Literatur ist Sprache, ist durch die Sprache und diese wiederum: eine Anordnung von Zeichen oder Lauten: So trivial dieser Ausgangspunkt erscheinen mag, man stolpert geradewegs einer ersten Differenz in die Arme: Mit Literatur bezeichnen wir nicht jede Art von Sprache, sondern eine, die gewisse Charakteristika in sich trägt, deren Eigenschaften unter bestimmten Bedingungen entstanden sind.
Zur Literatur gehört aber nicht nur eine bestimmte Art von Sprache, sondern immer auch ein Werk oder zumindest: ein Fragment. Sie bezieht sich auf etwas Fertiges, Halbfertiges:
auf etwas Geschaffenes, das durch das, was es ist, in seiner Bestimmung, also: Literatur seiend, die Zeit überdauert: Literatur schließt heute entstandene Werke und solche der Vergangenheit ein, aber auch, antizipierend: jene die in der Zukunft entstehen werden.
Der Begriff Literatur umfasst damit Form und Inhalt – diese beiden existieren andeutungsweise auch im Fragment –, und sprachliche Charakteristika wie Stil, Klang und Rhythmus, der erstere als ein Resultat der beiden letzteren, nicht ausschließlich, selbstverständlich: — Wenn wir von Literatur sprechen, meinen wir all das, aber auch: Kunst und damit: Könnerschaft und etwas darüber hinaus, das schwierig zu bestimmen ist.
Auf diese Weise wäre Literatur essentialistisch definiert, auf den Begriff gebracht, also zeitlos oder aus einer bestimmten Zeit heraus solcherart gedacht: Fragen wir was Literatur ist, bekommen wir ähnliche Antworten, die allerdings, trotz ihrer Wichtigkeit, auch Probleme mit sich bringen: Jede Definition muss auf Alltagssprache zurückgreifen und sich damit auf nicht definierte Begriffe stützen: Hinzu kommt, dass man die Vielfalt der Erscheinungen (Werke) wahrscheinlich nie alle mit einem Begriff zusammenfassen können wird: Übergänge und Streitfälle wird es immer geben.
Darüber hinaus verbürgen keine der beiden, nicht die Form und schon gar nicht der Inhalt, dafür, dass wir ein Werk oder einen Text als literarisch bezeichnen können: Nicht jeder Roman der der Form genüge tut, wird als Literatur angesehen. Abhilfe und Ergänzung bringt das Wort literarisch, das einerseits zur Literatur gehörend bedeuten kann, also: ein Werk dem Kanon der Literatur zuschreibt und andererseits, ganz allgemein gefasst, bestimmte Eigenschaften von Sprache bezeichnet, konkreter: der Sprache eines Texts, egal wie er aussieht und ohne dass er Literatur sein muss: Man denke an Formulierungen wie „er schreibt literarisch“ oder „sie bedient sich eines literarischen Stils“. Das Wort literarisch benennt in seiner zweiten Bedeutung etwas über den konkreten Stil hinausgehendes, eine Art Stil, der alle als literarischen ausgewiesenen Stile kennzeichnet: einen Metastil.
Diese Art literarischer Sprache schließt einen bestimmten Umgang mit Sprache ein und ein Bewusstsein von ihr, was zur Manifestation einiger Eigenschaften führt: Eine wesentliche ist das, was man mit Leerstelle oder Unschärfe umreißen kann: Sie bedeuten, dass ein Text über die normale Unschärfe von Sprache hinaus, bewusst angelegte Zwei- oder Mehrdeutigkeiten aufweisen kann, die nicht, wie man das von Rätseln gewohnt ist, eindeutig aufgelöst werden können. Das erklärt auch, warum Literatur oft ganz entgegen den Intentionen ihrer Schöpfer verstanden werden kann*.
Beiden Begriffen wird in Zukunft mehr (und nicht weniger) Bedeutung zukommen, möglicher Weise stärker subjektiv gefärbt und weniger deutlich artikuliert als zuvor: Aber alle an Verbindlichkeit interessierten Menschen werden weiterhin versuchen diese vorhandenen Färbungen zu kontrastieren und zur Überlappung zu bringen: Im Netz fehlen häufig die (vermeintlichen?) Bürgen, die für den Leser die Bestimmung und Einordnung von Texten als „literarisch“ oder „Literatur“ vornehmen: Man möchte oder muss einen Text auf den man stößt selbst einschätzen: das verlangt nach einer Schulung des Blicks, das verlangt, dass jeder die Qualität seiner Lektüre bestimmen lernt, und ob eben dies vorliegt: Literatur.
