Ni­chol­son Bak­er: Men­schen­rauch

Über­set­zung: Sa­bi­ne He­din­ger und Chri­stia­ne Berg­feld

Nicholson Baker: Menschenrauch

Ni­chol­son Bak­er: Men­schen­rauch

»Men­schen­rauch« von Ni­chol­son Bak­er ist ein küh­nes, ein wag­hal­si­ges, ein fürch­ter­li­ches, ein auf­rüt­teln­des, ein ge­schichts­klit­teri­sches – und ein er­hel­len­des Buch. Es ist der Ver­such, die Zeit zwi­schen 1919 und En­de 1941 aus ei­ner an­de­ren Sicht zu se­hen. Wo in­zwi­schen die Vo­ka­bel des Pa­ra­dig­men­wech­sels ein we­nig ver­braucht er­scheint – hier ist sie an­ge­bracht.

Ta­ge­buch­ähn­lich col­la­giert, zi­tiert und mon­tiert Bak­er aus Brie­fen, Ar­ti­keln, Auf­zeich­nun­gen, Bü­chern und Ver­laut­ba­run­gen von Po­li­ti­kern, Schrift­stel­lern, Jour­na­li­sten oder auch nur »ein­fa­chen« Bür­gern (vor­wie­gend aus dem an­gel­säch­si­schen Be­reich; aus Deutsch­land gibt es vor al­lem Aus­zü­ge aus den Ta­ge­bü­chern von Goeb­bels, Vic­tor Klem­pe­rer und Ul­rich von Has­sel). Der Er­ste Welt­krieg wird nur auf ganz we­ni­gen Sei­ten am An­fang ge­streift, die Jah­re 1920–1933 auf rund 30 Sei­ten. Der Zwei­te Welt­krieg be­ginnt auf Sei­te 152, das Jahr 1940 auf Sei­te 182 und 1941 auf Sei­te 306. Das Buch en­det am 31.12.1941 (Sei­te 518; da­nach gibt es ein sehr kur­zes Nach­wort und um­fang­rei­che Quel­len­nach­wei­se), al­so als die mei­sten Men­schen, die im Zwei­ten Welt­krieg starben…noch am Le­ben [wa­ren] wie Bak­er schreibt.

Der Ge­dan­ke, es han­de­le sich um et­was ana­log zu Kem­pow­skis »Echolot«-Projekt er­weist sich sehr bald als falsch. Bak­ers Zi­ta­te sind fast im­mer be­ar­bei­tet – und er wer­tet, wenn auch manch­mal nur un­ter­schwel­lig. Nur sel­ten wird das »rei­ne« Do­ku­ment zi­tiert. Manch­mal wer­den auch nur die je­wei­li­gen Zi­ta­te ge­gen- oder auf­ein­an­der be­zo­gen. Die­ser Stil ist sug­ge­stiv bis ins klein­ste De­tail. So er­folgt bei­spiels­wei­se kei­ne Da­tums­zei­le, son­dern es wird nar­ra­tiv mit ei­nem be­deu­tungs­vol­len »Es war der …« im Text agiert. Pein­lich ge­nau ach­tet Bak­er dar­auf, dass al­les be­legt ist; er be­nutz­te aus­schließ­lich öf­fent­li­che Quel­len bzw. Ar­chi­ve. Et­li­ches ist auch im Netz nach­schlag­bar (nicht im­mer ko­sten­frei). Neu­es bie­tet Bak­er dem­zu­fol­ge nicht (die Ge­schich­te muss auch nicht neu ge­schrie­ben wer­den, aber da­zu spä­ter); er ver­schiebt nur die Blick­rich­tung.

»War es ein gu­ter Krieg?«

Bak­er dürf­te sein Buch wohl nicht als Ex­pe­ri­ment se­hen; im Nach­wort wird deut­lich, wor­in sei­ne In­ten­ti­on liegt: War es ein »gu­ter Krieg«? Hat er ir­gend­ei­nem Men­schen ge­hol­fen, der Hil­fe brauch­te? Die Fra­gen kom­men dem Le­ser be­kannt vor: Sie sind als Im­pe­ra­ti­ve for­mu­liert die pro­pa­gan­di­sti­schen Be­grün­dungs­me­ta­phern mit de­nen kriegs­mü­den Mit­tel­eu­ro­pä­ern re­gel­mä­ßig die »In­ter­ven­tio­nen« der »Völ­ker­ge­mein­schaft« kru­den Dik­ta­to­ren ge­gen­über (die man vor­her jahr­zehn­te­lang als Han­dels­part­ner schätz­te und po­li­tisch ge­wäh­ren ließ) schmack­haft ge­macht wer­den sol­len. Na­he­zu al­le Krie­ge seit den 1950er Jah­ren wur­den mit den Ver­spre­chen, Men­schen zu hel­fen, ge­führt.

Nach dem En­de der Bi­po­la­ri­tät 1990 hat die Be­reit­schaft des »We­stens«, den »gu­ten Krieg« zu füh­ren, mas­siv zu­ge­nom­men: Ku­wait 1990/91; Jugoslawien/Kosovo 1999, Af­gha­ni­stan 2001, Irak (bzw. gleich der gan­zen Welt) 2003. Mei­stens muss ei­ne »hu­ma­ni­tä­re Ka­ta­stro­phe« ver­hin­dert wer­den (die man non­cha­lant in Afri­ka »über­sieht«, als dort wirk­lich Hun­dert­tau­sen­de er­mor­det wer­den). Da­her wird ein Krieg ge­führt, der als im wört­li­chen Sin­ne blut­lee­res Vi­deo­spiel in­sze­niert und ze­le­briert wird und Jour­na­li­sten wie Tou­ri­sten zu den Schlacht­fel­dern führt. Jeg­li­che kri­ti­sche Be­richt­erstat­tung wird so­mit un­mög­lich ge­macht; die Kon­trol­le ist per­fekt. Im Vor­feld wird die Al­ter­na­tiv­lo­sig­keit die­ses Vor­ge­hens her­aus­ge­stellt; die Zu­stim­mungs­ra­ten sind durch ent­spre­chen­de me­dia­le Ein­sät­ze kurz vor dem Ge­walt­aus­bruch auch ent­spre­chend (Aus­nah­me viel­leicht nur 2003). Die hart­näcki­gen Kriegs­geg­ner wer­den noch flugs als Sym­pa­thi­san­ten des Dä­mons de­nun­ziert, da­mit man sich nicht mehr län­ger mit ih­ren Ar­gu­men­ten aus­ein­an­der­set­zen muss.

»Men­schen­rauch« lässt nun die Kriegs­geg­ner und Pa­zi­fi­sten der 1930er/40er Jah­re nicht nur zu Wort kom­men, son­dern er­greift de­zi­diert Par­tei für sie. In dem nicht per se die Ak­tio­nen der Al­li­ier­ten ei­nem schein­bar über­ge­ord­ne­ten Zweck un­ter­ge­ord­net wer­den, de­ren Kriegs­füh­rung be­fragt und die Pro­vo­ka­ti­ons- und Es­ka­la­ti­ons­tech­ni­ken ei­nes Win­s­ton Chur­chill und Frank­lin Roo­se­velt auf­ge­zeigt wer­den, be­geht Bak­er ei­nen Ta­bu­bruch. Er ver­stößt ge­gen den un­aus­ge­spro­che­nen und all­seits ak­zep­tier­ten Kon­sens, wel­cher dem Sie­ger des Krie­ges die Glo­ri­fi­zie­rung der ei­ge­nen Ta­ten nicht nur ge­stat­tet son­dern die­se im (hi­sto­ri­schen) Dis­kurs ka­no­ni­sie­ren darf.

Deutsch­land kennt die Dis­kus­si­on: Luft­krieg und Li­te­ra­tur

Es ist noch nicht lan­ge her, als W. G. Se­bald 1997 im Rah­men ei­ner Poe­tik­vor­le­sung über »Luft­krieg und Li­te­ra­tur« von der Ta­bui­sie­rung des Bom­ben­kriegs in der deut­schen Li­te­ra­tur (und so­mit auch ge­ne­rell im hi­sto­ri­schen Dis­kurs) sprach. »Der wah­re Zu­stand der ma­te­ri­el­len und mo­ra­li­schen Ver­nich­tung in wel­chem das gan­ze Land sich be­fand«, so Se­bald 1997, »durf­te auf­grund ei­ner still­schwei­gend ein­ge­gan­ge­nen und für al­le glei­cher­ma­ßen gül­ti­gen Ver­ein­ba­rung nicht be­schrie­ben wer­den. Die fin­ste­ren Aspek­te des von der weit­aus über­wie­gen­den Mehr­heit der deut­schen Be­völ­ke­rung mit­er­leb­ten Schluß­akts der Zer­stö­rung blie­ben so ein schand­ba­res, mit ei­ner Art Ta­bu be­haf­te­tes Fa­mi­li­en­ge­heim­nis.«

Zwar gab es durch­aus li­te­ra­ri­sche Ver­su­che, sich die­sem The­ma zu nä­hern (bei­spiels­wei­se Hans Erich Nossack; Gert Le­dig, ins­be­son­de­re in sei­nem Mei­ster­werk »Ver­gel­tung«; Alex­an­der Klu­ge; in Gren­zen auch Die­ter For­te) – aber sie dran­gen bis weit in die 1990er Jah­re nicht zu ei­nem grö­ße­ren Pu­bli­kum durch, weil es nicht op­por­tun war, Deut­sche im Zu­sam­men­hang mit dem Zwei­ten Welt­krieg auch als Lei­den­de dar­zu­stel­len. Zu schnell haf­te­te dem Au­tor das Eti­kett des Re­van­chis­mus an. Erst als der in die­ser Hin­sicht völ­lig un­ver­däch­ti­ge Gün­ter Grass im Jahr 2002 mit sei­ner No­vel­le »Im Krebs­gang« die Ver­sen­kung des Schif­fes »Wil­helm Gustl­off« (durch ein so­wje­ti­sches U‑Boot) und da­mit den Tod von rund 9.000 Zi­vi­li­sten the­ma­ti­sier­te, ver­än­der­te sich die ab­wei­sen­de Hal­tung teil­wei­se und die Kri­ti­ker »ent­deck­ten« plötz­lich jahr­zehn­te­al­te Bü­cher, die sie aus op­por­tu­ni­sti­schen Grün­den in den Gift­schrank ein­ge­sperrt hat­ten.

