Übersetzung: Sabine Hedinger und Christiane Bergfeld
»Menschenrauch« von Nicholson Baker ist ein kühnes, ein waghalsiges, ein fürchterliches, ein aufrüttelndes, ein geschichtsklitterisches – und ein erhellendes Buch. Es ist der Versuch, die Zeit zwischen 1919 und Ende 1941 aus einer anderen Sicht zu sehen. Wo inzwischen die Vokabel des Paradigmenwechsels ein wenig verbraucht erscheint – hier ist sie angebracht.
Tagebuchähnlich collagiert, zitiert und montiert Baker aus Briefen, Artikeln, Aufzeichnungen, Büchern und Verlautbarungen von Politikern, Schriftstellern, Journalisten oder auch nur »einfachen« Bürgern (vorwiegend aus dem angelsächsischen Bereich; aus Deutschland gibt es vor allem Auszüge aus den Tagebüchern von Goebbels, Victor Klemperer und Ulrich von Hassel). Der Erste Weltkrieg wird nur auf ganz wenigen Seiten am Anfang gestreift, die Jahre 1920–1933 auf rund 30 Seiten. Der Zweite Weltkrieg beginnt auf Seite 152, das Jahr 1940 auf Seite 182 und 1941 auf Seite 306. Das Buch endet am 31.12.1941 (Seite 518; danach gibt es ein sehr kurzes Nachwort und umfangreiche Quellennachweise), also als die meisten Menschen, die im Zweiten Weltkrieg starben…noch am Leben [waren] wie Baker schreibt.
Der Gedanke, es handele sich um etwas analog zu Kempowskis »Echolot«-Projekt erweist sich sehr bald als falsch. Bakers Zitate sind fast immer bearbeitet – und er wertet, wenn auch manchmal nur unterschwellig. Nur selten wird das »reine« Dokument zitiert. Manchmal werden auch nur die jeweiligen Zitate gegen- oder aufeinander bezogen. Dieser Stil ist suggestiv bis ins kleinste Detail. So erfolgt beispielsweise keine Datumszeile, sondern es wird narrativ mit einem bedeutungsvollen »Es war der …« im Text agiert. Peinlich genau achtet Baker darauf, dass alles belegt ist; er benutzte ausschließlich öffentliche Quellen bzw. Archive. Etliches ist auch im Netz nachschlagbar (nicht immer kostenfrei). Neues bietet Baker demzufolge nicht (die Geschichte muss auch nicht neu geschrieben werden, aber dazu später); er verschiebt nur die Blickrichtung.
»War es ein guter Krieg?«
Baker dürfte sein Buch wohl nicht als Experiment sehen; im Nachwort wird deutlich, worin seine Intention liegt: War es ein »guter Krieg«? Hat er irgendeinem Menschen geholfen, der Hilfe brauchte? Die Fragen kommen dem Leser bekannt vor: Sie sind als Imperative formuliert die propagandistischen Begründungsmetaphern mit denen kriegsmüden Mitteleuropäern regelmäßig die »Interventionen« der »Völkergemeinschaft« kruden Diktatoren gegenüber (die man vorher jahrzehntelang als Handelspartner schätzte und politisch gewähren ließ) schmackhaft gemacht werden sollen. Nahezu alle Kriege seit den 1950er Jahren wurden mit den Versprechen, Menschen zu helfen, geführt.
Nach dem Ende der Bipolarität 1990 hat die Bereitschaft des »Westens«, den »guten Krieg« zu führen, massiv zugenommen: Kuwait 1990/91; Jugoslawien/Kosovo 1999, Afghanistan 2001, Irak (bzw. gleich der ganzen Welt) 2003. Meistens muss eine »humanitäre Katastrophe« verhindert werden (die man nonchalant in Afrika »übersieht«, als dort wirklich Hunderttausende ermordet werden). Daher wird ein Krieg geführt, der als im wörtlichen Sinne blutleeres Videospiel inszeniert und zelebriert wird und Journalisten wie Touristen zu den Schlachtfeldern führt. Jegliche kritische Berichterstattung wird somit unmöglich gemacht; die Kontrolle ist perfekt. Im Vorfeld wird die Alternativlosigkeit dieses Vorgehens herausgestellt; die Zustimmungsraten sind durch entsprechende mediale Einsätze kurz vor dem Gewaltausbruch auch entsprechend (Ausnahme vielleicht nur 2003). Die hartnäckigen Kriegsgegner werden noch flugs als Sympathisanten des Dämons denunziert, damit man sich nicht mehr länger mit ihren Argumenten auseinandersetzen muss.
»Menschenrauch« lässt nun die Kriegsgegner und Pazifisten der 1930er/40er Jahre nicht nur zu Wort kommen, sondern ergreift dezidiert Partei für sie. In dem nicht per se die Aktionen der Alliierten einem scheinbar übergeordneten Zweck untergeordnet werden, deren Kriegsführung befragt und die Provokations- und Eskalationstechniken eines Winston Churchill und Franklin Roosevelt aufgezeigt werden, begeht Baker einen Tabubruch. Er verstößt gegen den unausgesprochenen und allseits akzeptierten Konsens, welcher dem Sieger des Krieges die Glorifizierung der eigenen Taten nicht nur gestattet sondern diese im (historischen) Diskurs kanonisieren darf.
Deutschland kennt die Diskussion: Luftkrieg und Literatur
Es ist noch nicht lange her, als W. G. Sebald 1997 im Rahmen einer Poetikvorlesung über »Luftkrieg und Literatur« von der Tabuisierung des Bombenkriegs in der deutschen Literatur (und somit auch generell im historischen Diskurs) sprach. »Der wahre Zustand der materiellen und moralischen Vernichtung in welchem das ganze Land sich befand«, so Sebald 1997, »durfte aufgrund einer stillschweigend eingegangenen und für alle gleichermaßen gültigen Vereinbarung nicht beschrieben werden. Die finsteren Aspekte des von der weitaus überwiegenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung miterlebten Schlußakts der Zerstörung blieben so ein schandbares, mit einer Art Tabu behaftetes Familiengeheimnis.«
Zwar gab es durchaus literarische Versuche, sich diesem Thema zu nähern (beispielsweise Hans Erich Nossack; Gert Ledig, insbesondere in seinem Meisterwerk »Vergeltung«; Alexander Kluge; in Grenzen auch Dieter Forte) – aber sie drangen bis weit in die 1990er Jahre nicht zu einem größeren Publikum durch, weil es nicht opportun war, Deutsche im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg auch als Leidende darzustellen. Zu schnell haftete dem Autor das Etikett des Revanchismus an. Erst als der in dieser Hinsicht völlig unverdächtige Günter Grass im Jahr 2002 mit seiner Novelle »Im Krebsgang« die Versenkung des Schiffes »Wilhelm Gustloff« (durch ein sowjetisches U‑Boot) und damit den Tod von rund 9.000 Zivilisten thematisierte, veränderte sich die abweisende Haltung teilweise und die Kritiker »entdeckten« plötzlich jahrzehntealte Bücher, die sie aus opportunistischen Gründen in den Giftschrank eingesperrt hatten.
