All die von der Kreuzung abgehenden Straßen und die vielen
Möglichkeiten des Abbiegens, überall Pfeile, Schilder, Menschen und
Autos.
Der in einem T‑Shirt auf einem Plastikstuhl sitzende Mann, seine
Lippen schnell und stumm bewegend, vielleicht ein Gebet,
vielleicht einen Gruß sprechend.
Die Schulkinder und ihre zentnerschweren Rucksäcke; krumme, nach
hinten gebogene Rücken, Kaugummischmatzgeräusche; aus Mündern
hervortretende Blasen, rosa.
Ein auf dem Gehweg parkender E‑Scooter, eine Mutter und ihr Sohn.
Das sich zum Lenker streckende Kind und das laute Ertönen der Roller-Hupe;
zusammenzuckende Körper, »Schluss jetzt!«
Die Ungeduld der Autofahrer und ihre Äußerungen darüber in Form
von Hupen und Fluchen. Heruntergekurbelte Fenster, Transporter und
Fahrräder mit Anhängern; Kinderbringzeit, überall Geschrei.
Die hin- und herzuckenden Bilder des großformatig als Werbefläche
genutzten LED-Bildschirms, Times Square Oberbilk, New York
Düsseldorf; kauft, kauft, sonst sind wir verloren.
Die sich stapelnden Kisten der Tomaten, Gurken und Bohnen beim
gegenüberliegenden Gemüsehändler und der Vater mit seinem
Lastenrad und der ATOMKRAFT-NEIN-DANKE-Flagge auf dem
Gepäckträger.
STADTENTWÄSSERUNG, PIRATENUMZÜGE, YOUNG POET
SOCIETY; die Werbung und ihre Täuschung, ihr Eintausch der
Wahrheit in ein Bild.
Die Kreuzung als Ort, von dem sich ständig etwas abtrennt, ewig sich
teilende Menschenfluten, Dauerrauschen.
Die Tomaten im Angebot, so auch die Gurken; ein Mädchen in blau,
ein Junge in rosa, we don´t need no education.
Die rote Metallumkleidung der Uhr und der unterhalb der Zeitanzeige
angebrachte Aufruf zur temporären Leihmöglichkeit der Werbefläche;
die Zeit, ZU VERMIETEN.
»Guten Morgen«, »Sabaho alkheir«, صباح الخير und ein plötzlich vom
Kaffeetisch aufspringender Mann, der ein auf der Kreuzung
stehengebliebenes Auto wegschiebt.
SCHEIBENREPARATUR, SCHEIBENAUSTAUSCH, INKL.
SCHEIBENREINIGUNG, das Spiel der Werbung mit den
Wiederholungen, Scheibe, Scheibe, Scheibe.
Die sich ständig in das Geschehen einschaltende LED-Werbetafel, der
vorbeiradelnde Mann mit gelbem Schuh und das immergleiche
Stillleben auf den Cafétischen: Kaffee, Zucker, Zigaretten, Handy.
KATASTROPHEN VORBEUGEN, »so Gott will«, »Inshalla«,
إن شاء الله, »mein Lieber«, »Habibi, حبيبي, WEIL UNSERE KINDER
EINEN FAIREN PLANETEN VERDIENEN.
Ein plötzlich laut aufbrausendes Auto, FAIRVENTURES.ORG,
WIND & VIBES, sich auf der Werbetafel abwechselnde Botschaften:
Rettung der Welt vs. Konsum; du entscheidest, was du tust, nur du.
Die Männer und ihre Outdoor-Telefonate und ihre lauten Stimmen,
immer wieder durchmischt von Gelächter, Tischklopfen und
Kaffeetassengeklimper.
Eine Shishabar und eine davor stehende Döner essende Frau;
weiße, auf den Gehweg tropfende Soße,
Straßenplatschgeräusche.
In grüne Gemüsekisten greifende Hände und der kritische Blick einer
potentiellen Wassermelonen-Käuferin, langsam mit ihrer Hand
über die glatten Schalen der großen runden Früchte fahrend.
Ein vorbeibrausendes Auto mit aus dem Fenster flatternden
Herzchenluftballons und einem Klapper-Blechdosenquartett im
Schlepptau, just married, just noisy.
Ein Mann und ein roter Kinderwagen. Der Blick des Vaters starr nach
vorne gerichtet, das noch schlafende Kind schnellen Schrittes vor sich
herschiebend.
