich noch vorhandener Ideale (die ja meist viel mehr »Meinung« machen, als Fakten) : Insofern wird man »umgedreht«.
Andererseits ist heute Information »inside« selber schon oft mehr wert, als der bloße Wille, meinungsmachend oder sonst irgendwie intentionalistisch, eine Sache darzulegen oder sie auch nur zu erklären. Das mitgeteilte Wissen über eine (in sich eher unbekannte) Sache klärt per se schon über diese auf – dazu muss man sich aber auch mal dahin begeben haben und sich die Hände schmutzig machen. Wohl eine Abwägungsvorgang.
Und Küppersbusch... naja: Der muss halt auch für sich selber sorgen.)
@Lothar K.
So was wie Fox news »Journalismus« zu nennen, ist meiner Meinung nach nicht mehr zulässig, wenn die Blickwinkel derart verengt sind, dass man (als Neutraler) schon im voraus weiß, wie tendenziös man bedient werden wird. Da kann auch »Offenheit« keine Qualität mehr sein, sondern da herrscht pures Lagerdenken. Und Leute, die sich dann eben die Bestätigung ihrer Denke dort abholen, wo sie wissen, dass sie nach ihrem Gusto passiert, sind eigentlich auch nicht mehr aufzuklären.
#3 und #4
Aber ein bisschen ist es doch so, dass das Lagerdenken in Deutschland verbreiteter ist, als man meint. Es hat sicher nicht »Fox«-Niveau, aber es gibt durchaus Reizfiguren und Reizgegenstände, an denen es sich bequem reiben lässt (so wird jemand das Etikett eines »Springer«-Journalisten nie mehr los – egal was er tut).
Die Abwehr, der da einem m. E. eher mässigen Journalisten wie Seibert entgegenschlägt, rührt daher, dass er sich in die Höhle des Feindes begibt. Warum sagt man nicht: Toll, da baut einer nicht eine öffentlich-rechtliche Karriere, die dann irgendwann im Chefredakteur-Sessel münden kann, wenn man nur lange genug die entsprechenden Programmrats-Stiefel geputzt hat? Was ist an einem Seitenwechsel so obszön? Das bekommt doch einen Zungenschlag, als wechsle ein Fußballspieler von Dortmund nach Schalke. Kindisch.
Generell müsste man einmal diskutieren, ob die journalistische Anmaßung der »vierten Gewalt« nicht auch Ursache dieser Entrüstung ist. Tatsächlich ist diese Selbstbehauptung längst ein Selbstläufer geworden; jeder Lokaljournalist sieht sich heute als wichtiger Informationslieferant oder gar Aufklärer. Dabei ist der Journalismus längst zum Mitspieler jener Berliner Meinungsrepublik geworden, die in jeder innerparteilichen Diskussion gleich einen »Streit« oder einen »Zank« entdeckt, um dann scheinheilig den Zustand der Parteien und/oder Politik zu beklagen. Kann es daher nicht auch sein, dass jemand diese Heuchelei einfach auch satt hat (abgesehen von den finanziellen Vergünstigungen)?
Ist doch eigentlich wohltuend
..., wenn man genau weiß, wer wofür und mit wieviel Euro bezahlt wird. Bei vielen »Journalisten« (siehe Katrin Müller-Hohenstein, ebenfalls ZDF) ist das lange nicht so transparent wie bei Steffen Seibert oder seinen Vorgängern als Regierungssprecher.
Sie glauben, dass Herr Seibert bisher »bezahlt« wurde? Von wem? Kann er keine eigene Meinung haben?
Das ist übrigens mit KMH nicht zu vergleichen. Die hat Werbung gemacht. Und ist eigentlich keine Journalistin.
Kleines Missverständnis
@Gregor Keuschnig: Nein, ich meinte, dass man ab August genau weiß, wer Steffen Seibert für was bezahlt. Diese Transparenz ist bei anderen Journalisten möglicherweise nicht gegeben. Die können zwar alle eine Meinung haben, bei manchen mag diese aber auch durch einen handfesten monetären oder politischen Hintergrund beeinflusst sein. Ich habe das selbst in der Sparte »Motorjournalismus« erlebt, siehe hier:
http://fastvoice.net/2009/06/28/wer-gut-schmiert-der-gut-fahrt/
Ansonsten gehe ich völlig d’accord mit Ihrer Einschätzung der Lage.
Ob KMH nun nach Ihrem Maßstab »JournalistinW ist oder nicht, spielt für die Wahrnehmung des »normalen« und nicht medienkundigen Publikums kaum eine Rolle – sie wird genau wie Steffen Seibert einfach als ZDF-Moderatorin wahrgenommen.