So kamen mit einiger Verspätung großartige literarische Werke endlich in den Fokus der Öffentlichkeit. Grundvoraussetzung dabei war allerdings, dass die Auseinandersetzung beispielsweise mit dem Bombenkrieg auf eine rein literarisch-ästhetische Weise stattfand (die natürlich frei von jedem Opferheroismus zu sein hatte). Vom Vorwurf des Geschichtsrevisionismus wurde man nur befreit, wenn sich in der Literatur keinerlei Hinweis auf einen auch nur angedeuteten historischen Rekurs des Ereignisses befand. An der Tatsache der ursprünglichen »Schuld« für die Szenarien durfte kein Zweifel artikuliert werden. Das Dilemma steigerte sich noch, als die rechtsextreme NPD im sächsischen Landtag 2005 in Bezug auf den 60. Jahrestag der Bombardierung Dresdens vom »Bombenholocaust« schwadronierte und das Thema versuchte für ihre neonazistische Propaganda zu vereinnahmen. Jede Befragung der Notwendigkeit des Bombenkrieges durch die Alliierten (bzw. der Effizienz von Bombenangriffen generell) hat heute noch einen negativen Hautgout und gilt als reaktionär. (Bei Militärs ist dies natürlich nicht der Fall. Sie sehen Luftbombardements schon lange ambivalent.)
»Ablage. Nicht bearbeiten FDR«
Mit diesem Hintergrund ist die heftige Ablehnung von Nicholson Bakers Buch in Deutschland fast vorprogrammiert. Zwar lässt Baker in ausgewählten Passagen von Zeitzeugen keinen Zweifel an Hitlers Wahnsinn. Daneben gibt es zwei Stellen die über die Anfänge von Auschwitz berichten. Auch der Titel des Buches (»Menschenrauch«) ist nicht beliebig gewählt (wie Baker im Nachwort erwähnt). Ausgiebig zeigt er, wie die Appelle jüdischer Emigranten und Organisationen insbesondere an Roosevelt, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und die Visaanträge zügiger zu bearbeiten, ignoriert wurden und stattdessen abstruse neue »Aufenthaltsorte« für jüdische Emigranten diskutiert wurden (Madagaskar, Tanganjika, Dominikanische Republik). Zu lange wollte man den ungeheuerlichen Zivilisationsbruch, der sich früh abzeichnete, nicht wahrhaben. Auf eine Anfrage zum Gesetzesentwurf zur Aufnahme von Flüchtlingskindern im Juni 1939 vermerkte Roosevelt »Ablage. Nicht bearbeiten FDR«.
Ob dies nun einer noch in den 1920/30er-Jahren auch im angelsächsischen Raum verbreiteten antisemitischen bzw. antizionistischen Stimmung geschuldet war (Baker hat eine entsprechende Äußerung von Eleanor Roosevelt entdeckt und auch Franklin Roosevelt störte sich 1932 am relativ hohen Anteil jüdischer Erstsemesterstudenten an amerikanischen Universitäten von mehr als 30% und wollte diese Quote mittelfristig auf 15% senken) oder schlichtweg einer fatale Fehleinschätzung der tatsächlichen Lage entsprang – Baker zeigt diese »unterlassene Hilfeleistung«, die man wohl als Schande bezeichnen muss.
Deutlich wird aber auch: Hitler galt bis weit in die 1930er Jahre hinein für viele amerikanische und britische Politiker als das geringe der beiden Übel; man gestand Nazi-Deutschland die Rolle des Bollwerks gegen den als wesentlich bedrohlicher empfundenen Kommunismus zu und verharmloste die Exzesse, die sich beispielsweise in der Reichspogromnacht zeigten.
Baker reißt aber noch mehr Wunden auf: Er thematisiert die britische Kolonialpolitik und deren Exzesse. Parallel dazu besetzte Roosevelt eine pazifische Insel nach der anderen und errichtete somit ein Drohszenario gegen Japan (dem der Kuba-Krise von 1962 ähnlich). Es wird im weiteren Verlauf des Buches suggeriert, als wäre der japanische Angriff auf Pearl Harbor nicht nur willkommener Anlass für den Kriegseintritt der USA gewesen (Roosevelt hatte den Wahlkampf mit dem Versprechen der Neutralität der USA bestritten), sondern geradezu provoziert worden (und natürlich greift Baker die Quellen auf, die behaupten, man habe hiervon rechtzeitig gewusst).
Churchills Militarismus und Gandhis Opferrhetorik
Baker zeigt, wie die USA China gegen Japan bereits in den 20er Jahren unterstützten und aufrüsteten und dokumentiert, dass große Teile des »New Deal«-Programms Roosevelts ein gewaltiges Aufrüstungsprogramm darstellte. Er illustriert die Doppelzüngigkeit der Abrüstungsreden Roosevelts, der weltweite Abrüstung bei eigener Aufrüstung als Friedenssicherung begreift. In den USA wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und Pazifisten, die sich verweigerten, für mindestens ein Jahr ins Gefängnis gesteckt.
Dazwischen gibt es immer wieder Redeprotokolle, Briefe und Artikel von Mahatma Gandhi, der der Gewaltspirale mit Gewaltlosigkeit begegnete und dabei in eine heute merkwürdig anmutende Opferrhetorik verfiel: »Ich weiß, dass es notwendig sein kann, Hunderte wenn nicht gar Tausende zu opfern, um den Hunger von Diktaturen zu stillen.« Die Praxis der Gewaltlosigkeit – ashimsa – sei am wirksamsten angesichts schrecklicher Gewalt, schrieb Gandhi, »auch wenn die Opfer nicht mehr erleben, wofür sie gelitten haben.«. Und auch im Oktober 1941 – Japan hatte Pearl Harbor angegriffen und das nationalsozialistische Deutschland einige Monate vorher die Sowjetunion überfallen – meinte Gandhi das Prinzip der Gewaltlosigkeit, selbst wenn es mit der Gefahr verbunden sei, eingekerkert, dem Verhungern preisgegeben oder getötet zu werden sei die einzig richtige Antwort. Und dann die Sätze, die konstituierend für Bakers »Menschenrauch«-Buch sind, aus dem Mund von Gandhi: »Hitlerismus und Churchillismus sind im Grunde dasselbe; sie unterscheiden sich nur graduell.«
Der eigentliche Schwerpunkt dieses Buches liegt in der Abarbeitung Bakers am Politiker und Kriegsherren, ja an der Person von Winston Churchill. Hier zeigt sich eine Obsession: Er will den Nimbus Churchill, den des »guten« Kriegsherren, der gegen das »böse« Nazideutschland reüssierte entmythologisieren und dekonstruieren. War doch gängiger Konsens, dass gegen den massenmörderischen NS-Staat fast alle Mittel Recht waren. Genau das bestreitet Baker. Dabei geht er bewusst das Risiko der Einseitigkeit, der Überzeichnung und – leider – an einigen Stellen auch der Manipulation ein.
