Mit Scheu­klap­pen

Der er­ste Ap­pe­tit scheint ge­stillt. Die Po­stil­len wen­den sich vor­über­ge­hend wie­der an­de­ren The­men zu. Min­de­stens ei­ne ent­blö­de­te sich nicht vom »In­zest-Mon­ster« zu spre­chen. Aus­ge­rech­net sie, die ei­nen gan­zen Schwarm von Lü­gen­mon­stern be­schäf­ti­gen, mit ih­rem Men­tor Kai Diek­mann. Ich spre­che von Deutsch­land; das öster­rei­chi­sche Me­di­en­ge­wit­ter ha­be ich nicht mit­be­kom­men. Viel­leicht ist das gut so.

Ich stel­le die The­se auf: Sie ha­ben Jo­sef F. ge­braucht. Nein: Sie brau­chen ihn. Im­mer noch. Sie ver­zeh­ren sich nach ihm. Wenn es ihn nicht gä­be – so ver­rückt und lüg­ne­risch kön­nen sie gar nicht sein, ihn zu er­fin­den. Sie freu­en sich, dass je­mand ein noch schlim­me­rer Mensch ist, als ih­re Phan­ta­sie es hät­te er­fin­den kön­nen. Sie suh­len sich im Elend sei­ner Op­fer. Sie wei­den sich an ih­nen und ver­brä­men dies mit ei­nem schmie­ri­gen Be­trof­fen­heits­thea­ter.

Ein öster­rei­chi­sches Ge­richt be­ging ei­nen Lap­sus. Es nann­te Jo­sef F.s Frau in ei­nem öf­fent­li­chen Do­ku­ment nicht Ro­se­ma­rie, son­dern »Ma­ria«. Welch’ ein Witz: Jo­sef und Ma­ria in Am­stet­ten. Ihr Kind hat nun ge­lit­ten. Es hat für uns ge­lit­ten. Für un­se­re Sen­sa­ti­ons­gier. Zu un­se­rem Plai­sir. »Thrill« nennt man das im Eng­li­schen. Und jetzt müs­sen sie al­le noch ein­mal lei­den. Mit dem At­tri­but­ge­wit­ter der üb­li­chen Ver­däch­ti­gen.

Das grau­sa­me Schick­sal die­ser Ge­fan­ge­nen wird nun gna­den­los (da be­kommt die­ses Wort plötz­lich wie­der sei­nen Sinn zu­rück) aus­ge­brei­tet. Das durf­te man er­war­ten, denn der Fall ist so pri­ma exo­tisch und dä­mo­nisch. Und man konn­te er­war­ten, dass die Lü­gen­mon­ster der ent­spre­chen­den Ver­blö­dungs­ma­schi­nen ih­re Schorn­stei­ne kräf­tig rau­chen las­sen. F.s An­walt als Spiel­ver­der­ber: Will er doch dar­auf plä­die­ren, dass sein Man­dat unzurechnungs­fähig ist. Das wä­re für die Lü­gen­mon­ster nicht gut, weil sie ih­re Ge­schich­ten dann nicht mit dem ent­spre­chen­den Schau­der aus­stat­ten könn­ten. Man lebt doch auch ein biss­chen da­von, dass der Jo­sef F. un­ser Nach­bar sein könn­te.

Aber das al­les ist Bei­werk. Man kann ihm, wenn man will, aus dem Weg ge­hen. Aber wenn sich ei­ne Schrift­stel­le­rin wie El­frie­de Je­li­nek dem an­nimmt und die Feuil­le­tons dies be­ju­beln, dann muss man das le­sen, sich da­mit be­schäf­ti­gen. Und man liest es und stellt fest: Da wird der Bou­le­vard li­te­r­a­ri­siert. Da wer­den Kli­schees wei­ter­ge­spon­nen – mit dem Män­tel­chen des li­te­ra­ri­schen. Lü­gen­jour­na­lis­mus und Feuil­le­ton in selt­sa­mer Al­li­anz.

Im Ver­las­se­nen heisst Je­lin­eks Text. Er ist ab­satz­los. Die Spra­che be­kannt; mit ei­ni­gen Aus­nah­men ist es die Je­li­nek-Spra­che, die al­les as­so­zia­tiv auf ih­re The­sen her­un­ter­bricht: Al­le Ge­walt ist männ­lich. Män­ner sind ge­walt­tä­tig. Se­xua­li­tät ist Ge­walt. Die Kir­che ist männ­lich. Und Öster­reich vol­ler Na­zis.

Die Wort­kas­ka­den, das Spie­le­ri­sche, das Bon­mo­thaf­te, das Ka­lau­ern­de – ja, es ist kunst­voll, es ist nett, es ist manch­mal ko­misch, ab und zu er­hel­lend und manch­mal ver­stö­rend (in den schön­sten Mo­men­ten). Ir­gend­wann ist es – wenn man ei­ni­ge ih­rer Bü­cher ge­le­sen hat – aber nur noch red­un­dant. Je­li­nek ist mit den Jah­ren ih­ren sprach­li­chen und sti­li­sti­schen Ma­nie­ris­men er­le­gen. Ich ver­heh­le nicht, dass ich »Mi­cha­el. Ein Ju­gend­buch für die In­fan­til­ge­sell­schaft«, »Die Lieb­ha­be­rin­nen« und »Die Klavier­spielerin« mit gro­ssem Ver­gnü­gen ge­le­sen ha­be. »Oh Wild­nis, oh Schutz vor ihr« und ih­ren spek­ta­ku­lär­sten Er­folg »Lust« (ein Buch, dass sei­ner­zeit ei­nen mitt­le­ren Skan­dal aus­lö­ste) konn­te man nur noch mit sehr viel li­te­ra­ri­schem Wohl­wol­len er­tra­gen. Da­nach ver­fiel sie zu ei­ner He­roi­ne ih­rer ei­ge­nen Selbst­in­sze­nie­rung. Die un­flä­ti­gen Dif­fa­mie­run­gen ge­gen­über ih­rer Per­son (und ih­rem Werk) durch Hai­ders FPÖ ha­ben sie viel­leicht ein Stück weit zur Ge­trie­be­nen ih­rer ei­ge­nen Welt­an­schau­ung ge­macht.

Der No­bel­preis, der auf sie 2004 wie ein Wun­der ein­pras­sel­te, ist auch (aber nicht nur) als mo­ra­li­sche Un­ter­stüt­zung der Aka­de­mie für den po­li­ti­schen und so­zia­len Men­schen El­frie­de Je­li­nek zu ver­ste­hen. Ich fand und fin­de das gut. Auch wenn es »bes­se­re« Au­toren gibt. Aber in den letz­ten Jah­ren gibt es kei­ne Ent­schei­dung aus Stock­holm, die nicht auch mo­ra­lisch und po­li­tisch be­grün­det ist. Das ist dann schon wie­der scha­de.

Und nun ein Text zu Am­stet­ten. Je­li­nek setzt zu ih­rem üb­li­chen Par­lan­do an. Aber dies­mal geht es nicht um fik­ti­ve Fi­gu­ren, die ex­em­pla­risch vor­ge­führt wer­den kön­nen. Die­se Men­schen gibt es. Hat sie das ver­ges­sen?

Und Je­li­nek schreibt mit dem Fu­ror der Wis­sen­den. Ih­re Ur­tei­le ste­hen im­mer schon fest. Und auch für sie ist F. ein Mon­ster (sie be­nutzt nur das Wort nicht). Statt­des­sen treibt sie As­so­zia­ti­ons­spie­le:

Hier gilt das Wort des Va­ters, der so­gar schon Groß­va­ter ist, nichts be­son­de­res, es gibt Vä­ter und Groß­vä­ter so­gar in ei­ner Per­son, es gibt ja auch die hl. Drei­fal­tig­keit, ei­nen in drei Per­so­nen…. Spä­ter dann: Auf un­se­re Männ­lich­keit ha­ben wir im­mer Zu­griff und die Männ­lich­keit ist in ei­nem klei­nen, ge­mu­ster­ten Sack un­ter dem dicken Bauch gut auf­ge­ho­ben. Er ha­be kei­ne Scham ge­kannt weiss sie. Und Öster­reich sei ei­ne Pro­be für ir­gend­et­was spä­ter, was noch kom­men wird; und es gilt das ist das er­ste Ge­bot hier: Du sollst nicht mer­ken.

Die voll­kom­men be­rech­tig­te Fra­ge, wie so et­was über die­se lan­ge Zeit un­ent­deckt blei­ben konn­te, wird her­un­ter­ge­bro­chen, in dem nun das gan­ze Land zum Kum­pan des Jo­sef F. er­klärt wird.

Par­tout will sie die­ses Ver­bre­chen ex­klu­siv für Öster­reich re­kla­mie­ren. Viel­leicht so­gar pa­ten­tie­ren? Ein biss­chen mehr Re­cher­che hät­te ich schon er­war­tet. Dann hät­te sie viel­leicht von Lutz R. aus Ham­burg ge­hört oder ge­le­sen. Aber als Sa­bi­ne Rück­erts Ar­ti­kel in der ZEIT er­schien, war Je­lin­eks Text schon on­line? Na, dann. Es schreibt sich ja so schön mit den Scheu­klap­pen.

Ko­misch, dass auch noch nie­mand auf die Idee ge­kom­men ist, die Bun­des­re­pu­blik als das Ba­by­mör­der­land zu be­zeich­nen (die »Strecke« ist doch be­ein­druckend ge­nug, oder?)

Bou­le­vard und Jour­na­lis­mus bzw. Li­te­ra­tur: Sie lie­ben plötz­lich bei­de die Sen­sa­ti­on. Und sie ha­ben es so ger­ne, ih­re Vor­ur­tei­le be­stä­tigt zu se­hen. Män­ner­ge­walt – ja. Öster­reich – nach Kam­pusch: ja. Thai­land­rei­sen­der – ja. Ka­tho­li­sches Um­feld – ja.