Und dem Publikum ist auch selten bekannt, welche der beliebten TV-Gesichter Unternehmens-Galas oder Messeauftritte moderieren und dadurch eventuell auch eine gewisse Beißhemmung bei bestimmten Themen haben könnten (wes’ Brot ich ess, des’ Lied ich sing..).
Danke für die Klarstellung. Und Sie haben natürlich recht: Ob KMH von mir als Journalistin wahrgenommen wird, spielt keine Rolle. Aber als Sportjournalistin bzw. Sportmoderatorin ist es ziemlich egal, ob sie »nebenbei« noch für Milch wirbt. Ihre Objektivität, ob es sich nun um eine Abseitsstellung handelte oder nicht, wird dadurch nicht beeinflusst.
Was Sie da im Motorjournalismus aufgedeckt haben, hat natürlich gleich eine andere Qualität.
Fast noch problematischer finde ich die Nebentätigkeiten beispielsweise der »Anchor«-Leute der Hauptnachrichtensendungen. Hier gibt es Verquickungen mit Politik und Wirtschaft, die allzu schnell unter dem Teppich gehalten werden. Es ist ja kaum ein Journalist da, der im eigenen Teich fischt; der Korpsgeist ist merkwürdigerweise auch hier sehr stark. Das »investigative« hört vor der eigenen Tür auf.
Kleines P.S.
Zur Frage, wie KMHs Tätigkeit für’s ZDF zu beurteilen ist, hatte ZDF-Chefredakteur Peter Frey offenbar auch eine klare Meinung: »Der Vertrag enspricht nicht den Vorstellungen des ZDF von Auftritten seiner journalistischen Köpfe.«, war sein Kommentar damals zum DEal mit Weihenstephan. Also sieht er wohl KMH zumindest als »journalistischen Kopf«.
Werbetätigkeiten haben natürlich keinen Einfluss auf die Beurteilung einer Abseitssituation, aber Sportmoderation ist ab und zu auch mal mehr als das – manchmal gibt’s sogar Sportpolitik. Spätestens seit der causa Emig und dem Tour-de-France (Team Telekom)-Werbe-Engagement der ARD wissen wir doch, dass Fernsehen, Wirtschaft und Sport auch eine unselige Allianz eingehen können, die Sportjournalisten/-moderatoren zu willfährigen Knappen ihrer Sender macht – zu Lasten der Zuschauer, die vergeblich auf objektive Informationen warten.
Und selbstverständlich werden von der Industrie besonders gerne Anchormen und ‑women für Firmenveranstaltungen gebucht. Gilt nicht nur für die TV-Branche: Im Kleinen habe ich das auch schon bei der Lokalpresse erlebt: Ein Redakteur moderiert eine (nicht von der Zeitung, sondern von der Gemeindeverwaltung veranstaltete) öffentliche Diskussion, über die er die dann auch noch selbst berichtet. Adieu, Du schöne Distanz zwischen den »Gewalten«.
Unselige Allianzen
Ja, Frey hat das verurteilt. Früher war man im ZDF da anderer Meinung – Kerner durfte weitermachen, musste nur evtl. neue Werbemaßnahmen »anmelden«.
Dass die Sportjournalisten über Sportpolitik berichten, ist doch eher die Ausnahme. Meist steht das affirmative Element im Vordergrund; es gab während der Fußball-WM meines Wissens keinen einzigen kritischen Beitrag über die FIFA und die Abwicklung dieser WM in Südafrika. Allenfalls wenn es um technische Hilfsmittel bei Schiedsrichterentscheidungen geht, befragt man den allmächtigen Veranstalter.
Der kommerzialisierte Sport spielt sich doch heutzutage abseits jeder journalistisch-kritischen Darstellung ab. Emigs Machenschaften sprechen da ja tatsächlich Bände. Obwohl der natürlich nie für irgend etwas Werbung gemacht hat. Die wirklichen Schweinereien finden zumeist hinter verschlossenen Türen statt.
Ein Sportjournalismus, der sich selber nur halbwegs rnst nehmen würde, dürfte von einer Tour de France nicht einmal eine Meldung bringen, geschweige denn filmisch ausgiebig berichten.
Sehr richtig erkannt,
dass es bei der WM keine FIFA-kritischen Beiträge gab, finanzieren doch die berichterstattenden Sender die Veranstaltung und Veranstalter (die noch dazu ein zensiertes TV-»Weltbild« lieferten – das darf man ruhig zweideutig lesen). Natürlich wäre da auch was Kritisches über die FIFA-Hauptsponsoren eher lästig gewesen.
Und da haben wir sie wieder, die indirekte Abhängigkeit der Journalisten von den Geldgebern. Der qualitative Unterschied zu einem Regierungssprecher erschließt sich mir da genau so wenig wie Ihnen.
