Kritik an Medien und am Journalismus kommt zur Zeit mehrheitlich, wenn auch nicht ausschließlich von außen, den Sehern, den Lesern, den Rezipienten. Um so schwerwiegender ist es, wenn ein Journalist dem Betrieb eine geradezu vernichtende Kritik ausstellt und damit die Kritiker von außerhalb bestätigt und bestärkt: Der freie Autor und Medienkritiker Walter van Rossum ist manchmal etwas grob, was wohl seinem Ärger geschuldet ist, er klagt, ist gleichzeitig aber desillusioniert, bisweilen schimpft er fast; umso erstaunlicher ist sein Fazit: »Aber ich glaube alles in allem nicht, dass das System der alten Öffentlichkeit rehabilitierbar ist, ich halte es nicht einmal für wünschenswert. Irgendwie durchlebt die Gesellschaft gerade einen medienkritischen Crashkurs – was nach Jahren der medienkritischen Öde auch dringend nötig war. Dabei haben wir schon eines gelernt, was ich für großartig halte, nämlich das mediale Improvisieren. Wir basteln uns gerade – jeder auf seine Art – die Informationen zusammen, die wir brauchen. Und darin steckt in meinen Augen schon so etwas wie eine Skizze der medialen Zukunft. Ich finde die Chancen aufregender als die Klage über die Verluste.«
Er beginnt mit der Feststellung, dass Aufklärung nicht mehr funktioniere, »sie ist sozusagen mangels geeigneten Personals ausgeschlossen.« Die journalistischen Standards sind kaum mehr vorhanden: »Dass journalistische Qualität die Instrumentalisierung der Öffentlichkeit verhindern und nicht erst ermöglichen sollte, das ist eigentlich so trivial, dass man es kaum auszusprechen wagt. Leider muss man es aber.« Und: »[...] der einzige Grund, warum diese Presse noch interessant ist: Sie gibt den verunsicherten Menschen die Illusion von Halt und ideologischer ‘Selbstgerechtigkeit’, wie es ist, ist es richtig, und die Medien erklären, warum.« — Man fühlt sich etwa an die häufig kommunizierte Unausweichlichkeit politischer Entscheidungen erinnert.
Nach den Ursachen der fehlenden Standards gefragt, holt er aus: »Also, ich will einmal so sagen: Es gibt einen ganz einfachen Grund, warum es heute besonders leicht ist, Enten in Umlauf zu bringen: Bis vor etwa 20 Jahren gab es in der medialen Öffentlichkeit nämlich noch einen bemerkenswerten Pluralismus. Der ist aber gemeinsamen mit dem parlamentarischen Pluralismus mehr und mehr verschwunden. Und das führt uns zu der Kardinalsünde des real existierenden Journalismus: Seine Anlehnung an die herrschenden politischen Interessen und Programme. Im Zuge dieser Entwicklung sollte man sich zunächst einmal von der Vorstellung verabschieden, dass die meisten Journalisten überhaupt noch über so etwas wie eine eigenständige Auffassung vom Lauf der Dinge verfügen – von eigensinnig mal ganz zu schweigen. Ich wage jedenfalls die Behauptung, dass der journalistische Mainstream weder über spezielle Kenntnisse verfügt, noch vom Willen zu vertiefter Erkenntnis beseelt ist. Zum Beispiel können die meisten Russland-Korrespondenten nicht einmal Russisch und schreiben jeden Blödsinn von- und untereinander ab, wie ich das mal an ein paar Beispielen in einem Radio-Feature belegt habe. Und keiner brauchte sich dabei Sorgen zu machen, dass in einem anderen Blatt womöglich eine Gegendarstellung erschiene. Der Grund zur Sorge kam jetzt aus einer Richtung, die keiner dieser selbstherrlichen Typen überhaupt auf dem Schirm gehabt hat. Nämlich vom eigenen Publikum, das festgestellt hat, dass da vor allem Behauptungen verbreitet werden, und zwar in aller Regel falsche und gefährliche.
Kurzum, in aller Regel sind Journalisten keine Menschen, die sich dem Tumult des Realen sowie Wagnis einer eigenen Analyse aussetzen. Nach meiner Erfahrung sind Journalisten eher Menschen, die geradezu Angst vor der dunklen Unruhe des Realen haben und sich lieber an gerade irgendwie geltende Sprachregelungen, Normen und Konventionen halten und dabei geradezu verzweifelt in schlichten und binären Erklärungsmustern Rettung suchen, also einem Denken etwa in Gut vs. Böse, Freund vs. Feind usw. usf.
