Ein Schmierentheater
Vater und Tochter in der Küche. Er hat gerade die Java-Maschine programmiert und in wenigen Sekunden sprudelt ein Latte-Macchiato in ein Rosenthal-Glas. Die Tochter dreht ihre Haarspitzen.
- Verfickte Scheiße!
- Bitte?
- Scheiße.
- Was ist, Kleinchen?
- Ey, ich hab keinen Schulabschluss, bin zwar ein Wunderkind, kann mir aber nix merken, also mit dem Gottschalk bei Wetten, dass, das geht auch nicht, ausser ich könnt’ da mogeln oder so.
- Hm.
- Was soll ich bloss machen? Ich hab’ keinen Bock auf dieses beschissene Volksbühnen-Leben hier. Nur so als Groupie rumturnen.
- Schreib doch ein Buch.
- Hä?
- Ein Buch.
- Ich hab’ doch nix erlebt.
- Nix erlebt? Du sitzt doch laufend vor der Kiste, chattest, klickst bei MySpace rum wie bekloppt, liest irgendwelche Blogs. Das reicht doch.
- Hm.
- Ich hab’ hier ein Buch von so’nem Blogger. Kennt kein Mensch. Wenn ’ne 16jährige so was ähnliches schreibt, sind die Literaturfuzzies doch alle weg. Und denk’ an die Rochen…
- Roche.
- Was? Ja, okay. Roche. Egal. Zu irgendwas muss doch dieses Herumgehänge vor der Kiste gut sein. Ich kenn’ da ein paar Freunde, die bringen dann noch was Schmiss rein.
- Meinst du?
- Ja. So’n Szene-Splatter-Buch. Mit Drogen. Heroin. Alkohol. Ganz viel Fäkal-Jargon. Sex. Haha. Ich mach’ dann noch ein bisschen namedropping für die Heinis vom Feuilleton. Poststrukturalismus, Foucault, Agamben, Heidegger, Verdi, Dostojewski.
- Hä? Verdi?
- Verdi! So: Verdi ist eigentlich auch nur Schlager, unseriöse Stimmungsmusik, zu der man am liebsten Massenmordstrategien entwickelt. Und dann muss da noch was von abgrundtiefer Traurigkeit rein.
- Ich kenn die aber doch gar nicht alle.
- Macht nix. Die doch auch nicht. Die checken das auch immer bei Wikipedia. Die ersten drei Sätze Agamben. Mehr wissen die auch nicht. Mindestens die meisten.
- Wenn mich jemand danach fragt…
- Sagst du einfach, du erinnerst dich nicht mehr.
- Hm.
- Kerouac. Drogenrausch. Hab’ ja auch mal gekifft. Bisschen Goetz. Lowry. Breidenstein? Nein, die nicht. Vielleicht das hier?
- Stefan Tomas Gruner?
- Ja. Hm. Nein.
- Mann, Papa, muss ich all diese Scheiße lesen?
- Quatsch. Blätter’ mal durch und schreib dann los. Den Rest machen wir schon. Da gibt’s auch noch einen Film. Muss ich mal suchen.
- Das druckt doch keiner.
- Doch, ich versteigere ich Ding sogar.
- Versteigern?
- Ja, nicht devot daherkommen. Vorwärtsverteidigung. Jetzt leg’ mal die Donuts weg und binde dir die Haare zusammen. Los.
DREI WOCHEN SPÄTER
Der Vater kommt mit einem Wust von beschriebenem Schreibmaschinenpapier an den Küchentisch und setzt sich mit einem Bleistift in der Hand hin. Die Tochter trinkt einen Blutorangensaft aus Bioapfelsinen.
- Und?
- Gut. Prima. Warum schreibst du ich sei eins von diesen linken, durchsetzungsfähigen Arschlöchern überdurchschnittlichen Einkommens, die ununterbrochen Kunst mit Anspruch auf Ewigkeit machen?