So ka­men mit ei­ni­ger Ver­spä­tung groß­ar­ti­ge li­te­ra­ri­sche Wer­ke end­lich in den Fo­kus der Öf­fent­lich­keit. Grund­vor­aus­set­zung da­bei war al­ler­dings, dass die Aus­ein­an­der­set­zung bei­spiels­wei­se mit dem Bom­ben­krieg auf ei­ne rein li­te­ra­risch-äs­the­ti­sche Wei­se statt­fand (die na­tür­lich frei von je­dem Op­fer­he­ro­is­mus zu sein hat­te). Vom Vor­wurf des Ge­schichts­re­vi­sio­nis­mus wur­de man nur be­freit, wenn sich in der Li­te­ra­tur kei­ner­lei Hin­weis auf ei­nen auch nur an­ge­deu­te­ten hi­sto­ri­schen Re­kurs des Er­eig­nis­ses be­fand. An der Tat­sa­che der ur­sprüng­li­chen »Schuld« für die Sze­na­ri­en durf­te kein Zwei­fel ar­ti­ku­liert wer­den. Das Di­lem­ma stei­ger­te sich noch, als die rechts­extre­me NPD im säch­si­schen Land­tag 2005 in Be­zug auf den 60. Jah­res­tag der Bom­bar­die­rung Dres­dens vom »Bom­ben­ho­lo­caust« schwa­dro­nier­te und das The­ma ver­such­te für ih­re neo­na­zi­sti­sche Pro­pa­gan­da zu ver­ein­nah­men. Je­de Be­fra­gung der Not­wen­dig­keit des Bom­ben­krie­ges durch die Al­li­ier­ten (bzw. der Ef­fi­zi­enz von Bom­ben­an­grif­fen ge­ne­rell) hat heu­te noch ei­nen ne­ga­ti­ven Haut­gout und gilt als re­ak­tio­när. (Bei Mi­li­tärs ist dies na­tür­lich nicht der Fall. Sie se­hen Luft­bom­bar­de­ments schon lan­ge am­bi­va­lent.)

»Ab­la­ge. Nicht be­ar­bei­ten FDR«

Mit die­sem Hin­ter­grund ist die hef­ti­ge Ab­leh­nung von Ni­chol­son Bak­ers Buch in Deutsch­land fast vor­pro­gram­miert. Zwar lässt Bak­er in aus­ge­wähl­ten Pas­sa­gen von Zeit­zeu­gen kei­nen Zwei­fel an Hit­lers Wahn­sinn. Da­ne­ben gibt es zwei Stel­len die über die An­fän­ge von Ausch­witz be­rich­ten. Auch der Ti­tel des Bu­ches (»Men­schen­rauch«) ist nicht be­lie­big ge­wählt (wie Bak­er im Nach­wort er­wähnt). Aus­gie­big zeigt er, wie die Ap­pel­le jü­di­scher Emi­gran­ten und Or­ga­ni­sa­tio­nen ins­be­son­de­re an Roo­se­velt, mehr Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men und die Vi­sa­an­trä­ge zü­gi­ger zu be­ar­bei­ten, igno­riert wur­den und statt­des­sen ab­stru­se neue »Auf­ent­halts­or­te« für jü­di­sche Emi­gran­ten dis­ku­tiert wur­den (Ma­da­gas­kar, Tan­gan­ji­ka, Do­mi­ni­ka­ni­sche Re­pu­blik). Zu lan­ge woll­te man den un­ge­heu­er­li­chen Zi­vi­li­sa­ti­ons­bruch, der sich früh ab­zeich­ne­te, nicht wahr­ha­ben. Auf ei­ne An­fra­ge zum Ge­set­zes­ent­wurf zur Auf­nah­me von Flücht­lings­kin­dern im Ju­ni 1939 ver­merk­te Roo­se­velt »Ab­la­ge. Nicht be­ar­bei­ten FDR«.

Ob dies nun ei­ner noch in den 1920/30er-Jah­ren auch im an­gel­säch­si­schen Raum ver­brei­te­ten an­ti­se­mi­ti­schen bzw. an­ti­zio­ni­sti­schen Stim­mung ge­schul­det war (Bak­er hat ei­ne ent­spre­chen­de Äu­ße­rung von Ele­a­n­or Roo­se­velt ent­deckt und auch Frank­lin Roo­se­velt stör­te sich 1932 am re­la­tiv ho­hen An­teil jü­di­scher Erst­se­me­ster­stu­den­ten an ame­ri­ka­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten von mehr als 30% und woll­te die­se Quo­te mit­tel­fri­stig auf 15% sen­ken) oder schlicht­weg ei­ner fa­ta­le Fehl­ein­schät­zung der tat­säch­li­chen La­ge ent­sprang – Bak­er zeigt die­se »un­ter­las­se­ne Hil­fe­lei­stung«, die man wohl als Schan­de be­zeich­nen muss.

Deut­lich wird aber auch: Hit­ler galt bis weit in die 1930er Jah­re hin­ein für vie­le ame­ri­ka­ni­sche und bri­ti­sche Po­li­ti­ker als das ge­rin­ge der bei­den Übel; man ge­stand Na­zi-Deutsch­land die Rol­le des Boll­werks ge­gen den als we­sent­lich be­droh­li­cher emp­fun­de­nen Kom­mu­nis­mus zu und ver­harm­lo­ste die Ex­zes­se, die sich bei­spiels­wei­se in der Reichs­po­grom­nacht zeig­ten.

Bak­er reißt aber noch mehr Wun­den auf: Er the­ma­ti­siert die bri­ti­sche Ko­lo­ni­al­po­li­tik und de­ren Ex­zes­se. Par­al­lel da­zu be­setz­te Roo­se­velt ei­ne pa­zi­fi­sche In­sel nach der an­de­ren und er­rich­te­te so­mit ein Droh­sze­na­rio ge­gen Ja­pan (dem der Ku­ba-Kri­se von 1962 ähn­lich). Es wird im wei­te­ren Ver­lauf des Bu­ches sug­ge­riert, als wä­re der ja­pa­ni­sche An­griff auf Pearl Har­bor nicht nur will­kom­me­ner An­lass für den Kriegs­ein­tritt der USA ge­we­sen (Roo­se­velt hat­te den Wahl­kampf mit dem Ver­spre­chen der Neu­tra­li­tät der USA be­strit­ten), son­dern ge­ra­de­zu pro­vo­ziert wor­den (und na­tür­lich greift Bak­er die Quel­len auf, die be­haup­ten, man ha­be hier­von recht­zei­tig ge­wusst).

Chur­chills Mi­li­ta­ris­mus und Gan­dhis Op­fer­rhe­to­rik

Bak­er zeigt, wie die USA Chi­na ge­gen Ja­pan be­reits in den 20er Jah­ren un­ter­stütz­ten und auf­rü­ste­ten und do­ku­men­tiert, dass gro­ße Tei­le des »New Deal«-Programms Roo­se­velts ein ge­wal­ti­ges Auf­rü­stungs­pro­gramm dar­stell­te. Er il­lu­striert die Dop­pel­zün­gig­keit der Ab­rü­stungs­re­den Roo­se­velts, der welt­wei­te Ab­rü­stung bei ei­ge­ner Auf­rü­stung als Frie­dens­si­che­rung be­greift. In den USA wur­de die all­ge­mei­ne Wehr­pflicht ein­ge­führt und Pa­zi­fi­sten, die sich ver­wei­ger­ten, für min­de­stens ein Jahr ins Ge­fäng­nis ge­steckt.

