Klick

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 15

Hän­de­we­deln: Wir wol­len nicht fah­ren, Ka­me­ra­zei­gen: Wir wol­len nur ein Fo­to von uns ma­chen. Schritt zur Sei­te, ausm Bild: Bit­te schön. Klick, Klick, und jetzt noch von hier, so, Klick, dan­ke. Bit­te. Tschüss. Tschüss. – Wir lau­fen, wir müs­sen lau­fen, wir kön­nen noch lau­fen. Klick. Wir schaf­fens noch, ist das nicht an­stren­gend, kön­nen Sie da­von le­ben. Klick. – Von Links: Ka­me­ra-An­schlag, Fa­den­kreuz, Klick­klick. Es wä­re schön, wenn Sie erst fra­gen wür­den, be­vor Sie mich fo­to­gra­fie­ren. Klick, Klick, ver­schäm­tes Tri­umph­grin­sen: Die hab ich, Ab­wen­den: Ich wars nicht. – Wann hat Hit­ler die Mau­er ge­baut, war­um ha­ben die Na­zis Bü­cher ver­brannt, wo fin­den wir den Füh­rer­bun­ker. Klick. Wir ha­ben ein schlech­tes Ge­wis­sen, das kön­nen wir Ih­nen nicht an­tun, Sie ma­chen das ja frei­wil­lig. Klick. – Au­gen­brau­en­he­ben: Fo­to ok? Es tut mir leid, ich möch­te das nicht, aber dan­ke, dass Sie mich vor­her ge­fragt ha­ben. – Ist das Ihr Hob­by, ma­chen Sie das haupt­be­ruf­lich, was ma­chen Sie sonst noch so. Klick. – Von vor­ne rechts: Ka­me­ra-An­schlag, Fa­den­kreuz, Klick­klick, Klick. Es wä­re schön, wenn Sie erst fra­gen wür­den, be­vor Sie mich fo­to­gra­fie­ren. Ab­win­ken: Was, ach komm, Kopf­schüt­teln: Wie­so, Vo­gelz­ei­gen: Al­so nee, wirk­lich, so was. Den­ken aber nicht sa­gen: Wie im Zoo vorm Af­fen­ge­he­ge. Au­gen­rol­len: Ihr seid doch Teil des Stadt­bilds, Halb­kreis mit ge­öff­ne­ter Hand: Al­les meins, Klick­klick. – Wo fah­ren hier die Bus­se für die Stadt­rund­fahr­ten ab, wo ist die näch­ste U‑Bahn, was ist das für ein Ge­bäu­de, und das da, und das da. Klick. – Ha­ben­wol­len­blick: Kön­nen wir uns nur mal für ein Fo­to bei Ih­nen set­zen? Schritt zur Sei­te, ausm Bild: Na klar, bit­te schön. Ka­me­ra­zücken: Klick, Klick, dan­ke. Bit­te. Tschüss. Tschüss. – Mit dem Ta­xi wärs aber bil­li­ger, in Thai­land kost das bloß ein paar Pfen­nich, für die Hälf­te wür­den wirs uns über­le­gen. Klick. – Fron­tal: Ka­me­ra-An­schlag, Fa­den­kreuz, Klick, Klick­klick. Hal­lo, es wä­re schön, wenn, wür­den Sie bit­te ... Zei­ge­fin­ger: Ich kann fo­to­gra­fie­ren was ich will, Jetz­terst­recht­blick: Klick, Klick, Klick­klick. – Da wis­sen Sie aber am Abend auch, was Sie ge­tan ha­ben, da spa­ren Sie sich das Sport­stu­dio und krie­gens auch noch be­zahlt, da blei­ben Sie aber fit. Klick. Kön­nen wir bei Ih­nen die Kin­der auf den Schoß neh­men, kön­nen wir bei Ih­nen zu dritt fah­ren, und jetzt al­le Ach­te auf die Rit­sch­ka, ha­ha­ha. Klick. –

Freund­lich Lä­cheln: Gu­ten Tag, dürf­te ich bit­te ein Fo­to von Ih­nen ma­chen? Ja, Sie dür­fen, vie­len Dank, dass Sie mich vor­her ge­fragt ha­ben, ich wür­de mich freu­en, wenn Sie mir das Fo­to nach­her schicken wür­den. Small­talk, E‑­Mail-Adres­sen­aus­tausch.

