Daß Figur und Körperbau japanischer Frauen weniger schön sind als bei den Frauen im Westen, mag man bezweifeln. Sicher ist, daß nirgendwo sonst Frauen mit so schöner und zarter Haut zu finden sind. Es wird wohl mit dem Zellgewebe zu tun haben, das bei weitem nicht so schnell altert wie bei Europäerinnen. Die Haut erschlafft, ja, aber die Zellen verfallen nicht in gleicher Weise wie bei westlichen Frauen, wo jede über Dreißig mit Zellulitis zu kämpfen hat. Japanische Frauen haben Jahrzehnte zur Verfügung, um ihre Schönheit zu entfalten. Es ist kein plötzliches Aufblühen und rasches Verwelken, sondern ein langsamer, vielschichtiger, nuancierter Vorgang. Die Frauen verstehen es, zu reifen. Und nicht nur die sogenannten Schönheiten. Vielleicht denken sie gar nicht daran; der Körper reift von selbst. Bei vielen ist die Haut durchscheinend, man sieht oder ahnt das Adernwerk, die bläulichen Verästelungen. Die Schönheit der Farbe Weiß habe ich erst hier zu begreifen begonnen. Das Abenteuer dieser Farbe, die den Begriff der Vollkommenheit anschaulich macht, aber auch für Schatten empfänglich ist. Schattierungen, Projektionen, mein eigener Schatten. Der Schatten meiner rechten Hand. Keine Haare (oder nur äußerst feine, man sieht sie auch aus großer Nähe kaum), keine Furchen, keine Widerstände. Nur die Flächen und Mulden, die zurückhaltenden Rundungen. Die Haut wird zur reinen Form, nichts als Oberfläche, die Haut macht vergessen, daß sie etwas hält. Nie werde ich die Rede von der »gelblichen Tönung« verstehen, die die Japaner selbst gern führen. In Europa sehe ich gelbe Menschen; hier nicht. Es gibt keine reinere, für sich bestehende Helligkeit. Auch dies ein Grund, warum Schatten notwendig sind. Der Körper der Frau verlangt nach dem Schatten, der ihn umhüllt. Der weibliche Körper ist nicht exhibitionistisch, will sich nicht, nicht ständig, nicht ohne Vorbehalte zeigen. Er will bestehen, sich bereit halten, berührt werden. Eher berührt als gesehen. Der weibliche Körper erhüllt sich, indem er sich zeigt. Den weißen Schleier der Haut.
Eine Studentin hat mir von einem Jobhunting-Seminar erzählt, das sie – wie alle anderen – im letzten Studienjahr besucht, um auf den Eintritt in die Arbeitswelt vorbereitet zu sein. Was lernen die Studentinnen da? Unter anderem, wie sie sich schminken sollen, wenn ihre Haut nicht so weiß ist, wie es das Ideal fordert. Weiße Haut, gute Arbeitsaussichten. Diese Studentin ist schön, sie hat eine natürliche Anmut, harmonische Proportionen des Körpers und ein Lächeln, das irgend etwas zu versprechen scheint: vielleicht nur, daß sie dich noch eine Weile mit ihrer Anwesenheit beglücken wird. Doch sie hat einen Makel: Ihre Haut ist dunkel, hellbraun, sie schimmert golden, wenn sie im Sonnenlicht steht (was sie nach Möglichkeit vermeidet). Sie erinnert mich an eine Brasilianerin, die ich einmal kannte, eine in Paris lebende Frau mit dunkelblondem Haar und eben jenem Teint, »honigfarben« ist das passende Wort, der Körper zierlich, aber auch kräftig. Die japanische Studentin auf Arbeitssuche wird ihre Gesichtshaut aufhellen, sie wird dem Ideal nachstreben und den reinen Schein verwirklichen, der in ihrem Land Erfolg verbürgt. Oder wird sie es verpatzen? Wird sie sich verpatzen?