Die allseits beliebte Darstellung der Lage in der Ukraine als einem Land, in dem sich Demokraten und prorussische Separatisten gegenüberstünden, lässt sich also nicht nur durch pure Ahnungslosigkeit erklären, sondern auch mit der Sehnsucht nach einfachen Geschichten. Komplexere Geschichten taugen nämlich nicht als Aufreger und insofern Karriereturbo… So stoßen wir in der Berichterstattung über die Ukraine dann auch auf eine Rhetorik, die seit 200 Jahren die Russlandkorrespondenz beherrscht, kurz gesagt, die Paraphrase auf den slawischen Untermenschen. Und Vladimir Putin gibt jetzt sozusagen den Superuntermensch – Diktator, Imperialist, Welteneroberer und ‑bedroher zugleich.«
Wichtig ist, dass seine Kritik ohne zentrale Verschwörung auskommt: »Einen Führerbefehl darf man getrost ausschließen – denn solcher Anstiftung bedürfen unsere Medien nicht mehr. Nein, derlei versteht man nur, wenn man kapiert, dass ein solcher Aufstand in unsrer journalistischen Weltwahrnehmung gar nicht vorgesehen ist – und von den ideologischen Kontexten – damit meine ich politische Setzungen, Interessen und „Frames“ – auch gar nicht erwünscht ist.« Und: »Viele Leute sprechen heute wieder von einer Gleichschaltung der Medien. Das kann ich in gewisser Weise verstehen – so sieht es ja auch aus. So einfach ist es aber leider nicht. Wie funktioniert diese Gleichschaltung denn? Und wer schaltet da? […] Ich glaube insofern nicht, dass man da irgendwo Leute wirklich rausgeschmissen hätte, die sich eine etwas andere Wahrnehmung und Darstellung der Dinge erlaubt hätten. Sehr wohl aber gibt es keine Strukturen, die derlei belohnt hätten. Und es gibt kaum mehr Personal, das eine eigene Sicht und Zeit für eine solche hat. Der typische Medienmensch heute glaubt, den Auftrag der Objektivität erfüllt er dadurch am besten, wenn er sich an die Vorgaben der bürgerlichen Mitte hält. Was wir hier konstatieren müssen, ist also mehr eine Selbst-Gleichschaltung und –Unterwerfung der Journalisten denn so etwas wie eine konstatierte Aktion.«
Man kann diese Kritik als ideologisch abtun, aber dass der größte Teil der Journalisten und Medienleute aus einer bestimmten und eher engen Gesellschaftsschicht stammt kann man kaum leugnen (das ist in anderen Bereichen ähnlich); und dass sie ihre Überzeugungen und Gewohnheiten mitbringen, ebenso; selbst wenn man will, kann man sich von ihnen kaum völlig frei machen, dadurch entstehen Zwänge, »Rollenmuster« und »Verhaltensleitbilder«, mehr aus einem Bewusstsein als bewusst und durch Unterrepräsentation anderer sozialer Schichten und Gewohnheiten, durch mangelnde Kritik und Distanz: Man schmort im eigenen Saft (wofür man eigentlich ein Sensorium haben sollte).
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Alle Zitate stammen aus diesem Interview. Einige Kursivsetzungen aus dem Original wurden nicht übernommen. Das angesprochene Radio-Feature findet man dort.
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Von Rossum ist in der Tat ein Derwisch und zuweilen sind seine Diagnosen reichlich grobschlächtig. So ist es z. B. immer gewesen, dass Journalisten einer eher gehobeneren Schicht angehörten, selbst wenn die Formalqualifikationen wie heute als Hindernisse nicht gab. Auch ist es ein bisschen einfältig so zu tun, als hätte es in früheren Jahren einen grösseren Pluralismus als heute gegeben.
Geradezu dümmlich finde ich diesen Enthusiasmus, der sich in solchen Sätzen zeigt: »Wir basteln uns gerade – jeder auf seine Art – die Informationen zusammen, die wir brauchen. Und darin steckt in meinen Augen schon so etwas wie eine Skizze der medialen Zukunft. Ich finde die Chancen aufregender als die Klage über die Verluste.« Ich weiß nicht, was einer Art Filterblasen-Infotainment aufregend sein soll. Wenn das die »mediale Zukunft« sein soll – dann verzichte ich lieber darauf. Indem sich jeder »seine« Informationen zusammenstellt, wie er sie »braucht«, entstehen ja die verzerrenden Bilder. Es wäre ja gerade die Aufgabe des Journalismus, diese Bilder zu neutral zu befragen.