* * *
*Andere (zu diskutierende) Eigenschaften literarischer Texte wären die Spannung zwischen Subjekt und Objekt (das Allgemeine und das Beispielhafte), die vorliegende Ästhetik, die Darstellung (und damit das zu Grunde liegende Erleben), die Welt in der man sich »wiedererkennt und gleichzeitig nicht wiedererkennt«, usf.
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Ich glaube, Literatur ist oft nur eine schier unglaubliche Kette von Missverständnissen.
In Referenz zu wem oder was?
Sie bedeuten, dass ein Text über die normale Unschärfe von Sprache hinaus, bewusst angelegte Zwei- oder Mehrdeutigkeiten aufweisen kann, die nicht, wie man das von Rätseln gewohnt ist, eindeutig aufgelöst werden können.
Und was ist mit den Realisten oder Naturalisten (oder auch mit so anti-metaphysischen Schriftstellern wie Camus). Nein, warum sollte Literatur so einen doppelten Boden (nach unten) oder eine Meta-Ebene (nach oben) definitionsgemäß eingebaut haben?
*~*
Für mich hatte »Literatur« auch einmal diesen hohen Klang, all die hohen Weihen der Kunst schwangen da für mich mit, und da fand ich es sogar bemerkenswert, dass bei Zeit.de das Ressort (noch?!) existiert, während auf faz.de nur lapidar von »Büchern« zu berichten ist. Entgegen der imaginären Vertikalordnung der Dinge, lese ich heute aber lieber durchlässig in allen Richtungen und Metriken; ja musste ich festellen, dass »literarisch« sogar (berechtigterweise?) ein Schimpfwort sein kann.
PS. Was Literatur ist, laesst sich praktisch aber recht einfach beantworten: Sie wird deklariert. Erscheint ein Werk im richtigen Verlag oder wird in der Zeitung an der richtigen Stelle besprochen oder erwaehnt, so handelt es sich um solche (sei es nun von Helene Hegemann oder von Thomas Mann).
@phorkyas
Natürlich wird Literatur »deklariert«, aber nicht durch Verlage oder Kritiker oder den »Betrieb«. Sondern durch Leser. Und durch die Zeit. Und natürlich muss Literatur einen »doppelten« Boden haben, muss transzendieren jenseits dessen, was geschrieben »steht«. Das gilt natürlich auch für den Realismus, der nicht einfach eine gegenständliche Beschreibung darstellt. Ansonsten ist es nur ein Text- oder Buchstabenhaufen, der nichts über das hinaus ansagt, was sichtbar ist. Literatur ist, um es pathetisch zu formulieren, jenseits des Sichtbaren; jenseits der »Information« über etwas. (Daher sind Plots auch nicht wesentlich.)
Und natürlich ist Literatur immer »unscharf«, nie eindeutig (selbst wenn sie für einen selber eindeutig zu sein scheint).
@Phorkyas
Gegengefragt: Ist Literatur etwas anderes als ein Bericht, eine Reportage oder ein wissenschaftlicher Aufsatz? Ich meine: ja! Ich will nicht behaupten, dass literarische Sprache immer mehrdeutig sein muss, der Realismus ist natürlich ein guter Einwand und ich schrieb auch von einer wesentlichen Eigenschaft, aber ich möchte doch behaupten, dass selbst eine realistische Darstellung eine Bedeutungsebene jenseits der bloßen Beschreibung aufmacht, sei es eine von Kritik, von Utopie, usf.
Natürlich wird Literatur zu setzen versucht und basiert auf einer Art gesellschaftlichem Konsens (Kanon), aber wie Gregor schon andeutet: Gerade das wird immer wieder usurpiert, vom Leser, von der Zeit.