Ob dieses System allerdings wirklich auf den Sport beschränkt ist, wage ich zu bezweifeln.
[EDIT: 2010-07-14 11.30]
Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich mich im Rahmen einer privaten Veranstaltung (die Fußball-WM ist ja nichts anderes) den Gesetzen der Ausrichter und Hausherren zu fügen habe, oder ob wir von politischem Journalismus reden, der »über den Dingen« zu stehen hat.
Den ach so objektiven Journalismus gibt es nicht. Ich habe in der Vergangenheit festgestellt, dass diejenigen, die sich am meisten als »objektiv« gerieren, die schlimmsten Demagogen sind. Mit der Zeit weiss oder ahnt zumindest die politischen Präferenzen des Berichterstatters. Entsprechend besser lassen sich ja dessen Urteile dann einordnen. So funktioniert die Meinungsbildung beim Zuschauer über den »indirekten« Weg. Wenn der CSU-Mann Gottlieb vom BR etwas Kritisches zu Söder sagt, kann man hieraus die Verankerung von Söders’ Meinung in der Partei rückschließen.
[EDIT: 2010-07-14 12:02]
Das ist schlimm und verkommen !
Mir persönlich geht es nicht um die Person St. Seibert, es geht um das öffentlich Rechtliche System ! Hier wurde wieder mal ein Paradebeispiel dafür abgelegt das der Ex ZDF-Chefredakteur N. Brender recht hat. Ex ZDF-Chefredakteur N. Brender sagte dem Spiegel z.B: »Spitzelsystem, das davon lebt, dass Redakteure den Parteien Senderinterna zutragen«... »wirklich vergleichbar mit den IM der DDR«. Da sei ein »feingesponnenes Netz von Abhängigkeiten«...Er selbst habe »versucht, solche Spione wenigstens von Posten mit echter Verantwortung fernzuhalten«...»Parteipolitische Methodik droht gerade den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu okkupieren.« ...
usw. im übrigen soviel zum Thema 8 Milliarden Euro GEZ – Gebühren und den neutralen Journalismus den wir uns damit erkaufen !
Sie haben offensichtlich meinen kleinen Text nicht gelesen, sonst wüssten Sie, dass es sich um gängige Praxcis handelt, dass Journalisten ins politische Lager verchseln und umgekehrt. Und dass man sich mit GEZ-Gebühren neutralen Journalismus erkauft, ist kühn. Denn (1.) steht das nirgendwo so (in den öffentlich-rechtlichen medien spielt die Politik ausdrücklich eine Rolle) und (2.) kann es »neutralen Journalismus« gar nicht geben.
Zu Brenders dummen Äußerungen braucht man eigentlich nichts zu sagen. Die sprechen für sich selber. (Vermutlich hat man ihn nicht gefragt, wie er denn in diesem »Spitzelsystem« überhaupt soweit kommen konnte.)
PS: Demnächst lösche ich Kommentare, die auf solche Seiten wie die Ihre verweisen.
Schwache Ausrede...
Als Journalist ist man der Wahrheit verpflichtet, so man diese denn finden kann. Es reicht schon aus, wenn man möglichst präzise die Fakten wiedergibt und die möglichen Schlußfolgerungen aufzeigt. Dazu dann entsprechende Meinungen aus den unterschiedlichen Lagern. Will man seine eigene Meinung äußern, was durchaus legitim ist, macht man das deutlich und darf dann auch gerne etwas mehr vom Leder ziehen, sarkastisch werden und Vermutungen äußern. So sollte es sein.
Als Regierungssprecher ist man der Regierung verpflichtet. Die Wahrheit ist sekundär. Man sagt das, was die Regierung im besten Licht erscheinen läßt, ob nun wahr oder nicht. Was ist daran noch Journalismus?
Ich halte es nicht für möglich, die moralische Integerität, die man als guter Journalist haben sollte, für eine kurze Zeit völlig über Bord zu werfen, um sie später wieder aufzufischen. Wer in der Lage ist, für die Regierung Lügen zu verbreiten (oder die Wahrheit geschickt zu verschleiern), ist moralisch auch vorher oder nachher nicht haltbar. Da mag es noch so viele Beispiele geben (von denen ich nicht einen kenne, aber ich bin auch nicht aus der Branche). Mag sein, daß es Initialereignisse gab, die diese Menschen geläutert haben, aber wer sich vor den Karren der Politik spannen läßt, hat jegliches Vertrauen bei mir verloren. Das gilt natürlich insbesondere für die Politiker ^^
Das gleiche gilt natürlich auch für Menschen, die für die Tabakindustrie arbeiten, für gierige Pharmafirmen oder für Springer (die Liste ist nicht vollständig). Wer sich derart für Geld/Macht/Ansehen/Netzwerke prostituiert, daß er das Schlechte seines »Arbeitgebers« stumpf ignoriert und mit Scheuklappen seinen Dienst versieht, für den hab ich nur Verachtung über.