Sehr merkwürdig auch die Klage, dass die »Aufklärung« nicht mehr »funktioniere«. Aber was bedeutet eigentlich »Aufklärung«? Die »Nachdenkseiten« lesen? Das ist es doch ganz bestimmt nicht.
Ich kann mit dieser Kritik wenig anfangen. Auch die Beispiele, die er bringt, überzeugen nicht. Von Rossum kritisiert, dass die Medien aufgrund von Indizien den Islamismushintergrund der Pariser Morde sozusagen implizit geschlossen und behauptet haben. Er plädiert dafür, man hätte sagen sollen, »dass die Täter ganz offenbar Islamisten darstellen wollten«. Diese Äußerung wäre aber genauso wertend wie das, was er kritisiert. Im Gegenteil: Damit würde suggeriert, dass die Taten vielleicht einen anderen Hintergrund hätten. Der entscheidende Punkt ist einfach, dass ich die Wertung des Journalisten – islamistischer Hintergrund oder nur Anschein eines solchen – gar nicht brauche. Man hätte sich mit den Fakten, die es ja gibt, zufriedengeben können: Zwei Männer ermorden Karikaturisten und Polizisten, rufen »Gott ist groß« und brüllen ihre Rache heraus. Den Rest kann ich mir dann schon selber denken.
Danke für die Zitate-Passagen. Gibt ein gutes Bild.
Ich denke, die ausgewählten Einlassungen sind nicht völlig konsistent (Ideale kaputt, aber Zukunft heiter, bis wolkig...). Von Rossum steckt als Insider natürlich in der Zwickmühle. Kann ich verstehen.
Spontan dachte ich: es ist das 3. Bürgerliche Scheitern, welches er beschreibt. Nach dem vergeblich Versuch, für die Demokratie ein gemeinschaftliches Ethos herzustellen, den berühmten Konsens »unter Demokraten«, nach dem system-bedingt unvermeidlichen Scheitern, den Kapitalismus zu einer sozialen Marktwirtschaft zu zähmen, ahnen wir heute schon die dritte Niederlage: eine politisch neutrale, intelligente und Schicht-unabhängige Presse einzurichten. Ich wüsste auch nicht, was daran Lust auf die Zukunft wecken sollte.
@Gregor
Wie es um den Pluralismus früher stand, weiß ich nicht (ökonomische Konzentrationen und »Sparzwänge« können die Situation aber verschlechtert haben, eventuell auch andere Entwicklungen). Dass Journalisten oder schreibende Personen meist aus bestimmten Schichten kamen, stimmt wohl, hilft aber nicht weiter das Problem ungenügender Repräsentation oder Diversifizierung zu lösen.
Manche Dinge die van Rossum anspricht teile ich, wenn auch nicht in der vorgebrachten Pauschalität, etwa die mangelnden Sprachkenntnisse von Russlandkorrespondenten (»Personal«) oder die Nähe zu den »Zentren von Macht« (da muss man gar nicht in die Politik gehen, denken wir an die Literaturkritiker, die die Bücher die sie rezensieren aus den Listen der großen Verlage aussuchen). Und dann beginnt man zu basteln, jedenfalls verstehe ich ihn da so: Man sucht Buchbesprechungen an anderen Orten, wenn sie in den Zeitungen nicht mehr genügen und da gibt es mittlerweile etliche; oder man liest Blogs von Leuten, die russisch können und Texte übersetzen, usw. Natürlich sind diese Ergänzungen nicht per se besser als das Gewohnte, aber mittlerweile notwendig (und nicht dasselbe wie Infotainment). Klar, man muss darüber nicht enthusiastisch werden oder Heilserwartungen verfallen, aber ich sehe diese Ergänzungen als Kontrast und im Grunde einmal positiv. Was ich z.B. brauche, wäre eine ökonomische Analyse der Probleme des europäischen Wirtschaftsraums oder der griechischen Situation im Besonderen. So etwas muss man suchen und man nimmt es wo man es findet, wenn man es findet (oft sind es Teile und verschiedene Quellen). Ich lese gerne etwas, das meinen Ansichten widerspricht und es nicht mehr eine Zeitung, die mir alles liefert, sondern ein große Zahl an Quellen. Das ist m.E. mit Basteln gemeint.
Van Rossum hat m.W. nichts mit den Nachdenkseiten zu tun. Aber Aufklärung kann auch dadurch entstehen, dass man verschiedenen Seiten Gehör schenkt und dann selbst darüber nachdenkt, niemand hat die Wahrheit für sich gepachtet. — Ein Journalist sollte möglichst objektiv berichten, gut (vielleicht ist ja gerade das schon Aufklärung). Aber er darf daraus auch (!) Schlüsse ziehen und Bewertungen anstellen, im schlimmsten Fall eine Meinung haben (am besten »räumlich« getrennt; das Islamistenbeispiel fand ich auch seltsam).
