Was bisher niemand ernsthaft infrage gestellt hatte, wird plötzlich zum Thema: Kandidiert Angela Merkel 2017 noch einmal bei der Bundestagswahl als Kanzlerkandidatin der Unionsparteien? Der politische Journalismus beschäftigt sich schon seit vielen Monaten mit der Frage, wer bei der SPD KanzlerkandidatIn wird – aber bei der Union? Da schien Merkel gesetzt. Denn noch nie hat ein amtierender Bundeskanzler auf eine Kandidatur verzichtet. Zweimal, Erhard und Brandt, traten sie in ihrer Amtszeit zurück. Kohl zögerte den Wechsel mitten in der Legislatur an Schäuble hinaus, bis er schließlich 1998 noch einmal antrat – und verlor.
Bundeskanzler sind, wie Günter Bannas in der FAZ beschreibt, Machtmenschen. Eine freiwillige Demission ist da nicht vorgesehen. Merkel wurde und wird ebenfalls als Machtpolitikerin beschrieben, auch wenn das Image des männermordenden Vamp zum Teil übertrieben ist: Die Rückzüge von ambitionierten Politikern wie Merz oder Koch geschahen nicht nur aus programmatischen Zwistigkeiten, sondern weil sie der gleichen Generation wie Merkel angehörten. Als feststand, das Merkel das Amt ausfüllte, hatten sie keine Machtperspektive mehr; jeder Nachfolger von Merkel muss jünger sein als sie.
Merkels Zögern in der K‑Frage überrascht also. In den Medien ist die Rede davon, dass es Abstimmungsprobleme mit der bayerischen CSU gebe. Diese wolle sich angeblich erst 2017 entscheiden, ob sie Merkel unterstütze. Alleine diese Aussage kommt eigentlich einem Affront gleich. Zwar hat auch in der Vergangenheit die CDU immer ihre Probleme mit der CSU gehabt; Kohl kann ein Lied davon singen. Aber dass man sich als Schwesterpartei dauerhaft derart bekriegt, gab es nicht einmal unter Strauß. Das ist eine neue Qualität. Wenn es jedoch stimmt, dass ein Bundeskanzler ein Machtmensch sein muss, dann erstaunt es doppelt, wie sich Angela Merkel von der CSU abhängig zu machen scheint. Seit wann wedelt der Schwanz mit dem Hund? Kann sie ernsthaft die CSU als Zünglein an der Waage zur K‑Frage der Union machen? Und: Wen will die CSU denn sonst unterstützen?
Der überwältigende Erfolg der CDU 2013 ließ den sehr guten Erfolg der CSU (7,4% umgerechnet auf den Bund) dahingehend verblassen, dass in der Großen Koalition die Stimmen der CSU theoretisch nicht benötigt werden, um eine Mehrheit zu erzielen. Merkel hat dies auch im Herbst 2015 nie offen ausgespielt sondern die Störfeuer aus München fast stoisch ertragen. Mit einem ähnlichen Ergebnis wie 2013 ist allerdings nicht mehr zu rechnen und die Erfahrung zeigt, dass, wenn die CDU schwächelte, der Anteil der Sitze und damit der Einfluss der CSU wuchs.
Will Merkel mit ihrem eigenen Zögern zunächst die Basis in der CDU wieder auf ihre Seite bringen? Oder könnte dies gerade zur Verunsicherung beitragen? Tatsache ist, dass es derzeit keine Persönlichkeit in der CDU gibt, der eine ähnliche Popularität wie Merkel vorweisen kann (die Werte für Merkel sind nach wie vor recht hoch). Wer aber indirekt droht, von Bord zu gehen um damit die Reihen zu schließen – ist das nicht eher ein Ausdruck von Schwäche? Merkel hat in den letzten Monaten zwar an Ansehen verloren, aber binnen eines Jahres kann man schwerlich einen neuen Kandidaten, eine neue Kandidatin einer breiten Bevölkerungsschicht präsentieren. Zumal der- oder diejenige immer als »Ersatz« oder vielleicht sogar »Königinnenmörder« angesehen würde. Damit spielt auch Merkel, wenn sie sagt, die Kandidatenfrage erst im Frühjahr 2017 auflösen zu wollen.
Indem die CSU die Merkel-Frage selber erst 2017 beantworten will, begeht sie einen strategischen Fehler. Die Wahlen in Bayern sind erst 2018 – sollten die Unionsparteien dann nicht mehr an der Regierung sein, sinken eben auch die Gestaltungsmöglichkeiten der CSU im Bund. Der Bundesrat dürfte weiterhin in rot-grüner Hand bleiben (obwohl die Wahl in NRW für die SPD verloren gehen könnte). Merkels Zögern erfüllt noch einen anderen zweck: Sie kann die eigenen Reihen neu auf sich einzuschwören. Der Termin ist der CDU-Parteitag im Dezember. Hier wird Merkel vermutlich als neue (und nicht als »alte«) Kanzlerkandidatin unmissverständlich inauguriert werden; notfalls von der CDU alleine. Damit wird die CSU unter Druck gesetzt werden. Ein über Dezember hinausgehender Schwebezustand würde Merkel schaden: Man legte es als Schwäche oder sogar (unzulässige) Drohgebärde aus; abgesehen davon wäre sie EU- und außenpolitisch eine »lame duck«.
Wie werden die Medien damit umgehen? Wenn es um die SPD geht, zögern die meisten Auguren nicht, eine schnelle Entscheidung zu fordern. Bei Merkel sieht es derzeit anders aus. Die fast devote Haltung der beiden Hauptstadtjournalisten im ARD-Interview gestern zielt in diese Richtung.
Eine andere Frage ist, ob man mit dem Amt bzw. der Kandidatur hierzu derart strategisch umgehen darf.