Und bitte keine Ausreden wie »Veränderungen von innen heraus schaffen« oder sowas. Sollte man tatsächlich solche Anwandlungen haben, wäre man nicht auf dem Posten gelandet. Oder man ist so leicht zu beeinflussen, daß der Arbeitgeber sich der korrumpierenden Macht sicher sein kann. Glaubhaft wäre das nur, wenn man den Posten nach wenigen Wochen hinschmeißt und dann offenbart, was für moralisch verwerfliche Taten von einem verlangt wurden. Das ist bisher aber noch nicht passiert. Und wird es auch nicht.
Ach ja, ich bin arbeitsloser Naturwissenschaftler und wäre das lieber bis zum Ende meiner Tage, als einen Job anzunehmen, für den ich mich jeden Tag schämen muß. Und, nein, ich koste den Staat kein Geld, weil ich mich nicht arbeitslos gemeldet habe. Nur um den typischen »Schmarotzer!«-Rufen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Der Görd aus Köln
@Görd
Was sagen Sie zu all den genannten Journalisten der Vergangenheit? Waren bzw. sind die für immer und ewig »moralisch« diskreditiert? Ich muss dann schon die Frage nach dem Verständnis (partei-)politischer Organisation und dem Politikbild dahinter fragen: Ist Politik derart verdammenswürdig?
Haben Sie nie in Ihrem Leben ein Unternehmen gewechselt? Sind vielleicht sogar zur Konkurrenz gegangen? Nehmen Sie – aus Angst zu »Prostituieren« lieber kein Geld an? (Wovon wollen Sie – arbeitslos und »kein ‘Schmarotzer’ « wie Sie so wirksam betonen – leben?)
»Glaubhaft« wäre jemand nur, der dann ganz schnell hinwirft und damit Ihr Urteil bestätigt? Nur derjenige ist glaubhaft, der Ihre moralischen Vorstellungen teilt? Was, wenn ihm der Job gefällt? Was, wenn er den Anspruch, die Wahrheit herauszufinden, nicht mehr hat? Ihr moralischer Rigorismus streift in seiner Verbohrtheit schon den Fundamentalismus.
#16 ‑Das kann man natürlich so konsequent sehen,
aber dann dürften die meisten Arbeitsstellen für Dich nicht mehr in Frage kommen. Welcher Verlag verknüpft nicht redaktionelle Inhalte mit werblichen, kommerziellen Interessen, zumindest gelegentlich? Welches Industrieunternehmen war oder ist nicht mehr oder weniger umweltschädlich? Welche Behörde arbeitet wirklich immer sauber und moralisch einwandfrei? Bei näherer Betrachtung dürfte da wohl nur eine Handvoll »einwandfreier« Jobs übrig bleiben.
Umgekehrt besteht aber der Job eines PR-Beauftragten (und nichts anderes ist ein Regierungssprecher) nicht zwangsläufig aus »Lügen«. Gute PR-Leute können darauf verzichten und trotzdem (oder gerade deshalb) ihren Auftraggeber würdig repräsentieren und kommunizieren. Und genau wie bei »normalen« Journalisten ist es natürlich klar, dass nie die »volle Wahrheit« vermittelt wird – das schafft wohl nicht mal der beste Journalist. Wie Herr Keuschnig schon angemerkt hat: Einen komplett objektiven Journalismus gibt es nicht.
Hahnebüchener Unsinn!
Erst einen auf regierungsfreundlich machen und den Zuschauer verarschen um dann Regierungssprecher zu werden. Ekelhaft!
Nur weil andere es genauso gemacht haben ist es keine Legitimation.
1rd und 2df haben unabhängig und neutral zu berichten.
Es heisst
hanebüchen.
Wer macht »auf regierungsfreundlich«? Wo steht, dass es eine »Legitimation« ist, dass es die anderen gemacht haben? Aber: Waren diese »anderen« schlechtere Journalisten? Ahlers? Gaus? Harpprecht?
»Teilweise wird so getan, als sei Steffen Seibert einer verabscheuungswürdigen Sekte beigetreten.«
Das scheint mir eine starke aber nicht ganz unzutreffende Bezeichnung für die momentane politische Klasse zu sein.
Nicht nur politische Klasse, meine ich: auch publizistische Klasse. Bzw. noch genauer: Blogger-Klasse. Oder?