Sosehr ich die Honigfarbe liebe, sosehr fasziniert mich die Helligkeit, wenn ich ihr begegne, und das ist zum Glück häufig, ja, täglich der Fall. Eine Helle, die dich umfängt, umspinnt, aber auch fernhält. Die dich, ich sagte es schon, zur Berührung einlädt. Langsam, vorsichtig... Iroke: viele Frauen zieren sich und geben doch zu verstehen, daß sie dich einladen. Nicht Widerstand, nicht Abwehr, sondern Indirektheit. Auf Umwegen wandeln, man macht sich auf den Weg, tut einen Schritt, um an Ort und Stelle zu bleiben. So verschleiert die Haut, was sie enthüllt. Man sieht ja nur wenig von ihr. Weil sie geschützt werden will, vor Sonnenlicht, vor Regen, vor Wind, vor der Natur. Und zeigt sich, doch, die Frauen in den Städten zeigen Haut, auch im Winter, zeigen Beine, Wangen, Hände, Fingernägel; nicht den Bauch, den Nabel, nein: nicht alle westlichen Moden werden nachgeahmt. Die Zeiten Tanizakis sind längst vorbei, wie die Zeiten Ozus vorbei sind, Wim Wenders hat nach den Spuren des alten Meisters gesucht und nichts als Pachinko, Stadtgolf, Attrappen gefunden. (Keine Frauen in diesem Film, das Kameraauge hat sie weder in Tokyo noch in Ozus Tokyo-Film zu entdecken gewußt.) Diese Helle, ja, die den Schatten braucht, um wirken zu können. Haut, die Stoffe braucht, um geahnt und schließlich entborgen werden zu können. Fingerfreie Handschuhe, kunstvoll zerschlissene, löcherige Jeans. Auf dem Grund solcher Haut ist ein Leuchten, im Weiß ist tatsächlich etwas enthalten, nicht Muskeln Organe und so weiter, sondern eine geheimnisvolle Kraft, ein anderer Inhalt, den die reine Form, wenn man sich ihr widmet, freigibt.
Ähnlich wie bei den genauen, obsessiven Planungen, ohne die kein Schritt im Leben getan werden kann. Keine Reise ohne täglichen Zeitplan, vom Frühstück bis zur Serenade. So auch die Zurückhaltung, oder genauer: Verhaltenheit. Wenn sie durchgeführt, also durchlebt wird, ihrem Rhythmus entsprechend, nicht zu schnell, nicht zu langsam, mit kleinen, unmerklichen Rucken, tritt plötzlich eine Entfesselung ein, und man betritt gemeinsam, Haut an Haut, ein unvermutetes und grenzenloses Reich der Freiheit. Alles geschieht dann von selbst. Ungeplant, obwohl es sich so lange vorbereitet hat. Zwei grenzenlose Stunden, Zwillingsstunden, die durch das Zeitmeer segeln. Das Leuchten färbt von der Haut auf mich ab, und ich genieße den Schein, taste ihn mit den Fingerkuppen ab, lecke ihn mit der Zungenspitze.
»They have no breasts, man, they have no breasts«, sagte der amerikanische Don Juan, der genau wußte, in welchem Café die Frauen auf Ausländer warten. Es ist wie mit allem, diese Amerikaner – wir Amerikaner, sollte ich sagen, aber in Wahrheit nehme ich mich aus – kommen gar nicht auf die Idee, daß andere etwas wertschätzen können, was nicht ihren eingefleischten Ideen entspricht. Ideen von prallen Brüsten, schlanken Taillen, drallen Hüften. Schon die westliche Frauenmeßweise (Gynometrie) läßt sich nicht auf japanische Frauen anwenden. Die sogenannten Maße, Marilyn Monroe zum Beispiel, 91–61-86, was sagen die schon? Im Westen werden die Unterschiede zwischen weiblichem und männlichem Körper betont; nur eine Zeitlang, um 1970, als sich einmal wirklich etwas bewegte in der sogenannten Gesellschaft, trat ein androgyner Typus ins Licht der Öffentlichkeit; heute hat er keinen Platz mehr zwischen Bodybuildern und Verführungskünstlerinnen, coolen Männern und gestandenen Frauen. In Japan lebt dieser Typus weiter, und er war schon lange vor 1970 da. Die Körper sind eben so, trotz der Anstrengungen eines Yukio Mishima, sich zu stählen, oder von Mädchenscharen, die, statt Frauen zu werden, lebenslang der Hello-Kitty gleichen wollen. Oft ist der weibliche Oberkörper länger als die Beine und auch recht breit, die