Gezeigt wird ein hoch intelligenter und wortgewandter, aber extrem bellizistischer, ja brutaler Winston Churchill, ein Militarist der extremen Schule, der eine Blockadepolitik als gerechtfertigt hinstellte, selbst wenn dabei auch Frauen und Kinder verhungerten, sofern sie zu einer früheren siegreichen Beendigung des Krieges beitragen (Herbert Hoover, August 1940). Er initiiert Strafaktionen (d. h. Bombardierungen aus der Luft) in den 1920er Jahren im Irak, der Stadt Peshawar oder einem Dorf im Jemen und wettert gegen den Gandhiismus, der unnachsichtig bekämpft und letztendlich niedergeschmettert gehört (ausser Repressionen findet er keine Mittel). Baker zitiert aus einem heute antisemitisch erscheinenden Artikel Churchills von 1920 (»Zionism-versus-Bolschewism«), der vom »finsteren Bündnis« des internationalen Judentums faselt, vor einer jüdischen Verschwörung warnt und Judentum und Bolschewismus als synonyme Feindbilder sieht (ohne »entlastendes Material« für Churchill einzuflechten), erwähnt ein frühes Lob auf Mussolini und zitiert aus Churchills Buch »Große Zeitgenossen« (»Great Contemporaries«) aus dem Jahr 1937, in dem er Hitler als hochkompetenten, kühlen, gutinformierten Funktionär mit angenehmen Umgangsformen beschreibt (»Those who have met Herr Hitler face to face have found a highly competent, cool, well informed functionary with an agreeable manner, a disarming smiles, and few have been unaffected by a subtle personal magnetism«).
Ausgerechnet Baker wirft Churchill hier vor, dass er Hitler nicht dämonisiert. Dabei übersieht er, dass die Hitler zugeschriebenen Eigenschaften in der geschilderten Situation sehr wohl stimmen konnten ohne dass damit über die Moral des Politikers (und Menschen) Hitler auch nur ein einziges Wort gesagt ist. Und wenn dann aus einer Rundfunkansprache Churchills im September 1940 zitiert wird, in der er Hitler einen »niederträchtige[n] Mann« und »monströs« nennt, scheint das auch nicht recht zu sein.
Jungbrunnen Krieg
Baker berichtet immer wieder von Churchills Begeisterung für chemische Kampfstoffe, die wohl sehr ausgeprägt gewesen sein muss (Mussolinis Einsatz von Senfgas in Äthiopien inspiriert ihn geradezu). Er legt sogar einen Vorrat mit Milzbrand-verseuchten Keksen an, die nach Bedarf abgeworfen werden könnten (zum Einsatz sind sie nie gekommen). Der Krieg schien ein wahrer Jungbrunnen für den Briten zu sein; ständig entwickelt er neue Ideen für Waffen, so beispielsweise »Visitenkartenbomben«, spielkartengroße mit einem Loch versehene Zelluloidkarten, von denen jeweils zwei mit einem Stück Gaze zusammengeklebt wurden. Das ganze wurde mit feuchtem weißen Phosphor bestrichen. Die Karten wurden feucht abgeworfen. Wenn sie in der Sonne trockneten, wurde das Zelluloid rissig. Dann entzündeten sich die Plättchen. Churchill ließ diese Brandbomben unter anderem über den Schwarzwald und dem Harz abwerfen.
Aber er beging auch grobe taktische wie auch strategische Fehler mit fatalen Folgen. Beispielsweise die Vorgänge um Norwegen 1940 noch unter dem Premierminister Chamberlain und der offene Brief an den Oberbefehlshaber der jugoslawischen Luftwaffe, General Dusan Simowitsch, in dem er Simowitsch ermunterte, lieber als Erster zu schiessen statt von den Deutschen angegriffen zu werden und Albanien zu überfallen und sich dort die »massenhaft« vorhandenen Waffen zu sichern. Baker insinuiert, dass erst durch Churchills Aktivitäten um Norwegen, Jugoslawien (und auch Griechenland) Hitler »gezwungen« wurde einzugreifen und ohne Churchill die Länder von der Okkupation durch die Deutschen hätten verschont werden können.
Baker widmet sich Churchills Rhetorik (die Deutschen hießen jetzt pauschal Hunnen) und kritisiert die Gleichförmigkeit auch der Presse, die sich allzu bereitwillig fügte (daran hat sich bei ähnlichen Situationen offensichtlich bis heute nichts geändert). In Großbritannien werden feindliche Ausländer (insbesondere Deutsche – unter ihnen viele Flüchtlinge) ohne gerichtliches Verfahren interniert. Stellenweise scheint Churchill geradezu missionarisch den Krieg alleine für die »freie Welt« führen zu wollen und ordert ohne Unterlass die neuesten Flugzeuge und Munition von Roosevelt.
Auf schwierigem Terrain begibt sich Baker mit seinem Buch an zwei Punkten: Er suggeriert durch ausgesuchte Texte, dass Hitlers Friedensangebote im Herbst/Winter 1939 (und sogar teilweise noch später) zu schnell abgelehnt worden seien und kreidet der britischen Politik damit mangelndes Interesse an einem Frieden an. Und in einem sehr speziellen Punkt stimmt Baker durch seine Textauswahl der These zu, dass nicht Hitler den Bombenkrieg mit Großbritannien begonnen habe, sondern die Royal Air Force mit einem Bombardement auf Mönchengladbach am 11. Mai 1940, einen Tag nach dem er von Chamberlain (den er nicht sehr schätzte) das Amt des Premierministers übernahm. Baker erweckt den Eindruck, dass Churchill bewusst die Flächenbombardements deutscher Bomber auf englische Städte in Kauf genommen habe um nun seinerseits ohne jegliche Rücksichten deutsche Ziele bombardieren zu können und gleichzeitig die USA in den Krieg zu ziehen. (Wie »nebenbei« wird aus Quellen zitiert, die anzeigen, dass die britische Abwehr die Evakuierung Coventrys am 14. November 1940 nicht vorgenommen habe, obwohl man mehrere Stunden vorher vom deutschen Angriff und dessen Ziel wusste.)