@die kalte Sophie
Dieses Modell ist eine ganz gute Zusammenfassung von Zwängen und Einflüssen, denen Medien ausgesetzt sind (auch wenn das nicht völlig aktuell und keineswegs unbekannt ist).
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@metepsilonema
Der Unterschied zu früher ist, dass Journalisten heutzutage den Anschein der Objektivität erzeugen wollen und mit einem Wahrheitsanspruch daherkommen, der sich dann oftmals als Schimäre entlarvt. Früher konnte man die Meinungs-Journalisten ganz klar herausfiltern, zumal es auch genug gab, die sich wenigstens bemühten, allen Seiten gerecht zu werden. Dass Journalisten eine Meinung haben, ist nicht schlimm. Sie dürfen sie nur nicht als Objektivität »verkaufen«.
[..] Wichtig ist, dass seine Kritik ohne zentrale Verschwörung auskommt
schöner punkt. ja, so ist das.
und wie immer, wenn die zunft zurecht und ohne sich mit den neo-nonkonformistischen VT-aluhütlern gemein zu machen, eins auf den dätz bekommt, kreischt sie auf und labelt die berechtigte kritik so lange um, bis der, der kritisiert, als spinner da steht und sie wieder mit heiligenschein.
man muss keiner VT anhängen, man muss sich nicht auf die seite derer schlagen, die jetzt hinter jedem busch finstere mächte sehen, um zu verstehen, wie recht van rossum mit seiner medienschelte hat. auch wenn ich ein bißchen fürchte, daß leider auch die »guten« im (vor allem radio) ÖR mit in den sack gesteckt werden. und, daß van rossum jetzt auch nur »verjubelt« wird von leuten, die ihr lebtag nie was von ihm gehört haben und die ihn, wenn er mal nicht mehr für ihre debile ziele brauchbar ist, auch in diesem sack stecken werden.
ich nenne das (bei mir »zuhause«)
http://hinterwaldwelt.blogspot.de/2015/06/eine-lanze-fur-walter.html
das »AFD-syndrom«: jemand hat eine berechtigte einsicht, »verkündet« sie, gewinnt »anhänger« ... und am schluss tanzen die mäuse auf den tisch, die sich einen deut um die komplexität scheren und lieber primitiven parolen folgen, wie der lucke ja gerade am eigenen leib spürt.
was die aluhütlerischen kreischer gerne übersehen ist der ort, an dem van rossum und andere ihre kritik überhaupt erst formulieren können. das ist eben genau der ÖR, das system, das wir dafür bezahlen, daß dies möglich ist, und das die selben irren im gleichen atemzug gerne abgeschafft sähen.
im privaten oder gar auf youtube ist diese art kritik nichts, was den mann ernähren würde. wenn ich also »eine lanze für walter« reite, reite ich auch eine für den ÖR, ohne den viele debatten nicht möglich wären. man sollte da das kind nicht mit dem bade ausschütten.
leider besteht gerade genau diese gefahr, weil die mäuse mit aluhut nichts auseinander halten können und eher nach bestätigung für ihre wirren und unzusammenhängenden VTs suchen.
walter van rossum gehört für mich – in kenntnis seiner arbeit – nicht zu den mäusen, er ist eine katze und muss nun aufpassen, mit wem er sich gemein macht.
@gregor
[..] zuweilen sind seine Diagnosen reichlich grobschlächtig
phhhht ... schon mal »wider die horden allahs« gehört? oder »Staunen über das Abendland – Wie der Orient uns sah und sieht«? seine sendung über wau holland? »Ästhetischer Exzess – Die Besiedlung der künstlichen Paradiese«? um nur mal ein paar aus meinem seit 30 jahren gut bestückten und propper geführtem archiv, das zzt. 22 lange features von ihm auflistet, zu zerren.
nein, das mit der »grobschlächtigkeit« sehe ich ganz und gar nicht so, eher das gegenteil – seine sachen erfordern eher einen rezipienten, der zu differenzieren gewohnt ist. die neuen »fans«, die er gerade gewinnt, möchte ich jedenfalls nicht geschenkt haben, die kennen nichts wirklich von ihm, die hat man zum schauplatz eines unfalls gerufen und nun stehen sie – für kurze zeit – am straßenrand und gaffen.