Der Kader für die EM steht und jetzt beginnt für Journalisten, Experten und Taktikfreaks die schwierigste Zeit: Wie verfasse ich eine Stellungnahme, die mir alle Interpretationsmöglichkeiten nach der EM offenlässt, eine These, die immer stimmt, ob Deutschland nach der Vorrunde ausscheidet oder erst im Halbfinale oder sogar Europameister wird, eine Aussage, die bedeutungsvoll klingt, jederzeit hervorgeholt, als vorausschauend präsentierbar ist, Ruhm, Ehre und einen Platz in der Sky‑, Sport1- oder Magenta-Diskussionsrunde bringt? Keiner will in die Falle gehen, sich jetzt allzu meinungsstark zu präsentieren, nein, das geht unweigerlich in die Hose. Man denke an die wochen‑, ja monatelange Berichterstattung um den jeweils neuen Bayern-Trainer. Nur Journalistenneulinge posteten ihre angeblich sicheren Informationen heraus; wohl der, der zurückhaltend war (so gut wie niemand). Andererseits wurde man auch als Nicht-Sky-Abonnent von den Sniperattacken eines Didi Hamann aus dem wohligen Leverkusen-Vergnügen geweckt und wenn die Saison noch länger dauern würde, käme er womöglich noch daher, für einen eckigen Ball zu plädieren, oder 3 x 30 Minuten Spielzeit mit acht Auswechselspielern, so ist er, der Didi, immer was Neues und wenn es der größte Blödsinn ist, der Sender bringt es, die anderen multiplizieren es und man sehnt sich nach den Zeiten von Delling und Netzer oder, noch früher, als Jürgen Klopp fürs ZDF auf Taktiktafeln den staunenden Moderatoren erklärte, wie man am besten zu spielen habe und die Spötter damals, die meinten, ein Trainer von Mainz erkläre den Koryphäen die Fußballwelt und jetzt würden sie ihn am liebsten nicht mehr loslassen.
Ja, es ist eine schwierige Zeit für Heckenschützen, Alleswisser und Letztbegründer. Man wartet wohl eher bis erste Meldungen aus dem Trainingslager eintreffen, dieses und jenes, Bindengeflüster wird es nicht mehr geben, aber vielleicht anderes, wer weiß. Der geneigte Fußballfan weiß, wie er die Spiele zu genießen hat. Man schaltet eine Minute vor der Anspielzeit ein, versäumt damit all das Zirkusbrimborium, schaut sich das Spiel an und schaltet dann ab. Nicht ohne das Gefühl, sowieso alles gewusst zu haben.