- Stimmt doch.
- Ich hab aber keine elf Prostituierten um mich. Und male auch nicht mit Textmarkern melancholisch expressionistische Kunstwerke.
- Aber nach Bob Dylan gibt’s für dich doch keine Musik mehr.
- Hm. Wo hast du denn das warme Sperma her?
- Weiss nicht mehr. So ’ne Scheißpornoseite, glaub’ ich.
- Und das mit der Gleitcreme? Ist ja total ekelig.
- Hat mir jemand im Chat geschrieben.
- Aha. Der hatte auch das Ketamin genommen?
- Ja.
- Ist eh’ egal, weil niemand von denen weiss, ob das Zeug so wirkt oder anders. Hast ja viel von dem Blogger drin.
- Ja, find’ ich gut, das Buch.
- Der hat das alles wirklich erlebt, die arme Sau. Warst du mal in dem Schuppen drin?
- Nein. Bin nicht reingekommen. War in so’ner Prolldiskothek für Besserverdienende.
- Hm. Zerfallen die Worte im Mund…das ist Hofmannsthal. Hofmannsthal ohne Pilze.
- Hä?
- Egal. Pass auf, wir müssen dich auch als Opfer darstellen, verstehst du? Ich hab da ’n paar Sätze reingeschrieben, so hier: Mein Vater denkt, ich hätte sowohl ihn als auch mein Leben zerstört. Vielleicht stimmt das. Ich habe zuviel gelogen, ich habe zuviel Misstrauen erweckt, und jetzt bin ich schlussendlich total paranoid, weil ich natürlich das Gefühl habe, nichts anderes mehr zu können, als im falschen Zusammenhang Fremdwörter zu benutzen und von allen verlassen zu werden und hinterfotzig durch die Scheiße zu rocken.
- Hm. Und warum steht da jetzt Finde ja diese wertschätzende Haltung ihr gegenüber immer so krass. Warum wird so was sechzehnjähriges, ständig ins Hardcorearrogante Abrutschendes, Kommunikationsfloskeln Bedienendes zu so einer Party eingeladen?
- Am Ende sagen dir eben alle, was du für ein Haufen Scheiße bist, verstehst du? Der Leser, der das die ganze Zeit auch denkt, muss jetzt Mitleid mit dir bekommen. Es gibt dann noch ein Idyll und dann irgendwann so’ne Familienszene. Aber du türmst, kannst das nicht aushalten. Mensch, wir appellieren an dieses Beschützergen. Dieser Sozialrealismusscheiß kommt riesig an.
- Ja?
- Pass auf, die Lehrerin müssen wir anders nennen. Pegler. Einen Buchstaben verändern reicht.
- Hartgeldnutte die, Scheißfotze.
- Na, na.
- Ist doch wahr.
- Ich hab noch sechs Begriffe mit pseudo reingebracht. Das kommt immer gut. So: Pseudobelastungsgestört. Und pseudogefaßt. Passt ja irgendwie. Ist ja auch ein pseudocooler, pseudounangestrengter Pseudoroman. [Lacht]
- Merkt das wirklich keiner?
- Das Problem von denen, von diesen Kritikern…ist ja nicht mal die Arroganz, Arrogantsein ist auch was Aristokratisches und so, das Schlimme ist eher diese Dummheit, oder nicht mal die Dummheit ist das Schlimmste, das Schlimmste ist die Faulheit.
- Aber wenn’s trotzdem rauskommt?
- Dann sagen wir einfach, dass sei intertextuell.
- Inter…?
- Du hast nicht geklaut, sondern weiterverarbeitet.
- Aha.
- Wir können auch noch sagen, dass die einer 17jährigen nicht so schwierige Fragen stellen sollen. Und überhaupt. Du bist noch minderjährig.
- Hm. Aber ich soll schreiben wie jemand, der schon zehn Jahre auf den Strich gegangen ist und drei Drogenentziehungskuren hinter sich hat?