Seltsamerweise finde ich fast am plausibelsten an all diesen Auslassungen, was Andreas Wolf in dem etwas fahrlässig herbeigelinkten Kommentar schreibt. Es ist einfach heute nicht zu sagen, was morgen literarisch Bestand haben wird. Denken wir doch mal an Melville! Ich zweifele keine Sekunde daran, dass Gregor Keuschnig, wenn Handke ihn damals schon erfunden gehabt hätte, den literarischen Wert des »Moby-Dick« erkannt hätte. Aber zu seiner Zeit war Herman wirklich eine arme Sau! Keiner verteidigte ihn, keiner kaufte ihn, keiner pries ihn; man ließ ihn absaufen wie einen aus Versehen angeschossenen Delfin. Er war einfach zu streng, zu aus der Zeit gefallen, zu eigen. Er hat auch nicht in Princeton die Hosen runtergezogen und geschrien: »Beschreibt das hier mal, ihr impotenten alten Wichser!« Warum? Weil er nicht die bundesdeutsche Literaturmafia hatte, die er irgendwie hätte instrumentalisieren können. – Aber der Fall Melville gibt ja auch Anlass zur Hoffnung: Aus lauter Gram über sein Scheitern erfand er den Bartleby, und so wird unser aller Ignoranz auch in Zukunft das Zustandekommen großer Texte sichern.
@Robert Mattheis
Hm, das würde, ich bin einmal so dreist für die Kommentatoren zu sprechen, gar keiner bestreiten: Was Bestand haben wird, wissen wir nicht, können wir auch nicht, weil wir zeitbefangen (und: gefangen) sind. Das ist der Politik ganz ähnlich: Die Notwendigkeit zur Diskussion, Bestimmung und Spekulation ergeben sich aus dem Nichtwissen (um das Zukünftige) und verschiedenen Ansichten, Argumenten und so fort. Wer recht hatte, zeigt sich erst, wenn es für die Betroffenen nicht mehr von Belang ist.
@Robert Mattheis
Die Beispiele der verkannten bzw. unbekannten Literatur sind ja Legion. Und wer kennt denn die Stücke von Kotzebue heute noch? Das gilt ja auch für andere Künste wie die Malerei. Es gilt eben Effekt und Affekt von Kunst zu scheiden.
Die oft auftauchende Frage ob jemand wie Joyce oder Kleist heute verlegt würde, stellt sich nur dahingehend, wo er verlegt würde (oder ob er sich erst einmal als »Self-Publisher« versuchen muss – wie weiland Proust). Die Diskussion, wie man Literatur sozusagen »fasst«, ist davon m. E. eher unberührt.
Meine Einwände waren vielleicht etwas platt, gerade weil ich mete’s Annäherungsversuch als fragmentarisch verstanden hatte, der der »Literatur« auch die nötige Luft ließe. Vielleicht ging es mir auch genau darum: der Literatur (das gleiche gälte für die Kunst) ihr Recht gegen alle Definitionsversuche einzufordern – ja, ich glaube, es könnte gerade zu dem Wesen beider gehören, dass sie (im historischen Lauf aber auch im einzelnen Werk) immer wieder das Einengende und Festschreibende von Bestimmungsversuchen sprengen.
Auf der andren Seite gibt es ja aber Kultur als gesellschaftliches Spiel und Diskurs, deren Akteure Gegenwärtiges und Vergangenes in Begriffe oder Epochen fassen müssen,... vielleicht sogar eine Erzählung: Mich verblüfft das immer wieder, wie ganze Nationen ihre Literaturgeschichte, dann in einzelne Dichter verdichten wie Shakespeare, Goethe oder Puschkin – ganz so als haben diese alles überstrahlt.
Was für unsinnige Zuschreibungen es dann in hundert Jahren geben wird, mag natürlich keiner sagen. Ich ergehe mich gerade in der Vorstellung, dass dann ein paar Literatur-Junkies mit sehr entlegenen und schwer aus ganz verstaubten Internetarchiven zu beschaffenden Fragmenten eines gelöschten Blogs namens blogozentriker dealen.
@phorkyas
Ich stimme ja zu, wenn es gilt, die Literatur »gegen alle Definitionsversuche« sozusagen zu beschützen. Aber gerade in metepsilonemas Text blieb m. E. ganz viel Luft für die Literatur. Der Definitionsversuch blieb sozusagen »in der Schwebe«.