Da­zwi­schen gibt es im­mer wie­der Re­de­pro­to­kol­le, Brie­fe und Ar­ti­kel von Ma­hat­ma Gan­dhi, der der Ge­walt­spi­ra­le mit Ge­walt­lo­sig­keit be­geg­ne­te und da­bei in ei­ne heu­te merk­wür­dig an­mu­ten­de Op­fer­rhe­to­rik ver­fiel: »Ich weiß, dass es not­wen­dig sein kann, Hun­der­te wenn nicht gar Tau­sen­de zu op­fern, um den Hun­ger von Dik­ta­tu­ren zu stil­len.« Die Pra­xis der Ge­walt­lo­sig­keit – as­him­sa – sei am wirk­sam­sten an­ge­sichts schreck­li­cher Ge­walt, schrieb Gan­dhi, »auch wenn die Op­fer nicht mehr er­le­ben, wo­für sie ge­lit­ten ha­ben.«. Und auch im Ok­to­ber 1941 – Ja­pan hat­te Pearl Har­bor an­ge­grif­fen und das na­tio­nal­so­zia­li­sti­sche Deutsch­land ei­ni­ge Mo­na­te vor­her die So­wjet­uni­on über­fal­len – mein­te Gan­dhi das Prin­zip der Ge­walt­lo­sig­keit, selbst wenn es mit der Ge­fahr ver­bun­den sei, ein­ge­ker­kert, dem Ver­hun­gern preis­ge­ge­ben oder ge­tö­tet zu wer­den sei die ein­zig rich­ti­ge Ant­wort. Und dann die Sät­ze, die kon­sti­tu­ie­rend für Bak­ers »Menschenrauch«-Buch sind, aus dem Mund von Gan­dhi: »Hit­le­ris­mus und Chur­chil­lis­mus sind im Grun­de das­sel­be; sie un­ter­schei­den sich nur gra­du­ell.«

Der ei­gent­li­che Schwer­punkt die­ses Bu­ches liegt in der Ab­ar­bei­tung Bak­ers am Po­li­ti­ker und Kriegs­her­ren, ja an der Per­son von Win­s­ton Chur­chill. Hier zeigt sich ei­ne Ob­ses­si­on: Er will den Nim­bus Chur­chill, den des »gu­ten« Kriegs­her­ren, der ge­gen das »bö­se« Na­zi­deutsch­land re­üs­sier­te ent­my­tho­lo­gi­sie­ren und de­kon­stru­ie­ren. War doch gän­gi­ger Kon­sens, dass ge­gen den mas­sen­mör­de­ri­schen NS-Staat fast al­le Mit­tel Recht wa­ren. Ge­nau das be­strei­tet Bak­er. Da­bei geht er be­wusst das Ri­si­ko der Ein­sei­tig­keit, der Über­zeich­nung und – lei­der – an ei­ni­gen Stel­len auch der Ma­ni­pu­la­ti­on ein.

Ge­zeigt wird ein hoch in­tel­li­gen­ter und wort­ge­wand­ter, aber ex­trem bel­li­zi­sti­scher, ja bru­ta­ler Win­s­ton Chur­chill, ein Mi­li­ta­rist der ex­tre­men Schu­le, der ei­ne Blocka­de­po­li­tik als ge­recht­fer­tigt hin­stell­te, selbst wenn da­bei auch Frau­en und Kin­der ver­hun­ger­ten, so­fern sie zu ei­ner frü­he­ren sieg­rei­chen Be­en­di­gung des Krie­ges bei­tra­gen (Her­bert Hoo­ver, Au­gust 1940). Er in­iti­iert Straf­ak­tio­nen (d. h. Bom­bar­die­run­gen aus der Luft) in den 1920er Jah­ren im Irak, der Stadt Pes­ha­war oder ei­nem Dorf im Je­men und wet­tert ge­gen den Gan­dhi­is­mus, der un­nach­sich­tig be­kämpft und letzt­end­lich nie­der­ge­schmet­tert ge­hört (au­sser Re­pres­sio­nen fin­det er kei­ne Mit­tel). Bak­er zi­tiert aus ei­nem heu­te an­ti­se­mi­tisch er­schei­nen­den Ar­ti­kel Chur­chills von 1920 (»Zio­nism-ver­sus-Bol­sche­wism«), der vom »fin­ste­ren Bünd­nis« des in­ter­na­tio­na­len Ju­den­tums fa­selt, vor ei­ner jü­di­schen Ver­schwö­rung warnt und Ju­den­tum und Bol­sche­wis­mus als syn­ony­me Feind­bil­der sieht (oh­ne »ent­la­sten­des Ma­te­ri­al« für Chur­chill ein­zu­flech­ten), er­wähnt ein frü­hes Lob auf Mus­so­li­ni und zi­tiert aus Chur­chills Buch »Gro­ße Zeit­ge­nos­sen« (»Gre­at Con­tem­po­r­a­ri­es«) aus dem Jahr 1937, in dem er Hit­ler als hoch­kom­pe­ten­ten, küh­len, gut­in­for­mier­ten Funk­tio­när mit an­ge­neh­men Um­gangs­for­men be­schreibt (»Tho­se who have met Herr Hit­ler face to face have found a high­ly com­pe­tent, cool, well in­for­med func­tion­a­ry wi­th an agreeable man­ner, a di­s­ar­ming smi­les, and few have be­en un­af­fec­ted by a subt­le per­so­nal ma­gne­tism«).

Aus­ge­rech­net Bak­er wirft Chur­chill hier vor, dass er Hit­ler nicht dä­mo­ni­siert. Da­bei über­sieht er, dass die Hit­ler zu­ge­schrie­be­nen Ei­gen­schaf­ten in der ge­schil­der­ten Si­tua­ti­on sehr wohl stim­men konn­ten oh­ne dass da­mit über die Mo­ral des Po­li­ti­kers (und Men­schen) Hit­ler auch nur ein ein­zi­ges Wort ge­sagt ist. Und wenn dann aus ei­ner Rund­funk­an­spra­che Chur­chills im Sep­tem­ber 1940 zi­tiert wird, in der er Hit­ler ei­nen »niederträchtige[n] Mann« und »mon­strös« nennt, scheint das auch nicht recht zu sein.

Jung­brun­nen Krieg

Bak­er be­rich­tet im­mer wie­der von Chur­chills Be­gei­ste­rung für che­mi­sche Kampf­stof­fe, die wohl sehr aus­ge­prägt ge­we­sen sein muss (Mus­so­li­nis Ein­satz von Senf­gas in Äthio­pi­en in­spi­riert ihn ge­ra­de­zu). Er legt so­gar ei­nen Vor­rat mit Milz­brand-ver­seuch­ten Kek­sen an, die nach Be­darf ab­ge­wor­fen wer­den könn­ten (zum Ein­satz sind sie nie ge­kom­men). Der Krieg schien ein wah­rer Jung­brun­nen für den Bri­ten zu sein; stän­dig ent­wickelt er neue Ideen für Waf­fen, so bei­spiels­wei­se »Vi­si­ten­kar­ten­bom­ben«, spiel­kar­ten­gro­ße mit ei­nem Loch ver­se­he­ne Zel­lu­loid­kar­ten, von de­nen je­weils zwei mit ei­nem Stück Ga­ze zu­sam­men­ge­klebt wur­den. Das gan­ze wur­de mit feuch­tem wei­ßen Phos­phor be­stri­chen. Die Kar­ten wur­den feucht ab­ge­wor­fen. Wenn sie in der Son­ne trock­ne­ten, wur­de das Zel­lu­loid ris­sig. Dann ent­zün­de­ten sich die Plätt­chen. Chur­chill ließ die­se Brand­bom­ben un­ter an­de­rem über den Schwarz­wald und dem Harz ab­wer­fen.

Aber er be­ging auch gro­be tak­ti­sche wie auch stra­te­gi­sche Feh­ler mit fa­ta­len Fol­gen. Bei­spiels­wei­se die Vor­gän­ge um Nor­we­gen 1940 noch un­ter dem Pre­mier­mi­ni­ster Cham­ber­lain und der of­fe­ne Brief an den Ober­be­fehls­ha­ber der ju­go­sla­wi­schen Luft­waf­fe, Ge­ne­ral Du­san Si­mo­witsch, in dem er Si­mo­witsch er­mun­ter­te, lie­ber als Er­ster zu schie­ssen statt von den Deut­schen an­ge­grif­fen zu wer­den und Al­ba­ni­en zu über­fal­len und sich dort die »mas­sen­haft« vor­han­de­nen Waf­fen zu si­chern. Bak­er in­si­nu­iert, dass erst durch Chur­chills Ak­ti­vi­tä­ten um Nor­we­gen, Ju­go­sla­wi­en (und auch Grie­chen­land) Hit­ler »ge­zwun­gen« wur­de ein­zu­grei­fen und oh­ne Chur­chill die Län­der von der Ok­ku­pa­ti­on durch die Deut­schen hät­ten ver­schont wer­den kön­nen.

Bak­er wid­met sich Chur­chills Rhe­to­rik (die Deut­schen hie­ßen jetzt pau­schal Hun­nen) und kri­ti­siert die Gleich­för­mig­keit auch der Pres­se, die sich all­zu be­reit­wil­lig füg­te (dar­an hat sich bei ähn­li­chen Si­tua­tio­nen of­fen­sicht­lich bis heu­te nichts ge­än­dert). In Groß­bri­tan­ni­en wer­den feind­li­che Aus­län­der (ins­be­son­de­re Deut­sche – un­ter ih­nen vie­le Flücht­lin­ge) oh­ne ge­richt­li­ches Ver­fah­ren in­ter­niert. Stel­len­wei­se scheint Chur­chill ge­ra­de­zu mis­sio­na­risch den Krieg al­lei­ne für die »freie Welt« füh­ren zu wol­len und or­dert oh­ne Un­ter­lass die neue­sten Flug­zeu­ge und Mu­ni­ti­on von Roo­se­velt.