Um­ge­kehrt: Frau­en mor­den – passt nicht. Deutsch­land – passt nicht (ei­ni­ge mein­ten, da vie­le die­ser Tö­tungs­de­lik­te in Ost­deutsch­land vor­ge­kom­men sei­en, ha­be dies ha­be mit der ost­deut­schen So­zia­li­sa­ti­on zu tun – be­rech­tig­ter­wei­se wur­de dies mit Em­pö­rung als Un­sinn be­zeich­net). Kein In­zest – nicht spek­ta­ku­lär ge­nug.

Im Ver­las­se­nen passt sich dem sche­ma­ti­schen Den­ken des Lü­gen­jour­na­lis­mus an. Frei­lich von der an­de­ren Sei­te. Da­bei or­che­striert die Au­torin wort­ge­wal­tig ei­ne Mi­schung zwi­schen Sip­pen­haft und be­wuss­ter Kom­ple­xi­täts­re­du­zie­rung. Das stil­voll-li­te­ra­ri­sche ver­deckt das sen­sa­ti­ons­hei­schen­de nur müh­sam. Noch ein­mal: Hü­ben wie drü­ben wer­den die Mes­ser ge­wetzt – je­der auf sei­ner Sei­te mit sei­nen Mit­teln.

Das Schlim­me ist: In­zwi­schen glau­be ich auch der Je­li­nek-Sei­te nicht mehr. Ih­rem kru­den Sche­ma­tis­mus, der dem des Bou­le­vards in vie­lem so ähn­lich ist. Bei­de zie­len auf Af­fek­te oder bil­li­ge Pro­vo­ka­tio­nen. Sie schau­en zu­erst auf ih­re Wir­kung. Nur we­ni­ge Stim­men, die sich zu­rück­hal­ten und nüch­tern ab­wä­gen. Sie wir­ken da­bei so schreck­lich alt­mo­disch. Viel­leicht weil sie Pie­tät und Re­spekt ken­nen.


Noch ein Wort zum Zi­tie­ren. Auf ih­rer Web­sei­te un­ter­sagt El­frie­de Je­li­nek jeg­li­ches Zi­tie­ren aus ih­ren Tex­ten. Ich hat­te über die an­ge­ge­be­ne E‑Mail Adres­se (es war ei­ne Adres­se vom Ro­wohlt-Ver­lag) ge­fragt, ob ich zi­tie­ren dür­fe – lei­der gab es kei­ne Ant­wort. Ich ha­be mir den­noch das Recht her­aus­ge­nom­men, aus dem ver­link­ten Text zu zi­tie­ren (Zi­ta­te in kur­si­ver Schrift). Auch, weil ich mir nicht vor­stel­len kann, dass sol­che Vor­schrif­ten in De­mo­kra­tien le­gal sind.


36 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ach, die Idee, Deutsch­land als Land der Tief­kühl­tru­hen zu be­zeich­nen, ha­be ich schon et­was län­ger. »Wir sind Deutsch­land«, ge­spon­sert von Bau­knecht, Sie­mens AEG und Quel­le. (Die Her­stel­ler von Blu­men­töp­fen soll­ten auch an ih­ren Bei­trag den­ken....).

  2. Bei Dut­roux
    kam ja sei­ner­zeit auch die Be­richt­erstat­tung ir­gend­wann zu dem Ur­teil, dass dies ein für Bel­gi­en fast pas­sen­des Ver­bre­chen ge­we­sen sei (bei­spiels­wei­se hier, um auch mal ein ziem­lich ne­ga­ti­ves Bei­spiel aus der ZEIT auf­zu­ru­fen). Da fin­den dann ganz schnell Ver­mi­schun­gen statt, die man auf an­de­ren Ge­bie­ten be­rech­tig­ter­wei­se so ve­he­ment ab­lehnt.

  3. nicht schlecht ge­brüllt, Lö­we«
    Zu­fäl­li­ger­wei­se ha­be ich heu­te auch wie­der ein­mal über K und K ge­schrie­ben – und auch über Lutz R.
    Dein Bei­trag ist viel sach­li­cher und in Wirk­lich­keit dreht er sich ja um die Je­li­nek.
    Ich glau­be, dass sie mitt­ler­wei­le ge­fühls­mä­ßig al­ters­se­nil ge­wor­den ist. Ich gön­ne ihr den No­bel­preis. (Das ha­be ich ja auch ein­mal ent­spre­chend kom­men­tiert.)
    Doch et­was auf ih­re web­site zu stel­len, Zi­tie­ren zu un­ter­sa­gen und dann mit der glei­chen Po­le­mik wie der Bou­le­vard los­zu­le­gen, ver­an­lasst mich zu der Be­haup­tung. Stamm­tisch ist nicht männ­lich. Dumm­heit ist nicht männ­lich.
    Wenn die Öster­rei­cher Na­zis sind – und ich bin ein Öster­rei­cher – dan bin ich stolz dar­auf ein Na­zi zu sein. Denn sind wir (Öster­rei­cher) Na­zis nicht mensch­lich. Wir las­sen uns so­gar be­schimp­fen. Da ist kei­ne Staats­po­li­zei, wel­che Frau J so­fort hopp nimmt. Da­bei ge­be ich ihr nicht ein­mal in der In­ten­ti­on un­recht. Aber Po­le­mik und Ver­all­ge­mei­ne­rung ste­hen auch ei­ner Frau J nicht zu Ge­sicht. Und sie ist der le­ben­de Be­weis, dass Frau­en um nichts bes­ser als Män­ner sind. Das war ei­ne The­se, der ich ein­mal ei­ni­ges ab­ge­win­nen konn­te.
    Ich fin­de dei­nen Bei­trag sehr gut. Er zeigt, dass wenn ei­ner oder ei­ne et­was Gu­tes schaf­fen kann, nicht al­les toll ist, was er pro­du­ziert.

  4. ...und vorm Kel­ler ro­sa Gar­di­nen
    Hal­lo G.K.

    Bei al­ler Prä­gnanz ih­rer frag­los rich­ti­gen Kri­tik... fällt mir doch das star­ke Mo­ment der Ver­geb­lich­keit auf: Vor der Blut­runst der Men­ge an sol­chen Un­ge­heu­er­lich­kei­ten lohn­ten viel­leicht sämt­li­che Ih­rer An­stren­gun­gen nicht (mehr) – und was dann? Sie sind es, der, hoff­nungs­los zu spät, die Ohn­macht nur an­ders­wo aus­ba­det (aus­ba­den muss?), wäh­rend die Men­ge sich ob ab­grund­tief lang­wei­li­ger Le­ben un­gleich freu­di­ger an der gei­len Fort­set­zungs­sto­ry er­regt.

    Soll­te man nicht ein­mal zu­ge­ben, dass vor man­chen Din­gen al­le Er­klä­run­gen ver­sa­gen? Und die Er­klä­run­gen der Er­klä­run­gen nicht mehr aus­rei­chen? Und dass das gut ist? Dass man so­gar sel­ber noch (egal aus wel­chen Grün­den) des­sen be­darf? (Und sei es nur, um von dort ein­mal auf sich und sei­ne Ohn­mach­ten zu schau­en.)

    Ich ah­ne es ja bei mir selbst, das ist mit das Schlimm­ste, was Denk- & Wort­gläu­bi­gen zu­sto­ßen kann. Aber hat nicht die­se Ar­beit am Fest­hal­ten ei­ner an sich selbst ok­kult ge­wor­de­nen Ver­nunft längst et­was sei­ner­seits Be­schwö­ren­des, da­mit et­was Rest­gläu­bi­ges auch – et­was la­tent Schreck­li­ches (das da­mit ir­gend­wo so­gar sei­ne Mit­schuld bei den Un­gläu­bi­gen hat)?

    Eben das ver­kör­pert mir die zur Auf­sa­ge­ma­schi­ne ge­wor­de­ne Je­li­nek: ih­re Lieb­lings­the­men, Öste­reich und männ­li­che (Vernunft-)Gewalt, ha­ben sie längst fest im Griff und schüt­teln sie, bis nur im­mer mehr put­zi­ge Ka­lau­er aus ihr her­auspur­zeln, die dann als Fuß­no­ten auch noch den Wahn­sinn ad­no­tie­ren. Mir scheint, bei all mei­ner Anti-& Sym­pa­thie für sie (denn sie bleibt ja ei­ne Künst­le­rin!, man sie­he nur, von wem sie al­les ge­hasst wird, Gu­ten wie Bö­sen!), ist sie längst von ei­nem ver­wand­ten Ver­fal­len­heits-Fu­ror in­fi­ziert. (Man muss ja wohl sel­ber ver­rückt dran wer­den – oder »stell­ver­tre­tend lei­den« à la Karl Kraus, Qu­al­tin­ger, Bern­hard, Bau­er, Schwab... Und das mit der in­ne­ren Mon­stro­si­tät ei­nes je­den, dem dün­nen Häut­chen Zi­vi­li­sa­ti­on her­um der Bar­ba­rei, das mit der Wie­der­kehr des Ver­dräng­ten – hat­te das nicht ein an­de­rer Öster­rei­cher kon­ge­ni­al ka­piert? Wie­so über­haupt schafft das Bö­se erst un­se­re Hell­sicht? Re­den wir uns nicht in al­lem, so oder so, auf uns sel­ber her­aus?)

    Muss wohl so sein. Das mein­te dann aber auch, dass man mit ei­ner ge­wis­sen Per­spek­ti­ve auf den je ei­ge­nem Re­st­an­teil an den Be­dürf­nis­sen der Nied­rig­keit die Exi­stenz­be­rech­ti­gung auch der Kro­nen-Zei­tung nicht gut be­strei­ten kann (oder eben die maultrie­fen­den Fort­set­zungs­er­göt­zun­gen bei RTL).