Das Bild von der fast schon archäologischen Rekonstruktion gelöschter bzw. unfindbarer Literaturblogs nebst ihren Texten ist wunderbar. Man möchte es auch auf diese Seite angewandt sehen, aber hier gibt es ja keine Literatur. Wir reden ja nur drüber. Das ist ganz schnell Schall und Rauch. (Wer das nicht glaubt: Wer kommt ohne Suchmaschinen auf fünf Literaturkritiker [und sei es im weitesten Sinn] zwischen 1880 und 1930? Wohlgemerkt: Kritiker! Nicht Schriftsteller, die auch Kritiken geschrieben haben wie bspw. Fontane.)
Und was ist das nun, Literatur?
Gestern stieß ich in dem bekannten Benjamin-Text zum »Flaneur« auf den Satz:
»So sind diese Sammelwerke ein Niederschlag der gleichen belletristischen Kollektivarbeit.« (Kursivierung von mir.)
Ich dachte spontan: Na, das trifft es als bündige Definition doch eigentlich ganz gut.
Oder?
Noch ein Fundstück:
(Martin Meyer, »Albert Camus – Die Freiheit leben«, Hanser, 2013, S. 24
»Ein Text ist aber nicht literarisch, wenn seine Lektüre das Gefühl von Literarizität im Leser erzeugt. Geht es, im Gegenteil, nicht sogar darum, dass ein Text, der wirklich literarisch, also ein Stück Literatur, ist, gerade das Gefühl, er sei literarisch, also den Geschmack von Literarizität NICHT aufkommen lässt?« Dr. Roman Frost
In die Richtung hatte ich eigentlich steuern wollen, aber so hat’s der Doktor besser auf den Punkt gebracht. Wenn Literatur Sprache ist – und nicht doch nur aus Sprache? – so sollte sich doch an dieser auch ausweisen lassen, dass es sich um Literatur handelt. Metepsilonemas Text umkreist dann aber doch, dass sich das nicht bewerkstelligen lässt, weder an Form oder Inhalt selbst ließe sich das aufweisen, ja letztlich nicht einmal an der Sprache selbst, sondern nur daran, was diese Sprachgebilde an Neuronenfeuerwerken im Leserhirn verursachen?
Soso, jetzt werden nicht einmal mehr die Quellen angegeben.
Nein, es geht doch nicht »nur« um ein Gefühl, sondern, darüber hinaus, um die Erhärtung und Diskussion desselben (ich würde sogar sagen es geht gar nicht um Gefühle, sondern Eindrücke und Eigenschaften: welche ich für besonders wichtig ansehe, habe ich ja beschrieben; der zitierte Satz ist m.E. als radikal-literarisches Programm zu gebrauchen, sonst kann ich wenig damit anfangen — Asterix ist jetzt Literatur oder wie?).
Was ich bezüglich Sprache und Form meinte, war, dass die Form alleine, obwohl oft behauptet, nicht genügt, sonst wäre jedes Sonett schon Literatur, obwohl es nur abgegriffene, vor zweihundert Jahren verwendete Floskeln kopiert oder: im Extremfall könnte ich irgendwelche Zeichen aneinander reihen, Hauptsache ich komme auf die richtige Zahl von Hebungen und Senkungen (das ist im besten Fall lautmalerisch interessant). Literatur entsteht eher dort wo Form und eine bestimmte Sprache »zusammenfinden«.
Stilistische Könnerschaft gibt es ja auch im Journalismus. Viel Fingerfertigkeit ist hier zu finden! Könnte also ein Artikel von der Seite 3 der SZ Literatur sein? Oder steht dem das Etikett »Journalismus« als Ausschlusskriterium entgegen? Andererseits ist das Formbewusstsein bei Reportagen ähnlich hoch entwickelt wie einst bei der Sonettdichtung. Ein Kunststück in dieser Richtung, das die Genres oder Kategorien zum Überlappen bringt, ist Felicitas von Lovenbergs neuer Text über Daniel Kehlmanns neuen Roman. Das ist wirklich so etwas wie eine bewusst vorgenommene Selbstparodie, also wohl eher Literatur als Journalismus; in jedem Satz fast spürt man das Vibrieren einer unbändigen Freude darüber, einmal die Bereiche des fleißig-dumpfen Berichtens verlassen und selbst ins Dichten übergehen zu dürfen! Von Lovenberg schlüpft in die Haut von Daniel Kehlmann, so stelle ich mir das vor, und schreibt über ihre Begegnung mit Kehlmann und seinem Werk, wie jener so etwas in einem seiner Bücher gestaltet haben dürfte, fingerfertig und 1:1, dass einem ganz schwindlig wird vor Klischee! Die Journalistin blickt sich, beim Journalistisieren, von oben auf den Kopf! Was ich sagen will: Genau aus dem Klischee wird hier das Aroma der Literarizität herausgepresst, und das ist sensationell! (Es kann natürlich auch sein, dass es sich bei der ganzen Reportage tatsächlich um einen Vorabdruck von Kehlmanns neuem Text handelt, einer Reflexion über die Reaktionen, die sein »F« weltweit ausgelöst hat, von Jonathan Franzen, NY, bis eben zu Felicitas von Lovenberg, FAZ, eine weitere Hochspiralisierung der Verschwindeligisierung der Selbstreflexivität im Zeitalter der Autoavatarisierung nicht nur des Lieben Autor-Ichs.)