Genau!
Danke für den Text!
»Die Mißgunst, die Steffen Seibert erfährt, spiegelt natürlich die (berechtigte) Unzufriedenheit mit dieser Regierung wieder.«
Ich sehe das genauso. Einer der Gründe, warum soviel Bohei um die Sache gemacht wird liegt in meinen Augen daran, dass ein smarter und relativ beliebter »Ankermann« des ZDF nun für die in Missgunst geratene große Koalition spricht, also quasi »zur dunklen Seite der Macht« übergelaufen ist.
Danke für den Beitrag. Und viel Glück für Herrn Seibert, er wird noch eine Menge Regierungsarbeit zu erklären haben.
Die Empörung über Seibert und seinen Jobwechsel ist tatsächlich völlig unangemessen. Der Mann wechselt seinen Arbeitgeber und singt nun dessen Lied. Die Befähigung zu diesem speziellen Job ergibt sich schon aus seinem Namen: Steffen seibert!
Seibert mit Journalisten vom Schlage eines Ahlers, Gaus, Böllings oder auch Boenischs zu vergleichen, verbietet sich meines Erachtens. Letztere waren meinungsstarke Medienleute, bei denen man wusste, auf welcher Seite sie stehen und deren Berufung in die jeweilige Regierung einer gewissen Logik folgte.
Empören sollte man sich über diese Regierung, die ihre geradezu historische Unfähigkeit nun durch das sympatisch-jungenhafte Gesicht eines allseits bekannten, scheinneutralen Nachrichtenmoderators zu kaschieren versucht.
Ich habe nicht den Journalisten Seibert mit Gaus, Böllig et. al. verglichen, sondern eher den Vorgang.
Worin liegt denn eigentlich der Unterschied zwischen »meinungsstark« und »scheinneutral«?
Genau den Vorgang habe ich auch gemeint und im Nachfolgenden auch versucht zu begründen.
Ich kenne Seiberts politische Einstellung nicht. Er wird eine haben, aber die durfte, verständlicherweise, in seinem Heute-Job keine erkennbare Rolle spielen. Er hat das Image des scheinbar neutralen Nachrichtenübermittlers und genau deshalb wurde er ausgewählt. Mit diesem Image soll er den Regierungsmurks verkaufen. Der Unterschied zu Ahlers, Boenisch, Bölling usw. liegt doch auf der Hand. Im Spiegel , in BILD, In TV-Magazinen usw. haben die dezidiert Meinungen geäußert und gemacht. Aber das weißt Du doch selbst .
Sorry, aber den »Vorgang« hast Du nicht gemeint. Du schriebst (Hervorhebung von mir): »Seibert mit Journalisten vom Schlage eines Ahlers, Gaus, Böllings oder auch Boenischs zu vergleichen, verbietet sich meines Erachtens.« (Hier stimmen wir übrigens überein)
Ich finde es ein bisschen weltfremd, dass man Seiberts politische Meinung in den »heute«-Nachrichten so klein redet. Sie ist alleine durch die Setzung und Pointierung von Schlagzeilen und Informationen gegeben; von der Auswahl und Reihenfolge der Themen gar nicht zu reden. Seibert musste übrigens den UNICEF-Spendenskandal berichten, obwohl er UNICEF-»Botschafter« war (was jedoch in einem kurzen Satz erwähnte).
Und nein, ich weiss nicht, inwiefern Böllig und Co. als Journalisten dezidiert Meinungen geäußert hätten, die sie als Journalisten disqualifiziert hätte. Bölling habe ich damals als »Weltspiegel«-Moderator und Auslandskorrespondent wahrgenommen. Er wurde dann Intendant bei einem SPD-Sender (Radio Bremen), was nur aufgrund bestimmter Präferenzen möglich war (ist). Als Meinungsjunkie (wie beispielsweise ein Klaus Bednarz) erschien mir auch Gaus nie. Ahlers kritisierte die Bundesregierung Brandt/Scheel nach seinem Abgang 1973 auf das Schärfste. Eine Ausnahme bildete damals Friedhelm Ost, der damals schon als ziemlich marktradikaler Journalist galt. Er war aber nie ein Nachrichtenmann.
Na gut, ich hab’s möglicherweise missverständlich geschrieben, aber, dass ich das gemeint habe solltest Du mir schon abnehmen. – OK?
Dass Nachrichtensendungen auch färben, allein durch die Nachrichten auswahl, dass Moderatoren durch Pointierungen, ja selbst durch ihren Gesichtsausdruck, Meinungen ausdrücken oder Meinungsbildung beeinflussen können, wer wollte das bestreiten. Eine besondere Affinität Seiberts zur momentanen Regierung ist mir jedenfalls bisher nicht aufgefallen. Ausserdem steht ja hinter so einem Ankermann eine ganze Redaktion und deren Einfluß auf die Themen, die Schlagzeilensetzung, die Bilder und Filme dürfte den des Präsentators doch erheblich übersteigen.