»Wenn du willst, dass die Familie gut lebt, dann musst du arbeiten.«
Hin und her fliegende Wortfetzen, Weltfetzen, »was macht eigentlich
dein Bruder?«
VEGAS. OBERBILK. VENUS. Die Spielhalle vis à vis und ihre
Versprechungen von Glück und Liebe; spielt, spielt, sonst sind wir
verloren!
Die Mutter mit Sonnenbrille und Sohnemann an der Hand und die
Aneinanderreihung von Masken, die um ihr Handgelenk baumeln,
Abschiedsfähnchen der anderen Art.
Der noch schnell über die halbrote Ampel rennende Mann und das
Geldgeklimper in seiner Tasche; zeig mir, wie hart du auftrittst und ich
sag dir, wer du bist.
Der sich durchs dicht-dunkle Haar fahrende Mann und das dahinter
nun zu einer Frau gewechselte Bewegtbild auf dem LED-Bildschirm,
ALWAYS IN STYLE. WIND & VIBES.
YOUNG POET SOCIETY und der Verrat der Werbung an der Poesie.
Der an der Ampel wartende Mann und sein plötzlicher Sprung aus
dem Stand in die Luft; überraschend hoch, und der kaum hörbare
Aufprall seiner weißen Gummisohlen auf dem Asphalt.
Rot-grün-rot, die Farben der Gemüse-Partei von gegenüber: Tomate-
Zuccini-Paprika; wählt, wählt mich!
Über den Gehweg ratternde Kisten; Gemüse, das eingeräumt wird;
Obst, das nach Farben sortiert wird; eine eigenwillige Orange rollt
über die Straße, ihre Flucht bleibt ein Versuch; schon wandert sie
zurück in die Verkaufskiste.
Vor VEGAS, VENUS, OBERBILK nur Leere und ein blauer, vor dem
Eingang parkender Roller. Am Café-Nebentisch geht es um das gerade
verkaufte Auto, »wieviel?« Fünf?«, Stöhngeräusche.
Ein über Rot fahrender Rettungswagen und der beim Schreiben
zitternde Kaffee in der Tasse; Wellen ohne Meer; eine braune,
undurchschaubare Flüssigkeit mit Gischt und Schaumbläschen.
SMOKE NATION und das im Schaufenster ausgestellte Angebot von
Wasserpfeifen; sich um die Glasbehälter wie Schlangen windende
Schläuche, kunstvoll verziert, wartend auf neue Besitzende.
Die Dominanz der Farbe Weiß bei den Lieferwagen,
heruntergekurbelte Scheiben, Oberarme, blitzende Armbanduhren.
Ein Mann, ein Werkzeug und eine Hose mit vielen Taschen,
aufeinander klatschende Hände vor Ampeln, »hey, alles klar bei dir?«
Die Einladung auf der LED-Werbetafel zur Teilnahme an dem
angepriesenen Bildungsangebot; ein Aufruf, ein Anruf, ein Appell an
die Welt, KOMM, WIE DU BIST. HOCHSCHULE FRESENIUS.
Erneut ein Rettungswagen, diesmal von rechts, dicht gefolgt von
einem NOTARZT; die Stadt und ihre Menschen und ihre
Verletzlichkeit.
Der Blinker-Blitz-Wink einer Frau mit rot-lackierten Fingernägeln
und einem scheuen Mann als Adressat. Das zaghafte Drehen seines
Kopfes und sein jetzt auf der Frauen-Erscheinung ruhender Blick.
Der sich immer höher in die Luft mit Pappkartons stapelnde
Rollwagen des Gemüsehändlers; Paprika, Lauch und Bohnen im
Sonderangebot und die von allen Seiten des Ladens herausströmenden
Käuferinnen.
Die an der Ampel wartende Frau mit Glitzergürtel, Silberschuhen und
grauer Metallic-Tasche und ihre damit vielfältig, in alle Richtungen
aussendenden Strahlen; wie magnetisch, alle mit ihren Blicken
anziehend.
Die Schilder und ihre Pfeile und ihre Aufforderungen, in
unterschiedliche Straßen zu gehen, zum HOLZGROSSHANDEL
100M RECHTS, zur UMLEITUNG GERADEAUS, zum
FAHRRADWEG LINKS.