Die Illusion der »Friedensangebote«
Beide Thesen stehen auf wackligem Fundament und zeigen die Grenzen des Verfahrens, welches Nicholson Baker hier anwendet. Tatsächlich muss der Leser, der die genauen historischen Abläufe nicht genau kennt glauben, dass auch nach Hitlers Überfall auf Polen noch eine Chance auf eine Einigung mit dem nationalsozialistischen Deutschland möglich gewesen wäre. Aber wie hätte man mit einem derart größenwahnsinnigen Diktator wie Hitler einen dauerhaften Frieden schließen können? Was Baker auslässt sind die vorher bereits durch Hitler begangenen zahlreichen Vertragsbrüche, angefangen vom Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland 1936 (ohne durchgreifende Reaktion der Versailler Siegermächte), dem »Anschluss« Österreichs 1938 (es gab nur diplomatische Protestnoten) und die widerrechtliche Besetzung der »Rest-Tschechei« im Jahr 1939.
All diese Ereignisse finden in Bakers Textsammlung keinen Niederschlag; die Verhandlungen um die Sudetenkrise 1938 (mit dem »Münchener Abkommen« als Ergebnis) werden nur in einem Eintrag kurz erwähnt. Kennt Baker diese Vorgeschichte nicht? An einigen wenigen Punkten glaubt man zu bemerken, dass er was den deutschen Nationalsozialismus angeht, nicht ganz auf der Höhe ist (etwa, wenn unwidersprochen die Fama wiedergegeben wird, dass Rudolf Heß in Landsberg Hitlers »Mein Kampf« diktiert bekommen habe). Dennoch kaum zu glauben, dass Baker diese essentiellen Verstöße gegen den Versailler Vertrag, die allesamt unsanktioniert blieben, nicht kennt.
Es wird für möglich erachtet, dass Hitler auch noch 1940 »zu bändigen« gewesen sei, wenn man nur von britischer (und amerikanischer) Seite gewollt hätte. Das ist in Anbetracht der langfristigen »Strategie« des Nationalsozialismus schlichtweg dumm. Dabei ist den im Buch zu Wort kommenden Pazifisten der 30er und 40er Jahre weniger ein Vorwurf zu machen als dem Collageur des 21. Jahrhunderts, der in grandioser Verkennung der bereits damals vorliegenden Tatsachen glaubt, der Nationalsozialismus hätte sich irgendwie in eine europäische Gebietsaufteilung einbinden lassen. Baker vernachlässigt die tatsächliche Intention Hitlers für diese sogenannten Friedensaktivitäten: Er wollte an der Westflanke Ruhe haben, um sich vollständig auf den Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion zu konzentrieren.
Wer das ignoriert und stattdessen suggeriert, Hitler hätte mit weiterem Appeasement aufgehalten werden können und Churchill (und in Grenzen auch Roosevelt) hätten diese Möglichkeit verstreichen lassen – der betreibt nichts anderes als Geschichtsklitterung. Freilich bleibt dann das ausführlich beschriebene inkonsequente Verhalten der Alliierten was die (nicht nur jüdischen) Flüchtlinge aus Deutschland und später aus ganz Europa angeht.
Wer hat angefangen?
Auch in der Frage, wer denn den Luftkrieg zwischen Großbritannien und dem »Deutschen Reich« angefangen habe, begibt sich Baker auf vermintem Terrain. Nicht wenige sehen die Luftangriffe auf Mönchengladbach vom 11./12. Mai 1940 als eine Art Antwort auf die sogenannte »Westoffensive« Deutschlands (»Fall Gelb«) einen Tag vorher. Baker suggeriert, Churchill habe provozieren wollen, nach dem eine Blockade gegen Deutschland (und später gegen die besetzten Gebiete) nicht zum »Erstschlag« Hitlers geführt hatte. Fest steht – Baker erwähnt dies -, das Flächenbombardements von beiden Seiten in anderen Konflikten als kriegsführendes Mittel eingesetzt wurden. Fest steht auch (das wird im Buch gut belegt): Die Absicht, nur militärische oder wichtige strategische Ziele des Feindes zu treffen, war mit der damaligen Technik unmöglich. Somit waren zivile Tote nicht nur billigend in Kauf genommen worden, sondern spielten mehr und mehr eine entscheidende Rolle, weil man damit die Moral und Regierungstreue der Bevölkerung unterminieren wollte. Früh zeigt sich auch für jemanden wie Churchill, dass dies mindestens nicht kurzfristig funktionierte. Dies führte jedoch nicht zur Eindämmung, sondern, im Gegenteil, zur Ausweitung der Angriffe – auch hier auf beiden Seiten und mit wachsender Brutalität.
Könnte man zweifelsfrei nachweisen, dass Churchill den Luftkrieg begonnen hätte, wäre die Argumentation Pazifisten gegenüber nur in Notwehr gehandelt zu haben nicht mehr haltbar. Das moralische Kalkül würde dann nicht mehr funktionieren: »Wenn sie von Pazifismus reden«, so Gandhi 1938, »dann mit dem Hintergedanken, dass man Waffen anwenden darf, falls der Pazifismus scheitert«. Ein wahrer Pazifist sei jedoch nie berechnend. »Irgendjemand muss in England aus ehrlicher Überzeugung aufstehen und fordern, dass England unter gar keinen Umständen zu den Waffen greift.«
Wer die von Baker zusammengetragenen Äußerungen Gandhis zu, über und sogar an Hitler liest, kann unmöglich nicht bewegt sein. Im Januar 1939 sagt Gandhi: Selbst das härteste Herz müsse vor der Hitze der Gewaltlosigkeit schmelzen. »Herr Hitler ist nur ein Mensch, der nur eine durchschnittliche Lebensspanne zu erwarten hat«. Am 3. Juli 1940 schreibt er in einem offenen Brief (»To Every Briton«) an das englische Volk: »Eure Soldaten richten ebensolche Zerstörung an wie die Deutschen. Ich wünschte, Ihr würdet den Nationalsozialismus ohne Waffen bekämpfen«. Und an Adolf Hitler schreibt er am 24.12.1940: »Wir zweifeln nicht an Ihrer Tapferkeit und Hingabe an Ihr Vaterland, noch halten wir Sie für das Ungeheuer, als das Ihre Gegner Sie beschreiben.« Seine Taten seien allerdings ungeheuerlich. Die Tschechoslowakei, Dänemark, »die Vergewaltigung Polens« – mit diesen Eroberungen habe er die Menschenwürde verletzt. Gandhi erklärte Hitler den Weg der Gewaltlosigkeit und riet Hitler bringen Sie Ihren Disput vor ein internationales Tribunal.*
Warum dieses Buch dennoch lesenswert ist
Unweigerlich kommt einem bei der Lektüre Heiner Geißlers Diktum von 1983 in den Sinn: »Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.« Später stellte Geißler klar: Er meinte mit Pazifismus Chamberlains Appeasement-Politik, die vor einer Konfrontation mit Hitler zurückschreckte und 1938 den Verbündeten Tschechoslowakei praktisch verriet, um einen drohenden Krieg zu verhindern.