Auf schwie­ri­gem Ter­rain be­gibt sich Bak­er mit sei­nem Buch an zwei Punk­ten: Er sug­ge­riert durch aus­ge­such­te Tex­te, dass Hit­lers Frie­dens­an­ge­bo­te im Herbst/Winter 1939 (und so­gar teil­wei­se noch spä­ter) zu schnell ab­ge­lehnt wor­den sei­en und krei­det der bri­ti­schen Po­li­tik da­mit man­geln­des In­ter­es­se an ei­nem Frie­den an. Und in ei­nem sehr spe­zi­el­len Punkt stimmt Bak­er durch sei­ne Text­aus­wahl der The­se zu, dass nicht Hit­ler den Bom­ben­krieg mit Groß­bri­tan­ni­en be­gon­nen ha­be, son­dern die Roy­al Air Force mit ei­nem Bom­bar­de­ment auf Mön­chen­glad­bach am 11. Mai 1940, ei­nen Tag nach dem er von Cham­ber­lain (den er nicht sehr schätz­te) das Amt des Pre­mier­mi­ni­sters über­nahm. Bak­er er­weckt den Ein­druck, dass Chur­chill be­wusst die Flä­chen­bom­bar­de­ments deut­scher Bom­ber auf eng­li­sche Städ­te in Kauf ge­nom­men ha­be um nun sei­ner­seits oh­ne jeg­li­che Rück­sich­ten deut­sche Zie­le bom­bar­die­ren zu kön­nen und gleich­zei­tig die USA in den Krieg zu zie­hen. (Wie »ne­ben­bei« wird aus Quel­len zi­tiert, die an­zei­gen, dass die bri­ti­sche Ab­wehr die Eva­ku­ie­rung Co­ven­trys am 14. No­vem­ber 1940 nicht vor­ge­nom­men ha­be, ob­wohl man meh­re­re Stun­den vor­her vom deut­schen An­griff und des­sen Ziel wuss­te.)

Die Il­lu­si­on der »Frie­dens­an­ge­bo­te«

Bei­de The­sen ste­hen auf wack­li­gem Fun­da­ment und zei­gen die Gren­zen des Ver­fah­rens, wel­ches Ni­chol­son Bak­er hier an­wen­det. Tat­säch­lich muss der Le­ser, der die ge­nau­en hi­sto­ri­schen Ab­läu­fe nicht ge­nau kennt glau­ben, dass auch nach Hit­lers Über­fall auf Po­len noch ei­ne Chan­ce auf ei­ne Ei­ni­gung mit dem na­tio­nal­so­zia­li­sti­schen Deutsch­land mög­lich ge­we­sen wä­re. Aber wie hät­te man mit ei­nem der­art grö­ßen­wahn­sin­ni­gen Dik­ta­tor wie Hit­ler ei­nen dau­er­haf­ten Frie­den schlie­ßen kön­nen? Was Bak­er aus­lässt sind die vor­her be­reits durch Hit­ler be­gan­ge­nen zahl­rei­chen Ver­trags­brü­che, an­ge­fan­gen vom Ein­marsch in das ent­mi­li­ta­ri­sier­te Rhein­land 1936 (oh­ne durch­grei­fen­de Re­ak­ti­on der Ver­sailler Sie­ger­mäch­te), dem »An­schluss« Öster­reichs 1938 (es gab nur di­plo­ma­ti­sche Pro­test­no­ten) und die wi­der­recht­li­che Be­set­zung der »Rest-Tsche­chei« im Jahr 1939.

All die­se Er­eig­nis­se fin­den in Bak­ers Text­samm­lung kei­nen Nie­der­schlag; die Ver­hand­lun­gen um die Su­de­ten­kri­se 1938 (mit dem »Mün­che­ner Ab­kom­men« als Er­geb­nis) wer­den nur in ei­nem Ein­trag kurz er­wähnt. Kennt Bak­er die­se Vor­ge­schich­te nicht? An ei­ni­gen we­ni­gen Punk­ten glaubt man zu be­mer­ken, dass er was den deut­schen Na­tio­nal­so­zia­lis­mus an­geht, nicht ganz auf der Hö­he ist (et­wa, wenn un­wi­der­spro­chen die Fa­ma wie­der­ge­ge­ben wird, dass Ru­dolf Heß in Lands­berg Hit­lers »Mein Kampf« dik­tiert be­kom­men ha­be). Den­noch kaum zu glau­ben, dass Bak­er die­se es­sen­ti­el­len Ver­stö­ße ge­gen den Ver­sailler Ver­trag, die al­le­samt un­sank­tio­niert blie­ben, nicht kennt.

Es wird für mög­lich er­ach­tet, dass Hit­ler auch noch 1940 »zu bän­di­gen« ge­we­sen sei, wenn man nur von bri­ti­scher (und ame­ri­ka­ni­scher) Sei­te ge­wollt hät­te. Das ist in An­be­tracht der lang­fri­sti­gen »Stra­te­gie« des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus schlicht­weg dumm. Da­bei ist den im Buch zu Wort kom­men­den Pa­zi­fi­sten der 30er und 40er Jah­re we­ni­ger ein Vor­wurf zu ma­chen als dem Col­la­ge­ur des 21. Jahr­hun­derts, der in gran­dio­ser Ver­ken­nung der be­reits da­mals vor­lie­gen­den Tat­sa­chen glaubt, der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus hät­te sich ir­gend­wie in ei­ne eu­ro­päi­sche Ge­biets­auf­tei­lung ein­bin­den las­sen. Bak­er ver­nach­läs­sigt die tat­säch­li­che In­ten­ti­on Hit­lers für die­se so­ge­nann­ten Frie­dens­ak­ti­vi­tä­ten: Er woll­te an der West­flan­ke Ru­he ha­ben, um sich voll­stän­dig auf den Er­obe­rungs- und Ver­nich­tungs­krieg ge­gen die So­wjet­uni­on zu kon­zen­trie­ren.

Wer das igno­riert und statt­des­sen sug­ge­riert, Hit­ler hät­te mit wei­te­rem Ap­pease­ment auf­ge­hal­ten wer­den kön­nen und Chur­chill (und in Gren­zen auch Roo­se­velt) hät­ten die­se Mög­lich­keit ver­strei­chen las­sen – der be­treibt nichts an­de­res als Ge­schichts­klit­te­rung. Frei­lich bleibt dann das aus­führ­lich be­schrie­be­ne in­kon­se­quen­te Ver­hal­ten der Al­li­ier­ten was die (nicht nur jü­di­schen) Flücht­lin­ge aus Deutsch­land und spä­ter aus ganz Eu­ro­pa an­geht.

Wer hat an­ge­fan­gen?

Auch in der Fra­ge, wer denn den Luft­krieg zwi­schen Groß­bri­tan­ni­en und dem »Deut­schen Reich« an­ge­fan­gen ha­be, be­gibt sich Bak­er auf ver­min­tem Ter­rain. Nicht we­ni­ge se­hen die Luft­an­grif­fe auf Mön­chen­glad­bach vom 11./12. Mai 1940 als ei­ne Art Ant­wort auf die so­ge­nann­te »West­of­fen­si­ve« Deutsch­lands (»Fall Gelb«) ei­nen Tag vor­her. Bak­er sug­ge­riert, Chur­chill ha­be pro­vo­zie­ren wol­len, nach dem ei­ne Blocka­de ge­gen Deutsch­land (und spä­ter ge­gen die be­setz­ten Ge­bie­te) nicht zum »Erst­schlag« Hit­lers ge­führt hat­te. Fest steht – Bak­er er­wähnt dies -, das Flä­chen­bom­bar­de­ments von bei­den Sei­ten in an­de­ren Kon­flik­ten als kriegs­füh­ren­des Mit­tel ein­ge­setzt wur­den. Fest steht auch (das wird im Buch gut be­legt): Die Ab­sicht, nur mi­li­tä­ri­sche oder wich­ti­ge stra­te­gi­sche Zie­le des Fein­des zu tref­fen, war mit der da­ma­li­gen Tech­nik un­mög­lich. So­mit wa­ren zi­vi­le To­te nicht nur bil­li­gend in Kauf ge­nom­men wor­den, son­dern spiel­ten mehr und mehr ei­ne ent­schei­den­de Rol­le, weil man da­mit die Mo­ral und Re­gie­rungs­treue der Be­völ­ke­rung un­ter­mi­nie­ren woll­te. Früh zeigt sich auch für je­man­den wie Chur­chill, dass dies min­de­stens nicht kurz­fri­stig funk­tio­nier­te. Dies führ­te je­doch nicht zur Ein­däm­mung, son­dern, im Ge­gen­teil, zur Aus­wei­tung der An­grif­fe – auch hier auf bei­den Sei­ten und mit wach­sen­der Bru­ta­li­tät.