- Ja. Aber nicht diese Bahnhof-Zoo-Junkie-Nummer. Schon was im Yuppie-Format. FDP-style sozusagen. Denk an die sozialen Härtefälle dieser aus Fleisch und Blut bestehenden Unterschicht aus der U8. Also immer wieder mit Markenklamotten und so. Keine Billigjeans-Protagonisten. Hab das noch reingebracht. Wie in American Psycho.
- American…Hä?
- Egal. Pass auf: Wir können doch immer sagen, dass es sich um einen Roman handelt. Ein Roman ist fiktiv, das heisst die Heldin braucht das nicht erlebt zu haben. Je nach dem wie die Fragen kommen, wechseln wir einfach: Mal sagen wir, das ist alles fiktiv, mal lassen wir sie glauben, das sei authentisch. Wer das nicht trennen kann, ist eben blöd. Mann, die sitzen doch tagein tagaus in ihren Redaktionsstuben und müssen all die gequirlte Innerlichkeitsscheisse lesen. Was meinst du, wie froh die sind, wenn da mal einer so redet wie in der U‑Bahn. Das kennen die doch gar nicht. Ich ruf gleich mal den B. an.
- Den B.?
- Ja, diesen Feuilleton-Jammerlappen. Der findet eigentlich gar nichts gut. Vor allem diese linksresignative Kulturszenenscheiße nicht. Aber so absolut durchgeknallte Porno-Sachen – die mag der bestimmt. Schliesslich steht auch was über Borderline drin und zweimal dissoziativ, einmal davon im Zusammenhang mit einer Identitätsstörung. Da kennt sich B. gut aus.
- Ich bin müde.
- Das wird der ultimative Roman der Nullerjahre!
- Da war ich aber erst acht Jahre, als die anfingen.
- Na, und. Meinst Du, die rechnen nach? Nie im Leben. Und dann noch die Filmrechte!
- Ähm…ja. Soll ich selber Regie führen?
- Vielleicht. Mal überlegen.
Die Tochter steht auf und geht. Der Vater kritzelt mit dem Bleistift auf einer Seite Du bist der Dreck, den sie nur mit Schweigen aus der Welt schaffen könnten. Das Telefon klingelt.
ENDE
* Geklaut aus einem Sketch von Loriot.
Die kursiv gesetzten Stellen sind Zitate aus dem Buch »Axolotl Roadkill« von »Helene Hegemann«. Die Handlung ist frei erfunden.
Wenn humorlose Menschen witzig sein wollen, das kann immer nur schief gehen.
Danke für das ehrliche Urteil.
Sie sind aber gemein, Herr Keuschnig!
;-)
Echt jetzt?
Habe herzlich gelacht und die gewisse Gehässigkeit des Textes ist äußerst authentisch. Ich habe vor Jahren mal mit TextSTAT gearbeitet und dachte beim Verfolgen der Debatte oft daran, dass es sicherlich ein Spaß wäre, das Buch einer quantitativen Analyse zu unterziehen, weil ich mittlerweile das Gefühl habe, dass diese Art von Literatur einen Rollback quantitativer Analysen geradezu erzwingt, geht es doch scheinbar weniger um Inhalt denn um Ausdruck. Leider gibt es das Buch derzeit (nicht einmal illegal) als PDF. Falls jemand an ein Exemplar kommt (legal versteht sich) wäre ich für eine kurze Info dankbar und würde mich mit einer Auswertung (wenn auch keiner gänzlich wissenschaftlichen) revanchieren.
@Lara
Ich würde den Verlag anschreiben und um ein Leseexemplar bitten.
Danke. Auf sowas Gutes hab ich sein Beginn dieser Farce gewartet, denn genau so war es. Schön, dass es hier kommt, bevor Papa H. das selbst macht, quasi als Erklärung und Entschuldigung (er würde natürlich viel schickere Begriffe verwenden als sowas Banales wie »Erklärung« oder »Entschuldigung«).