Flanken senkrecht, die Brüste erheben sich wenig, dafür sind die Spitzen deutlich markiert, sie führen ein starkes Eigenleben, zeigen die Lust gegen alle Scham. Der Brustkorb als Schrank (ein Mann wie ein Schrank, europäische Redewendung...), doch ohne scharfe Kanten, weich wie Wachs, die Fingerkuppen tauchen ein: der Brustkorb als Tabernakel. In seinen nationalkonservativen Momenten bewunderte Tanizaki die Frau als Block, ihren fast formlosen, noch kaum aus der halbdunklen Umgebung hervorgegangen Körper. Bei festlichen Gelegenheiten verbirgt der Kimono diesen wenig ansehnlichen Körper, die kräftigen Farben lenken ab von der natürlicher Farblosigkeit. Mag sein... Aber im Grunde wiederholt die rechteckige Form des herkömmlichen Kleidungsstücks, dieses bloßen, raffiniert gewickelten Tuchs, doch die Form des weiblichen Körpers, wie sie aus einiger Entfernung erscheint. Die Frau als Umgebung, als geahnte Anwesenheit, und die Schönheit des Stoffs als Ersatz. Die Frau als Hausgeist und natürliche Atmosphäre, verläßlicher in ihrer Existenz als der Mann mit seinen zweifelhaften Geschäften, von denen man nie etwas erfährt, außer daß sie seine ganze Zeit und Energie aufsaugen (was bei mir längst den Verdacht geweckt hat, daß sie unsinnig oder Scheingeschäfte sind).
In Wahrheit ist der Kimono zur Entblößung bestens geeignet, und mehr noch der Yukata, das leichte Sommerkleid mit den Blumen, den Feuerwerksmustern. Mit einer winzigen Geste, einem Fingertippen kann die Frau, wenn sie will, einen Spalt öffnen und einen Streifen reiner Helle hervorleuchten lassen, oder das Dunkel der Scham, das die Helle betont. Und bekanntlich wirkt das, was nur als Teil erscheint, stärker (oder raffinierter, weitläufiger) als das Ganze, das sich zeigt, wenn die Hüllen fallen, wie es die westliche Striptease-Phantasie will. Bekanntlich wird das Seltene intensiver genossen als das, was ständig zu haben und zu sehen ist. Die Ahnung des Anderen, des Begehrten, wirkt stärker als sein Besitz. Diese Frauen wollen sich nicht besitzen lassen, sie entziehen sich, wenn sie sich hingeben, und bleiben bei sich. Die eigentliche Umarmung, Umschlingung, Umklammerung – die etreinte, wie der Franzose sagt – ist hier selten. Im übrigen ist der Kimono (oder der Yukata) beim körperlichen Vollzug der Liebe sowohl anregender als auch praktischer als jede Art von westlicher Kleidung (youfuku, es gibt dafür ein eigenes Wort).
Das Inbild der Liebe ist für mich jenes Paar, das sich an einer bestimmten Stelle des Bahnhofs von Kyoto verabredet hatte. Die Frau wartete bei einer ovalen, von einer gläsernen hüfthohen Wand umlaufenen Öffnung im Boden, durch die man ins erste Untergeschoß sehen konnte. Ich betrachtete die Frau von oben, von einer Halbetage herab, weil mir ihre unauffällige Eleganz auffiel, das leichte Angelehntsein an dem durchsichtigen Geländer, ohne daß sie ihre aufrechte Haltung verlor. Bald kam der Mann, auch er sehr aufrecht, durch die Halle und ging schnurstracks, aber ohne Eile, auf sie zu. Sie hob den Kopf einen Deut höher, als sie ihn bemerkte, löste sich aber nicht vom Geländer, sondern wartete, bis er knapp vor ihr stand. Sie fiel ihm nicht um den Hals, er küßte sie nicht. Sie schauten sich kurz ins Gesicht, ein Nicken wie zur Bestätigung, kaum eine Mundbewegung, und im nächsten Augenblick gingen sie nebeneinander, wiederum entschlossenen Schritts, auf den Ausgang zu. Geduld und Entschlossenheit, beides. Ich weiß nicht, wo die beiden hingingen. Vielleicht in ein Hotel, vielleicht in einen der Tempelgärten, vielleicht nach Hause. Ich bin sicher, sie haben sich an diesem Tag geliebt.
© Leopold Federmair
Von Leopold Federmair erscheint in den nächsten Tagen im Otto Müller Verlag, Salzburg:
»Wandlungen des Prinzen Genji«