MIROSLAV KLOSE ÜBERSTEHT
THROMBOSENERKRANKUNG und die der Nachrichtenanzeige
auf dem LED-Bildschirm innewohnende Erleichterung.
Die jetzt vor der VENUS wartende Männertraube und das Aussenden
von Hin-und-Wieder-Grüßen an ausgewählte Passierende auf der
gegenüberliegenden Straßenseite.
Ein vorbeizischendes Fahrrad mit Reifen, die die Dicke eines
Motorrades haben, FRÜHER ODER SPÄTER KRIEGEN WIR
DICH, PIZZALORD.DE.
Der Gemüsehändler und seine blauen Plastikhandschuhe, mit geübten
Griffen die nicht mehr benötigten Pappkartons zerfaltend.
Der freundliche Skotti, immer fröhlich-strahlend und das Servieren
seines köstlichen Kaffees.
Das behutsame Betasten einer jeden roten Paprika seitens eines
Gemüsehandel-Kunden und sein langsames Hin- und Herwenden der
Früchte; Sekunden, die wie Minuten vergehen, endlich hat er die ihm
passende Paprika gefunden.
Ein Mann, eine Frau und ein Rollstuhl und das behutsame Heben und
wieder Sinken-Lassen des Gefährtes seitens des Mannes.
Das an der Ampel wartende Kind und sein sich unter dem knapp-
weißen T‑Shirt hervorwölbender Bauch, BOSTON UNIVERSITY.
Eine Mutter mit zwei Kindern und zwei Plastiktüten und die T‑Shirt-
Aufdrucke ihrer Zöglinge: BATMAN. PARADISE.
Ein Mann, ein Quad und die ihn bewundernden Blicke seitens der
BATMAN-PARADISE-Kinder.
Ein leerer Kiosk, ein leeres Café und daneben der gut besuchte
KOVAN FRISEURSALON. Vor dem Geschäft stehende Männer,
geduldig wartend auf den Beschnitt ihres Haars.
GOLD MEMBERSHIP, AB 25 EURO; die sich immer wieder
einschaltende Werbung und ihre Lockrufe, GOLD, GOLD!
Der Abschleppwagen und der Fahrer mit Zigarette im Mund; ein
weißer, herausragender Stängel und der auf dem Anhängerwagen
zitternde Silbermercedes, lose befestigt, mit nur einem, um das Dach
geworfenen Gurt.
Der auf einem lila Rennrad sitzende Mann, forsch alle Autos auf der
Kreuzung von rechts überholend, sich vor der roten Ampel in der
allerersten Wartereihe einen Platz erkämpfend.
Die POLIZEI und ihr Immer-Wieder-Auftauchen auf der Kreuzung,
Kontrollfahrten machend, zu allen Seiten ausspähend.
Ein Auto, ein MEISTERBETRIEB DER INNUNG, SANITÄR- UND
HEIZUNGSTECHNIK, und der jetzt vor der VENUS Spielhalle
stehende türkisgepolsterte Stuhl, leer, auf Sich-Niederlassende
wartend.
»Ich kauf das, ich gib dir das, ich ruf dich an«, ein wild-
gestikulierender, telefonierender Mann, nervös den Gehweg hoch- und
runterlaufend, sein T‑Shirt in einem grellen Orangeton.
Die umsichtige, den Aschenbecher im Mülleimer ausleerende
Kellnerin und das matt-schwarze, plötzlich laut-aufbrausende Auto,
die Straße als Rennbahn nutzend, zusammenzuckende Gliedmaßen,
»muss das sein«.
»Interessiert mich nicht, wenn ich sterbe«, apokalyptische
Wortmalereien, ein Lachen, ein Stöhnen, kurz darauf: das
Aufeinanderklatschen von Händen, für einen Moment ist Ruhe.
Die Klappergeldgeräusche des den Zigarettenautomaten auffüllenden
Manns und die Vergewisserung über die Lieblingsfarbe von Skotti,
türkis.
Die nie schlafende Stadt; die Straßen auch am Abend taghell, überall
Lichter.
Der einen Lautsprecher in die Bar schleppende Mann und ein ihm
dicht folgender Jugendlicher mit schwarzem Kapuzenpulli, LIVE
FAST.