Aber ist das alles wirklich so einfach? Legt man das Buch nach der Lektüre einfach so weg und hakt den Autor als unbelehrbaren Pazifisten oder sogar naiven Dummkopf ab? Oder, anders gefragt: Was macht denn das Buch trotz der teilweise aberwitzigen suggerierten historischen Deutungen so lesenswert? Ist es nur die gewollt andere Sicht, der Gegenstrom des so scheinbar Überdeutlichen?
Nein. Denn Nicholson Baker zeigt, dass ein Krieg, mag er auch noch so moralisch gerechtfertigt oder gar politisch unabwendbar sein immer beide Seiten verändert und niemals nur die klare Dichotomie des Guten auf der einen und des Bösen auf der anderen Seite kennt. Jeder Krieg korrumpiert auch die hehrsten Werte des moralisch scheinbar Überlegenen. Im weiteren Verlauf werden sich die vermeintlichen Gegner immer ähnlicher (wie Baker an einem Beispiel aufzuzeigen versucht, als im März 1941 in den USA ein Buch mit dem Titel »Germany must perish« erscheint, in dem allen Ernstes die Massensterilisation aller Deutschen vorgeschlagen wird und gleichzeitig die SS Pläne entwickelt, wie Keimdrüsen und Eierstöcke von Juden beim Warten an Formularschaltern sterilisiert werden könnten).
Bakers Buch endet mit dem Jahr 1941, als das fürchterlichste Menschheitsverbrechen, die Shoah, erst begann. Dies verführt den Leser zu der Frage: Wie würde dieser Krieg in der Retrospektive bewertet, hätte es den Massenmord an den europäischen Juden nicht gegeben? Welche Dolchstosslegende(n) hätte es in Deutschland gegeben? Aber diese Frage ist unhistorisch, weil Bakers Textsammlung zu einem Fehlschluss verleitet: Nationalsozialismus ist ohne die Shoah gar nicht denkbar. Der wahnsinnige Gedanke der Vernichtung der europäischen Juden ist immanent im »Denken« des Nationalsozialismus eingebettet. Hitler ist kein monströserer Mussolini, der mit regionalen Territorialzugeständnissen irgendwann milde zu stimmen war.
Und hier ist das Buch – fast unfreiwillig – erhellend: Diese Komponente hatten die Alliierten wenn überhaupt, nur am Rande im Blick. Den Krieg, der wir nachträglich den Zweiten Weltkrieg nennen, wurde von ihnen als ein fast reiner macht- bzw. geostrategischer Krieg begriffen. Hier ein größenwahnsinniger Diktator, dessen wahre Absichten ignoriert bzw. heruntergespielt wurden und dort die angelsächsische »Empire«-Achse, die bis 1944 wartete, ehe sie den verhassten Diktator Stalin vorübergehend in ihre Gesellschaft aufnahm (da sonst ein Sieg fraglich geworden oder zeitlich sehr viel länger gedauert hätte).
Wer dieses Buch »gefährlich« nennt und behauptet, eine solch journalistisch-literarisches Thesenwerk liefere unverbesserlichen Pazifisten oder rechtsradikalen Dummköpfen nur billiges Material, verkennt nicht nur die heutzutage gängigen Informationsmöglichkeiten sondern zeigt auch sehr schön seine paternalistischen Beschützerarroganz. »Menschenrauch« verlangt nicht nur den mündigen Leser, es erzeugt ihn geradezu. Das ist bei all den genannten Mängeln kein geringes Verdienst.
Auch ein Leser, der Bakers pazifistische Gedanken und historische Einschätzungen nicht teilt, kann dieses Buch mit Gewinn lesen.
* Nicht belegte Auszüge (aus einem Forum; die Original-Seite soll hier nicht verlinkt werden): »We have no doubt about your bravery or devotion to your fatherland, nor do we believe that you are the monster described by your opponents.« / »But your own writings and pronouncements and those of your friends and admirers leave no room for doubt that many of your acts are monstrous and unbecoming of human dignity, especially in the estimation of men like me who believe in human friendliness. Such are your humiliation of Czechoslovakia, the rape of Poland and the swallowing of Denmark. I am aware that your view of life regards such spoliations as virtuous acts. But we have been taught from childhood to regard them as acts degrading humanity.«/ »But ours is a unique position. We resist British imperialism no less than Nazism.«/ »If there is a difference, it is in degree. One-fifth of the human race has been brought under the British heel by means that will not bear scrutiny.« / »Our resistance to it does not mean harm to the British people. We seek to convert them, not to defeat them on the battle-field.« / »We know what the British heel means for us and the non-European races of the world. But we would never wish to end the British rule with German aid.« / »If not the British, some other power will certainly improve upon your method and beat you with your own weapon. You are leaving no legacy to your people of which they would feel proud.«
Alle kursiv gesetzten Stellen sind Zitate aus dem besprochenen Buch. Die in der Kursivsetzung vorgenommenen Anführungszeichen entsprechen denen im Buch; Baker zitiert dann selber.
Leider habe ich das Buch (noch) nicht gelesen, aber die Rezension im Deutschlandfunk als Buch der Woche gehört. Das erste was ich mich fragte, war, warum Begleitschreiben das Buch noch nicht vorgestellt hatte. Normalerweise ist die Reihenfolge andersrum. Der zweite Gedanke war, was denkt Herr Keuschnig über die provozierenden Thesen? Früher war vielleicht wichtig, wie Grass die Sache denn um Himmels Willen sieht. Das ist vorbei.
Und ich wurde nicht enttäuscht. Eine sehr schöne Rezension, die nicht versucht mit den gefährlichen Thesen zu polemisieren, sondern sie in einen Kontext zu stellen. Das muss man erstmal können und vor allem auch wollen.
Ich erinnere mich undeutlich daran, dass wir schon mal diese Überlegung hatten, was denn passiert wäre, wenn es nicht auf der einen Seite die Konfrontation Indien (Gandhi) – England und auf der anderen Seite Deutschland (Hitler) – England gegeben hätte, sondern Indien – Deutschland. Für mich ist das nach wie vor eine offene Frage.
Eine unbestreitbare Tatsache hingegen ist, dass die Welt tatsächlich immer friedlicher wird. Sowohl die Zahl der gewöhnlichen Straftaten als auch die der Toten in großen Konflikten nimmt beständig ab, selbst das 20. Jahrhundert bildet mit seinen beiden Weltkriegen da keine Ausnahme. Wir empfinden es nur anders – zum einen, weil Deutschland im Zentrum der beiden Weltkriege stand, und zum anderen, weil die Massenmedien Verbrechen immer stärker kommunizieren.