Könn­te man zwei­fels­frei nach­wei­sen, dass Chur­chill den Luft­krieg be­gon­nen hät­te, wä­re die Ar­gu­men­ta­ti­on Pa­zi­fi­sten ge­gen­über nur in Not­wehr ge­han­delt zu ha­ben nicht mehr halt­bar. Das mo­ra­li­sche Kal­kül wür­de dann nicht mehr funk­tio­nie­ren: »Wenn sie von Pa­zi­fis­mus re­den«, so Gan­dhi 1938, »dann mit dem Hin­ter­ge­dan­ken, dass man Waf­fen an­wen­den darf, falls der Pa­zi­fis­mus schei­tert«. Ein wah­rer Pa­zi­fist sei je­doch nie be­rech­nend. »Ir­gend­je­mand muss in Eng­land aus ehr­li­cher Über­zeu­gung auf­ste­hen und for­dern, dass Eng­land un­ter gar kei­nen Um­stän­den zu den Waf­fen greift.«

Wer die von Bak­er zu­sam­men­ge­tra­ge­nen Äu­ße­run­gen Gan­dhis zu, über und so­gar an Hit­ler liest, kann un­mög­lich nicht be­wegt sein. Im Ja­nu­ar 1939 sagt Gan­dhi: Selbst das här­te­ste Herz müs­se vor der Hit­ze der Ge­walt­lo­sig­keit schmel­zen. »Herr Hit­ler ist nur ein Mensch, der nur ei­ne durch­schnitt­li­che Le­bens­span­ne zu er­war­ten hat«. Am 3. Ju­li 1940 schreibt er in ei­nem of­fe­nen Brief (»To Every Bri­ton«) an das eng­li­sche Volk: »Eu­re Sol­da­ten rich­ten eben­sol­che Zer­stö­rung an wie die Deut­schen. Ich wünsch­te, Ihr wür­det den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus oh­ne Waf­fen be­kämp­fen«. Und an Adolf Hit­ler schreibt er am 24.12.1940: »Wir zwei­feln nicht an Ih­rer Tap­fer­keit und Hin­ga­be an Ihr Va­ter­land, noch hal­ten wir Sie für das Un­ge­heu­er, als das Ih­re Geg­ner Sie be­schrei­ben.« Sei­ne Ta­ten sei­en al­ler­dings un­ge­heu­er­lich. Die Tsche­cho­slo­wa­kei, Dä­ne­mark, »die Ver­ge­wal­ti­gung Po­lens« – mit die­sen Er­obe­run­gen ha­be er die Men­schen­wür­de ver­letzt. Gan­dhi er­klär­te Hit­ler den Weg der Ge­walt­lo­sig­keit und riet Hit­ler brin­gen Sie Ih­ren Dis­put vor ein in­ter­na­tio­na­les Tri­bu­nal.*

War­um die­ses Buch den­noch le­sens­wert ist

Un­wei­ger­lich kommt ei­nem bei der Lek­tü­re Hei­ner Geiß­lers Dik­tum von 1983 in den Sinn: »Der Pa­zi­fis­mus der 30er Jah­re, der sich in sei­ner ge­sin­nungs­ethi­schen Be­grün­dung nur we­nig von dem un­ter­schei­det, was wir in der Be­grün­dung des heu­ti­gen Pa­zi­fis­mus zur Kennt­nis zu neh­men ha­ben, die­ser Pa­zi­fis­mus der 30er Jah­re hat Ausch­witz erst mög­lich ge­macht.« Spä­ter stell­te Geiß­ler klar: Er mein­te mit Pa­zi­fis­mus Cham­ber­lains Ap­pease­ment-Po­li­tik, die vor ei­ner Kon­fron­ta­ti­on mit Hit­ler zu­rück­schreck­te und 1938 den Ver­bün­de­ten Tsche­cho­slo­wa­kei prak­tisch ver­riet, um ei­nen dro­hen­den Krieg zu ver­hin­dern.

Aber ist das al­les wirk­lich so ein­fach? Legt man das Buch nach der Lek­tü­re ein­fach so weg und hakt den Au­tor als un­be­lehr­ba­ren Pa­zi­fi­sten oder so­gar nai­ven Dumm­kopf ab? Oder, an­ders ge­fragt: Was macht denn das Buch trotz der teil­wei­se aber­wit­zi­gen sug­ge­rier­ten hi­sto­ri­schen Deu­tun­gen so le­sens­wert? Ist es nur die ge­wollt an­de­re Sicht, der Ge­gen­strom des so schein­bar Über­deut­li­chen?

Nein. Denn Ni­chol­son Bak­er zeigt, dass ein Krieg, mag er auch noch so mo­ra­lisch ge­recht­fer­tigt oder gar po­li­tisch un­ab­wend­bar sein im­mer bei­de Sei­ten ver­än­dert und nie­mals nur die kla­re Di­cho­to­mie des Gu­ten auf der ei­nen und des Bö­sen auf der an­de­ren Sei­te kennt. Je­der Krieg kor­rum­piert auch die hehr­sten Wer­te des mo­ra­lisch schein­bar Über­le­ge­nen. Im wei­te­ren Ver­lauf wer­den sich die ver­meint­li­chen Geg­ner im­mer ähn­li­cher (wie Bak­er an ei­nem Bei­spiel auf­zu­zei­gen ver­sucht, als im März 1941 in den USA ein Buch mit dem Ti­tel »Ger­ma­ny must pe­ri­sh« er­scheint, in dem al­len Ern­stes die Mas­sen­ste­ri­li­sa­ti­on al­ler Deut­schen vor­ge­schla­gen wird und gleich­zei­tig die SS Plä­ne ent­wickelt, wie Keim­drü­sen und Ei­er­stöcke von Ju­den beim War­ten an For­mu­lar­schal­tern ste­ri­li­siert wer­den könn­ten).

Bak­ers Buch en­det mit dem Jahr 1941, als das fürch­ter­lich­ste Mensch­heits­ver­bre­chen, die Sho­ah, erst be­gann. Dies ver­führt den Le­ser zu der Fra­ge: Wie wür­de die­ser Krieg in der Re­tro­spek­ti­ve be­wer­tet, hät­te es den Mas­sen­mord an den eu­ro­päi­schen Ju­den nicht ge­ge­ben? Wel­che Dolchstosslegende(n) hät­te es in Deutsch­land ge­ge­ben? Aber die­se Fra­ge ist un­hi­sto­risch, weil Bak­ers Text­samm­lung zu ei­nem Fehl­schluss ver­lei­tet: Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ist oh­ne die Sho­ah gar nicht denk­bar. Der wahn­sin­ni­ge Ge­dan­ke der Ver­nich­tung der eu­ro­päi­schen Ju­den ist im­ma­nent im »Den­ken« des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ein­ge­bet­tet. Hit­ler ist kein mon­strö­se­rer Mus­so­li­ni, der mit re­gio­na­len Ter­ri­to­ri­al­zu­ge­ständ­nis­sen ir­gend­wann mil­de zu stim­men war.

Und hier ist das Buch – fast un­frei­wil­lig – er­hel­lend: Die­se Kom­po­nen­te hat­ten die Al­li­ier­ten wenn über­haupt, nur am Ran­de im Blick. Den Krieg, der wir nach­träg­lich den Zwei­ten Welt­krieg nen­nen, wur­de von ih­nen als ein fast rei­ner macht- bzw. geo­stra­te­gi­scher Krieg be­grif­fen. Hier ein grö­ßen­wahn­sin­ni­ger Dik­ta­tor, des­sen wah­re Ab­sich­ten igno­riert bzw. her­un­ter­ge­spielt wur­den und dort die an­gel­säch­si­sche »Empire«-Achse, die bis 1944 war­te­te, ehe sie den ver­hass­ten Dik­ta­tor Sta­lin vor­über­ge­hend in ih­re Ge­sell­schaft auf­nahm (da sonst ein Sieg frag­lich ge­wor­den oder zeit­lich sehr viel län­ger ge­dau­ert hät­te).

Wer die­ses Buch »ge­fähr­lich« nennt und be­haup­tet, ei­ne solch jour­na­li­stisch-li­te­ra­ri­sches The­sen­werk lie­fe­re un­ver­bes­ser­li­chen Pa­zi­fi­sten oder rechts­ra­di­ka­len Dumm­köp­fen nur bil­li­ges Ma­te­ri­al, ver­kennt nicht nur die heut­zu­ta­ge gän­gi­gen In­for­ma­ti­ons­mög­lich­kei­ten son­dern zeigt auch sehr schön sei­ne pa­ter­na­li­sti­schen Be­schüt­zer­ar­ro­ganz. »Men­schen­rauch« ver­langt nicht nur den mün­di­gen Le­ser, es er­zeugt ihn ge­ra­de­zu. Das ist bei all den ge­nann­ten Män­geln kein ge­rin­ges Ver­dienst.

Auch ein Le­ser, der Bak­ers pa­zi­fi­sti­sche Ge­dan­ken und hi­sto­ri­sche Ein­schät­zun­gen nicht teilt, kann die­ses Buch mit Ge­winn le­sen.