Eine mit dem Handy vor dem Gesicht gehende, die Straße
überquerende Frau. Ihre Kameralinse, eine Taschenlampe und das
grellweiße, allen Sitzenden entgegenleuchtende Licht, ein Stadt-
Glühwürmchen.
Die sich jetzt laut aufdrehende Musik in der Bar und die alles und alle
durchwummernden Bässe, Schwerpunkt: Rap.
Die Drei-Tages-Wettervorhersage, MORGEN 20°, FREITAG 21°,
SAMSTAG 21° und das Versprechen von Sonne, kein Regen.
»Ich hab dich gesehen, von da, ich beobachte dich« und ein jetzt auf
den Männertisch Zusteuernder in Schwarz gekleidet, seufzend
niedersinkend auf einem leeren Stuhl, heimlich einen Blick auf das
blonde, Cocktails trinkende Frauenduo am Nebentisch werfend.
Ein Mann, ein Blick und ein sehr laut quietschender Autoreifen; ein
Versuch, die Bässe für eine Sekunde durch ein anderes höheres
Geräusch zu übertönen, kein Schritt zurück.
Der ordentliche und alle Tische aufräumende Skotti und der sich
neben ihm im Hüftschwung übende Gast, »wir haben hier einen
Michael Jackson«.
Der so betitelte Tänzer, nun als King of Pop, stolz den Gehweg auf-
und abschreitend; I am the king of pop, look at me.
Zwei auf einem E‑Roller stehende Männer, laut lachend, die Hände
des Einen auf den Schultern des Anderen ruhend, fast zärtlich, im
Schwebeflug vorbeibrausend.
Erleuchtete Fenster und die sich in den Quadraten bewegenden
Menschen; das Leben der Anderen hinter dünnen, durchscheinenden
Gardinenstoffen, all these open windows.
Der mit einem Tablett um die Ecke biegende Skotti und das Klirren
der Eiswürfel in den Cocktailgläsern, frische Orangenscheiben und
Minzblätter, der beste Mix aller Zeiten.
Die heruntergezogenen Rolladen des Gemüsehändlers und die auf
dem Rolladengrau angebrachten Schriftzüge eines schwarzen
Graffitis.
Ein Fahrrad, ein Mann, eine übergroße Einkaufstüte und ein zu stark
am Reifen ratschender Dynamo, prüfende Kontrollblicke gen
Speichen.
Das Bar-Blinkschild im Fenster, immer wieder aufleuchtend und den
Namen des Bar-Besitzers hervortreten lassend, SKOTTIS, SKOTTIS.
Der jetzt abgeschaltete Werbebildschirm, schwarz, und die
mehrheitlich Jogginghosen tragenden Männer. Überall Zigaretten,
Handies und feine, sich auf dem Asphalt niederlassende Asche, nie
endender Rauch.
Das grüne, von den parkenden E‑Rollern ausgesendete Licht;
Blinkzeichen eines fernen Planeten, nimm mich mit, nimm mich mit.
Der Blick eines Mannes aus dem heruntergekurbelten Fenster seines
Autos, ein Ewigkeitsblick, sich erst durch das Ampelwechselspiel von
Rot zu Grün lösend.
Der wiedergekehrte LIVE FAST-Kapuzenpulli-Jugendliche und der
auffordernde Blick Richtung Freund, »willst du auch eine?«
Der eingeklappte, im Straßennachtwind zitternde Sonnenschirm, blau-
weiß, wie der Himmel, wie die Wolken; erneut aufsteigender
Zigarettenrauch.
Die am Tisch Sitzenden und ihre Superlative; als gelte es, ihn
auszustoßen, den allergrellsten Schrei, den allertiefsten Blick, die
allerauffordernste Geste, »nein, danke«.
721, D‑TANNENHOF GOTHAER WEG und der hellerleuchtete Bus,
in dem nur eine einzige Person sitzt, FÜR WENIGER STOP UND
MEHR GO.
Eine passierende Frau im enganliegenden Oberteil und die sie
begutachtenden Blicke der Sitzenden. Sich anschließende,
silhouettenprüfende Fachsimpeleien, »die ist heiß«.
Der alle und jeden kennende Skotti und das Heben seines Arms beim
Jetzt-Passieren eines weißen Lieferwagens, »hey, was geht?«
Ein Mann, ein spanisches Lied und ein Barhocker und seine auf die
Sitzlehne im Takt der Musik trommelnden Finger. Der plötzlich laut
ertönende, sich in den Trommeltakt mischende Gesang, den Text des
Liedes auf eigene Weise interpretierend, tanz, tanz! ¡baila, baila!
