Also doch noch geschafft zu Lucas Cranach der Ältere in Düsseldorf. Seit April läuft die Ausstellung aber irgendwie gab es immer wieder Hindernisse, mal zu warm, mal zu regnerisch, dann schon wieder fast vergessen und nur die große Plakatierung erinnerte mich wieder daran. Es ist Donnerstag, die Ausstellung ist vor zehn Minuten geöffnet worden. Am Eingang erklärt uns ein Mann wo wir die Räume finden und was wir sonst noch besuchen dürfen für unser Eintrittsgeld. Ich frage mich, ob er das in fünf Stunden noch mit der gleichen Intensität und Freundlichkeit macht. Prompt kommt eine ältere Frau und beschwert sich bei ihm, dass niemand gekommen sei, ihren gehbehinderten Mann abzuholen.
Wir zahlen. Den Audioguide gibt es kostenlos zum Eintrittsgeld. Ich halte zum ersten Mal ein solches Gerät in Händen. Insgesamt gibt es Informationen für 90 Minuten und ich erinnere mich an André Seelmanns 20 Minuten-Museumsbesuche, was mir zu kurz erscheint. Aber 90 Minuten wollte ich auch nicht bleiben. Zudem möchte ich immer erst das entsprechende Bild sehen und dann erst den Text dazu hören. Dieser kommt sehr getragen daher und mehrmals ertappe ich mich dabei, dass ich glaube er sei zu Ende und dann geht es doch noch weiter. Gleich am Eingang ist eine Schülergruppe; 15, 16jährige. Die Lehrerin erklärt und hält gleichzeitig Unterricht. Zwei Tage vor den Sommerferien. Laut. Den Film über Cranach kann man nicht hören, die Lautsprecher sind zu schwach eingestellt. Ich lese ein wenig die englischen Untertitel und warte bis die Lehrerin mit ihren Schülern außer Hörweite ist. Schon kommt eine andere Schülergruppe, aber es gibt weniger Vortrag. Wenig später Zweitklässler mit einem Lehrer. Sie setzen sich auf den Boden und hören ihm zu.
Konzentration fällt schwer. Der Raum ist immerhin dunkel; die Bilder werden dezent angestrahlt. Die Bibeldarstellungen Cranachs wirken brav, die Symbolik wird konform mit den Texten eingesetzt. Man muss sich Cranach als frommen Mann vorstellen, was sich später dahingehend ändert wenn er zum »Hofmaler« Luthers werden wird. Vorerst ist er in Diensten von Friedrich III. von Sachsen und etliche seiner Darstellungen in den Holzschnitten tragen die Insignien seines Herrschers inklusive Sachsenwappen. Biblische Darstellung mit Sponsorenzeichen. Friedrich wird auf dem Sterbebett zum Protestantismus konvertieren, falls man das schon damals so nennen konnte.
Maria und das Jesuskind, die heilige Barbara, Lucretia mit dem Dolch, der heilige Hieronymus, Herkules, Venus und Amor – nur einige von den Motiven, die Cranach und später dann seine Werkstatt immer wieder beschäftigten und in vielfältigen Variationen erschienen sind. Altarbilder, die sonst getrennt sind, werden in der Ausstellung zusammengeführt. Man sieht, was der Bildersturm angerichtet hatte: fehlende Teile einer Komposition werden skizziert ergänzt. Die Farben der Bilder leuchten, sind klar, kaum zu glauben, dass sie 500 Jahre und älter sind. Erklärt wird dies im zweiten Raum der Ausstellung (der weit weniger besucht ist) in einer kleinen Übersicht, wie und wo man Pigmente im 16. Jahrhundert gekauft oder selber gemacht hat.
Cranach setzt die biblischen Figuren in seine Zeit. Die Gesichter sind häufig frömmelnd und fast lieblich; zuweilen fast naiv. Er ist ein detailgetreuer Geschichtenerzähler. Dürers Innovationen und Frechheiten gibt es nicht. Im Holzschnitt vom »Himmelwagen und Höllenwagen des Andreas Bodenstein von Karlstadt« von 1519 zeigt er sich allerdings als vermutlich erster Comiczeichner der Welt.
Zuweilen versucht die Ausstellung eine Gegenüberstellung von Cranach und Dürer. Aber diesen Vergleich besteht Cranach nicht, obwohl anderes suggeriert werden soll. Am Bild der Melancholie von 1532 zeigt sich dies deutlich. Hier gibt es eher unverbundene Bilder im Bild; der verrutschte Lorbeerkranz des schnitzenden Mädchens mit den Engelflügeln wirkt eher komisch statt melancholisch. Dabei wird Dürers Melencolia I wird derart ungünstig platziert (rechts unter dem Cranach-Bild und dabei nahezu im Halbdunkel und daher von den wenigsten bemerkt), dass man die manipulative Absicht der Kuratoren verstimmt zur Kenntnis nehmen muss.
Am Ende heißt es »Luther und Cranach bereiteten einer modernen Auffassung von Kunst den Weg.« Belegt wird dies vor allem mit Pablo Picasso. Tatsächlich entdeckt man in den ausgestellten Exponaten die Auseinandersetzung mit den Motiven Cranachs. Aber es bleiben ikonografische Anregungen und Weiterführungen. Als ästhetischer Vorläufer der Moderne ist Cranach kaum geeignet.
Der Besuch lohnt vor allem wegen der wunderbaren Portraits. Hier scheint Cranach befreit von den Zwängen der strengen Bibel-Symbolik. Und wenn er sich dann dem prallen Leben der Zeit widmen kann wie in »Alter Mann von Kurtisanen betört« ist man versöhnt mit Kakophonien in den Ausstellungsräumen, den Massen, die um die Mittagszeit hineinströmen und die Unerbittlichkeit des Aufsichtspersonals, das jegliches Fotografieren sofort unterbindet. Man schaut es an und stellt fest: Es hat sich nichts geändert.
Schließlich findet sich in wenig versteckt dann noch der Hinweis auf die Cranach-Webseite. Die ist wirklich sehr gelungen obwohl das penetrante »cda« nervt.
Die Ausstellung ist im Museum Kunstpalast in Düsseldorf noch bis 30.7.2017 zu sehen. – Aus urheberrechtlichen Gründen habe ich auf eine Bebilderung des Textes verzichtet; man möge den Links folgen und die Cranach-Webseite aufsuchen und durchstöbern.