* Nicht be­leg­te Aus­zü­ge (aus ei­nem Fo­rum; die Ori­gi­nal-Sei­te soll hier nicht ver­linkt wer­den): »We have no doubt about your bra­very or de­vo­ti­on to your fa­t­her­land, nor do we be­lie­ve that you are the mon­ster de­scri­bed by your op­pon­ents.« / »But your own wri­tin­gs and pro­no­unce­ments and tho­se of your fri­ends and ad­mi­rers lea­ve no room for doubt that ma­ny of your acts are monstrous and un­be­co­ming of hu­man di­gnity, es­pe­ci­al­ly in the esti­ma­ti­on of men li­ke me who be­lie­ve in hu­man fri­end­li­ness. Such are your hu­mi­lia­ti­on of Cz­e­chos­lo­va­kia, the ra­pe of Pol­and and the swal­lo­wing of Den­mark. I am awa­re that your view of life re­gards such spo­li­a­ti­ons as vir­tuous acts. But we have be­en taught from child­hood to re­gard them as acts de­gra­ding humanity.«/ »But ours is a uni­que po­si­ti­on. We re­sist Bri­tish im­pe­ria­lism no less than Nazism.«/ »If the­re is a dif­fe­rence, it is in de­gree. One-fifth of the hu­man race has be­en brought un­der the Bri­tish heel by me­ans that will not bear scru­ti­ny.« / »Our re­si­stance to it does not me­an harm to the Bri­tish peo­p­le. We seek to con­vert them, not to de­feat them on the batt­le-field.« / »We know what the Bri­tish heel me­ans for us and the non-Eu­ro­pean races of the world. But we would never wish to end the Bri­tish ru­le wi­th Ger­man aid.« / »If not the Bri­tish, so­me other power will cer­tain­ly im­pro­ve upon your me­thod and beat you wi­th your own wea­pon. You are lea­ving no le­ga­cy to your peo­p­le of which they would feel proud.«


Al­le kur­siv ge­setz­ten Stel­len sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch. Die in der Kur­siv­set­zung vor­ge­nom­me­nen An­füh­rungs­zei­chen ent­spre­chen de­nen im Buch; Bak­er zi­tiert dann sel­ber.

16 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Lei­der ha­be ich das Buch (noch) nicht ge­le­sen, aber die Re­zen­si­on im Deutsch­land­funk als Buch der Wo­che ge­hört. Das er­ste was ich mich frag­te, war, war­um Be­gleit­schrei­ben das Buch noch nicht vor­ge­stellt hat­te. Nor­ma­ler­wei­se ist die Rei­hen­fol­ge an­ders­rum. Der zwei­te Ge­dan­ke war, was denkt Herr Keu­sch­nig über die pro­vo­zie­ren­den The­sen? Frü­her war viel­leicht wich­tig, wie Grass die Sa­che denn um Him­mels Wil­len sieht. Das ist vor­bei.

    Und ich wur­de nicht ent­täuscht. Ei­ne sehr schö­ne Re­zen­si­on, die nicht ver­sucht mit den ge­fähr­li­chen The­sen zu po­le­mi­sie­ren, son­dern sie in ei­nen Kon­text zu stel­len. Das muss man erst­mal kön­nen und vor al­lem auch wol­len.

  2. Ich er­in­ne­re mich un­deut­lich dar­an, dass wir schon mal die­se Über­le­gung hat­ten, was denn pas­siert wä­re, wenn es nicht auf der ei­nen Sei­te die Kon­fron­ta­ti­on In­di­en (Gan­dhi) – Eng­land und auf der an­de­ren Sei­te Deutsch­land (Hit­ler) – Eng­land ge­ge­ben hät­te, son­dern In­di­en – Deutsch­land. Für mich ist das nach wie vor ei­ne of­fe­ne Fra­ge.

    Ei­ne un­be­streit­ba­re Tat­sa­che hin­ge­gen ist, dass die Welt tat­säch­lich im­mer fried­li­cher wird. So­wohl die Zahl der ge­wöhn­li­chen Straf­ta­ten als auch die der To­ten in gro­ßen Kon­flik­ten nimmt be­stän­dig ab, selbst das 20. Jahr­hun­dert bil­det mit sei­nen bei­den Welt­krie­gen da kei­ne Aus­nah­me. Wir emp­fin­den es nur an­ders – zum ei­nen, weil Deutsch­land im Zen­trum der bei­den Welt­krie­ge stand, und zum an­de­ren, weil die Mas­sen­me­di­en Ver­bre­chen im­mer stär­ker kom­mu­ni­zie­ren.

  3. Ich wür­de Dei­ne The­se nicht für das 20. Jahr­hun­dert in Gän­ze über­neh­men. Ins­ge­samt sind im­mer­hin rd. 70 Mil­lio­nen To­te zwi­schen 1914 und 1945 ums Le­ben ge­kom­men. Zwar gibt es Hi­sto­ri­ker, die ei­ne noch grö­sse­re Mor­ta­li­tät im Drei­ssig­jäh­ri­gen Krieg (1618–1648) ver­or­ten (die Op­fer­zah­len müs­sen auf­grund der Be­völ­ke­rungs­zah­len na­tür­lich ge­rin­ger sein, pro­zen­tu­al sol­len nach Schät­zun­gen zwi­schen 25% und 40% der »Deut­schen« [die gab es ja als ho­mo­ge­ne »Mas­se« so nicht] ums Le­ben ge­kom­men sein) aber die Di­men­si­on ist schon enorm. Das Mor­den hör­te nach 1945 ja nur teil­wei­se auf; man den­ke vor al­lem an Mao in Chi­na (aber na­tür­lich auch Sta­lin). In den 70er Jah­re rot­te­te Pol Pot rund ein Drit­tel der Kam­bo­dscha­ner in we­ni­gen Jah­ren aus; im Krieg zwi­schen dem Iran und dem Irak gab es zwi­schen 1980 und 1988 400.000–800.000 To­te; in Ru­an­da ka­men 1994 vor­sich­ti­gen Schät­zun­gen nach min­de­stens 500.000 Men­schen in nur knapp drei Mo­na­ten ums Le­ben.

    Rich­tig ist, dass der von uns so ve­he­ment dis­ku­tier­te und be­glei­te­te Nah­ost­kon­flikt zwi­schen Is­ra­el und sei­nen ara­bi­schen Nach­barn in die­ser Hin­sicht ziem­lich ver­nach­läs­sig­bar ist.

  4. #1 – Peter42
    Vie­len Dank für die Blu­men (vor al­lem die Poin­te mit Grass – ob­wohl: soooo wich­tig bin ich nun wirk­lich nicht...)

    Für mich war das Buch an­re­gend, weil es (1.) her­aus­for­dernd ist und den »mün­di­gen Le­ser« er­for­dert und (2.) tat­säch­lich mit vie­len gän­gi­gen Vor­ur­tei­len auf­räumt. bak­ers Buch nie­der­zu­ma­chen ist m. E. bil­lig; das kann je­der Gym­na­si­ast mit sei­nem Ge­schichts­buch – dann lernt man aber nichts.

  5. Ja wahr­lich, ei­ne gross­ar­ti­ge Re­zen­si­on ei­nes Bu­ches
    dass ich mir er­spa­ren wer­de... aber ei­ni­ge Be­mer­kun­gen aus­loest:

    1] zur Per­son Hit­ler: dies war kein ein­fa­cher Na­tio­na­list oder Re­van­chist son­dern ein PTS bes­ses­se­ner ewi­ger Krie­ger [vi­de die zwei psy­cho­ana­ly­ti­schen Stu­di­en, von Dr. Fritz Red­lich
    http:// www. yale. edu/ opa/ arc-yb­c/v 32.n15/ story21. html
    [LINK INAKTIV – G. K. 15.11.2016]
    und Dr. Ted Dor­pat. H »The Woun­ded Mon­ster: Hitler’s Path from Trau­ma to Ma­l­evo­lence.«
    http://www.nysun.com/comments/9084
    Hit­ler leb­te vom Krieg. Ein re­van­chi­sti­scher Deut­scher Na­tio­na­lis­mus ist, mei­nes Er­ach­tens nach, vor­stell­bar oh­ne Hit­ler. Da aber es Hit­ler war, auf sei­ne Art ver­wun­det, war so et­was wie die Scho­ah auch zu er­war­ten von ihm. Die ge­schei­ten wuss­ten das auch und sind schnell auch Deutsch­land weg. Von we­gen kuehl: viel zu viel Blut im Kopf um als ir­gend­ein Ce­sar oder Na­po­le­on zu gel­ten, man rot­tet nicht die klug­sten Koep­fe im ei­ge­nen Land aus, noch be­raubt man sie ih­res Reich­tums. Ein Ce­sar haet­te Gross­bri­tan­ni­en er­obert, En­de des Com­mon­wealth, na ja und dann viel­leicht Russ­land, oh­ne Ab­schwei­fer auf Yu­go­sla­vi­en, nach­dem man das an­de­re erst­mals ein biss­chen ver­daut hat!

    2] Dass die Deut­sche Eli­te so­wie das Deut­sche Rechts­we­sen ei­ner so moer­de­ri­sche kri­mi­nel­len Par­tei wie der NSDAP die Macht ueber­ga­ben und und sie dann nicht an der Dik­ta­tur ge­hin­dert hat ist das zer­schmet­tern­ste Ur­teil ueber die­se und all die an­de­ren Mit­ma­cher. Brecht und die Kom­mu­ni­sten sa­hen da viel kla­rer.

    3] Ghandi’s Pa­zi­fis­mus war kaum in der La­ge dies rich­tig zu be­ur­tei­len.

    4] Da Ja­pan und der Ame­ri­ka­ni­sche Im­pe­ria­lis­mus in Asi­en auf­ein­an­der­stie­ssen war ein Krieg zu er­war­ten; wer da ge­ra­de den Zuen­der ge­loest, ist nur von pro­pa­gan­di­schem In­ter­es­se. Des­we­gen wol­len die Ame­ri­ka­ner, im all­ge­mei­nen, auch nichts von Roosevelt’s Mit­schuld hoe­ren!