Der LIVE FAST-Jugendliche und sein in die Ferne schweifender Blick
und die sich wie von Zauberhand, alle zur gleichen Zeit entzündenden
Zigaretten; die Nacht für einen Moment in Hitze, in Glut
verwandelnd.
Ein gerade der Kletterhalle entstiegener Lebenskünstler und eine
Nachbarin, die aus alten Zeiten erzählt, »da gab es eine Frau bei mir
im Haus, die hatte fünf Kinder«.
Darauf folgende Gespräche über die emanzipierte Frau und das
Erziehen von Kindern; nüchterne Feststellungen neben immer tiefer
werdenden Stirnfalten, »sie klettern ja gar nicht mehr auf Bäume«.
Die Bewunderung für den Kellner und das Verrichten seiner
Nachtschichten von zwölf Uhr Mitternacht bis acht Uhr morgens, »ich
bin zum Vampir geworden«.
Ein Mann, ein Blick, »ich habe über sie gelesen« und der Hinweis zu
einer anderen Künstlerin, die ebenfalls mit Schrift arbeitet, »protect
me from what I want«.
Eine passierende Jugendlichen-Gang, eine sich öffnende Bierdose mit
dabei entweichenden Zischgeräuschen und ein Verschluss, der beim
Öffnen ganz leicht am Innenraum der Dose entlang schrammt.
Ein Mann in rotglänzender Daunenjacke und eine Erkenntnis: »Wir
machen einen Rundgang; wir gehen da rein und kommen an der
selben Stelle wieder raus.«
Ein vorfahrendes weißes Auto mit mattem Lack, orange aufzuckendes
Warnblinklicht und der jetzt aussteigende Beifahrer mit müdem Blick,
einen Stapel Pakete in die Bar tragend.
Ein vorbeischlurfender Mann mit schwarzer Lederjacke und tief ins
Gesicht gezogenem Kapuzenpulli; ein Kopf, der unter seiner
Bedeckung verschwinden will.
Der Bus und seine auftapezierten Fragen und Antworten,
TAPETENWECHSEL? DANN STARTE JETZT DURCH. NRW-
UPGRADE.
Die um den Ellenbogen des Kellners geklemmte Maske und das
Anzünden seiner Zigarette; der jetzt aus der Bar tretende Mann,
ebenfalls mit Zigarette und COCA-COLA-Flasche.
Die POLIZEI und ihr Blaulicht und das sich zur gleichen Zeit im
dritten Stock des Mehrfamilienhauses entzündende Licht über dem
Gemüsehandel.
Das in die hintere Hosentasche wandernde Mobiltelefon eines an der
Ampel wartenden Fußgängers und seine letzten, in den Apparat
gesprochenen Worte, »ich habe Feuer, ich bin jetzt zu Hause«.
Ein Transporter und die alle Großwagen-Oberflächen dominierende
Werbung und ihre Aufrufe, die nie schlafende Stadt; EINE BESSERE
WELT FÄNGT ZU HAUSE AN.
Ein Taxi, das über Rot fährt und ein abrupt bremsender UPS-
Lieferwagen, dazwischen ein auf dem Skateboard vorbeirollender
Jüngling mit locker zu beiden Seiten herunterhängenden Armen, trotz
großem Rucksack nicht das Gleichgewicht verlierend.
Ein Fahrrad, das irgendwo in den Speichen hakt, darauf ein Mann mit
Käppi, überholt jetzt von einem Taxi mit VIRENSCHUTZFILTER
AN BORD und genauer Frequenzangabe des lokalen Radiosenders
auf der cremeweißen Lackierung, UKW 104,2.
Die murmelnden Stimmen der draußen sitzenden Gäste und der erste,
die Kreuzung passierende Bus ohne Werbeaufschrift; ein grauer
Buskörper mit rot eingerahmten Fenstern, 721-D-ELLER
RICHARDSTRASSE.
Das vorm Gemüsehandel parkende E‑Roller-Trio und die
Abwesenheit der Frau in der Nacht, an diesem Ort.