Ich würde Deine These nicht für das 20. Jahrhundert in Gänze übernehmen. Insgesamt sind immerhin rd. 70 Millionen Tote zwischen 1914 und 1945 ums Leben gekommen. Zwar gibt es Historiker, die eine noch grössere Mortalität im Dreissigjährigen Krieg (1618–1648) verorten (die Opferzahlen müssen aufgrund der Bevölkerungszahlen natürlich geringer sein, prozentual sollen nach Schätzungen zwischen 25% und 40% der »Deutschen« [die gab es ja als homogene »Masse« so nicht] ums Leben gekommen sein) aber die Dimension ist schon enorm. Das Morden hörte nach 1945 ja nur teilweise auf; man denke vor allem an Mao in China (aber natürlich auch Stalin). In den 70er Jahre rottete Pol Pot rund ein Drittel der Kambodschaner in wenigen Jahren aus; im Krieg zwischen dem Iran und dem Irak gab es zwischen 1980 und 1988 400.000–800.000 Tote; in Ruanda kamen 1994 vorsichtigen Schätzungen nach mindestens 500.000 Menschen in nur knapp drei Monaten ums Leben.
Richtig ist, dass der von uns so vehement diskutierte und begleitete Nahostkonflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn in dieser Hinsicht ziemlich vernachlässigbar ist.
#1 – Peter42
Vielen Dank für die Blumen (vor allem die Pointe mit Grass – obwohl: soooo wichtig bin ich nun wirklich nicht...)
Für mich war das Buch anregend, weil es (1.) herausfordernd ist und den »mündigen Leser« erfordert und (2.) tatsächlich mit vielen gängigen Vorurteilen aufräumt. bakers Buch niederzumachen ist m. E. billig; das kann jeder Gymnasiast mit seinem Geschichtsbuch – dann lernt man aber nichts.
Ja wahrlich, eine grossartige Rezension eines Buches
dass ich mir ersparen werde... aber einige Bemerkungen ausloest:
1] zur Person Hitler: dies war kein einfacher Nationalist oder Revanchist sondern ein PTS bessessener ewiger Krieger [vide die zwei psychoanalytischen Studien, von Dr. Fritz Redlich
http:// www. yale. edu/ opa/ arc-ybc/v 32.n15/ story21. html
[LINK INAKTIV – G. K. 15.11.2016]
und Dr. Ted Dorpat. H »The Wounded Monster: Hitler’s Path from Trauma to Malevolence.«
http://www.nysun.com/comments/9084
Hitler lebte vom Krieg. Ein revanchistischer Deutscher Nationalismus ist, meines Erachtens nach, vorstellbar ohne Hitler. Da aber es Hitler war, auf seine Art verwundet, war so etwas wie die Schoah auch zu erwarten von ihm. Die gescheiten wussten das auch und sind schnell auch Deutschland weg. Von wegen kuehl: viel zu viel Blut im Kopf um als irgendein Cesar oder Napoleon zu gelten, man rottet nicht die klugsten Koepfe im eigenen Land aus, noch beraubt man sie ihres Reichtums. Ein Cesar haette Grossbritannien erobert, Ende des Commonwealth, na ja und dann vielleicht Russland, ohne Abschweifer auf Yugoslavien, nachdem man das andere erstmals ein bisschen verdaut hat!
2] Dass die Deutsche Elite sowie das Deutsche Rechtswesen einer so moerderische kriminellen Partei wie der NSDAP die Macht uebergaben und und sie dann nicht an der Diktatur gehindert hat ist das zerschmetternste Urteil ueber diese und all die anderen Mitmacher. Brecht und die Kommunisten sahen da viel klarer.
3] Ghandi’s Pazifismus war kaum in der Lage dies richtig zu beurteilen.
4] Da Japan und der Amerikanische Imperialismus in Asien aufeinanderstiessen war ein Krieg zu erwarten; wer da gerade den Zuender geloest, ist nur von propagandischem Interesse. Deswegen wollen die Amerikaner, im allgemeinen, auch nichts von Roosevelt’s Mitschuld hoeren!
5] Churchill war auch ein Rassist und Militarist und Imperialist boesester Art, im Sudan in Iraq, aber kein Ausrotter, und eben – deswegen der Ruhm – sprachlich begabter besonders als Verteidiger von England. Der Englishche Imperialismus war genau so kriminell wie der Spanische, und insgesamt...
6] Die imperialistischen Ambitionen abschaffen, darauf kommt es an. Wenn da zwei von denen aufeinanderstossen aehneln die sich schnellstens, im Gros wie im Kleinen, von letzterem wuesste ich persoenlich zu berichten, Kaempfen macht ja Spass ist aber
besser aufs Fussball Feld verbannt! Also Werder Bremen, vielleicht naechstes Jahr, dann...
@mikerol
Zustimmung in allen Punkten!
Es gibt übrigens eine Stelle in dem Buch, die in Richtung Ersatzkriege geht. Im Juli 1935 veröffentlicht der Schriftsteller Leo Rosten einen Artikel in »Harper’s Magazine« mit dem Titel »Men Like War« – »Menschen mögen Krieg«. Der Artikel ist leider nicht kostenlos online. Neben den »gängigen« Kriegsvermeidungstechniken wie Abbau der Armut in der Welt skizziert Rosten wohl auch, dass man überragende Alternativen für Krieg anbieten sollte, wie beispielsweise Fussball, Boxen, die Olympischen Spiele... kurz: Austragungsorte für Konfrontationen, in denen man sich in kollektivem Triumphgefühl begegnen könnte, ohne dass Millionen Menschen sterben müssten. So falsch ist die Idee nicht!
Die »Kaufman-Legende?«
Die »Massensterilisation aller Deutschen« ist die Kernaussage der Anfang 1941 in einer von Theodore Newman Kaufman verfassten und im vor ihm selbst gegründeten Verlag »Argyle Press« herausgegebenen Buch »Germany must perish!«. Es gibt meines Wissens keine Hinweise darauf, dass Kaufman später Roosevelt-Berater wurde, es ist jedoch bekannt, dass in der NS-Propaganda behauptet wurde, es gäbe einen auf der Buch beruhenden »Kaufman-Plan« der US-Regierung und ferner, dass Kaufman ein Berater Roosevelts gewesen wäre.
Ich halte die Angaben in der (englischsprachigen) Wikipedia zu Germany Must Perish! für glaubwürdig – und, bis auf einige Details, auch den deutsche Wikipedia-Artikel, der einige Aspekte anders beleuchtet: Kaufman-Plan.
Interessant ist auch die Rezension von »Germany must perish!« im »Time«-Magazine von 24. März 1941: A Modest Proposal.
Für lesenswert halte ich diese Einschätzung aus »antideutscher« linker Sicht: Germany must perish.
Wenn Baker die Kaufman-Lüge der NS-Propaganda auch nur halbwegs ernst nimmt (das gilt auch für Distanzierungen bis zum »Soll angeblich«), und dabei unterschlägt, dass das Buch ein gefundenes Fressen für Goebbels Giftküche war, dann würde das ein sehr schlechtes Licht auf sein Buch werfen.
MartinM
Baker schreibt im entsprechenden Passus, dass Kaufman von Goebbels zu einem Mitglied von Roosevelts Braintrust...aufgebläht wurde (Seite 332) und schildert durchaus, wie dies von den Nationalsozialisten propagandistisch aufbereitet wurde.