Danke, Herr K.
Auch eine Möglichkeit
...ein Buch zu besprechen. Vor allem wie viel Sarkasmus hier drin steckt! Und wie viele Seitenhiebe (wobei man manche schon als Frontalschlag bezeichnen kann) in Richtung der Autorin!
Ich finde es durchaus auch sehr erheiternd, so etwas zu lesen. Das schafft auf Ihrem Blog auch deutlich Abwechslung und ermöglicht eine breitere Erwartungserfüllung seitens des Lesers/der Leser.
Zustimmung
Ich habe etwas anderes erwartet, und finde das einmal eine schöne (genau: etwas gehässige) Abwechslung.
@Gregor Keuschnig
Nutze gerade meine Mittagspause, um hier reinzulesen.
Ein gelungener Text, habe wunderbar »abschalten« können und schließe mich dem Kommentar von Count Lecrin herzlich gerne an.
Pauschaler Dank
an die Kommentatoren. Ich könnte verstehen, dass man diese Form der Auseinandersetzung nicht goutiert und vielleicht sogar – wie der erste Kommentator – ein bisschen zwanghaft lustig empfindet.
Axolotl Roadkill kann natürlich nach allen Regeln der Kunst zerpflückt und auseinandergenommen werden; Lara hätte sicherlich ihre Freude daran. Alleine: Was hätte ich dem bereits geschrieben noch hinzuzufügen? Die Methode ist ziemlich durchsichtig. Das Buch ist sehr stark durchkomponiert; der Schluss setzt sich sprachlich übrigens deutlich vom sonstigen Fäkal- und Teen-Jargon ab. Es finden sich tatsächlich auch gut gelungene, selbstreflexive Stellen, die einen gewissen Zeitgeist nicht nur behaupten, sondern tatsächlich erzählen. Dankbar müsste man Hegemann alleine schon deswegen sein, weil man endlich weiss, welche Art von Literatur Maxim Biller gut findet.
Die Zornesröte hat mich allerdings bei der Lektüre dieses Artikels hier gepackt: Volker Weidermann – Es wäre jetzt Zeit für einen Neuanfang. Weidermann, der im übrigen in der Buchpreis-Jury zu Leipzig sitzt, stimmt hier einen derart bräsigen Ton an, dass es einem schlecht werden muss: Er spricht von Häme und Hass, welches dem ach so armen Kind entgegengeschlagen ist. Das kann und konnte ich nicht erkennen, es sei denn, man sieht in jeder Kritik eine Majestätsbeleidigung. Weidermann geriert sich als Kavalier, der jemanden zu verteidigen sucht, der gar nicht angeklagt ist.(Und Harald Schmidt mit »Zuhälter-Geste« [geklaut aus einem Mail-Wechsel] im Fernsehen.)
Hier hat eine Zunft versagt. Und Wolfram Schütte seziert das sehr genau: »Es ist die biographistische Originalitätssucht der Kritik, die nach spektakulären Authentizitätsbeispielen giert, um die Literatur mit “dem Leben” zu verschmelzen, was zu solchen Idiotismen führt; und es ist der Konformismus der Kritik, nur ja schnell auch dabei sein zu wollen, wenn eine(r) ‘Debüt, Sensation, Spektakel’ ruft, der aus einem voreiligen subjektiven Fehlurteil eine kollektive Fehlhalde aufschichtet.«
Eine Zunft hat versagt?