Und wenn der Name für das Mehr an Sprache und Form eben doch Literarizität wäre? Der Mangel an Bewusstsein davon oder sogar die bewusste Abwesenheit von Letzterem kann jedenfalls kein Kriterium sein, denn das, was alles so wohlfeil und plot-driven und schreib-wie-du-sprichst daherkommt, ist sicher eher Lesefutter als Literatur.
Oder es ist wie bei der Kunst (in der Denke von Bazon Brock, dem „Künstler ohne Werk“): Kunst ist eben das, woran andauernd neu gearbeitet wird, es dafür zu halten? Was bedeutet, dass dann auch die ganze aktuelle Genre-Schwemme oder – von mir aus – Helene Hegemann Literatur wäre.
Meine Vermutung ist: Es muss jedes Mal neu verhandelt und entschieden werden.
Dass keine letzte Definition greift, wäre womöglich genau das Merkmal von jenem Mehr, was manche von Literatur noch erwarten.
Alles sonst, für das ein Label oder sonst eine Eindeutigkeit greift, eine Sache zu bezeichnen und sie damit zu erledigen, wäre dann eben etwas anderes.
@herr.jedermann: Gut, aber wenn der Schluss des Kommentars stimmt, dass wir immer neu verhandeln müssen, dann stimmt der Anfang in seiner Apodiktizität (?) nicht, zumal: Auch »Woyzeck« ist plot-driven und Schreib-wie-du-sprichst. Deal? – Vielleicht sollte man, wo es um Gegenwart und ungeklärte Fälle geht, mit dem Wort »Literaturverdacht« arbeiten. Nach dem Motto: in dubio pro reo. Ein echter »Prozess« (vielleicht wollte uns Kafka DAS sagen?). Gut, sagen wir, Hegemann, das kommt mit Handke und Herbst auf den Haufen »Literaturverdacht«. Und dann, in 20 oder 30 Jahren, sehen wir, was davon als reine Albernheit wahrgenommen wird und was als hellsichtiger Wurf über die Zeitengrenze.
@ Arthur Bonneville
Also da sehe ich aber doch noch einen Unterschied zwischen Büchner und einem an langzeitigeren Vorbildern geschulten Gestaltungswissen, das heute noch annähernd einleuchten kann … und den grassierenden creative writing – Kolportagen und Cliffhänger – Textökonomien, in denen alle eher nur kurzfristig zu funktionieren habendes und daher dürftiges Vokabular austauschen.
Außerdem führt das Moment der Zeit gleich eine weitere Bedingtheit ein: Eben die Zeit. Eine, die den momenthaft gestimmten und epiphanisch erleuchtet zu werden bereiten Leser ja nicht interessiert: Er sucht sie ja sogar zu vergessen!
Und außerdem wäre das eine Zeit, die ihrerseits Überragendes auch gerne mal zu vergessen schafft. (Nur als ein Beispiel : Emmanuel Bove.)
Und was wäre dann mit der Literatur „im Augenblick“, der Zeile im Gedicht, die instantan inspiriert oder sogar etwas Unabsehbares eröffnet … aber nicht hergeleitet und abgesichert werden kann? (Oder eben nur durch völlig unverhältnismäßigen, immer neue Uneindeutigkeiten schaffenden Aufwand.)
Es geht bei allen Urteilen in künstlerischen Formen eben auch um ein Quantum subjektiver Wirkmenge, die ihrerseits nicht einfach berechnet oder qualifiziert werden kann.