Eine ausgediente Diskokugel und das nicht mehr leuchtende Bar-
Schild; die Nacht und ihre in ihr aufgesogenen Menschen, konturenlos
und grau und der von überall aufsteigende Zigarettenqualm; alles
voller Nebel, Rauch.
Ein Mann mit Reflektorhose und Jacke, der behäbig zur Bar taumelt,
»zwei Doppelte, bitte«! und ein vorbeifahrendes Partyauto mit lauter
Rap-Musik, voller lachender Menschen; weiße, aus dem
Autoinnenraum aufblitzende Zähne, kreischend-kichernde Stimmen,
Zigarettenqualm.
Ein Jugendlicher mit weißem Käppi und unter dem Arm geklemmtem
Straßenschild, stumm und scheu zu allen Seiten blickend, die
Kreuzung schnellen Schrittes überquerend, sein linkes Bein leicht
hinterherziehend.
Zwei auf der gegenüberliegenden Seite streitende Männer in rot und
schwarz; Finger und Hände, die in die Nähe von Gesichtern wandern,
um jeden Hals hängt eine Goldkette; alles glänzt.
Aufeinandertreffende Hände, »hallo Papa«, und ein sehnsüchtiger
Blick auf die Straße, ein Hupen, ein Ausruf, »da bist du«.
(ENDE DER AUFGETRAGENEN ARBEIT)
Der wieder aufgetauchte Lebenskünstler und das Geklimper seiner
Flaschen im weißen, um die Schulter gehängtem Jutebeutel.
Ein Drehbuchautor, ein Filmproduzent und die Einladung ins Studio;
»hier gleich um die Ecke, genau«.
Das Thermo-Glas und die Ankunft in einer Zwischenwelt, einem
anderen Hier; »Stell´ dir vor, das alles, was du siehst, würde gar nicht
existieren und wir wären nur Licht, nur Energie«.
Die Anhäufung der Ahornblätter unter dem Tisch und das dazu im
Wind wehende Haar, tanzend zwischen allen Stimmen und dem
Rauschen der Autos.
REDEN IST SILBER, EIN SETZLING IST MORGEN SCHON EIN
BAUM, FAIRVENTURES.ORG und die sich im Herbstlaub
verfangene Verpackung unter dem Café-Tisch; fein-knisterndes
Plastik, durchsichtig im Wind zitternd.
Die radikale Offenheit der Abfalleimer und ihre auf ihnen
abgedruckten Desiderate: WIR BLEIBEN SAUBER.
Die Trinität der erleuchteten Fenster, eins über dem anderen und
darunter die Shisha-Bar, verführerisch-lockende Lichtspiele in die
Nacht sendend.
Der vor der Shisha-Bar wachsende Baum und die vielen ihn
umgebenden Rosensträucher; zarte, feinrosa Blütenblätter und ihre
kleinen hin- und herschwingenden Köpfe.
Ein um die Ecke biegender Bus, EINE DIENSTFAHRT, BLEIBT
GESUND!
Die Cafétische und ihre sie Bevölkernden; Stillleben, die keine
Variationen zulassen: Tasse, Zuckerstreuer, Zigarette, Aschenbecher.
Ein Mann mit zwischen Schulter und Wange eingeklemmtem
Mobiltelefon und seine dabei immer wieder in die Luft schnellende
Hand, »Hör mir doch zu, was ich sage, hör zu«.
Ein Mann, ein Börek-Angebot und die aus seiner Einkaufstüte ragende
SCHWEPPES BITTER LEMON-Flasche, »Iss doch mein Kind, essen
musst du«.
Ein telefonierender Fußgänger und der RETTUNGSDIENST und das
die Nacht durchzuckende Grellblau-Dunkel, Grellblau-Dunkel, »ich
geh später nach Hause, ich komme noch vorbei«.
Der fahlbraune, aufgeraute Boden des Aschenbechers, Zeugnis über
vergangene Füllungen ablegend.
Ein großer schwarzer passierender Lieferwagen und die sich im selben
Moment dazu färbende LED-Bildschirmwand in ein grell-tropisches
Grün.
Der vor der Ampel wartende Fahrradfahrer mit Großraumkopfhörer
und sein einer wippender Fuß, daneben ein rauchender Mann, die
Bluetooth-Box wie ein Baby im Arm haltend; laute, der Box
entdröhnende Töne; die Straße für einen Moment in eine Diskothek
verwandelnd.
