Wieder schlagen die Wellen hoch: Angeblich schafft der Westdeutsche Rundfunk seine tägliche Literaturkritik im Magazin »Mosaik« im Radio WDR3 ab. Binnen weniger Stunden gab es eine Online-Petition, auf den Weg gebracht von denen, die betroffen wären, d. h. den »freien« Kritikern (und Kritikerinnen natürlich), die wieder einmal weniger Einnahmen befürchten.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Gestalt des WDR beginnt also das Sparen, nachdem 8 Milliarden Euro für alle Sender scheinbar nicht ausreichen und die ersehnten 400 Millionen Mehreinnahmen/Jahr erst einmal ausbleiben.
Gespart wird nicht an dubiosen Beteiligungen bei Produktionsfirmen, der Finanzierung von Fußballübertragungsrechten, dubiosen Polittalkshows, bräsigen Krimis, klamaukhaften Quizsendungen oder den mehr als 70 Radiostationen im ARD-Netz. Nein, es wird bei der Literaturkritik gespart. Schon im letzten Jahr musste im NDR-Fernsehen das »Bücherjournal« aufgeben. Vermutlich, weil man irgendwie die gesammelten Skisprung‑, Biathlon‑, Fußball- und sonstigen Sportexperten bezahlen muss, wobei bis heute nicht transparent wird, wieviel diese eigentlich für ihre zumeist eher banalen Äußerungen vergüten lassen. Aber 400 Euro für eine Literaturkritik sind natürlich zu teuer.
Nun wird Sturm gelaufen und an den Bildungsauftrag appelliert. Das ist ehrbar, aber so realitätsfremd als wollte man heute noch ein Telegramm verschicken. Das gibt es nämlich seit vielen Jahren nicht mehr.
Ähnliches kann man vom »Bildungsauftrag« sagen, der nur noch auf dem Papier besteht. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten immunisieren sich bei Kritik an ihrem Programm auf drei Ebenen: Zum einen sähe es bei den Privaten noch schlimmer aus. Und es gebe eine Menge Spartensender, die durchaus anspruchsvolles senden würden. Am Ende wird Kritik an ihnen dahingehend abgeschmettert, dass man – Achtung! – das »Narrativ der AfD« bediene. Als würde es nur schwarz und weiß geben. Wer nicht für mich ist, ist nicht nur gegen mich, sondern im Zweifel dann sofort gegen Meinungsfreiheit oder das Grundgesetz.
Da wird gerne mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Und tatsächlich findet man ja im Laufe eines langen, 17,50 Euro teuren Monats, genug Programm, dass man gerne bezahlen würde. Wenn da nicht all den anderen Quatsch gäbe und das Gefühl, etwas finanzieren zu müssen.
Die tägliche Literaturkritik auf WDR3, das Bücherjournal oder all die anderen Kultursendungen der öffentlich-rechtlichen, die entweder abgeschafft oder radikal banalisiert wurden, hat noch nie einer derjenigen kritisiert, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren wollen. Sicherlich frage ich mich manchmal, warum in der Vergangenheit Denis Scheck für ein Interview mit devoten Fragen von sechs oder sieben Minuten mit einem amerikanischen Großschriftsteller in die USA fliegen musste. Aber dann ist einem wieder dieser »Wetten, dass…«-Blondie eingefallen, der damals stets erster Klasse von den USA zu den Sendungen nach Deutschland flog. Was soll’s also.
Der Todesstoß, der dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seit dem Großwerden des Privatfernsehens versetzt wurde, war der Quotenzwang, unter den er sich setzen ließ. Die Quote, also die Feststellung, wann wieviele Leute eine Sendung eingeschaltet hatten, wurde von den privaten Fernsehstationen eingeführt. Sie brauchten diese Zahlen, um ihre Werbekunden von der Effizienz ihrer Ausgaben zu versichern. Sie gaben das Muster vor, nachdem heute noch gezählt wird. So gibt es beispielsweise eine Altersgruppe der 14–49jährigen. Als wären die Bedürfnisse von 14jährigen mehr oder weniger identisch mit denen von 30- oder 49jährigen. Nach dieser Form von Bullshitkoeffizienten richten Intendanten ihre Fernsehprogramme aus.
Die Quote setzte die öffentlich-rechtlichen Medien unter Druck. Diejenigen, die heute die schleichende Trivialisierung beklagen, tragen daran einen nicht unwichtigen Anteil, denn sie stellten die Frage nach der Legitimation.
