Mit dieser Szene beginnt das Buch »Die Frau, die Nein sagt« von Malte Herwig. Der Mann, den man nicht verlässt, ist Pablo Picasso. Er ist damals fast 73 Jahre alt. Die Frau, die in einer der wenigen Reportersuperlative in diesem Buch »die berühmteste Überlebende der Kunstgeschichte« genannt wird, ist Françoise Gilot. Sie ist die Frau, die nach zehn Jahren Nein gesagt hat. Und bis heute immer dann Nein sagt, wenn es ihr passt. Mit allen Konsequenzen.
Gilot ist Jahrgang 1921 und 90 Jahre alt, als sich der SZ-Reporter Malte Herwig bei ihr meldet. Zehn Monate lebt die Dame in New York, im Mai und Juni zieht es sie nach Paris. Sie ist Malerin gewesen und geblieben. »5000 Zeichnungen und 1600 Gemälde« fasst ihr Œuvre aus 75 Jahren. » ‘Außer malen tue ich ja nichts’ «, so die lakonische Begründung für dieses Werk. Ihre Zeit mit Picasso, als sie Muse, Mutter und Geliebte war, hat ihr Leben zwar geprägt, aber Herwig reduziert sie nicht darauf.
Natürlich gab es glückliche Tage, wie dieses Bild, das auch im Buch abgedruckt ist, zeigt. Die einzelnen Etappen der Liaison und den Einfluss Gilots auf Picassos Schaffen werden herausgearbeitet. Picasso sei »der einsamste aller Menschen« gewesen, so Gilot. Dies trotz der zahlreichen Geliebten und vermeintlichen Freunde; Letztere fast alle Jasager. Zur Einsamkeit gesellt sich die Unsicherheit dieses vermeintlichen Berserkers Picasso. Und dann diese Eifersucht als Matisse sie als Modell nahm. Zuweilen zitiert Herwig aus Gilots Buch über das Leben mit Picasso.
Das Genie als menschliches Scheusal – man glaubt, dies zu kennen und ist dann doch immer wieder überrascht. Picasso belegte seine Ex-Geliebte, die Mutter seiner Kinder, mit einem Bannstrahl. Er, der berühmte Mann, drohte Galerien und Museen, ihnen keine Bilder mehr zu liefern, wenn sie Bilder von Françoise Gilot ausstellen sollten. So schrumpft Größe. Lange Zeit machte der Betrieb, die Kritik, mit. Man kennt das.
Aus einem geplanten Interview Herwigs mit Gilot werden Gespräche. Es geht um ihr antiperspektivisches, Symmetrie vermeidendes Malen, den Zauber des Schreibens mit Tinte auf Papier und das Wesen einer Zeichnung. Es geht um den Kunstbetrieb, um Sammler, die den wahren Wert eines Kunstwerks nicht erkennen und nur auf den Preis schauen. Gilot bekennt freimütig, mit der zeitgenössischen Kunst wenig bis nichts anfangen zu können. Sie erkennt nur gewollte und daher schale »Witzigkeit« und Provokationslust um der Provokation willen. Für Warhol hat sie nur eine wegwerfende Handbewegung übrig. Die Selbstdarstellungskünste heutiger Malerfürsten und –fürstinnen stößt sie ab. Früher habe man in der Kunst die Wahrheit gesucht. Heute spiele man ein Theater. Mit 90 darf man das sagen ohne als Spießer zu gelten. Welche Freiheit.
Kurz kommt sie auch auf ihre erste Ehe mit Luc Simon 1955, einem Maler, zu sprechen, von dem sie noch ein weiteres Kind bekam. Sieben Jahre hielt diese Verbindung, von der sie früh wusste, dass es ein Fehler gewesen war. 1970, mit 49, heiratete sie zum zweiten Mal – den Naturwissenschaftler Jonas Salk, der sieben Jahre älter war als sie. Diese Ehe hielt bis zum Tod von Salk (1995) und war von Freiheit, gegenseitigem Respekt und Zuneigung bestimmt. Sie lernte Arbeitskollegen und Freunde ihres Mannes kennen. Heute noch schwärmt sie von dem kindlich-naiven Interesse dieser Naturwissenschaftler für die Malerei von diesen Menschen.