Ein Mann, ein Balkon und die sich leicht im Autowind bewegende
Gardine; die Stadt und ihre Bewegungen und ihr Nie-Stillstand und
ein von irgendwo ertönender Schrei.
Ein Mann mit langem silbergrauem Haar und das langsame Wandern
seines Blicks hin zum LED-Bildschirm, hin zu den feilgebotenen
hochpreisigen Uhren.
Die unbeschriebene Tafel vor der Bar, darauf das Löwenbräuwappen,
türkis, gold, blau.
Das durch die Werbung versprochene Zusammenrücken von Welten;
das Biest mit den hervorstehenden Zähnen und der dem Ungeheuer
immer näher kommende zarte, kleine Junge, DRINK COCA-COLA.
Ein Hupen, ein Aufbrausen, aufsteigender Benzingeruch und das
durch die Bewegung des Schreibens ausgelöste Wackeln der
dunkelbraunen Oberfläche des Kaffees; die Kurve eines jeden
Buchstabens in einen Strudel verwandelnd.
Die dem LIVE FAST-Jugendlichen hinterherschwebende Kellnerin,
elfengleich mit langem, im Wind schwebendem Haar und der jetzt
gemeinsam gerichtete Blick zur gegenüberliegenden Shisha-Bar, hin
zur Verheißung, zur Glut.
Die plattgetretenen Kaugummis und ihre dunkelgrauen
Inselbildungen, kleine Asphaltblasen neben gelb-braunen
Ahornblättern, eine andere Geschichte vom Widerstand erzählend.
Die blondhaarige, auf dem Fahrrad vorbeifahrende Frau und der
Verrat ihres Ziels durch die aus der Fahrradtasche ragende
dunkelviolette Yogamatte.
Das rot-leuchtende hervorquellende Licht aus der mit Löchern
durchsetzten Rollade im dritten Stock und der die Kreuzung
überquerende Mann mit Daunenjacke und in die Taschen gesteckten
Händen, kein Blick zurück.
Der jetzt um die Ecke biegende Mercedes, schwarz, und der mit einer
Lackweste ausgestattete Jugendliche, kurz aufblitzend im Licht der
Straßenlaterne, »ich habe hier entlang gesagt«.
Die Werbung und ihr Versteck- und Weckspiel mit der Phantasie, ihr
Wunsch, immer wieder gefunden werden zu wollen, in den eigenen
Bildern.
DIE STÄRKSTE BATTERIE AUS EUROPA und das Versprechen
von sich stetig potenzierender Kraft, MORE POWER. VARTA.
IMAGINE MORE.
Das auffallend leuchtende Rot des jetzt passierenden Autos und das
Hinterlassen eines inneren Blitzes, einer Warnung.
Die Frau mit schwarzer Lacktasche und rotem Lippenstift und starr
nach geradeaus gerichtetem Blick; den Gehsteig als Modesteig, als
Catwalk nutzend, kühl-schöne Blicke zackig in alle Richtungen
aussendend.
Der ADAC und der IM AUFTRAG DES ADACS abschleppende
Dienst, für einen Moment ist alles Gelb.
Die zwei am Tisch platznehmenden Männer mit Daunenjacken und
wartendem Blick und die zwei zeitgleich aus den Hosentaschen
gezogenen Handies; hellaufleuchtende Gesichter.
Zwei Männer, vier Hände, zwei aufeinander treffende Fäuste; aus
Mündern hervorquellender Rauch ohne Zigarette, Winter.
FORTUNE FAVOURS THE BRAVE und der kleingedruckte Hinweis
des Werbeplakates zur individuellen Überprüfung der
Risikobereitschaft beim Spiel mit der Kryptowährung.
Die gemeinsam am Tisch sitzenden, aber nicht miteinander
sprechenden Männer, der eine sich immer wieder durchs Haar
fahrend, der andere immer wieder auf sein Handy schauend.
»Kopf leer, Herz schwer … ich schwöre nie wieder, ich hör’ damit
auf« und der Verrat des Mixtape 1 des Barkeepers mit den
immergleichen Songtext-Themen, »Gendamerie, ihr kriegt uns nie«.
Der zu dem Männerduo hinzustoßende Dritte und das Jetzt-
Auffächern der Spielkarten am Nachbartisch; Karten, die auf Karten
treffen.