    5] Chur­chill war auch ein Ras­sist und Mi­li­ta­rist und Im­pe­ria­list boe­se­ster Art, im Su­dan in Ir­aq, aber kein Aus­rot­ter, und eben – des­we­gen der Ruhm – sprach­lich be­gab­ter be­son­ders als Ver­tei­di­ger von Eng­land. Der Eng­lish­che Im­pe­ria­lis­mus war ge­nau so kri­mi­nell wie der Spa­ni­sche, und ins­ge­samt...

    6] Die im­pe­ria­li­sti­schen Am­bi­tio­nen ab­schaf­fen, dar­auf kommt es an. Wenn da zwei von de­nen auf­ein­an­der­sto­ssen aeh­neln die sich schnell­stens, im Gros wie im Klei­nen, von letz­te­rem wuess­te ich per­soen­lich zu be­rich­ten, Kaemp­fen macht ja Spass ist aber
    bes­ser aufs Fuss­ball Feld ver­bannt! Al­so Wer­der Bre­men, viel­leicht naech­stes Jahr, dann...

  6. @mikerol
    Zu­stim­mung in al­len Punk­ten!

    Es gibt üb­ri­gens ei­ne Stel­le in dem Buch, die in Rich­tung Er­satz­krie­ge geht. Im Ju­li 1935 ver­öf­fent­licht der Schrift­stel­ler Leo Ro­sten ei­nen Ar­ti­kel in »Harper’s Ma­ga­zi­ne« mit dem Ti­tel »Men Li­ke War« – »Men­schen mö­gen Krieg«. Der Ar­ti­kel ist lei­der nicht ko­sten­los on­line. Ne­ben den »gän­gi­gen« Kriegs­ver­mei­dungs­tech­ni­ken wie Ab­bau der Ar­mut in der Welt skiz­ziert Ro­sten wohl auch, dass man über­ra­gen­de Al­ter­na­ti­ven für Krieg an­bie­ten soll­te, wie bei­spiels­wei­se Fuss­ball, Bo­xen, die Olym­pi­schen Spie­le... kurz: Aus­tra­gungs­or­te für Kon­fron­ta­tio­nen, in de­nen man sich in kol­lek­ti­vem Tri­umph­ge­fühl be­geg­nen könn­te, oh­ne dass Mil­lio­nen Men­schen ster­ben müss­ten. So falsch ist die Idee nicht!

  7. Die »Kauf­man-Le­gen­de?«

    (...) Bak­er an ei­nem Bei­spiel zeigt, als im März 1941 ein Buch ei­nes spä­te­ren Roo­se­velt-Be­ra­ters in den USA er­scheint, in dem al­len Ern­stes die Mas­sen­ste­ri­li­sa­ti­on al­ler Deut­schen vor­ge­schla­gen wird (...)

    Die »Mas­sen­ste­ri­li­sa­ti­on al­ler Deut­schen« ist die Kern­aus­sa­ge der An­fang 1941 in ei­ner von Theo­do­re New­man Kauf­man ver­fass­ten und im vor ihm selbst ge­grün­de­ten Ver­lag »Ar­gyle Press« her­aus­ge­ge­be­nen Buch »Ger­ma­ny must pe­ri­sh!«. Es gibt mei­nes Wis­sens kei­ne Hin­wei­se dar­auf, dass Kauf­man spä­ter Roo­se­velt-Be­ra­ter wur­de, es ist je­doch be­kannt, dass in der NS-Pro­pa­gan­da be­haup­tet wur­de, es gä­be ei­nen auf der Buch be­ru­hen­den »Kauf­man-Plan« der US-Re­gie­rung und fer­ner, dass Kauf­man ein Be­ra­ter Roo­se­velts ge­we­sen wä­re.

    Ich hal­te die An­ga­ben in der (eng­lisch­spra­chi­gen) Wi­ki­pe­dia zu Ger­ma­ny Must Pe­ri­sh! für glaub­wür­dig – und, bis auf ei­ni­ge De­tails, auch den deut­sche Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel, der ei­ni­ge Aspek­te an­ders be­leuch­tet: Kauf­man-Plan.

    In­ter­es­sant ist auch die Re­zen­si­on von »Ger­ma­ny must pe­ri­sh!« im »Time«-Magazine von 24. März 1941: A Mo­dest Pro­po­sal.

    Für le­sens­wert hal­te ich die­se Ein­schät­zung aus »an­ti­deut­scher« lin­ker Sicht: Ger­ma­ny must pe­ri­sh.

    Wenn Bak­er die Kauf­man-Lü­ge der NS-Pro­pa­gan­da auch nur halb­wegs ernst nimmt (das gilt auch für Di­stan­zie­run­gen bis zum »Soll an­geb­lich«), und da­bei un­ter­schlägt, dass das Buch ein ge­fun­de­nes Fres­sen für Goeb­bels Gift­kü­che war, dann wür­de das ein sehr schlech­tes Licht auf sein Buch wer­fen.

    Mar­tinM

  8. Bak­er schreibt im ent­spre­chen­den Pas­sus, dass Kauf­man von Goeb­bels zu ei­nem Mit­glied von Roo­se­velts Braintrust...aufgebläht wur­de (Sei­te 332) und schil­dert durch­aus, wie dies von den Na­tio­nal­so­zia­li­sten pro­pa­gan­di­stisch auf­be­rei­tet wur­de.

    Der deut­sche Wi­ki­pe­dia-Ar­ti­kel gibt das wie­der, was im Buch an­ge­deu­tet wird. Ich kann in ei­ner sol­chen Be­spre­chung nicht al­le Teil­aspek­te aus­leuch­ten. Das Kauf­man Be­ra­ter von FDR wur­de, hat­te ich ein biss­chen forsch ge­schlos­sen. Das geht aber aus dem Buch nicht her­vor (wird auch nicht sug­ge­riert). Die ent­spre­chen­de Be­mer­kung wer­de ich ver­än­dern.

  9. Noch ei­ne Be­mer­kung, und zwar zum Luft­krieg
    der ja tief ins Ge­wis­sen und Be­wusst­sein der Kin­der die­ser Zeit ge­sun­ken sind.
    Bei Hand­ke hei­ssen die Bom­ber »Hor­nis­sen« wahr­schein­lich des Brum­men hal­bers und ih­rer toed­li­chen Ge­faehr­lich­keit.

    Es muss auch im Frueh­jahr 1940 ge­we­sen sein als die Bri­ti­schen Bom­ber zum er­sten mal bei Bre­men an­fin­gen ih­re Last ab­zu­la­den, und zwar noerd­lich, da Bre­men mit gro­ssen, ei­ni­ge hun­dert Me­ter hoch­se­geln­den an schar­fen Draht an­ge­haeng­ten He­li­um Zep­pe­lin-Bal­lon ge­schuetzt war und auch die an­de­re Luft­ab­wehr schon be­stand!
    Al­so die Blu­men blueh­ten schon, und die Ro­sen­bee­te ums schoe­ne, vil­la-ar­ti­ge, biss­chen schon wie Bau­ern­haeu­sern in der Um­ge­gend mit Schilf Dach aber Ter­ras­se.... die Stael­le wa­ren an­ders­wo...
    ... und fuer mich ei­nes Mor­gens nach ei­ner Schreckens­nacht
    da Bom­ben so hun­der Me­ter weit weg in Fich­ten­wald ein­ge­schla­gen wa­ren ich auf­ge­schreckt in Traum sa­hen die Fen­ster­scher­ben in den Blu­men­bee­ten wie Trae­nen aus...
    Die Schae­fer­huen­din Ma­ra er­dros­sel­te sich an den Draeh­ten in ih­rem Zwin­ger...
    Ich ging die Trich­ter be­su­chen, weit weg fuer ein vier­jaeh­ri­ges Kind, gro­sse brei­te Loe­cher in gel­bi­gen Lehm...zerrissene Wur­zeln in dem Fich­ten­wald....
    Das wur­de dann die Deck­erin­ne­rung fuer die Aus­to­ssung aus dem Kinds­heit Pa­ra­dies da ich dann auf Rei­sen ge­schickt wur­de und erst zu­rueck­kam als es nicht mehr so ge­faehr­lich war En­de 43 noerd­lich von Bre­men zu le­ben... und ei­ner der Trich­ter wur­de dann von mir
    zum zwei­ten Ein­gang zu »der Hoeh­le« aus­ge­bud­delt, der er­ste Ein­gang war das Loch im stei­len Ab­hang der der Reit­bahn, der zu ei­nem Fuchs­bau fuehr­te... Mein Le­ben als Fuchs mit Kou­sin und Kou­si­nen, ziem­lich Katz und Maus­ar­tig dass dann in Herbst 1944 an­fing als ein Hau­fen von Kou­sins and Kou­si­nen aus dem Osten an­ge­tru­delt ka­men... Ei­ne Deck­erin­ne­rung ist ein Kon­zen­trat das sich auf­loe­sen laesst...