Malte Herwig kennt man nicht nur als neugierig-insistierenden Reporter sondern auch als einfühlsamen Erzähler, etwa wenn er Peter Handkes Idiosynkrasien in Bezug auf seine beiden Väter filigran herausarbeitet (»Meister der Dämmerung«) oder die schamvoll kryptischen Andeutungen Martin Walsers über seine NSDAP-Mitgliedschaft mit chirurgischer Präzision freilegt (»Die Flakhelfer«). Ähnlich sezierend und episch schildert er ein Kindheitserlebnis von Françoise Gilot, das einschneidend und prägend für deren Persönlichkeit sein wird.
Herwig besuchte auch Sylvette David, die kurz nach Gilots Weggang für drei Monate die neue Muse von Picasso war und mit ihrem blonden Pferdeschwanz stilbildend wurde. Sie ist 1934 geboren und nennt sich inzwischen Lydia Corbett. Auch sie ist Malerin geworden. Die Temperamente zwischen David/Corbett und Gilot könnten nicht unterschiedlicher sein.
Noch eine »Überlebende« also. Akribisch listet Herwig die Schicksale der anderen »Picasso-Frauen« auf – vom Freitod bis zum Wahnsinn. Gilot haderte nicht, malte weiter. Ihr »kühles, nordisches Temperament« (Vorfahren aus der Normandie!) half ihr dabei. Sich den Risiken stellen, auch das Scheitern nutzen, in das Leben einbauen. »Reue? Niemals.« lautet ihre Maxime. Männer intonieren dann zumeist »My Way« von Sinatra. Gilot malt und philosophiert: »Alles hat seinen Platz im Leben, auch die schlimmen Erfahrungen.«
Es ist spürbar mehr als nur journalistisches Interesse mit einer Prise Empathie. Herwig ist verzaubert von der »Lebhaftigkeit« und Weisheit Gilots, besucht sie über Jahre hinweg mehrmals. Sie sei eine »Lebenslehrerin«, lebe »im Einklang mit der Welt«. Die Distanz schwindet. Gilot zeigt ihm, dem scheinbar Talentlosen, wie man zeichnet. Einen vermeintlich falschen Strich in einer Zeichnung soll man niemals ausradieren. Sondern mit ihm weiterzeichnen. Manchmal verwandeln sich die Mal- und Zeichenstunden in Lebenshilfe-Seminare. Herwig gerät ins Schwärmen, macht aus seinem Herzen keine Mördergrube, öffnet sich nicht nur Gilot gegenüber, sondern auch dem Leser dieses Buches. Ihn plagten Selbstzweifel und Schreibblockaden, stellte sich (und ihr) fast ein wenig unschuldig die großen Fragen des Lebens. Aus dem Befrager wird ein Fragender.
Nicht alle Lebensweisheiten von Françoise Gilot sind stromlinienförmig. Manches ist sperrig und sogar widersprüchlich – und gerade dadurch interessant. Einerseits erscheint sie manchmal etwas lebensmüde – andererseits bewundert Herwig dann wieder ihre Vitalität. Sie widerspricht, dass sie zurückgezogen lebe. Aber warum sollte sie mit »irgendwelchen« zeitgenössischen Künstlern zusammenkommen, wenn sie doch »Matisse, Braque und Picasso kennengelernt hatte«. »Wenn du einmal so etwas erlebt hast, willst du es doch nicht auf niedrigerem Niveau wiederholen.« Auch in Bezug auf ihre Leidenschaft zu ihren Ehemännern im Vergleich zur Liebelei mit Picasso argumentiert sie ähnlich.
»Die Frau, die Nein sagt«, erschienen im kleinen, aber feinen Ankerherz-Verlag, ist ein in jeder Hinsicht prächtiger Band. Die Fotografien sind atmosphärisch dicht, Papier und Druck exquisit. Malte Herwig hat Françoise Gilot ein wunderbares, ein opulentes Denkmal errichtet.