Und ganz sicher habe ich Ahlers, Bölling, Boenisch und all den anderen oben genannten nicht die journalistische Qualifikation abgesprochen. Ihre politische Einstellung war für mich immer klar und wo anders, als aus deren Veröffentlichungen, Moderationen usw. hätte ich dies entnehmen können?
Eine besondere Affinität Seiberts zur momentanen Regierung ist mir jedenfalls bisher nicht aufgefallen.
ich auch nicht. Und jetzt weiss ich nicht, ob ich das gut oders chlecht finden soll (ehrlich).
Seibert zu seiner Berufung zum Regierungssprecher:
„Ich nehme diese Aufgabe gerne an, weil ich überzeugt bin, dass die Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel die richtigen Schwerpunkte setzt, um unserem Land in diesen schwierigen Jahren eine gute Zukunft zu sichern.«
Diese Aussage ist doch eines Regierungssprechers würdig. Natürlich glaubt er das selber nicht und weil er beim Verbiegen der Realität auch noch so unschuldig dreinschauen kann – mein Fazit:
Als Regierungssprecher – Sehr gut!
( Selbstverständlich würde Seibert auch als Anpreiser beim Teleshopping, als Heizdeckenverkäufer auf Kaffeefahrten, als Staubsauger- oder Versicherungsvertreter eine prima Figur abgeben.)
Tja, das ist die Frage. ob er das wirklich nicht glaubt. Ich bin eigentlich bis zum Beweis des Gegenteils immer geneigt, den Leuten zu glauben. Warum kann er nicht von dieser Regierung bzw. dem, was da ansteht, überzeugt sein? Zumal ja mangels Programmatik sehr große Spielräume existieren. Oder er weiß schon mehr als wir.
Ja sicher, Fragen über Fragen. Aber da musst Du nun selber lachen?
Lachen – nein. Ich wundere mich nur.
Das man Anfang/Mitte der 80er bei einer »geistig-morlaischen Wende« à la Kohl mitmachen wollte, konnte ich noch verstehen. Es waren ja nicht die schlechtesten Köpfe, die er da versammelt hatte; auch Seiteneinsteiger. Allesamt erstaunlich schnell ernüchtert. Kohl wäre eine Fußnote in der »Gechichte«, wenn es die deutsche Einheit nicht gegeben hätte.
Aber wo ist das Programm dieser Regierung? Die CDU unter ihrer Parteichefin Merkel war sofort nach der Wahl vollkommen ohne Programmatik. Allenfalls die CSu schwenkte populistische Fähnchen. Das war erst der Hintergrund, der der FDP die Bühne für ihr Lamento gab und Westerwelle veranlaßt sah gegen den Sozialstaat zu wettern. Diese Regierung ist intellektuell am Boden. Sie hat keine Lösungen anzubieten. Ich stelle mir das immer so vor wie ein hausbesitzer, dessen Dach an mehreren Stellen undicht ist. Statt das Dach abzudichten geht er Eimer kaufen.
Was vermag Seibert, nein: was vermag einen Journalisten, der ja nicht restlos verbödet ist, an dieser Aufgabe reizen? Das Geld? Nein. Idealismus! Ja, okay. Aber welcher?
Aber das führt von der Diskussion weg: Es ging mir darum, dass diese Entrüstung über den Vorgang und die Vergleiche mit Italien oder ähnlichen Pseudo-Demokratien Unsinn sind. Das ist aber unabhängig davon, dass Seibert auf einem Dampfer anheuert, der ohne Kompass eine Weltreise antreten möchte.
Die Bundesregierung: “Ein Dampfer, der ohne Kompass eine Weltreise antritt.” Was für eine perfekte Beschreibung!
Das grauenhafte daran: Wir alle sind die Passagiere und feiern rauschende Bordfeste, solange, bis uns Steffen Seibert von der Kapitäninnenbrücke meldet: “Eisberg voraus!” Dann wird es ganz still und dann hören wir das dumpfe Schrammen und dann warten wir auf den Wassereinbruch – - Stille – - Und dann gibt Steffen Seibert Entwarnung, die Bordkapelle setzt jubilierend ein, Ein Hoch der Kapitänin! Wir dürfen weiterfeiern. Nochmal gut gegangen...
( Entschuldigung, Deine Steilvorlage war zu verführerisch, da ging mir der Gaul durch. Und jetzt sag ich nix mehr.)