Ist die ganze Debatte um das Buch bzw. – wie man mittlerweile sagen muss – um die Debatte um das Buch nicht vielleicht eher ein verfrühtes Sommerloch? Nachdem das Buch erst aus den von dir zitierten Gründen hochgepusht wurde, ist nun die Kritik-Kritik dran, und auch die verkauft sich (aberklug) prima und will den abfahrenden Zug des Bashings nicht verpassen. Genauso aufgebauscht ist meines Erachtens – nachdem erst eine »krasse« Nuller-Generation herbeibeschworen wurde – die Umschwörung auf die Generation »Sharing« oder »Remix« oder wie auch immer man die Schublade nennen mag. Das verkauft sich in den Feuilletons nicht schlechter als eine 16jährige Draufgängerin, man bedient sich lediglich anderer Mittel.
Ich hatte übrigens gar nicht gemerkt, dass wir bereits so intim geworden sind, dass du mich als Literaturkritikerin einschätzen kannst. Aber vielleicht macht das den Kenner aus. :)
@Lara – Ja, natürlich...
sie hat NICHT unbedingt versagt, weil sie den Blogger Airen und dessen Buch nicht kannte – obwohl man hätte googlen können und bei zwei relativ exotischen Begriffen sofort auf dessen Blog gestossen wäre.
Sie haben aber vor allem versagt, weil Sie sich haben instrumentalisieren lassen und dies auch wenn man sie mit der Nase darauf stösst nicht einsehen wollen. Stattdessen adeln sie die Buchdeckelung durch Hegemann, weil es in ihr Konzept passt: Internet = Diebstahl. Nur, dass sie eine diebische (!) Freude daran haben, das es diesmal umgekehrt gemacht wurde.
Ich hatte den Weidermann-Artikel auf der FAZ-Seite kommentiert. Im veröffentlichten Kommentar ist die Stelle entfernt worden in der ich darauf hinwies, wie die FAZ gegen den Perlentaucher seinerzeit vorgegangen war, weil dieser Artikel u. a. der FAZ geteasert hatte.
(Intim? Nein, eher eine Vermutung. Eine, die sicherlich zutrifft.)
Ein wunderbares Destillat, das nicht nur die Textgenese, sondern auch das Drumherum auf den Punkt bringt:
»Mal sagen wir, das ist alles fiktiv, mal lassen wir sie glauben, das sei authentisch. Wer das nicht trennen kann, ist eben blöd.«
Diese vorsätzliche Vermengung von Text und viel, viel Paratext wird wahrscheinlich noch Thema ganzer AUfsätze, Vorträge, Tagungen sein. Germanistik go ahead!
etwas unlustiges hinterher..
Jetzt meldet das arme Tierchen (der ueberfahrene Schwanzlurch?) sich auch mal zu Wort, exklusiv in der FR:
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/feuilleton/2304401_Hegemann-Airen-Geschichte-Das-Recht-auf-Reinheit.html
(wie sagen die im Internet immer: »Made my day«)
..die offene Gehaessigkeit sagt mir zu – allerdings fand ich es eher dumm, die Autorin so pauschal als dumm darzustellen – (ihre Wort- und Sinnfaekalien kann man ihr schon heimzahlen, aber der Vorwurf der Dummheit sollte doch eher in Richtung Kritiker und Hyper gehen, die diesen ganzen Scheiss mitmachen)
@Phorkyas
Der »Axel Lottel«-Artikel löst ja schon wahre Rätselsucher auf den Plan um herauszufinden, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt, so z. B. hier.
–
Natürlich ist die Tochter nicht dumm. Aber sie kann unmöglich all diese Querverweise und Assoziationen kennen. Da müssen andere massiv eingegriffen haben, um diesen Namedropping-Kultur-Diskurs-Jargon so geschickt einzubauen, dass die Maschine drauf wie geölt läuft. Damit meine ich gar nicht das »Abschreiben«, welches sie braucht, um Authentizität zu simulieren.
Eigentlich ein Skandal. Passiert das öfter? Ich kommentiere nie auf den Seiten von Zeitungen.