Der sich als Witwer vorstellende Mann und sein Blick auf das
Geschriebene, »wenn ein Vogel in die Hand kommt, dann muss man
ihn festhalten«.
Der dreigliedrige UPS-Lieferwagen und das hellerleuchtete SMOKE
NATION-Schild des Wasserpfeifen-Geschäftes und der jetzt mit
Handy und Mütze die Bar betretende Mann, sein Handy auf
Lautsprecher gestellt; »nein, habe ich gesagt, nein«.
Die insgesamt fünf erleuchteten Fenster im Mehrfamilienhaus auf der
gegenüberliegenden Straßenseite. Eins in orange-warmem Licht, drei
in kalt-blauem und eins mit einer rot-lila Tönung, ein buntes Muster in
die Nacht zaubernd.
Der das Vogel-Sprichwort erklärende Witwer, freudig aufblitzende
Kristallaugen, »wenn man die Chancen nicht nutzt, dann gehen sie
weg«.
Auf Glas treffende Fingernägel, am Nebentisch geht es um die
Qualität des Drinks und um die Ehefrau, ein Mann am Spielautomat
lacht laut auf.
Der die schlechten Gewohnheiten der Menschen thematisierende
Song, »bad habits« und der jetzt die Bar betretende Falafelverkäufer,
»Guten Abend«, »Assalamu Aleikum«, اَلسَّلامُ عَلَيْكُم.
Die regennass-glänzende Straße und der Fahrradfahrer im
durchsichtigen Cape, trotz der Nässe sich nicht von der geraden Bahn
abbringen lassend.
Der Spieler am Automat und sein starrer auf den grell bunten
Bildschirm gerichteter Blick; Pflaumen neben Äpfeln, neben Birnen,
keine Kirschen in Sicht.
Die mit Gesellschaftsspielen gefüllte Box, Schach, Backgammon und
die einsam auf dem Tisch trippelnden Finger des Witwers, »Allein-
Sein ist wie einen Schneeball in dein T‑Shirt stecken, alles Innere ist
so kalt«.
Die Murmelgeräusche der teetrinkenden Kartenspieler, die Rap-Musik
und die ausschließlich über die Lautsprecherfunktion durchgeführten
Telefonate, »Gendamerie, ihr kriegt uns nie«.
Die sich jetzt von den zwei Spielautomaten erhebenden Spieler und
die gegenseitige emotionale Berichterstattung ihrer dramatischen
Spielverläufe, Verlorene sind sie, verloren haben sie.
Die Verwandtschaft des frisch abgewaschenen Tischs mit dem
Nassglanz der Straße, nie endender Regen.
Das Ausprobieren verschiedenster Handy-Klingeltöne der Nachbarn
und ihre immer wieder auf den Bildschirmen aufpoppenden
YouTube-Videos, überall tanzende Frauen, alles glitzert.
Das Klappern der runden Plastik-Backgammon-Plättchen und ihr
leiser Aufprall auf dem filzigen Untergrund des Spielbretts, »los
gehts«, »haya bina«, هيا بنا.
Die an der Bar vorbeischlendernden Studierenden mit ihren
Falafeltaschen und ihren runden Edelstahlbrillen, dünne Gestelle;
aufsteigender Rauch aus allen Mündern, nach jedem Biss.
Der über den Colaglasrand tanzende Daumen eines mit Daunenjacke
und Mütze bekleideten Mannes und sein ans Ohr gehaltenes Handy
mit Großbildschirm; auf seinem Mund ein stilles Lächeln.
© Text + Bilder: Vera Vorneweg
Der Text ist ein Versuch, einen bestimmten Punkt in der Stadt durch die Aneinanderreihung von Momentaufnahmen zu porträtieren. Alles Beschriebene hat sich an einem Ort ereignet und ist im Zeitraum von sechs Wochen entstanden (Juni/Juli 2021). Der Text wurde genau an dem Ort, den er beschreibt, veröffentlicht und auf den Rolladenkasten einer stillgelegten Kneipe aufgetragen. Die Autorin dankt dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen für die finanzielle Unterstützung ihrer Arbeit sowie Sliman Abbouchi für die Hilfestellung bei der Übersetzung vom Arabischen ins Deutsche und Dr. Jochen Lechner für das gewissenhafte Lektorat. – V. V.