Als RTL zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr Zuschauer hatte als ARD und/oder ZDF, blieb man nicht standhaft, sondern eiferte dem Trash einfach nach, um »Anteile« zu behalten bzw. zu vergrößern. Auch, wenn es gar nicht um Werbekunden ging, denn nach 20 Uhr sind Werbesendungen verboten. Außer den dctp-Nischenprogrammen von Alexander Kluge kenne ich bis heute keine Kultursendung auf den Privatfernsehkanälen der RTL- oder Pro7SAT1-Gruppe. (Ja, VOX begann einmal damit, um nach einem Jahr einzuknicken.) Ganz zu schweigen von einer genuinen Literatursendung.
Was fast noch schlimmer ist als die endlose Seichtheit des Fernsehprogramms ist die seit Jahrzehnten immer weiter fortschreitende Entkernung des Radios. Sicher, es gibt die Deutschlandfunk-Sender. Aber selbst bei den ambitionierten Kultursendern wird immer wieder zusammengestrichen. Das Wort »Programmreform«, welches in unregelmäßigen Abständen den ein oder anderen Sender und dessen Redaktionen trifft, ist immer negativ behaftet. Wo einst Magazinsendungen (durchaus im Wechsel mit Musik) Hintergründe und politische Informationen lieferten, gibt es heute allzu oft nur noch Schlagzeilenniveau und Dudelfunk. Denn irgendwann ist man auf die Idee gekommen, dass man den Rezipienten nicht überfordern dürfte.
Zurück zur aktuellen Petition. Ich habe sie – was ich nicht oft mache – ebenfalls unterschrieben. Wenn man den Text der Petition einem mehr oder weniger Unbeteiligten vorliest, wird ein bisschen das Dilemma deutlich. Der Wortlaut ist nicht unbedingt mitreißend. Vor lauter »:innen« und »lieber Herr…«, »liebe Frau….« verliert sich der Faden. Da ist von »Sendebetrieb aufrecht erhalten« die Rede, so als hätten kriegsbedingte Sendeausfälle gedroht. Man spielt die Karte der »demokratischen Öffentlichkeit«, die eingeschränkt würde. Es wird appelliert und ganz vorsichtig angedeutet, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk das neue Geld womöglich aufgrund der in den nächsten Jahren stark ansteigenden Pensionszahlungen braucht.
»Bücher sind kein Luxusgut und die Buchbranche und ihre Konsument*innen keine Nischenbewohner«, heißt es da und prompt argumentiert man mit dem Buchumsatz von 9 Milliarden Euro. Was man nicht schreibt: Wie hoch ist der Anteil an literarisch hochwertigen Büchern? Die Belletristik macht ungefähr 30% des Umsatzes aus – aber dazu zählt auch die Masse der Trivialkost.
Die Literatur, denen sich die Literaturkritik schwerpunktmäßig widmet, ist leider längst zu einem Nischenprodukt geworden; Ausnahmen bestätigen die Regel. Das ist nicht schlimm, weil Nischen eben auch bedient werden müssen, und zwar ausreichend. Und die Petition hat recht: In den »neuen Formaten«, die von den Programmmachern »vage« angekündigt werden, dürfte man sich auf bestsellerträchtige Bücher konzentrieren. Der Wein wird immer wässriger werden.
Die Zeiten, in denen Literatur den gesellschaftlichen Diskurs mitbestimmte und teilweise organisierte, sind vorbei. Heute geht es maximal noch um Blockbuster oder Serienstaffeln, aber auch das wird abflachen. Die Freizeitangebote sind andere. Die Bereitschaft, sich mit Literatur zu beschäftigen, lässt immer mehr nach. Das ist auch, aber nicht nur, ein Bildungsproblem. Aber auch die Unschärfen der Kritik, dieses manchmal arg bemühte Wohlwollen für den bemühten, aber doch eher blassen Text, die fehlende Bereitschaft des Verrisses (ohne ad hominem zu argumentieren) haben dazu beigetragen, dass man die Kritiker nicht mehr ernst nimmt.
Vielleicht sollte man (sollten die Petenten) einen Literatursender aufmachen – im Internet etwa. Drei, vier Stunden am Tag Kritik, Information, Diskussion, Lesung. Natürlich gegen Geld, als Pay-Kanal. Auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird man langfristig immer weniger bauen können. Die geplante Abschaffung der täglichen Literaturkritik in »Mosaik« in WDR3 ist dafür ein – pardon – weiteres Mosaiksteinchen.