    Ich weiß: Mein Ar­gu­men­tie­ren hier ist letzt­lich sel­ber wie­der tau­to­lo­gisch. Aber mein Ge­fühl mehr und mehr ist: Bleibt es ja an­ders­wie und so­wie­so auch! Alar­miert star­ren wir auf die Schlan­ge, die uns im­mer auch hyp­no­ti­siert. Mög­li­cher­wei­se kommt man ge­gen den nicht weg­zu­krie­gen­den Wi­der­sinn nur an mit dem ei­ge­nen Wi­der­sinn. Denn zu­letzt bleibt es dann doch so: Al­le Öster­rei­cher sind sie ja doch ir­gend­wie in­ze­stuö­se De­ge­ne­rier­te (wie al­le Deut­schen qua Ge­burt Na­zis sind und je­dem Cha­vez für die ei­ge­ne Trot­te­lei die­nen mit der Schuld, die man dem an­de­ren an­hän­gen kann, etc.). Wir wer­den es wie­der se­hen bei der an­ste­hen­den Fußball-Euro?-Meisterschaft.

    Am­stet­ten und die Be­richt­erstat­tung ist der Wahn­sinn, der die Nor­ma­li­tät ist, die den Wahn­sinn pro­du­zie­ren muss, den wir Zu­schau­er brau­chen, um uns da­zwi­schen ir­gends zu­recht zu fin­den.

    Und Men­schen sind nun mal ge­bo­re­ne Ver­bre­cher. Sie hän­gen ro­sa Gar­di­nen vor Kel­ler­fen­stern. Wis­s’­ma eh! Und die Do­nau is’ schön blau!

  5. Zi­tie­re:

    [ ] denn sie bleibt ja ei­ne Künst­le­rin!, man sie­he nur, von wem sie al­les ge­hasst wird, Gu­ten wie Bö­sen!

    hört sich so an, als sei Ge­haßt­wer­den ein Qua­li­täts­merk­mal für ei­ne Künst­le­rin. Iro­nie?
    Im Fall von El­frie­de Je­li­nek stellt sich für mich je­den­falls eher die Fra­ge, wen sie (Gu­te und Bö­se) al­les haßt. (Über die Fest­stel­lung von Ur­sa­che und Wir­kung will ich mich nicht aus­las­sen. Eins steht für mich je­doch fest: ihr Haß ist äl­ter...)

  6. @en-passant
    Ich glau­be nicht nur, Sie zu ver­ste­hen, son­dern ich kann Ih­nen auch si­cher­lich zu­stim­men. Klar ist mein Ge­schrei­be nur wie­der sel­ber ei­ne tau­to­lo­gi­sche Ver­geb­lich­keit, aber nicht pri­mär die­ser Tat, son­dern dem Text der Je­li­nek ge­gen­über. Mein Zu­spät­kom­men ent­schul­di­ge ich mit dem Über­le­gen (und Be­fra­gen ei­nes Kun­di­gen), ob ich über­haupt Zi­tie­ren dür­fe. Und aus der Angst, nein: Be­fürch­tung her­aus, auf ei­nen fah­ren­den Zug auf­zu­sprin­gen (letz­te­res ist eh’ der Fall).

    Sie tref­fen mit Ih­rem Be­fund na­tür­lich die Kern­fra­ge je­den Text­schrei­bers: Was ist da­mit zu än­dern, wenn ich in den Oze­an pink­le? Ver­mut­lich, ja, si­cher­lich, nichts.

    Aber ge­nau das, was Sie zur Je­li­nek sa­gen, die­se Auf­sa­ge­ma­schi­ne, die­ses durch­schau­ba­re Em­pö­rungs­par­lan­do, stört mich der­art, dass ich nicht ab­las­sen kann von der Kri­tik dar­an, oh­ne mich na­tür­lich sel­ber wie­der in den »Krei­sen« zu be­we­gen, die ich mo­nie­re.

    Sie zäh­len die­se ein­drucks­vol­le Schar von öster­reich­kri­ti­schen Öster­rei­chern der letz­ten Jahr­zehn­te auf. Sie sind na­tür­lich al­le un­ter­schied­lich in ih­ren Kri­tik­punk­ten. Aber ein­mal ei­ne klei­ne Ge­gen­fra­ge: Ha­ben Sie – be­zo­gen auf die Be­völ­ke­rungs­zahl – auf die Schnel­le 20 In­tel­lek­tu­el­le aus Deutsch­land zur Hand mit nur an­nä­he­rend ähn­li­chem For­mat (Karl Kraus jetzt so­gar ein­mal weg­ge­las­sen)? Und je­man­den wie Hand­ke ha­be ich da noch gar nicht »ein­ge­rech­net«. Und Men­as­se fie­le mir noch ein. Und der un­säg­li­che Has­lin­ger auch, der ei­nen sol­chen Un­sinn über Am­stet­ten ge­sagt hat, aber doch auch ein klu­ger Kopf ist.

    Was ist al­so das Öster­rei­chi­sche? Bei al­ler an­geb­li­chen »Ver­sump­fung« zeigt sich da doch ei­ni­ges an In­tel­lek­tua­li­tät, wäh­rend die Deut­schen nur ih­ren Bo­tho Strauß ha­ben (den sie has­sen), ei­nen Grass, Wal­ser und drei, vier an­de­re (viel­leicht fünf – und da zäh­le ich dann tat­säch­lich schon ANH da­zu!).

    Am­stet­ten und die Be­richt­erstat­tung ist der Wahn­sinn, der die Nor­ma­li­tät ist, die den Wahn­sinn pro­du­zie­ren muss, den wir Zu­schau­er brau­chen, um uns da­zwi­schen ir­gends zu­recht zu fin­den.
    Ich wür­de es ein biss­chen an­ders for­mu­lie­ren: »Am­stet­ten und die Be­richt­erstat­tung ist der Wahn­sinn, der die Nor­ma­li­tät ist, die den Wahn­sinn pro­du­zie­ren muss, den wir Zu­schau­er brau­chen, um uns sel­ber als nor­mal zu emp­fin­den.« Letzt­lich dient ein sol­ches Ver­bre­chen der Selbst­ver­ge­wis­se­rung der ei­ge­nen »Nor­ma­li­tät« – ge­paart mit dem Gru­sel, beim Nach­barn im Ur­laub mal ein biss­chen ge­nau­er nach­zu­se­hen (ob­wohl man doch kaum noch Woh­nungs­schlüs­sel be­kommt).

    @fely
    Ge­haßt­wer­den kann (viel­leicht) in Öster­reich ein In­diz für ei­ne ge­wis­se In­tel­lek­tua­li­tät sein bzw. als sol­ches ver­an­schlagt wer­den. Wie be­reits ge­sagt: In kaum ei­nem Land spielt der na­tio­na­le Selbst­haß ei­ne der­art do­mi­nan­te Rol­le. Wo­bei zum Bei­spiel der Bern­hard­sche Öster­reich­haß na­tür­lich ei­ne Öster­reich­lie­be oder zu­min­dest ‑sehn­sucht war.

  7. Hass?
    @fely „Ihr Haß ist äl­ter“:
    Ja, mag sein – ein in­ter­es­san­tes Pro­blem über­haupt: Seit ih­ren „Lock­vö­geln“ such­te sie ja in den auf­ok­troy­ier­ten und von ihr „de­kon­stru­ier­ten“ Fremd-Spra­chen (Co­mic, Re­kla­me, Po­li­tik... Tri­vi­al­kul­tu­ren) si­cher auch so et­was wie den Feind, der ihr da­mit zu­gleich erst die Mög­lich­keit gab, sich ab­zu­ar­bei­ten und sich künst­le­risch zu fin­den. Al­ler­dings: Sind die­se Ar­ten von Ver­schrän­kun­gen je­mals auf­zu­lö­sen?

    Je­li­nek ist si­cher klug ge­nug zu wis­sen, dass sie ihr The­ma auf sich ge­nom­men hat, ei­ne Bür­de; al­ler­dings ar­bei­tet sie ja auch im­mer noch an ih­rer Sper­rig­keit, statt sich durch die Talk­shows schleu­sen zu las­sen, zu der sie al­so auch auf ge­wis­se Wei­se zu sich selbst ge­kom­men: ver­ei­nigt mit die­sem „durch den Feind hin­durch“ (Ru­dolf Bor­chardt) – kei­ne ge­rin­ge Lei­stung! (Ich weiß: In ei­ner Ge­sell­schaft des Über­flus­ses und der Ver­stop­fung nicht auch die­se Ka­nä­le zu nut­zen kann sel­ber wie­der­um blöd sein und für das drin­gend zu Trans­por­tie­ren­de von er­heb­li­chem Nach­teil.)

    Je­den­falls se­he ich in ih­rer Nein­sa­ge­rei ei­nen Plus­punkt für sie. Und au­ßer­dem soll­ten mal mehr Leu­te die Un­ver­mit­tel­heit ih­rer Pri­vat­ab­sa­gen an den Zir­kus un­for­mu­liert zu las­sen trau­en: Es gibt kei­ner­lei Ver­pflich­tung ei­nes Künst­lers, Sinn zu ma­chen oder von un­qua­li­fi­zier­ten Mehr­hei­ten ge­liebt zu wer­den.

    Ich den­ke al­so doch, dass es auch ein ge­wis­ses Qua­li­täts­merk­mal ei­ner Kunst sein kann (auch wenn ich die­se sel­ber nicht schät­ze), wenn sie „ge­hasst“ wird. Be­deu­tet es doch zu­min­dest, dass sie ir­gend­wo noch ei­nen wun­den Punkt be­rührt, statt sich in Markt­kon­for­mi­tät oder son­sti­ger Af­fir­ma­ti­on zu ge­nü­gen. Hass wä­re im­mer­hin ei­ne vi­ta­le Emo­ti­on.

    @ G.K.
    Nein, die 20 ana­lo­gen In­tel­lek­tu­el­len in der BRD ken­ne ich nicht. Ich weiß aber auch nicht, ob ich noch Ma­so­chist ge­nug wä­re, in die­sem un­se­ren Lan­de le­ben zu wol­len, gä­be es sie zu nen­nen. (Ich ha­be das spä­te RAF-Kli­ma er­lebt, als es die­se ge­nug weit of­fe­nen Grä­ben für sol­cher­art laut wer­den­de Stim­men noch gab).