Denken ist vor allem Mut – war doch so, oder?!
Du willst also behaupten, Karrierejournalisten wären keine Politiker, Rundfunk- und Zeitungsredakteure wären keine Politiker, Fernsehmoderatoren wären keine Politiker, Buchautoren wären keine Politiker – sagen wir – Berufsprediger jeglicher Couleur einschließlich Leinwandgöttern, akademischen Geisteskoryphäen, Kunstikonen, Kirchenheiligen, Popsängern, Sportidolen bis hin zu Lehrern und Ärzten wären alles keine Politiker, sondern nur »Politiker« wären eben Politiker, die echte Macht innehaben.
Das wäre sozusagen deine Theorie oder auch: deine Frömmigkeit.
Meine geht ein bisschen anders: Ich glaube z.B., dass wir nicht politisch beherrscht werden, sondern kulturell. Mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen ...
Und jetzt bin ich gespannt, ob man bei dir frei kommentieren kann – von wegen Denken ist vor allem Mut und so.
Was ist denn ein »Karrierejournalist«?
Berufsjournalisten mit anderen Prioritäten als – na sagen wir – Berufsehre. Oder nennen wir’s mit Vortäuschen von Professionalität und Seriosität doch gleich beim richtigen Namen.
Michael Hesemann z.B. – ein lupenreiner Papist. Claus Kleber aber genauso. Und für Frau Illner ist der »Spagat« zwischen kommunistischer und konstantinischer Unterwürfigkeit ein Klacks ... Alle drei Paradeexemplare der Gattung Opportunist/Karrierist (wie übrigens natürlich alle akkreditierten TV Talking Heads).
Später mehr.
Lass mich erst genauer auf deinen Beitrag eingehen, okay?
Und danke für Kommentarfreiheit! (Und keine Bange bitte.)
Was ist die Berufsehre eines Journalisten?
Ich kenne Michael Hesemann nicht – so viel Karriere kann da also nicht drin sein. Und Sie wollen das unterlegte geschreibsel mit Claus Kleber vergleichen? machen Sie sich doch nicht lächerlich.
Nur zur Klärung: Verschwörungstheorien finden hier keinen Platz; Denunziationen selbst mit Linkunterlegungen auch nicht. Einfache Behauptungen (»X ist Y«) sind im übrigen keine Argumente.
Entruestete Journalisten, Medienwissenschaftler
Gestern hat es mich bei diesem Beitrag doch geschuettelt, so grausam fand ich’s:
»[..] weil er hat einfach seine Unschuld verloren [..] Er war zu nah an den Töpfen der Macht, auch an den Fleischtöpfen der Macht..
Man muss einem solchen potenziellen Rückkehrer im Grunde vorher, wenn er den Sender verlässt, sagen, du könntest allenfalls in der Tierfilmabteilung beschäftigt werden [..]«
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1249880/
Spiel nicht mit den Schmuddelkindern (von der Politik)!
Die Abmoderation konnte ich dann beinhae nur noch ironisch nehmen:
»Volker Lilienthal, Medienwissenschaftler aus Hamburg, über Journalisten als Regierungssprecher und die mögliche Rolle rückwärts in die Anstalt.«
Ne, in so’ne Anstalt moecht ma doch gar nicht zurueckrollen, so verwirrt und empoert, wie sie da allenthalben sind. Dieses hochmoralische Ross, auf das sie, die Journalisten und Kommentatoren, sich da schwingen wollen – Vaulting ambition, which o’erleaps itself.
@Phorkyas
Ja, dieses hohe Roß hat für mich inzwischen nicht mehr nur etwas Lustiges oder Neidvolles, so wie man vielleicht einem Kollegen nachschaut, der die Seiten gewechselt hat (was selten genug vorkommt). Es zeigt sich darin sowohl der fast affektartige Beißreflex gegen all das, was man »Politik« nennen kann. Aber es zeigt, und das ist viel wichtiger (und schlimmer) ein inzwischen seltsam abgehobenes und arrogantes Selbstverständnis der Journalisten in dieser Gesellschaft. Bei »zapp« war das auch zu hören: Seibert »enthülle« und »kontrolliere« jetzt nicht mehr (sinngemäß), sondern verhülle. Als sei es die primäre Aufgabe von Journalisten, dauernd irgend etwas zu enthüllen.
Ähnlich gebärden sie sich ja auch: Im Stile eines Staatsanwaltes, der je nach Gusto anklagt oder – mit gönnerhafter Attitüde – Vergebung gewährt. Ihr »Vierte-Gewalt«-Gerede muß man wohl Ernst nehmen. Nur: Da entstehen dann keine vorurteilsfreien Journalisten mehr sondern Gesinnungsschreiber und Massenbeeinflusser.