@Metepsilonema
Bei der ZEIT ist mir das noch nicht passiert. Bei der FAZ passiert das regelmässig. Kleinste Nickligkeiten werden entweder entfernt oder der Kommentar verschwindet im Nirwana. Manchmal kommen aber Sachen durch – da wundert man sich. Anlässlich des »Reading Room« der FAZ zu Littell war das durchaus ein Thema.
Ich tu’ mich mit dem Wort »Skandal« schwer; man legt das Hausrecht restriktiv aus. Inzwischen wissen das FAZ-Kommentierer.
@Gregor
Naja, immerhin ist die FAZ ein Medium öffentlicher Diskussionen, wenn ich das auf meinem Blog täte, dann könnte ich ihn gleich schließen – wird dann ja selbstreferentiell. Aber klar, aus ihrer Sicht kann es schon sinnvoll sein den Diskurs zu manipulieren.
…zu dirigieren vielleicht? Ja, es ist für die FAZ sinnvoll und man ist sehr empfindlich.
(Noch schlimmer ist es im Blog der ARD-Nachrichtensendung »tagesschau«. Da ist die Majestätsbeleidiungsschwelle schnell erreicht. Andererseits: Ich habe hier auch schon Kommentare gelöscht…)
Oder dirigieren, ja
Ich bin mir relativ sicher, dass Du keine Kommentare gelöscht hast, nur weil sie eine Ansicht vertreten haben, die Dir unlieb war. Oder?
Nein, das hatte andere Gründe...
(Ich kann schon verstehen, dass man keine »neuen Baustellen« aufmachen will, zumal wenn sie Angelegenheiten der FAZ betreffen.)
Baustellen
Aber Du wolltest ja auf eine Inkonsequenz seitens FAZ hinwiesen, und nicht dieses Thema wieder aufwärmen; das ist im Prinzip ein Immunisieren gegen Kritik. Würde man das bei einem abgedruckten Leserbrief wagen? Nein, man würde ihn gleich gar nicht drucken. Das ist zwar auch nicht viel besser, aber doch etwas anderes.
Ja, da konnte ich auch zustimmen (kann ich bei Schütte übrigens öfter)
Aber was ist jetzt mit dem Durs Grünbein-Artikel von heute?
Wie sehr können Welten denn auseinander klaffen (oder die doch darin befindlich sich glaubenden / gerierenden Hirne)?
Bei so was bin ich platt...
@en-passant
Witzig, der Grünbein-Text. »Berückungsmacht« attestiert er dem Buch – und geht dann entgegen dem Titel nicht auf das plagiieren ein. Er glaubt (glaubt? weiß?) wohl, dass Hegemann nur die Örtlichkeiten abgeschrieben hat. Tatsächlich lustig ist dabei, dass er selber bei »Namen und Handlungsorten« stehenbleibt, statt die Textanalysen, die es frei verfügbar im Netz gibt, einfach zu verwenden (aber ist das Netz des Dichters Medium?)
»Inspiration einer großen Schöpferin« – das ist derart lächerlich, dass man es fast nicht kommentieren kann.
Wovon redet er?
Ja, aber
(mit einem Zurücktreten auch mal von der ganzen Debatte): Relativiert das nicht irgendwie sämtliche Kritik?
(Zumindest also die ohne offen gelegte Kriterien. Bei Grünbein weiß ich oft eh nicht so genau. Und sein Text scheint mir doch auch stark eine »Geste«, vielleicht sogar mit an seine Kritiker, die ihm oft seine Patina und Zeitenthobensein vorwerfen. Dabei sind die altrömischen Dichter wirklich manchmal interessant: Das zeigt mir gerade eine Wiederlektüre von Huysmans »A Rebours«.)
Wie weit darf man noch von Selbstverständlichkeiten ausgehen? Von irgendeinem Konsens als Grundlage von Bewertungen.
Ich frage mich das gerade wirklich...
Natürlich relativiert das jede Kritik. Und das passt Grünbein ja sicherlich genau – Sie erwähnen ja selber, dass er nicht so gut wegkommt bei den Kritikern. Ich nehme es als Rache; eine überhöhte Rache, sozuagen.