    Für uns Pief­kes ist der al­te Au­stria-Gru­sel ja oh­ne­hin ei­ne „Spe­zia­li­tät“, die wir hin und wie­der gern im­por­tie­ren.
    Nur an­ek­do­tisch: Ich sel­ber woll­te nie nach Wien, nie, aber als es ei­nes lan­gen Som­mer­wo­chen­en­des nicht an­ders ging, ha­be ich mich dort ziem­lich wohl ge­fühlt. Das war für mich von ei­ner Art an Er­kennt­nis, an der ich viel­leicht im­mer noch la­bo­rie­re. (Und das ist jetzt kein an die­ser Stel­le nur gut pas­sen­der Witz.)

    Of­fen ge­stan­den hät­te ich so­fort Lust zu hö­ren, was Hand­ke zu die­ser Am­stet­ten-Idyl­le zu sa­gen hät­te. Aber er ist wohl auch nicht mehr Stell­ver­tre­ter die­ser Art Leids ge­nug.

    Ich stim­me Ih­nen bei dem mei­sten Ge­sag­ten sonst zu, aber ich wür­de bei der er­sten For­mu­lie­rung mei­nes von Ih­nen ab­ge­wan­del­ten Sat­zes doch blei­ben: Wer heu­te, bei all dem tat­säch­li­chen oder me­dia­len Wahn­sinn glaub­te, über­haupt noch von so et­was wie Nor­ma­li­tät aus­ge­hen zu kön­nen glaub­te, hät­te nicht nur von der sol­cher­art her­vor­ge­brach­ten Welt nichts, son­dern auch von sei­ner Po­si­ti­on dar­in, näm­lich der ei­ner not­wen­di­gen Ver­ken­nung, doch nichts ka­piert. Oder? (Fun­da­men­tal­on­to­lo­gi­sche Ein­wän­de hier mal aus­ge­nom­men).

  8. Ich ha­be mich in Wien im­mer sehr wohl ge­fühlt und dort die ver­mut­lich bis­her schön­ste Thea­ter­in­sze­nie­rung mei­nes Le­bens ge­se­hen (Hand­kes »Über die Dör­fer« in­sze­niert von Hel­mut Wies­ner – »Grup­pe 80« [längst nicht mehr exi­stent]). Das Pro­gramm­heft hü­te ich wie ei­ne Re­li­quie.

    Zur Fra­ge der Nor­ma­li­tät kann ich nicht viel bei­steu­ern. Ich glau­be, dass es ei­ne Hilfs­kon­struk­ti­on ist, Nor­ma­li­tät über Mehr­heits­ver­hal­ten zu de­fi­nie­ren. Ei­ne an­de­re fällt mir aber nicht ein. Sie ist aber hübsch hand­lich, weil sie kul­tu­rel­le Un­ter­schie­de be­rück­sich­tigt (was hier Mehr­heits­ver­hal­ten ist, ist es in Gha­na noch lan­ge nicht).

    (Ich le­se im Mo­ment ein klei­nes, aber sper­ri­ges, ge­halt­vol­les, an­re­gen­des und gleich­zei­tig kon­tro­vers dis­ku­tier­ba­res Buch über De­mo­kra­tie, in dem letzt­lich die Mehr­heits­ent­schei­dung glei­cher und frei­er In­di­vi­du­en das Kri­te­ri­um für de­mo­kra­ti­sche Wil­lens­bil­dung dar­stellt. So ganz ver­mag ich das aus­nahms­los noch nicht zu glau­ben...)

  9. @en-passant
    Si­cher­lich ist da­von was dran. Und si­cher­lich bin ich auch et­was vor­ein­ge­nom­men. Wenn aber ein Schrift­stel­ler weit­ge­hend zu­recht als »mar­xi­stisch-fe­mi­ni­stisch« ti­tu­liert wird wie Frau Je­li­nek, dann läu­ten bei mir sämt­li­che Alarm­glocken. Ich ha­be 27 Jah­re in ei­nem mar­xi­stisch-le­ni­ni­sti­schen Land ge­lebt und wei­te­re 15 Jah­re mit mei­nen An­ge­hö­ri­gen aus die­sem Land mit­ge­lit­ten (nein, es war nicht die DDR), so daß ich ge­gen so was all­er­gisch re­agie­re. Ich ha­be auch mit Be­stür­zung die fast bi­bli­sche Dro­hung der Frau Je­li­nek an die is­la­mi­schen Ter­ro­ri­sten des 11.9. zur Kennt­nis ge­nom­men. Mit sol­chen Bei­spie­len könn­te ich noch ei­ne Wei­le wei­ter­ma­chen. Da braucht man kei­ne be­son­de­re künst­le­ri­sche Grö­ße, um je­de Men­ge Haß zu ern­ten. Ob sie jetzt die­se Grö­ße hat oder nicht, die Frau Je­li­nek, das kann ich nicht be­ur­tei­len. Nicht nur, weil ich ein Di­let­tant bin. Ich bin näm­lich auch ein Igno­rant. Denn mei­ne wie­der­hol­ten Ver­su­che, mehr als 10–20 Sei­ten aus ei­nem be­lie­bi­gen Opus von ihr zu le­sen, sind mit Re­gel­mä­ßig­keit ge­schei­tert.

  10. @fely
    Das grund­sätz­li­che Pro­blem von Schriftsteller/innen wie Je­li­nek ist, dass sie in der Öf­fent­lich­keit für po­li­ti­schen und/oder ge­sell­schaft­li­chen Äu­sse­run­gen mit glei­cher Mün­ze Be­rück­sich­ti­gung fin­den, als ih­re schrift­stel­le­ri­schen Wer­ke. (man­che ver­schwin­den voll­kom­men da­hi­ner, wie zum Bei­spiel je­mand wie Wall­raff, der gar kein Schrift­stel­ler mehr ist, son­dern be­sten­falls Sen­sa­ti­ons­re­por­ter). Die­ses »Pro­blem« wird – wohl­ge­merkt! – so­wohl von den mei­sten In­tel­lek­tu­el­len sel­ber als auch von den Feuil­le­to­ni­sten erst zu dem ge­macht. In­dem die­se fra­gen, was die »In­tel­lek­tu­el­len« zu ge­wis­sen po­li­ti­schen oder ge­sell­schaft­li­chen Pro­ble­men sa­gen, wird de­ren Sicht plötz­lich wich­tig.

    Die­ses Vor­ge­hen exi­stiert ver­mut­lich seit Hun­der­ten von Jah­ren, ur­sprüng­lich vom Mo­dell des Uni­ver­sal­ge­lehr­ten aus­ge­hend, der nicht nur schö­ne Ver­se schmie­den konn­te, son­dern auch noch was zu geo­lo­gi­schen For­ma­tio­nen oder po­li­ti­schen Ent­wür­fen bei­steu­ern konn­te. Der Bei­spie­le gibt es ja vie­le.

    In­so­fern ist die Über­hö­hung von Mei­nun­gen und An­sich­ten In­tel­lek­tu­el­ler ziem­lich ge­fe­stigt. In un­se­ren heu­ti­gen Me­di­en­ge­sell­schaf­ten wird auch das noch tri­via­li­siert: In­zwi­schen er­hal­ten die Äu­sse­run­gen bei­spiels­wei­se von Schau­spie­lern, VJs oder Fuss­ball­spie­lern ei­ne über­pro­por­tio­na­le Re­le­vanz, d. h. sie wer­den mit der pro­mi­nen­ten »Funk­ti­on« im öf­fent­li­chen Raum ver­mischt.

    Das Ver­sa­gen von Scha­ren von In­tel­lek­tu­el­len (bei­spiels­wei­se was die NS-Zeit an­geht, aber auch den Sta­li­nis­mus) ka­schiert man ger­ne mit den He­ro­en, die ge­warnt und sich ge­wehrt ha­ben – da gab es ja durch­aus ge­nug. Al­lei­ne: Es ist für ei­nen Me­di­en­schaf­fen­den ziem­lich ver­lockend, bei­spiels­wei­se die Mei­nung ei­nes Schrift­stel­lers ein­zu­ho­len und die­se als als Dis­kurs­punkt zu ver­or­ten. Wenn sie dann noch der­art ge­gen den Main­stream ist, wie bei Frau Je­li­nek, dann bie­tet sich das na­tür­lich an. Wenn dann Frau Je­li­nek dem Af­fen auch noch im­mer Zucker gibt, dann ent­steht die­se La­wi­ne der ge­gen­sei­ti­gen Ver­ach­tung (die dann na­tür­lich nicht mehr vor­ur­teils­frei ein Werk auf­neh­men lässt).

    Der Feh­ler in sol­chen Dis­kur­sen ist, dass die Ve­he­menz der Ab­leh­nung (wie sei­ner­zeit in der häss­li­chen Pla­kat­ak­ti­on) letzt­lich die The­sen schein­bar noch be­stä­tigt. Der/die In­tel­lek­tu­el­le kann sich nun in ei­ne re­la­tiv kom­for­ta­ble Po­si­ti­on be­ge­ben: die des Op­fers. Wo­bei der Be­griff des Kom­for­ta­blen nur rhe­to­risch ge­meint ist; die An­fein­dun­gen, die da in der Öf­fent­lich­keit statt­fin­den, sind al­les an­de­re als schön.

    Bei Je­li­nek ha­be ich nun in­zwi­schen das Ge­fühl, dass sie ih­re Rol­le der­art ver­in­ner­licht hat, dass sie nur noch zur Auf­sa­ge­ma­schi­ne ih­rer ei­ge­nen The­sen mu­tiert ist.