(Muss an Sebald denken, dessen klassische Prosaqualität mit zwar gleich einleuchtete, deren Komposition langwelligerer Unterströmungen mir aber im ersten, anscheinend allzu nervösen Lesen damals nicht aufgingen – im zweiten [nicht lang darauf] aber dann eben doch.)
Und weil die Urteile Späterer ja auch wieder Urteile von Menschen sind, sind sie in sich unzuverlässig, Kanon hin oder her. (Und was interessiert mich ein Kanon?)
Was Literatur ist, muss also jetzt entschieden werden.
@Arthur Bonneville
Naja, da geht aber einiges durcheinander. »Stilistische Könnerschaft« des Journalismus hat nicht zwangsläufig etwas mit Literatur zu tun. Im Gegenteil: Die Literatur krankt zum Teil durchaus daran, sich längst dem journalistischen angedient zu haben. Zum Nachteil der Literatur. Felicitas von Lovenberg als journalistische Dichterin erscheint mir so absurd die Vorstellung, dass mir gleich die Decke auf den Kopf fällt. Eine Schreiberin, die eine Charlotte Roche blind und kritiklos hoffiert, hat für mich jegliche Reputation verloren. Sie macht sich gemein mit irgendwelchen Interessen, die außerhalb der Textgenese liegen. (Damit ist nicht gesagt, dass man Roche verreissen muss. So gab es eine durchaus sich kritisch beschäftigende, aber à la longue positive Besprechung eines Bloggers zu »Feuchtgebiete« [leider nicht mehr verlinkbar, da der Weblog deaktiviert wurde]. Hier wurde tatsächlich Textkritik geübt jenseits ökonomischer oder »betrieblicher« Interessen. Es geht darum, ob in vorauseilender Servilität jegliche Distanz aufgehoben wird.)
Mit Ihren in Klammern gesetztem Text kann ich nichts anfangen. Meinen Sie diesen Artikel von FvL? Was ist daran sensationell?
Ihr zweiter Kommentar enthüllt m. E. die Intention: Literatur ist nichts anderes als eine Art postmodernes Castingspiel, welches vertagt wird auf den Sanktnimmerleinstag. Handke, Hegemann, Kehlmann, Herbst – alles gleich gut, gleich schlecht, gleich rubrizierbar. Keine Deutung ist zu abstrus, um sie nicht mindestens einmal hinausposaunt zu haben. Ich glaube, das nennt man in paar Jahren Feuilleton.
Sie Herr Bonneville sind Avantgarde (und nicht Botho Strauß). Die anderen Kommentatoren hier sind nur noch Dinosaurier, das Blog hier ist der Zoo für sie.
Lieber Herr Keuschnig,
wie falsch Sie wieder einmal liegen! Ich selbst war mir nicht zu schade, in dem aus Gründen des Selbstschutzes unter (zugegeben lächerlichem) Pseudonym veröffentlichten Roman »Hohlkörper« die verrotteten, vernutteten Zustände hinter den Kulissen des Literaturbetriebs zu geißeln. Das hat mir die Höchststrafe eingetragen, Nichtachtung durch die literarische Mafia ... Frau von Lovenberg rief mich gar an und fragte, ob ich Wert auf ihre »explizite Feindschaft« legte.
»Nein«, lachte ich, »gehen wir lieber einen Wein trinken!«
»Gern!«, flötete sie.
»Soll ich Sie mit dem Taxi abholen? Ich bin eh grad unterwegs, Schuhe kaufen ...«
»Ach«, rief sie aus, »das wäre wunderbar!«
»Sind Sie noch in der Redaktion?«
Usw.
Beste Grüße,
A. B.
Sie sind ein drittklassiger Geschichtenerzähler.
Seltsam, dass Sie Wert darauf legen, in Ihrem eigenen Blog zu pöbeln! Was werfen Sie mir denn eigentlich vor?
Ach, das ist doch alles so ein postmodernes Beliebigkeits- und Salon-Geschwätz. Ich möchte darauf einfach nicht mehr soviel Lebenszeit verschwenden. Das können Sie nicht womöglich nicht verstehen. Wie dünn Ihre Firnis des Ertragens doch ist.
Können wir nicht einfach zum Beitrag zurückkommen statt Pirouetten zu drehen, die nur der jeweiligen Eitelkeit dienen?