Aber auch als Faszinosum für eine Welt, die ihm durch »Axolotl Roadkill« erst offenbar wird. Eine Mauer, die sich ihm da öffnet. Da ist man »berückt« und »entzückt« – vielleicht weniger entsetzt, weil es dann doch nur ästhetischer Schein bleibt?
Aber Lobeshymnen sind schwierig – und ich glaube, Grünbein scheitert hier, weil er nicht primär FÜR das Buch eintritt, sondern nur GEGEN die Kritiker. Da, wo er die Autorin oder das Buch rühmt, setzt er nur seine Wertungen; entzieht sich jeder Argumentation. Das kann man machen – keine Frage. Aber man liefert sich gerade in diesem Fall eher dem Spott aus. Viel mehr als das hier ist es doch gar nicht; wenn man den bewusst gravitätischen Ton einmal weglässt...
... in letzter Zeit leider kaum Muße, mich mit der Muse zu beschäftigen. Die Causa Hegemann wäre beinahe an mir vorübergegangen. Aber ich bin froh, dass ich doch noch von dieser kulturbetrieblichen Köpenickiade erfahren habe, denn sie ist mir ein innerer Verfassungskonvent.
Noch peinlicher als die Grundstory sind die nachträglichen Rechtfertigungsversuche der Blamierten. Besonders die Chuzpe, die das Feuilleton bei seiner Selbstverteidigung an den Tag legt, ist an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten. Wer sinngemäß argumentiert, dass Jugendliteratur immer einen hohen Fremdanteil besitzt und dass eigentlich alle Buchdebütanten dem Geheimrat Goethe wegen dessen Werther tributpflichtig seien, verkennt doch eine ganz wesentliche Sache: Johann Wolfgang ist seit mehr als einem Vierteljahrtausend tot, seine Werke sind so gemeinfrei, wie es nur geht – und das aus gutem Grund: Der Urheberrechtsschutz dient weniger dazu, die Ergüsse eines Originalgenies in einen Tabernakel der Unberührbarkeit zu stellen, sondern vielmehr zur materiellen Sicherung eines lebenden Autors. Vermutlich ist dieser Umstand einem Kulturressortleiter, der trotz eines beneidenswerten Gehalts immer noch eine altlinke Kapitalismusverachtung pflegt, nicht wirklich zu vermitteln.
Und das Argument der Intertextualität sticht im vorliegenden Fall ja wohl wirklich nicht. Wer Goethe, Rimbaud oder Hesse zitiert, darf damit rechnen, dass ein literarisch gebildetes Publikum diese Bezüge versteht. Wer sich bei einem in Minimalauflage in einem Kleinstverlag erschienenen Werk bedient, kann darauf hoffen, dass die fremden Federn nicht als solche erkannt werden.
Die besondere Pikanterie, die sich daraus ergibt, dass ein mit dem richtigen Stallgeruch behaftetes Hätschelkind der classe culturelle ausgerechnet bei einem Autor abkupfert, der sich primär im Klau- und Doppelnullmedium Internet bewegt, muss man sich natürlich gesondert auf der Zunge zergehen lassen. Lamm beißt Wolf sozusagen.
Mundus vult decipi – und bei Feuilletonisten, die ein (in Verklärungssauce getauchtes, den meisten Jugendlichen völlig fremdes) pralles Leben dargestellt sehen wollen und die sich daran ergötzen, wenn eine 17-Jährige umgangssprachliche Bezeichnungen für den Geschlechtsverkehr zu Papier bringt, gehört dazu noch nicht einmal besonders viel Kunstfertigkeit.
Polemik und Mathematik ...
... vertragen sich ganz offensichtlich nicht: Geheimrat Goethe ist natürlich nicht seit mehr als einem Vierteljahrtausend tot. Sogar vor einem Fünfteljahrtausend weilte er noch hienieden.