  11. @Gregor Keu­sch­nig
    [ ] Wo­bei der Be­griff des Kom­for­ta­blen nur rhe­to­risch ge­meint ist [ ]
    im Fal­le der El­frie­de Je­li­nek kann man den Be­griff schon wört­lich mei­nen.

  12. @fely Kur­ze Über­le­gung zur „Grö­ße“
    Ich fra­ge mich ernst­haft, ob man Je­li­nek noch un­ter ei­nen der von Ih­nen ge­gen sie vor­ge­brach­ten Is­men brin­gen kann. Selbst wenn sie da her­kom­men soll­te und noch da­von kon­ta­mi­niert wä­re, wä­re sie da­mit sich nicht mehr ab­zu­han­deln.

    Und ich über­le­ge wei­ter, ob sie nicht längst in ei­ner ei­ge­nen Di­men­si­on ist, ei­ner­seits mit ih­rer gi­gan­ti­schen Fein­schaft im Hei­mat­land (ein hal­be, sonst schwei­gen­de Mehr­heit ge­gen sich auf­brin­gen, selbst wenn sie so Kro­nen­zei­tung-ver­blö­det ist wie in Öster­reich, ist schon was, den­ke ich), an­de­rer­seits im er­wei­ter­ten deutsch­spre­chen­den Kul­tur­we­sen (auch vie­le mut­maß­lich in­tel­li­gen­te Men­schen da has­sen sie ja – die viel­leicht sonst auch gern lie­ber gleich­gül­tig wä­ren), und zum drit­ten nun mit ih­rem No­bel-Preis. Ein Be­griff wä­re viel­leicht „In­sti­ti­tu­ti­on“. Da kann man dann dann auch Fe­min­inst oder Fuß­bal­ler sein. Oder et­wa Li­te­ra­tur­papst.

    Viel­leicht hilft der von G.K. mit dem Wall­raff-Bei­spiel (der war auch mal in der Li­ga, schät­ze ich) ein­ge­führ­te Be­griff der „Öf­fent­lich­keit“. Es wä­re dann Je­lin­eks Kunst gar nicht mehr der er­ste Be­weg­grund, sie zu be­mer­ken und ihr zu­zu­hö­ren, lie­bend oder has­send. Son­dern sie stün­de für et­was... das sie selbst wä­re, in ei­ner er­ar­bei­te­ten, er­wei­ter­ten Kom­ple­xi­tät, ei­ner Me­di­en-Hi­sto­rie... plus et­wa ih­rem Ma­so­chis­mus. (Frü­her hat sie ja durch­aus ih­re elo­quen­te In­ter­views ge­ge­ben, auch un­se­li­gen Fern­seh­ty­pen.)

    Mit an­de­ren Wor­ten, ih­re Sät­ze zu Am­stet­ten – die ja hier Aus­gangs­punkt wa­ren, sie zu be­mer­ken – sprä­che sie als Öster­rei­che­rin, als dort skan­da­li­sier­te Me­di­en­fi­gur, als zum The­ma Öster­reich-Skan­dal Kom­pe­ten­te. Dann wä­re sie zu­gleich als Li­te­ra­tin igno­rier­bar (ich wer­de „Neid“ wohl auch nicht le­sen), aber als öf­fent­li­che Per­son in die­ser Li­ga doch ei­ne Stim­me.

    Ich will dar­auf hin­aus, dass sie – für die Am­stet­ten ja ei­ne Be­stä­ti­gung sein könn­te, so­was wie ein stil­ler Tri­umph all des­sen, wo­mit sie sich jah­re­lang heurm­ge­plagt es zu sa­gen, ob­wohl es schon be­kannt war – auch die Grö­ße hät­te ha­ben kön­nen, zu schwei­gen: Al­les hät­te schon „für sie“ ge­spro­chen. (Aber das kann auch ein sehr un­fai­rer Vor­wurf sein.)

    Je­den­falls... von da dann wie­der­an­knüp­fen an G.K.s Kri­tik an dem Text, bit­te.

  13. Je­den­falls... von da dann wie­der­an­knüp­fen an G.K.s Kri­tik an dem Text, bit­te.

    Mag sein, daß die Dis­kus­si­on et­was ab­ge­glit­ten ist. In mei­nen Kom­men­ta­ren ha­be ich je­doch, wie man leicht mer­ken kann, nichts an­de­res ge­tan, als mei­nen Stand­punkt zu be­reits exi­sten­ten Dis­kus­si­ons­punk­ten dar­zu­le­gen, so daß ich kei­nen ein­zi­gen Grund se­he, zur Ord­nung ge­ru­fen zu wer­den. Da­her muß ich Ih­re o.g. Bit­te wohl als an uns al­le ge­rich­tet ver­ste­hen.

  14. War gar kein »Ord­nungs­ruf«!
    Ich bin es doch, der gern mal ei­nen Um­weg nimmt...
    Wie­so hö­ren wir al­le hin­ter Harm­lo­sig­kei­ten im­mer noch an­de­re Stim­men, El­frie­de???

  15. @en-passant
    Für ei­nen Mo­ment lief es mir kalt den Rücken run­ter: was wä­re, wenn sie in der Tat hier lä­se, die El­frie­de? Ich glau­be, die Ge­fahr be­steht je­doch nicht.
    Ha­be ich al­so schon wie­der was fal­sches ver­stan­den? Pas­siert mir lei­der viel zu oft. Kann Bes­se­rung nicht ver­spre­chen, da viel zu alt.

  16. @en-passant + fe­ly
    Ich ver­stand den »Ord­nungs­ruf« eher an die ei­ge­ne Adresse...aber las­sen wir das.

    Hoch­in­ter­es­sant: Am­stet­ten als »Be­stä­ti­gung« des Je­li­nek-Bilds hät­te gar nicht mehr des Kom­men­tars durch sie be­durft. Das leuch­tet mir ein. Dass sie es den­noch ge­tan hat – ver­mut­lich gar nicht an­ders konn­te – zeigt, dass auch sie dem me­dia­len mehr »aus­ge­lie­fert« ist, als sie zu­gibt. An­son­sten ziert sie sich ja im­mer (ist nicht nach Stock­holm ge­fah­ren – wie die be­tag­te Les­sing).

    Und tat­säch­lich: Wie Wall­raff in sei­nem Auf­deckungs­wahn ge- und be­fan­gen ist, so ist sie in ei­ner Art Öster­reich-Pa­ra­noia ge­fan­gen – der Pa­ra­noia ih­rer Geg­ner (in an­de­ren Punk­ten) über­haupt nicht mehr un­ähn­lich.

    Was soll­te dar­an schlimm sein, soll­te sie es le­sen? (Sie wird es NIE le­sen, weil so et­was in ih­rem di­cho­to­mi­schen Welt­bild nicht vor­kom­men DARF.)

  17. Al­so aus­drück­lich: Kei­ne Ord­nungs­ru­fe!
    Ich den­ke, dass man die­sen ab­stru­sen The­men viel­leicht wirk­lich eher mit Um­we­gen und Um­krei­sun­gen nä­her kommt (an­statt vor­schnell ge­ne­ra­li­sie­ren­den Er­klä­run­gen à la »Al­le Ösis sind ver­druck­ste Ge­walt­tä­ter« usw).

    Ei­ne Sa­che von Je­li­nek, die mir im­mer ge­lun­gen schien – denn ih­re mit-ka­put­te Sprach­me­cha­nik muss ihr ja nicht die Hell­sicht (viel­leicht eh ei­ne par­ti­ku­la­re Kraft) auf ih­re Ge­gen­stän­de neh­men -, war ihr »Wolken.Heim«. Und et­was sagt mir, dass sie sich auch die­ser »Ver­schrän­kung« mit ih­ren The­men-Ge­gen­stän­den be­wusst ist, d.h. dass ih­re, Je­lin­eks »struk­tu­rel­le« Nä­he zu den Ab­son­der­lich­kei­ten ih­res Hei­mat­lan­des – oder, wei­ter ge­fasst, ei­nem deutsch­spra­chi­gen, von des­sen ge­mein­sa­men Un­tie­fen durch­zo­ge­nen Geist – ihr auf ei­ge­ne Wei­se ein­leuch­tet... wie er sie eben »in­spi­riert«.

    (Über­haupt heißt ja nicht, dass Men­schen, die zu an­de­ren äs­the­ti­schen Fin­dun­gen und Er­geb­nis­sen kom­men, auch an­son­sten stän­dig ir­ren müs­sen. Und was ich so stel­len­wei­se in »Neid« fin­de, scheint mir auch dar­auf hin zu deu­ten.)

    Dass sie die­sen Stock­holm-Brom­bo­ri­um flieht, wür­de ich ihr nicht vor­wer­fen, im Ge­gen­teil: Glück, in der Po­si­ti­on zu sien, sich die­se Ri­tua­le schen­ken zu kön­nen!

    @fely
    Und wenn sie mit­lä­se, was wä­re schlimm? Wie­so die kal­ten Schau­er? Sie müss­te doch nun wirk­lich ge­wohnt sein, dass die Leu­te sich das Maul über ih­re Schreck­lich­keit zer­rei­ßen. Viel­leicht lä­chelt sie öf­ter über uns, als wir glau­ben? Und über­haupt: Sind die Ver­teu­fel­ten an­son­sten des ih­nen Vor­ge­wor­fe­nen nicht manch­mal aus­neh­mend net­te Leu­te? Die Frau Je­li­nek – ist nicht auch char­mant? Ja, küss’ die Hand!

  18. »Wolken.Heim«
    war das Buch, was mich von der Je­li­nek dann »ab­ge­bracht« hat. (Auf die Idee »Neid« zu le­sen, wür­de ich nie mehr kom­men.)