Der deutsche Wikipedia-Artikel gibt das wieder, was im Buch angedeutet wird. Ich kann in einer solchen Besprechung nicht alle Teilaspekte ausleuchten. Das Kaufman Berater von FDR wurde, hatte ich ein bisschen forsch geschlossen. Das geht aber aus dem Buch nicht hervor (wird auch nicht suggeriert). Die entsprechende Bemerkung werde ich verändern.
Noch eine Bemerkung, und zwar zum Luftkrieg
der ja tief ins Gewissen und Bewusstsein der Kinder dieser Zeit gesunken sind.
Bei Handke heissen die Bomber »Hornissen« wahrscheinlich des Brummen halbers und ihrer toedlichen Gefaehrlichkeit.
Es muss auch im Fruehjahr 1940 gewesen sein als die Britischen Bomber zum ersten mal bei Bremen anfingen ihre Last abzuladen, und zwar noerdlich, da Bremen mit grossen, einige hundert Meter hochsegelnden an scharfen Draht angehaengten Helium Zeppelin-Ballon geschuetzt war und auch die andere Luftabwehr schon bestand!
Also die Blumen bluehten schon, und die Rosenbeete ums schoene, villa-artige, bisschen schon wie Bauernhaeusern in der Umgegend mit Schilf Dach aber Terrasse.... die Staelle waren anderswo...
... und fuer mich eines Morgens nach einer Schreckensnacht
da Bomben so hunder Meter weit weg in Fichtenwald eingeschlagen waren ich aufgeschreckt in Traum sahen die Fensterscherben in den Blumenbeeten wie Traenen aus...
Die Schaeferhuendin Mara erdrosselte sich an den Draehten in ihrem Zwinger...
Ich ging die Trichter besuchen, weit weg fuer ein vierjaehriges Kind, grosse breite Loecher in gelbigen Lehm...zerrissene Wurzeln in dem Fichtenwald....
Das wurde dann die Deckerinnerung fuer die Austossung aus dem Kindsheit Paradies da ich dann auf Reisen geschickt wurde und erst zurueckkam als es nicht mehr so gefaehrlich war Ende 43 noerdlich von Bremen zu leben... und einer der Trichter wurde dann von mir
zum zweiten Eingang zu »der Hoehle« ausgebuddelt, der erste Eingang war das Loch im steilen Abhang der der Reitbahn, der zu einem Fuchsbau fuehrte... Mein Leben als Fuchs mit Kousin und Kousinen, ziemlich Katz und Mausartig dass dann in Herbst 1944 anfing als ein Haufen von Kousins and Kousinen aus dem Osten angetrudelt kamen... Eine Deckerinnerung ist ein Konzentrat das sich aufloesen laesst...
Es gab ja auch den Morgenthau Plan fuer ein besiegtes Deutschland
ein ewig pastorales wo die Deutschen nur Rinder hueten und so...
gar keine schlechte Idee aus jetziger oekologischer Sicht! Wie kriegerisch und ausrottend die Amerikanische Gesellschaft zu Zeiten benommen hat, wird bei solchen »praktischen« »Ideen« unterdrueckt, oder man denkt nicht dran, oder man »denkt« eigentlich ueberhaupt nicht...
Morgenthau / Marschall
Ich glaube nicht, dass der Morgenthau-Plan ernsthaft erwogen wurde, obwohl er angeblich 1944 in abgemilderter Form beschlossen wurde. In diesen Zeiten wurde aber viel beschlossen, was später nicht umgesetzt wurde. Nach dem Krieg zeichnete sich die Konstellation des Kalten Krieges schon sehr früh ab, da wurde Deutschland alleine schon als geostrategisches Gebiet gebraucht (vom ökonomischen mal ganz angesehen). Da war der Marshallplan in vieler Hinsicht die wesentlich klügere Politik.
Es gibt übrigens ein Buch des österreichischen Schriftstllers Christoph Ransmayr (»Morbus Kitahara«), welches in einem Deutschland nach den Gesetzen des Morgenthau-Plans spielt. Ich nehme es mir immer wieder vor zu lesen, hab’s aber bis heute nicht geschafft (Ransmayer ist generell ein sehr lesenswerter, aber ziemlich kryptischer Autor).
Morgenthau – der war schon schlau
(Beliebter Slogan der »Antideutschen«, die zwar eine Menge Unsinn vor sich gaben, aber Henry Morgenthau und seinen Plan – vielleicht unbeabsichtigt, da es ihnen wohl um das Lob der »Deutschenfressers« gingt – m. E. richtig einschätzten.)
Der langjährige Finanzminister Morgenthau war vor und während des Krieges einer der aktivsten Antifaschisten in der US-Regierung. Er setzte sich, meines Wissens als einziger US-Minister, aktiv für die Rettung der europäischen Juden ein, oft gegen die politische Linie der Militärs, die den Eindruck vermeiden wollten, der Krieg würde für die Juden geführt werden.
Morgenthau stand unter dem Eindruck, sowohl die in den USA für die Deutschlandpolitik zuständigen Stellen als auch die maßgeblichen britischen Politiker verfolgten eine zu wenig harte Linie. Meines Erachtens trifft dieser Eindruck zu, die Planer im britischen Außenministerium und die »Internationalisten« innerhalb der US-Regierung, die einerseits strikt antisowjetische gesonnen waren, anderseits das wirtschaftliche Potenzial Deutschlands für »den Westen« nutzbar machen wollten – auch um den Preis der Zusammenarbeit mit Naziverbrechern. (Die Politik des CIA gegenüber der »nützlichen Nazis« z. B. aus der nazideutschen »Abwehr« und sogar aus dem S. D. ist ein Bespiel für das Fortwirken dieser »realistischen« Linie.)
Der Morgenthau-Plan enthielt, in der jeweils radikalsten Form, alle Vorschläge und Maßnahmen, die in der Kriegszieldebatte der Alliierten zur Frage »Was machen wir mit den Deutschen?« schon vorgeschlagen wurden. Morgenthaus Vorschläge sollten die gemäßigten, von den »Internationalisten« beeinflussten, Deutschlandpläne des alliierten Oberkommandos unter Eisenhower, der interalliierten European Advisory Commission und der Fachressorts in Washington und London korrigieren.
Morgenthau wusste, aus Angaben seinen Ministerium, in welch großen Umfang die Interessen US-amerikanischen und britischen Konzerne auf beiden Seite der Front miteinander verflochten waren. (Z. B. verdiente General Motors sowohl an der Rüstung der Allierten wie über die deutsche Tochter Opel an der nazideutschen Kriegsmaschinerie.) Es bestand die Gefahr (die dann ja auch z. T. eingetreten ist), dass deutschen Unternehmen, die als Steigbügelhalter und Profiteure des Vernichtungskriegs und der größten Raubmordes der Menschheitsgeschichte einen großen Teil ihres »Blutgeldes« auf ihnen verbundene ausländische Unternehmen transferierten und so über den »Zusammenbruch« retten konnten – und womöglich zu einer Wiederaufrüstung Deutschlands nutzen konnten.