- Kann ich Ih­nen hel­fen? Nein, uns ist nicht zu hel­fen. Klick. Wir ha­ben schon al­les ge­se­hen. Klick. Wo gehts hier zum Ho­lo­caust. Da kom­men Sie 70 Jah­re zu spät. Klick. An die­sem Denk­mal kann man se­hen, dass man da­mals gar nichts ma­chen konn­te. Klick. Wir ha­ben schon al­les ge­se­hen. Klick. – Fron­tal: Ka­me­ra-An­schlag, Fa­den­kreuz, Klick, Klick­klick, Klick. Es wä­re nett, wenn Sie erst fra­gen wür­den, be­vor Sie mir die Ka­me­ra in die Fres­se hal­ten, wäh­rend ich mir ei­ne Ga­bel Nu­deln in den Mund schie­be. Wut­bür­ger­wer­den, Hals­adern­an­schwel­len, Stim­me­auf­brau­sen: Jetzt wer­den Sie nicht un­ver­schämt hier, ich hab nicht Sie fo­to­gra­fiert, son­dern den Platz, al­so wirk­lich, die­se Ber­li­ner Rik­scha­fah­rer sind ja echt das al­ler­letz­te. Klick. Bürsch­chen, hau ab, Rotz­hoch­zie­hen, auf den Bo­den spucken, gehs Bran­den­bur­ger Tor fo­to­gra­fie­ren und hau Dir sel­ber ei­ne run­ter, ich hab kei­ne Lust.

© Ste­pha­nie Bart

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  1. 30. Ju­ni. Sonn­tag
    Ber­lin: un­über­seh­ba­res Häu­ser­meer. Rund­ho­ri­zont über­schlan­ker Helm­schäf­te, wuch­ti­ger Hoch­häu­ser, leer­ge­brann­ter Kup­peln, klo­bi­ger Ga­so­me­ter. Ver­wai­stes Zen­trum, das Spruch­bän­der über sei­ne Blö­ßen zieht. Aus ei­nem Dut­zend mit­tel­gro­ßer Städ­te zu­sam­men­ge­wür­felt – Ste­glitz im Sü­den (das ist kein Asyl für Vö­gel), Pan­kow im Nor­den (das ist kein Asyl für Rus­sen). Stadt, die ih­re Ver­gan­gen­heit ab­warf. »See­len­lo­ser Stein­bau­ka­sten«. Städ­te-Sam­mel­su­ri­um: Lich­ter­fel­de Span­dau Kö­pe­nick. »Ka­lei­do­skop, das in Be­we­gung ge­ra­ten muß, um sei­ne Viel­falt zu zei­gen«: Plöt­zen­see. Stadt der Hoch­bah­nen, der Schlepp­kräh­ne, der Was­ser­we­ge. End­lo­ses Fließ­band aus Chrom Blech Lack und Gum­mi. Mäch­ti­ge Klam­mer, die nach dem Weich­bild der Stadt greift. Stadt der Brand­mau­ern, der Schutt­ab­la­de­plät­ze, der feh­len­den Eck­häu­ser. Die Woh­nun­gen von Wed­ding (»die Ab­we­sen­heit all des­sen, was wohl­tut und ge­fällt«), die Bal­kon­fron­ten von Alt-Moa­bit. Locke­res Ge­fü­ge von Vier­teln, mit Ein­spreng­seln von Grün­flä­chen Lau­ben-Ko­lo­nien und Schre­ber­gär­ten. Ha­sen­hei­de, Ge­sund­brun­nen. Stadt der Seen und weit­läu­fi­gen Parks. »Deutsch­spre­chen­des Neu­trum«. Schau­fen­ster der west­li­chen Welt. Groß­stadt-Bou­le­vard auf ehe­ma­li­gem Knüp­pel­damm. Kunst­ge­werb­li­che Es­se. Die Ge­dächt­nis­kir­che ein stump­fer, form­lo­ser, an­ge­knab­ber­ter Ke­gel. »Hort der Frei­heit«. Un­ru­he­herd. Faust­pfand und Zank­ap­fel in ei­nem, zer­stückt und ge­spal­ten, auf­find­bar un­ter den Ko­or­di­na­ten 13 Grad öst­li­cher Län­ge und 52 Grad nörd­li­cher Brei­te...

    Jo­sef W. Jan­ker: »Auf­ent­hal­te – Sechs Be­rich­te«, edi­ti­on suhr­kamp, 1. Auf­la­ge 1967, S. 28–29

  2. Das Klick­klick­klick­klicker­klick in Dei­nem Text nervt ge­nau­so wie das auf der Stra­ße. Da muß Ab­hil­fe ge­schaf­fen wer­de. Bast­le mir jetzt ’nen Schild: FOTO 1 Eu­ro. Oder bes­ser gleich zwei?

    Bit­te nett lä­cheln.