    Zi­tat­schnip­sel von Heid­eg­ger über RAF-Bot­schaf­ten zu­sam­men­ge­quirlt mit ih­rem Par­lan­do; aus­ge­schlach­tet und ei­ne Wort- bzw. Text­schi­mä­re bil­dend. Viel­leicht als Sprach­kunst­werk »ge­lun­gen« – das mag sein. »Patch­work« nann­te man das doch frü­her, oder – am­bi­tio­niert – Mon­ta­ge. Aber doch nicht Li­te­ra­tur. Da wa­ren doch die Da­da­isten in ih­rer Ver­spielt­heit noch po­li­ti­scher und in ih­rem Ge­stus noch re­vo­lu­tio­nä­rer.

    (Ich ha­be ir­gend­wo auf Vi­deo ein Ge­spräch mit ihr und Wolf­gang Kor­ruhn – für »ZAK«. Lust, es zu su­chen.)

  19. @en-passant&Gregor Keu­sch­nig
    Da ha­ben wir’s, jetzt füh­le ich mich miß­ver­stan­den. Mei­ne Be­fürch­tung, das Sub­jekt un­se­rer Dis­kus­si­on könn­te hier mit­le­sen, war vor­ge­spielt. Ich hät­te da­zu höch­stens in ei­nem Punkt Be­den­ken: wir hät­ten uns gar nichts zu sa­gen und wür­den die­ses Man­ko – wie üb­lich – durch ei­nen Wort­schwall ka­schie­ren. Für so was ha­be ich im­mer we­ni­ger Ge­duld Kraft.
    Ob die Da­me char­mant sein kann? Kei­ne Ah­nung. Mein In­ter­es­se, dies raus­zu­fin­den, ten­diert, nach al­lem was ich bis­her weiß, ge­gen Null.

  20. Wort­schwall? Nichts zu sa­gen? (@fely)
    Fin­de ich nicht. De­zi­dier­te Mei­nun­gen, aber nicht un­höf­lich oder de­spek­tier­lich.

    Selbst wenn sie mit­lä­se: Äu­ssern wür­de sie sich nie. Weil ihr al­les wie ei­ne Recht­fer­ti­gung vor­kom­men wür­de. Der »Dis­kurs«, die­ser Fe­tisch der In­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft, ist für Leu­te wie sie ei­ne Nie­de­rung, in die sie sich nicht mehr frei­wil­lig be­gibt. Sie wol­len ihn höch­stens nur noch an­re­gen. Hand­ke hat­te sich an­fäng­lich we­nig­stens in Dis­kus­sio­nen zu sei­nem Ser­bi­en­buch be­ge­ben. Je­li­nek hat das – mei­nes Wis­sens – nie ge­macht. Das sagt auch ei­ni­ges aus.

  21. mehr Klopf­zei­chen...
    @ G.K.
    Ich glau­be, das Wolken.Heim fand ich da­mals in­so­fern pro­duk­tiv, als es eben kei­ne in ih­rer Bün­dig­keit auch wie­der nur durch die Dis­kurs-Ma­schi­nen zu ja­gen­de Aus­sa­ge ver­such­te – in der Dis­pa­ri­tät des Tex­tes schie­nen so et­was wie Bei­klän­ge und Un­ter­tö­ne des deut­schen Un-Gei­stes auf: Der, in auch sei­nen He­ro­en, eben auch im­mer für Un­säg­li­ches sorg­te, zu­min­dest in sei­nen Fall­hö­hen. Von Höl­der­lin bis Heid­eg­ger, eben­so tief... wie seins­ab­grün­dig auch. Und da ist be­stimmt ei­ne Li­nie zu der RAF-Ver­quast­heit und Ver­stie­gen­heit zu zie­hen. Und au­ßer­dem wä­re das je auch de­zi­diert „männ­lich“. Usw. Als Ver­such fand ich das da­mals nicht illeg­ti­tim, und nicht völ­lig miss­lun­gen.

    @ fe­ly
    Nein: Iro­nie nicht er­kannt. Aber war­um nicht höf­lich blei­ben? Ich fin­de ge­ra­de die­se leicht­fer­ti­ge, meist bil­lig zu er­kau­fen­de Ver­ach­tung in den Blogs wä­re et­was, das sie tat­säch­lich ge­gen­über der Jour­nail­le – die ja ih­ren Wi­der­wil­len trans­por­tie­ren ge­lernt hat – auf­wer­ten wür­de: Zu­min­dest ar­gu­ment­ta­iv auf der Hö­he ih­rer be­han­del­ten Ge­gen­stän­de zu blei­ben. Aus­fäl­le müss­ten dann zu­min­dest sprach­lich ei­nen mehr­wert er­bin­gen, wie der dar­in ge­üb­te Rai­nald Goetz. Ob­wohl ich sei­nen Fu­ror ge­gen die ver­gleichs­wei­se Ge­ring­fü­gig­keit sei­ner The­men nicht nach­voll­zie­hen kann – aber das wä­re eben der sub­jek­ti­ve Fak­tor.

    Hö­re ich aber bei Ih­nen stär­ke­re An­ti­pa­thien ge­gen die Da­me? (Ich se­he bei Ih­nen ei­nen Me­nue­punkt »An­ti­fe­mi­nis­s­mus«.) Viel­leicht könn­ten Sie sie doch ein­mal ad Je­li­nek for­mu­lie­ren?

  22. @en-passant
    Wir sind doch höf­lich, oder? Wenn ja, dann brau­chen wir uns mit Be­grif­fen wie leicht­fer­ti­ger Ver­ach­tung oder Aus­fäl­len über­haupt nicht ernst­haft aus­ein­an­der­zu­set­zen. (Wie ich mei­ne, auch dann nicht, wenn dies ei­nen sprach­li­chen Mehr­wert er­bringt.)
    An­ti­pa­thie? Ich glau­be, ja. Ich ma­che mir aus dem, was ich über ei­ne Per­son weiß, ein Bild, und in die­sem Fall stößt es mich ab. Das ist aber ei­ne klei­ne und un­be­deu­ten­de Epi­so­de, die nur in­di­rekt mit mei­nem so­ge­nann­ten »An­ti­fe­mi­nis­mus« et­was zu tun hat.

    [EDIT: 2008-05-23 01:11]

  23. Kor­rek­tur:... das kommt da­von, wenn man ne­ben­bei Ra­dio hört...
    Ich mein­te na­tür­lich: Ab­kehr von dem leicht­fer­ti­gen Ton der Ver­ach­tung.
    Und, fällt mir noch, der scheint mei­stens ver­ächt­li­cher ge­gen Per­so­nen als ge­gen The­men, oder?

  24. Ich mag die­sen »be­son­ne­nen Fu­ror«.
    Zu den öster­rei­chi­schen Pres­se­stim­men kann ich nichts schrei­ben, ich ha­be sie igno­riert (bis auf die al­ler­er­sten Mel­dun­gen). War­um ver­mag ich nicht ge­nau zu sa­gen, aber beim »Fall Kam­pusch« ging es mir ge­nau­so, ich woll­te im Grun­de gar nichts da­zu le­sen (Ar­ti­kel wie den von Su­san­ne Gasch­ke mal aus­ge­nom­men). Mög­li­cher­wei­se weil der­ar­ti­ge Vor­fäl­le in mir ei­ne selt­sa­me Mi­schung aus Ba­na­li­tät und Un­fass­bar­keit her­vor­ru­fen.

    Ja, das zi­vi­li­sa­to­ri­sche Häut­chen ist dünn; bei uns al­len.

  25. #20 – @Gregor Keu­sch­nig
    Mit »wir« ha­be ich na­tür­lich nur mich selbst und die hy­po­the­ti­sche Mit­dis­ku­tan­tin El­frie­de Je­li­nek ge­meint. Da bin ich si­cher, daß wir uns nichts zu sa­gen hät­ten. Und – wie­der­um un­ter der An­nah­me ei­ner hy­po­the­ti­schen, trotz al­lem statt­fin­den­den Dis­kus­si­on zwi­schen die­sen zwei Per­so­nen – ha­be ich hier von ei­nem hy­po­the­ti­schen Wort­schwall ge­schrie­ben.
    Ich hof­fe, da­durch wird es et­was kla­rer. Es fie­le mir nicht im Traum ein, im Na­men An­de­rer zu spre­chen.
    De­zi­dier­te Mei­nun­gen, aber nicht un­höf­lich oder de­spek­tier­lich? Si­cher. Ich re­spek­tie­re aber den Men­schen an sich, und we­ni­ger das, was die Ge­sell­schaft glaubt, aus ihm ma­chen zu müs­sen

  26. #25 – fe­ly
    Ich re­spek­tie­re aber den Men­schen an sich, und we­ni­ger das, was die Ge­sell­schaft glaubt, aus ihm ma­chen zu müs­sen.
    Was ich Je­li­nek vor­wer­fe, ist eben dass sie sich so ver­hält, wie die Ge­sell­schaft es von ihr er­war­tet. Und WIE sie das her­vor­bringt, dünkt mich, dass sie es nur noch re­flex­haft macht. Als ein Po­sie­ren so­zu­sa­gen.

    Letzt­lich kann zu­nächst ein­mal je­mand nichts für das öf­fent­li­che Bild, was man sich von ihm ge­macht hat. Im »Fall« Grass hat man das ge­se­hen: Die Ent­rü­stung ob sei­ner SS-Zu­ge­hö­rig­keit ent­zün­de­te sich zum Gross­teil dar­an, weil er doch als das »Ge­wis­sen« der Bun­des­re­pu­blik galt. Das war aber ein At­tri­but, wel­ches ihm – zu­nächst ein­mal – von au­ssen ge­ge­ben wur­de. Frei­lich, er hat sich nie de­zi­diert da­ge­gen »ge­wehrt«. Vor­zu­wer­fen wä­re ihm, dass er es ir­gend­wann auf­ge­nom­men und – auf sei­ne Art – ge­pflegt hat. Dann ir­gend­wann zu sa­gen »Ich war es aber nicht« ist ein biss­chen heuch­le­risch.