Ein Artikel in der Presse, der in eine ähnliche Kerbe schlägt (auch wenn ich ihn in Summe etwas enttäuschend finde).
»Nichts wird etwa von gewissen Kritikern so sehr verachtet wie der Kollege, der plötzlich einen Roman schreibt und also die Seite wechselt. Und nichts wird von etlichen Autoren so scheel betrachtet wie der Kollege, der gelegentlich Bücher rezensiert.«
Da passte einiges, wie ich fand auch auf den Koehler-Ruecktritt, dem ja auch eine gewisse Duennhaeutigkeit attestiert wurde (- die Muster bleiben also bestehen?) – Aber die Saetze passen schon wie angegossen.
Wohl auch ein Phaenomen, das sich auf viele Berufs»kasten« uebertragen laesst. Wenn ein Physiker in die Wirtschaft wechselt, dann ‘geht er der Physik verloren’ – so etwas wie ein verlorener, abtruenniger Sohn, der nicht dem erkenntniseheren Parolen folgen vermag und den Mammon vorzieht? – Was muessen Journalisten dann sein: knallhart. investigativ. Wahrscheinlich vermittelt das Studium auch das entsprechende Selbstbild.. aber dass man den fiesen Politikermachtmensch noch als Gegenbild bemuehen muss, der sich vor Macht der Feder nie andienen duerfe (komisch das – was der Spiegel da z.B. an Merkelportraits rausrotzte, war das nicht auch so etwas wie .. ‘Hofberichtserstuttung’ – aber jetzt kann man einem ‘officially corrupted’ aufdrucken, anstatt die Gueltigkeit des eigenen Berufsethos’ zu pruefen) – Mit der Vokabel ‘Gesinnungsschreiber’ muss ich noch warm werden, aber hier scheint’s gut zu passen. Da wird reflexhaft angeklagt, verurteilt, obwohl derjenige ja noch gar nichts gemacht hatte – nicht dass er das Amt schon beendet haette und zurueckwollte, er hatte noch nicht einmal seine erste Pressekonferenz gegeben, bzw. nahm man darauf gar keinen Bezug. Wen interessieren schon Inhalte wenn man mal einfach drauflosverurteilen kann.
— Stattdessen sollten sie mal die Boulevardisierung eindaemmen:
Schlagen bis aufs Blut – Alle sieben Jahre lädt ein kleiner Ort in Süditalien zur Europas blutigster Flagellanten – Prozession (dradio)
Jan Faktors schreiend komische Phänomenologie des Hausens und Wohnens. (zeit.de)
Für Verena Sailer hat sich mit dem Europameistertitel einiges geändert. Die blonde Sprinterin kann ihr Gold offenbar versilbern.
(faz.net)
Menasses Text ist zunächst einmal fast skandalös schlecht formatiert. Das ist eigentlich eine Frechheit.
Zum Inhalt: Meines Erachtens will sie zuviel. Sie beschränkt sich nicht auf das Feuilleton und die Kultur, sondern versucht auch noch Ausflüge in die Politik.
Im Prinzip hat sie recht. Die Sätze »Die Journalisten sind die einzige Berufsgruppe, die keiner öffentlichen Kritik, keiner Evaluation, keiner Überprüfung unterliegt. Dafür bezahlen sie zwar traditionell mit einem wirklich miesen Prestige [...], doch ist das, angesichts ihrer luxuriösen und zum Hochmut verführenden Unangreifbarkeit, wohl eine erträgliche Strafe.« müssten einem eigentlich angst und bange werden lassen. Und Journalisten würden sicherlich diese Form der Unangreifbarkeit, ja Macht, anprangern. Wenn es nicht gerade sie beträfe.
@Phorkyas
Die Boulevardisierung auch der »Qualitätsmedien« ist nicht mehr aufzuhalten. Ich sah hierin die Chance beispielsweise von Blogs oder Internetforen. Aber auch das ist eine Illusion. Selbst der Bildungsbürger mags meist ganz gerne griffig.
@Gregor
Willkommen in der Onlinewelt österreichischer Tageszeitungen! Das ist bei der Presse leider üblich, auch beim Standard, dort allerdings (gefühlt) besser. Eine Frechheit, ja, das dachte ich mir auch schon öfter, gegenüber dem Autor und dem Leser (letzterer aber liest unentgeltlich mit, also...).
Menasse hat recht ja, der Text hält aber leider nicht was er verspricht, und dringt zu wenig tief ein.
@Metepsilonema
Nur weil jemandem etwas unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird, »darf« es nicht lieblos aufbereitet sein. Und Du hast recht: Es ist eine Unverschämtheit der Autorin gegenüber.