#27 – @en-passant
Hey, wir sind reingefallen: Es war angeblich Benn. (Ja?. Och.)
Ich gestehe, ich hab’s nicht gemerkt. 99% kann übrigens nicht stimmen, es sei denn man zählt anders.
Ich teile aber Wittstocks Meinung in der »Welt«: Weshalb Grünbein um eines literarischen Scherzes willen eine derart gruselige Argumentation unter seinem Namen erscheinen ließ, ist mir rätselhaft.
Ich find’s ein bisschen billig. Zumal ich immer noch nicht weiss, ob Grünbein das Buch nun tatsächlich schätzt oder nicht. Aber das ist in Bezug auf Grünbeins Parallelwelt vermutlich zu profan gedacht.
Flauer Witz
An Benn hätte ich niemals gedacht – liest den heute (außer seiner Klassiker) überhaupt noch irgendwer?
Und dann ist es eben doch so eine Streber-Attitüde von Grünbein (der übrigens privat, also »außer seiner hohen Funktion«, ziemlich nett sein muss, wie man so hört, ganz unprätentiös). Solcherart Entlegenheiten zu kennen – na ja. Beindrucken tut es mich nicht.
Und, tja, das derart Überzogene der Tonlagen hätten einem wohl auch darüber hinaus zu denken geben sollen. Aber dann doch auch wieder nicht – bei der längst multipel-hysterisierten Überbietungs-Öffentlichkeit?
Mich streifte dann fast meinerseits eine Schirrmacherische Regung des Überfordertseins – und ab einem gewissen Punkt bei dem angesichts der Causa überflüssigen Sperrfeuer stumpft man dann wohl auch ein bisschen ab.
Verschenkt. Jetzt fehlt nur noch der Preis für das Buch.
(Ich habe mir in einer Buchhandlung mal ein paar Seiten zu Gemüte geführt. Was daran literarisch irgendwie »weiter« sein soll als der Rest, ob Themen oder Form, geht mir nicht auf.)
Schirrmacherische Regung
Das trifft es wohl ganz gut. Ich überlege die ganze Zeit auch, ob das Buch den Preis bekommt oder nicht. Geht man die Jury durch, so haben sich in der Öffentlichkeit zwei Personen mindestens grundsätzlich positiv über das Buch geäussert (Auffermann und Weidermann). Bei Soboczynski weiss ich gar nicht, was der in einer solchen Jury soll. Wenn man den Krawall möchte, dann bekommt sie den Preis...
–
Das Buch selber ist m. E. mittelmässiger Trash, teilweise recht gelungen mit dem gängigen Vokabular der Intellektuellen-Bohème spielend und paraphrasierend. Das ist ganz cool auf Wirkung geschrieben. Kein Schreibschulenroman, sondern noch schlimmer.
Wenn der Anspruch gar nicht der war, witzig zu sein, finde ich es ziemlich feinspitzig hinterfragt. Ich hab den ganzen Rummel nur am Rande mitverfolgt, jetzt hab ich Lust, das Buch zu lesen.
Einfach grandios – das hat mir doch glatt den (bislang relativ bescheidenen) Tag versüßt :-)
Ich habe übrigens beim Steppenhund eine detaillierte Erklärung zum Einbau des comment.modifytime-Makros hinterlegt, ich hoffe, das hilft weiter (wobei ich mich allerdings eines Kommentars zu Ihrem Beispiel mit der Waschmaschine nicht enthalten konnte – aber die Vorlage war einfach zu schön, bitte nicht persönlich nehmen ;-) kinomu ist nämlich in der Tat einer von den »Guten«, der sich auf allen mir bekannten Antville-Installationen wirklich Mühe bei der Beantwortung von Fragen gibt und auch mir schon einmal weitergeholfen hat, als es beim Import eines Layouts auf blogger.de gehakt hat).