  27. #24 / Welt... aus den Fu­gen
    Ich mei­ne, eben die­se „Un­fass­bar­keit“, die Di­men­si­on schie­ren Ver­wun­derns, soll­te man ei­gent­lich auch ver­su­chen, zu er­hal­ten. Aber das ist zu­gleich wohl auch ei­ne from­me Idee, schon weil in je­der Äu­ße­rung zu ei­nem Sach­ver­halt im­pli­zit schon das Lost­ap­pen zu sei­ner Be­wäl­ti­gung steckt.

    Viel­leicht wä­re der „Wort­schwall“ dann als ei­ne Art Stam­meln... ein Stot­tern schon rich­tig? So­gar bei der Kro­nen-Zei­tung? Man fasst es nicht und muss schnell los­plap­pern, weil es ei­nen als üb­lich ge­wor­de­ne, ge­wis­ser­ma­ßen so­ma­ti­sche Ab­fuhr-Re­ak­ti­ons be­ru­higt: Rasch ei­ne schnel­le Er­klä­rung – teils auch ein Me­di­en­re­flex? (Die Kro­nen-Zei­tung nur un­ver­blüm­ter bei ih­rer Be­vor­mun­dung als „Sprach­rohr“.)

    Da­bei wä­re die Be­wah­rung der Un­fass­bar­keit viel­leicht aber ein Mehr an „So­li­da­ri­tät“, zu dem wir uns ver­ab­re­den könn­ten, das Un­glaub­li­che – trotz al­so sei­ner Un­ab­weis­bar­keit – wei­ter für un­glaub­lich zu hal­ten. Es al­so tat­säch­lich igno­rie­ren, bre­chen auch sonst al­le Däm­me. Und das wä­re auch ein Mehr an Selbst­be­wah­rung, als man sonst lei­sten kann?

    (Bei uns in der Stra­ße leb­te frü­her ein „Ori­gi­nal“, weit­hin be­kannt, auch für sei­ne Vor­lie­be für’s Trin­ken. Er ret­te­te sich oft in ei­ne Hal­tung: Glaub ich nicht... ich war nicht da­bei... nein, hab ich nicht ge­se­hen... geht mich nichts an. Soll die Welt doch an­ders­wo aus den Fu­gen ge­hen...
    Wie­so soll­te das kei­ne prak­ti­ka­ble Hal­tung zur Welt sein: Stoi­zis­mus und Nicht-Be­grei­fen? So be­hiel­te das Un­wahr­schein­li­che sei­ne Qua­li­tät bis es ei­nen ir­gend­wann sel­ber be­trifft.)

  28. @en-passant
    Da er­ken­ne ich na­tür­lich den Hand­ke-Le­ser.

    Ei­ne Ver­ab­re­dung, dass Un­glaub­li­che, wei­ter­hin für un­glaub­lich zu hal­ten. Das ist GENAU das Ge­gen­teil der Je­li­nek-Po­si­ti­on und noch nicht ein­mal un­ser Re­den hier­über wä­re der Damm­bruch – eben weil wir (nein: Sie) hier die Al­ter­na­ti­ve auf­zei­gen.

    Ei­ner­seits. An­de­rer­seits: Der Stoi­zis­mus, das »Nicht-Begreifen«-Wollen ist auch – viel­leicht – nicht im­mer das Er­stre­bens­wer­te. Un­wei­ger­lich kom­men mir dann al­ler­dings wie­der die­se ri­tua­li­sier­ten Ge­denk­ze­re­mo­nien in den Sinn, die man dem Er­eig­nis der Sho­ah ge­gen­über prak­ti­ziert und de­ren Flos­kel­haf­tig­keit ir­gend­wann droht, kon­tra­pro­duk­tiv zu wer­den.

  29. Ich ha­be mit der Je­lin­ek­schen „Stream of consciousness“-Technik so nie so recht et­was an­fan­gen kön­nen...
    Wenn ich mich schon fluss­ab­wärts trei­ben las­se, dann möch­te ich – wert­kon­ser­va­tiv wie ich nun ein­mal bin – we­nig­stens nach links & rechts ein Ufer se­hen!
    Okay, ich ha­be nun mal die deut­sche Na­tio­na­li­tät und kä­me selbst auf dem ver­dräng­te­sten Weg nicht auf die ‘Jo­se­fidee’, aber, wie ge­sagt, ich bin nun mal kein Österrrei­cher :)

  30. Da­da-Nai­vi­tät
    @ G.K.
    Ja, ich glau­be, ich hat­te im Sinn, das „na­iv“ zu be­trei­ben. Je­den­falls gä­be es da end­lich ein­mal di­ver­se Rah­men von Ver­ab­re­dun­gen und Er­war­tungs­hal­tun­gen über fäl­li­ge Re­ak­tio­nen auf­zu­kün­di­gen. Hand­ke macht das na­tür­lich auf ge­nui­ne Wei­se. Wir an­de­ren aber...

    In der Ver­ab­re­dung über die Re­ak­ti­on, im „Auf­schrei“ sel­ber, steck­te al­so schon die Fäl­schung: Der Skan­dal wür­de teils auf­ge­ho­ben von un­se­rer Nei­gung, das Skan­da­li­sier­te als an­ders­wie längst Ver­ab­re­de­tes zu be­grei­fen, von dem un­se­re Re­ak­ti­on al­so schon Teil ist. D.h. wir sind da prak­tisch im­mer schon in ei­ner Fal­le mit uns selbst. Kann al­so ir­gend­ei­ne Re­ak­ti­on noch ei­ne ei­ge­ne sein, die den An­lass an sich ver­stün­de?

    Aber ich weiß es ja schon: so et­was ist wohl nicht durch­zu­hal­ten.

    @ wal­hal­l­ada­da
    Fluss­ab­wärts... wä­re ja die Mün­dung, das Un­un­ter­schie­de­ne (Meer), das Ufer­lo­se. In­so­fern wä­re das schon kon­se­quent. Aber wir ha­ben wohl al­le, zu­mal in sol­chen Zei­ten, mehr „Ori­en­tie­rung“ nö­tig.

    Und letz­tens ein­mal un­sy­ste­ma­tisch nach­le­send bei der Je­li­nek-Re­zep­ti­on – ich nen­ne ex­tra kei­ne Na­men – fiel mir auf, wie häu­fig, egal ob nur brav (man­gels an­de­rer ver­läss­li­cher At­tri­bu­te) nach­plap­pernd oder ar­gu­men­ta­tiv, die Qua­li­fi­zie­rung „weib­lich“ für die­se Schreib­wei­se ge­nannt wur­de, ein al­so ih­ren Ge­gen­stand we­ni­ger fass­bar und ein­deu­tig ma­chen­der Stil. Das galt mal als mo­dern!

    (Das war üb­ri­gens zum Teil oft we­ni­ger Vir­gi­na-Wolff-un­ter­füt­tert, denn, glau­be ich, durch die Du­ras-Be­gei­ste­rung da­mals – oder war es ei­ne Mo­de? Was ist dar­aus ge­wor­den?)

    Und hey, wer so viel Ver­drän­gung von sich aus ins Spiel bringt, will da wohl et­was an sei­nem dunk­len An­teil Ö. nicht wahr ha­ben???

  31. Un­nach­ge­frag­te (?) Er­gän­zung
    In­spi­rie­rend von den Kom­men­ta­ren hier ein sehr al­tes In­ter­view, nein: Ge­spräch mit El­frie­de Je­li­nek und Wolf­gang Kor­ruhn (für die WDR-Fern­seh­sen­dung »ZAK«) ge­schaut (hat­te es auf Vi­deo auf­ge­nom­men). Um 1989/90 her­um, nach der Ver­öf­fent­li­chung von »Lust«. Kor­ruhn – wie üb­lich – kör­per­lich dich an den Ge­sprächs­part­ner her­an­ge­rückt. Bei­de auf dem Bo­den in Je­lin­eks Münch­ner Woh­nung sit­zend; vor Kor­ruhns Fü­ssen ei­ne rie­si­ge Kaf­fetas­se, wie man sie in Frank­reich be­nutzt, aber mit Hen­kel. Par­kett oder La­mi­nat auf dem Bo­den; nur we­ni­ge Mö­bel. Je­li­nek spricht von der »sla­wi­schen See­le« der Mut­ter, ih­ren Zu­mu­tun­gen von sei­ten der Mut­ter, ih­ren Mu­sik­un­ter­rich­ten, Kla­vier, Or­gel, usw.

    Und sie spricht von der Kom­bi­na­ti­on von Lie­be und Lei­stung: Lie­be gab es nur bei Lei­stung – sprich: Kon­for­mi­tät (Schu­le; Mu­sik). Dann ver­gibt sie der Mut­ter auch wie­der; be­tont ih­re Kör­per­lich­keit, aber eben das ab­so­lu­te Ta­bu der Se­xua­li­tät. Die Macht der Mut­ter ha­be sie – E. J. – nur durch ih­re heim­li­che Se­xua­li­tät durch­bro­chen. Dies sei das Ein­zi­ge, wor­auf sie im Le­ben wirk­lich stolz sei.

    Kor­ruhn im Ele­ment: Ob sie ein Mann sein möch­te. E. J. zö­gert, sagt dann ja, ob­wohl dies über­haupt nicht mit ih­rem Fe­mi­nis­mus kon­form ge­he. Aber dann, so Kor­ruhn, müs­se sie doch mit Frau­en schla­fen. Ja, sagt sie, ein biss­chen rat­los.

    Spä­ter dann zum Kern: Se­xua­li­tät sei für sie – E. J. – nur in der Fremd­heit zum An­de­ren mög­lich, zum an­de­ren Ge­schlecht meint sie. Sie brau­che das, die ge­wis­se Scheu...Fremdheit, auch Angst. Das sei für sie not­wen­dig. Dies stei­ge­re die Ero­tik, die Se­xua­li­tät; Angst und Fremd­heit sei se­xua­li­sie­rend. Wor­an das lie­ge, die fast ge­hauch­te Fra­ge von Kor­ruhn – und dann Je­lin­eks Ant­wort: sie sei kei­ne Psy­cho­lo­gin; sie wis­se es nicht.