Für Morgenthaus Handeln war das Wissen um die Ermordung der europäischen Juden entscheidend. Das hatte für ihn Vorrang vor allen strategischen und ökonomischen Interessen, und auch vor seiner eigenen Karriere und seinem Ansehen in der Öffentlichkeit. Ein »harter Frieden« gegenüber Deutschland war in der US-Bevölkerung nicht populär. Es sollte eher ein »schneller« Frieden sein, der sich außerdem ökonomisch »lohnen« sollte – beides war im Morgenthau-Plan ausdrücklich nicht vorgesehen, weshalb der Plan vom (wahlkämpfenden) Rosevelt auch still und heimlich begraben wurde.
Morgenthau war nicht nur Moralist, der auf eine Bestrafung aller Naziverbrecher – einschließlich jener, die als »Mitläufer« zur Stabilisierung der NS-Diktatur beitrugen – Wert legte, er dachte, als Wirtschaftsfachmann, dass es auf die ökonomischen und politischen Strukturen eines Gemeinwesens ankam. Und die ökonomischen und politischen Strukturen Deutschland waren brandgefährlich. Das steht meiner Ansicht nach hinter seiner Auffassung, Hitlers Expansionspolitik stehe in der Kontinuität eines aggressiven deutschen Nationalcharakters. Natürlich war Morgenthau kein »Gutmensch« oder strahlender Antifaschist ohne Fehl und Tadel – er hatte z. B. Vorurteile gegen »Preußen«, die historisch nicht gerechtfertigt sind, er war außerdem Agrarromantiker, der davon ausging, dass der »Weg zurück zur Scholle« eine Gesellschaft »gesunden« ließe. In der (abgeschwächten) Form, in der der Morgenthau-Plan letztlich diskutiert wurde, war nur noch von einer Bodereform zugunsten kleinerer und mittlerer landwirtschaftlicher Betriebe, nicht jedoch die Rückverwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat die Rede. (Morgenthaus Satz »(this plan) is looking forward to converting Germany into a country primarily agricultural and pastoral in its character« mag seinen agrarromantischen und ökonomisch konservativen Vorstellungen geschuldet sein, aber tatsächlich war die Konsumgüterindustrie Vorkriegsdeutschland im Vergleich etwa zu Frankreich, Großbritannien und erst recht den USA so unterentwickelt, dass das Ende der »Kriegsindustrie« tatsächlich ein weitgehend deindustrialisiertes Land zurückgelassen hätte.)
Zentral blieb die völlige Entwaffnung der Streitkräfte und die
Zerschlagung der Schwerindustrie, um Deutschland als potentiellen Aggressor ein für allemal unschädlich zu machen. Hingegen sollte mittelfristig eine exportorientierte mittelständischen Konsumgüterindustrie gefördert werden. Vorerst sollte der Lebensstandard der deutschen Bevölkerung reduziert werden – auch vor den Hintergrund, dass es den »Schuldigen« nach dem Krieg nicht besser gehen soll, als den Opfern.
Auch wenn der »Morgenthau-Plan« nie offiziell Richtschnur des (west-)allierten Handels in Deutschland gewesen ist, hat er meiner Ansicht nach die unmittelbare Nachkriegspolitik beeinflusst und zwar in (auch für die Deutschen) positiver Weise. Nach Angeben der englisprachigen Wikipedia (und im interessanten Widerspruch zur deutschen Wikipedia) lebten Vorstellungen Morgenthaus in der Doktrin für die US-amerikanischen Besatzungstruppen JCS (Joint Chiefs of Staff) 1057 fort. Allerdings trägt diese Doktrin, von der Lewis Douglas, Berater des US High Commissioner, mit einigem Recht sagte: »This thing was assembled by economic idiots. It makes no sense to forbid the most skilled workers in Europe from producing as much as they can in a continent that is desperately short of everything« nicht gerade die Handschrift eines ausgewiesenen Wirtschaftsexperten wie Henry Morgenthau – dass z. B. die Holzexporte aus der amerikanische Zone einen Umfang erreichen sollten, der auf längere Sicht zur völligen Entwaldung geführt hätte, und angeblich allen Ernstes der »ultimate destruction of the war potential of German forests« dienen sollte, war bestimmt nicht im Sinne des Agrarromantikers.
Meiner Ansicht ist die Doktrin JCS 1057 Ausdruck eines »geistigen Kriegsschadens« im Denken vieler US-Militärs, die (unbewusst) eine »Nazi-Denke« angenommen hatten.
MMarheinecke danke fuer die ausfuehrliche Beschreibung
des Morgenthau Plans. Da ich ab Mai 1945 ein sogenanntes »Pet« der OSS in Bremen einige Jahre lang war [da beide Eltern im Wiederstand gewesen waren fielen wir unter den Schutz dieser
interressanten Party-freudigen Burschen] kann ich nicht sagen, dass ich unter irgendwelchen Ueberbleibseln dieses Plans gelitten habe.
„Wer dieses Buch »gefährlich« nennt und behauptet, eine solch journalistisch-literarisches Thesenwerk liefere unverbesserlichen Pazifisten oder rechtsradikalen Dummköpfen (nur) billiges Material...“, hat bis auf das „nur“ gar nicht so unrecht, aber das kann ja wohl nicht bedeuten, dass unbequeme Fakten nicht benannt werden sollten. Gegen ideologische Verbohrtheit und Neonazidumpfbacken ist sowieso kein Kraut gewachsen. Wiedereinmal eine großartige Rezension, die Lust auf’s Buch macht.
@blackconti
Meine Formulierung war eine Anspielung auf die Aussagen des Wohlstandsjüngelchens Daniel Kehlmann, der sich anmaßte ein in diese Richtung gehendes Diktum auszusprechen.
Mich wundert immer: Einerseits soll der mündige Bürger über Atomstrom, Verfassungsverträge und Kriegseintritte in Form von Referenden abstimmen andererseits gibt es selbsternannte »Verbraucherschützer« die meinen, die Leute seien zu blöd, ein solches Buch entsprechend einzuordnen.
Ich hatte Dich, glaube ich, schon richtig verstanden. Hinter der „besorgten“ Meinung über die „Gefährlichkeit“ steckt, natürlich unausgesprochen, der Gedanke an Zensur oder zumindest Selbstzensur und das ist einfach unakzeptabel. Dass irgendwelche Naziidioten zur Unterstützung ihres verquasten Weltbildes so ein Kompendium nach „Stellen“ durchforsten, ist ziemlich sicher und unter diesem Aspekt ist auch die Bibel „gefährlich“.