    Viel­leicht hat El­frie­de Je­li­nek der­ge­stalt ja ein ero­ti­sches Ver­hält­nis zu Öster­reich?

  32. Un­nach­ge­fragt... aber will­kom­men.
    War Kor­ruhn die­ser auf­dring­li­che Mensch bei ZAKK? An ir­gend­ei­nen auf­klä­re­ri­schen Mehr­wert durch ihn er­in­ner­te ich mich bis­her nicht.

    Aber mir macht Ih­re Schil­de­rung mal wie­der klar, dass „das Werk“ eben doch nicht den Men­schen ganz ab­deckt (klar... eh nicht). Dass der – die ihn trei­ben­den Kräf­te – aber oft in­ter­es­san­ter sind als sei­ne Her­vor­brin­gun­gen. (Das wür­de ich auch bei Frau J. an­neh­men, die ja trotz No­bel­preis im deutsch­spra­chi­gen Raum mitt­ler­wei­le doch eher als we­ni­ger re­le­vant gilt und künst­le­risch nicht mehr wirk­lich wei­ter­füh­rend, ge­schwei­ge denn in­no­va­tiv. [Ob­wohl die­se Ran­king-Be­stim­mun­gen sel­ber was ge­ring­wer­ti­ges sind.])

    Aber kann man heu­te noch den Ge­ständ­nis­mut die­ser Frau er­ah­nen? So kommt es mir zu­min­dest vor, und ich mei­ne, da­mals wä­re das noch ei­ni­ger­ma­ßen auf­re­gend... weil an­ders­wie auf­klä­re­risch, frau­en-mu­ti­ger eben ge­we­sen: Dass die­ses gan­ze Sub­li­ma­ti­ons-Ding Kunst („Die Kunst ist im­mer ge­gen den Kör­per des Künst­lers ge­rich­tet – im­mer.“ (E.J.) teil­wei­se ganz un­taug­lich ist, das Ei­gent­li­che zu be­ar­bei­ten, ge­schwei­ge denn zu be­wäl­ti­gen. Und wie vie­le Män­ner sich hin­ter ih­rem Groß-Ding „Werk“ ver­stecken (und die Sub­li­mieurngs-Ver­ar­bei­tungs-Kul­tur gou­tiert das, weil es sie mit no­bi­li­tiert... ei­ner grö­ßer als der an­de­re. Usw.)

    Pa­ra­do­xer Ef­fekt bei mir: Ich mag sie ei­gent­lich im­mer noch nicht wie­der le­sen, aber ge­gen sich ar­gu­ment­los-stark dün­ken­den Rund­um­schlä­ge ge­gen sie (Res­sen­ti­ments halt, Zerr­bil­der mei­ner ei­ge­nen) wür­de ich sie fast wie­der ver­tei­di­gen wol­len. Zu­min­dest als „schwie­ri­ge“, an­schei­nend zu­neh­mend sper­ri­ge­re Per­son.

  33. Ja (und nein)
    Die Ge­sprä­che mit/von Kor­ruhn wa­ren schon ir­gend­wie in­ter­es­sant, weil so heu­te nie­mand mehr fra­gen wür­de, teil­wei­se so...intim, oh­ne da­bei ob­szön zu sein. Im­mer dicht an die Per­so­nen an­ge­schmiegt (fast). Ich er­in­ne­re mich noch an den Aus­ra­ster von Bednarz, aber das nur am Ran­de (Kor­ruhn ist schon Jah­re tot).

    Ver­tei­di­gen möcht’ ich E. J. im­mer dann, wenn sie als Per­son zur »Dis­po­si­ti­on« ge­stellt wird. Aber eben nur dann noch. Li­te­ra­risch hat sie Gu­tes ge­lei­stet; das Neue le­se ich aber nicht mehr. Als »po­li­ti­sche Au­torin« ist sie mei­nes Er­ach­tens grau­sig, da sie glaubt, sich als Schrift­stel­le­rin kei­nen Ar­gu­men­ten mehr stel­len zu müs­sen, aber sel­ber nur mehr »be­haup­tet« (oh­ne An­schau­ung so­zu­sa­gen; da­mit im Ge­gen­satz zu je­mand wie Hand­ke [viel­leicht])).

  34. #27 – en-pas­sant
    Da­bei wä­re die Be­wah­rung der Un­fass­bar­keit viel­leicht aber ein Mehr an „So­li­da­ri­tät“, zu dem wir uns ver­ab­re­den könn­ten, das Un­glaub­li­che – trotz al­so sei­ner Un­ab­weis­bar­keit – wei­ter für un­glaub­lich zu hal­ten.

    Ja, ganz be­stimmt. Die »Un­fass­bar­keit« des Schmer­zes (und vor al­lem die Mit­tei­lung der­sel­ben) ist mit­un­ter die ein­zi­ge Mög­lich­keit – et­wa im To­des­fal­le ei­nes Freun­des, oder Fa­mi­li­en­mit­glie­des – ad­äquat Mit­ge­fühl zu zei­gen. Je­de an­de­re Be­mer­kung – vor al­lem das un­se­li­ge »Wird schon bes­ser wer­den.« – nimmt den Schmerz nicht ernst, ja noch schlim­mer, es schiebt ihn ein­fach bei­sei­te.

    Wahr­schein­lich ist in dem Mo­ment der Prä­senz der un­fass­li­chen Er­fah­rung (un­fass­lich für den an­de­ren), das Zu­ge­ständ­nis der Un­be­greif­bar­keit (die uns stumm macht) schon Trost – im Sin­ne von: »Ich kann dei­nen Schmerz nicht be­grei­fen (nicht in der Di­men­si­on füh­len in der du ihn er­lebst), aber ich wer­de da sein, wenn du mich brauchst«.

    In­ter­es­san­ter Wei­se gibt es da­zu auch ganz an­de­re An­sich­ten; ich ha­be das schon an­de­ren Orts dis­ku­tiert, aber für mei­nen Stand­punkt nur Un­ver­ständ­nis ge­ern­tet.

  35. Da­bei wä­re das Schwei­gen und der Un­ge­heu­er­lich­keit-Nach­spü­ren ja auch ei­ne neue, um­wäl­zen­de Er­fah­rung: und ge­gen­über dem Un­ge­heu­er­li­chen da­mit ei­ne „ten­den­zi­ell“ gleich­wer­ti­ge­re Re­ak­ti­on als das Plap­pern.

    (Und viel­leicht ist es ja bei den Be­trof­fe­nen oft auch so? Ich war nie in ei­ner ent­spre­chen­den La­ge, um es bei mir sel­ber zu wis­sen. Dass die, de­nen man die Mi­kro­pho­ne hin­hält, meist nichts zu sa­gen ha­ben, ist nicht schlimm, denn be­redt sind dann ih­re Ge­sich­ter oder das Stam­meln).

    Aber für Me­di­en – „Wir müs­sen was drü­ber ma­chen“ – ist das na­tür­lich sehr schwie­rig. Und das Be­re­den und Be­quat­schen bringt ja auch Ge­mein­sam­keit, Kla­ge­ge­mein­schaf­ten – und da­mit wie­der Er­leich­te­rung.

    Der an­de­re Trost wä­re dann, glau­be ich, auch die Ah­nung, dass da et­was Grö­ße­res oder schlicht zu sehr An­de­res ist, al­so et­was, das die Er­klä­run­gen eh über­steigt – und al­so um zu­min­dest die­se Mü­hen (per Worte­rin­gen sich dem an­zu­glei­chen) er­leich­tert. Es rück­te uns zu­recht und wir ahn­ten ir­gend­wie, dass dar­in et­was Stim­mi­ges, ja, ge­lich­sam et­was Rich­ti­ges liegt. Ich ver­mu­te so­gar, da rührt auch ei­ne der Quel­len der Idee zur Wür­de her. À la, „es ist uns auf­er­legt“ – und da­mit kön­nen wir uns nur wort- und be­griff­los stel­len. Und so wä­re es gut.

    (Und ich weiß auch, das sol­che Über­le­gun­gen als Pro­to-Me­ta­phy­sik lie­ber ab­ge­lehnt wer­den – es könn­te zu sehr an­de­re Ge­wiss­hei­ten an­na­gen. Aber so ge­hö­ren an­de­rer­seits dann Un­fass­bar­kei­ten à la Am­statt­ten auch bald wie­der zur Folk­lo­re, über die man Wit­ze rei­ßen kann. Ich schät­ze, Men­schen sind da ein­fach fle­xi­bel – es sind ein­fach die Band­brei­ten, die sich da zei­gen. Das „Rich­ti­ge“ ei­ner Re­ak­ti­on gibt es da viel­leicht nicht.)

  36. @en-passant
    Das Plap­pern stört dann, wenn ich das Ge­fühlt ha­be, dass man am Kern vor­bei­geht, dass man nur die ei­ge­ne Hilf­lo­sig­keit ka­schiert, um sie (sich) nicht ein­ge­ste­hen zu müs­sen (War­um schweigt man nicht, wenn es nichts zu sa­gen gibt?). Wenn ich es an mir selbst be­ob­ach­te, dann är­gert es mich am mei­sten (ein ge­wis­ses Le­vel an small­talk er­tra­ge ich, dar­un­ter geht es nicht). Und die Aus­drücke »Plap­pern«, oder »Be­quat­schen« im­pli­zie­ren ei­gent­lich das Schei­tern. Aber es stimmt na­tür­lich: auch das un­ver­bind­li­che Be­re­den kann hel­fen (soll­te viel­leicht nicht zu un­ver­bind­lich sein); es ent­steht wohl auch ir­gend­ei­ne Art von Ge­mein­sam­keit.

    Ich glau­be – im Sin­ne ei­ner per­sön­li­chen Ent­schei­dung, ei­ner Prä­fe­renz die durch Er­fah­rung mit­be­stimmt ist – gibt es das »Rich­ti­ge« ei­ner Re­ak­ti­on schon.