  10. Es gab ja auch den Mor­genthau Plan fuer ein be­sieg­tes Deutsch­land
    ein ewig pa­sto­ra­les wo die Deut­schen nur Rin­der hue­ten und so...
    gar kei­ne schlech­te Idee aus jet­zi­ger oeko­lo­gi­scher Sicht! Wie krie­ge­risch und aus­rot­tend die Ame­ri­ka­ni­sche Ge­sell­schaft zu Zei­ten be­nom­men hat, wird bei sol­chen »prak­ti­schen« »Ideen« un­ter­drueckt, oder man denkt nicht dran, oder man »denkt« ei­gent­lich ueber­haupt nicht...

  11. Mor­genthau / Mar­schall
    Ich glau­be nicht, dass der Mor­genthau-Plan ernst­haft er­wo­gen wur­de, ob­wohl er an­geb­lich 1944 in ab­ge­mil­der­ter Form be­schlos­sen wur­de. In die­sen Zei­ten wur­de aber viel be­schlos­sen, was spä­ter nicht um­ge­setzt wur­de. Nach dem Krieg zeich­ne­te sich die Kon­stel­la­ti­on des Kal­ten Krie­ges schon sehr früh ab, da wur­de Deutsch­land al­lei­ne schon als geo­stra­te­gi­sches Ge­biet ge­braucht (vom öko­no­mi­schen mal ganz an­ge­se­hen). Da war der Mar­shall­plan in vie­ler Hin­sicht die we­sent­lich klü­ge­re Po­li­tik.

    Es gibt üb­ri­gens ein Buch des öster­rei­chi­schen Schriftstl­lers Chri­stoph Rans­mayr (»Mor­bus Ki­ta­ha­ra«), wel­ches in ei­nem Deutsch­land nach den Ge­set­zen des Mor­genthau-Plans spielt. Ich neh­me es mir im­mer wie­der vor zu le­sen, hab’s aber bis heu­te nicht ge­schafft (Rans­may­er ist ge­ne­rell ein sehr le­sens­wer­ter, aber ziem­lich kryp­ti­scher Au­tor).

  12. Mor­genthau – der war schon schlau
    (Be­lieb­ter Slo­gan der »An­ti­deut­schen«, die zwar ei­ne Men­ge Un­sinn vor sich ga­ben, aber Hen­ry Mor­genthau und sei­nen Plan – viel­leicht un­be­ab­sich­tigt, da es ih­nen wohl um das Lob der »Deut­schen­fres­sers« gingt – m. E. rich­tig ein­schätz­ten.)

    Der lang­jäh­ri­ge Fi­nanz­mi­ni­ster Mor­genthau war vor und wäh­rend des Krie­ges ei­ner der ak­tiv­sten An­ti­fa­schi­sten in der US-Re­gie­rung. Er setz­te sich, mei­nes Wis­sens als ein­zi­ger US-Mi­ni­ster, ak­tiv für die Ret­tung der eu­ro­päi­schen Ju­den ein, oft ge­gen die po­li­ti­sche Li­nie der Mi­li­tärs, die den Ein­druck ver­mei­den woll­ten, der Krieg wür­de für die Ju­den ge­führt wer­den.
    Mor­genthau stand un­ter dem Ein­druck, so­wohl die in den USA für die Deutsch­land­po­li­tik zu­stän­di­gen Stel­len als auch die maß­geb­li­chen bri­ti­schen Po­li­ti­ker ver­folg­ten ei­ne zu we­nig har­te Li­nie. Mei­nes Er­ach­tens trifft die­ser Ein­druck zu, die Pla­ner im bri­ti­schen Au­ßen­mi­ni­ste­ri­um und die »In­ter­na­tio­na­li­sten« in­ner­halb der US-Re­gie­rung, die ei­ner­seits strikt an­ti­so­wje­ti­sche ge­son­nen wa­ren, an­der­seits das wirt­schaft­li­che Po­ten­zi­al Deutsch­lands für »den We­sten« nutz­bar ma­chen woll­ten – auch um den Preis der Zu­sam­men­ar­beit mit Na­zi­ver­bre­chern. (Die Po­li­tik des CIA ge­gen­über der »nütz­li­chen Na­zis« z. B. aus der na­zi­deut­schen »Ab­wehr« und so­gar aus dem S. D. ist ein Be­spiel für das Fort­wir­ken die­ser »rea­li­sti­schen« Li­nie.)
    Der Mor­genthau-Plan ent­hielt, in der je­weils ra­di­kal­sten Form, al­le Vor­schlä­ge und Maß­nah­men, die in der Kriegs­ziel­de­bat­te der Al­li­ier­ten zur Fra­ge »Was ma­chen wir mit den Deut­schen?« schon vor­ge­schla­gen wur­den. Mor­genthaus Vor­schlä­ge soll­ten die ge­mä­ßig­ten, von den »In­ter­na­tio­na­li­sten« be­ein­fluss­ten, Deutsch­land­plä­ne des al­li­ier­ten Ober­kom­man­dos un­ter Ei­sen­hower, der in­ter­al­li­ier­ten Eu­ro­pean Ad­vi­so­ry Com­mis­si­on und der Fach­res­sorts in Wa­shing­ton und Lon­don kor­ri­gie­ren.
    Mor­genthau wuss­te, aus An­ga­ben sei­nen Mi­ni­ste­ri­um, in welch gro­ßen Um­fang die In­ter­es­sen US-ame­ri­ka­ni­schen und bri­ti­schen Kon­zer­ne auf bei­den Sei­te der Front mit­ein­an­der ver­floch­ten wa­ren. (Z. B. ver­dien­te Ge­ne­ral Mo­tors so­wohl an der Rü­stung der Allier­ten wie über die deut­sche Toch­ter Opel an der na­zi­deut­schen Kriegs­ma­schi­ne­rie.) Es be­stand die Ge­fahr (die dann ja auch z. T. ein­ge­tre­ten ist), dass deut­schen Un­ter­neh­men, die als Steig­bü­gel­hal­ter und Pro­fi­teu­re des Ver­nich­tungs­kriegs und der größ­ten Raub­mor­des der Mensch­heits­ge­schich­te ei­nen gro­ßen Teil ih­res »Blut­gel­des« auf ih­nen ver­bun­de­ne aus­län­di­sche Un­ter­neh­men trans­fe­rier­ten und so über den »Zu­sam­men­bruch« ret­ten konn­ten – und wo­mög­lich zu ei­ner Wie­der­auf­rü­stung Deutsch­lands nut­zen konn­ten.
    Für Mor­genthaus Han­deln war das Wis­sen um die Er­mor­dung der eu­ro­päi­schen Ju­den ent­schei­dend. Das hat­te für ihn Vor­rang vor al­len stra­te­gi­schen und öko­no­mi­schen In­ter­es­sen, und auch vor sei­ner ei­ge­nen Kar­rie­re und sei­nem An­se­hen in der Öf­fent­lich­keit. Ein »har­ter Frie­den« ge­gen­über Deutsch­land war in der US-Be­völ­ke­rung nicht po­pu­lär. Es soll­te eher ein »schnel­ler« Frie­den sein, der sich au­ßer­dem öko­no­misch »loh­nen« soll­te – bei­des war im Mor­genthau-Plan aus­drück­lich nicht vor­ge­se­hen, wes­halb der Plan vom (wahl­kämp­fen­den) Ro­se­velt auch still und heim­lich be­gra­ben wur­de.
    Mor­genthau war nicht nur Mo­ra­list, der auf ei­ne Be­stra­fung al­ler Na­zi­ver­bre­cher – ein­schließ­lich je­ner, die als »Mit­läu­fer« zur Sta­bi­li­sie­rung der NS-Dik­ta­tur bei­tru­gen – Wert leg­te, er dach­te, als Wirt­schafts­fach­mann, dass es auf die öko­no­mi­schen und po­li­ti­schen Struk­tu­ren ei­nes Ge­mein­we­sens an­kam. Und die öko­no­mi­schen und po­li­ti­schen Struk­tu­ren Deutsch­land wa­ren brand­ge­fähr­lich. Das steht mei­ner An­sicht nach hin­ter sei­ner Auf­fas­sung, Hit­lers Ex­pan­si­ons­po­li­tik ste­he in der Kon­ti­nui­tät ei­nes ag­gres­si­ven deut­schen Na­tio­nal­cha­rak­ters. Na­tür­lich war Mor­genthau kein »Gut­mensch« oder strah­len­der An­ti­fa­schist oh­ne Fehl und Ta­del – er hat­te z. B. Vor­ur­tei­le ge­gen »Preu­ßen«, die hi­sto­risch nicht ge­recht­fer­tigt sind, er war au­ßer­dem Agrar­ro­man­ti­ker, der da­von aus­ging, dass der »Weg zu­rück zur Schol­le« ei­ne Ge­sell­schaft »ge­sun­den« lie­ße. In der (ab­ge­schwäch­ten) Form, in der der Mor­genthau-Plan letzt­lich dis­ku­tiert wur­de, war nur noch von ei­ner Bo­de­re­form zu­gun­sten klei­ne­rer und mitt­le­rer land­wirt­schaft­li­cher Be­trie­be, nicht je­doch die Rück­ver­wand­lung Deutsch­lands in ei­nen Agrar­staat die Re­de. (Mor­genthaus Satz »(this plan) is loo­king for­ward to con­ver­ting Ger­ma­ny in­to a coun­try pri­ma­ri­ly agri­cul­tu­ral and pa­sto­ral in its cha­rac­ter« mag sei­nen agrar­ro­man­ti­schen und öko­no­misch kon­ser­va­ti­ven Vor­stel­lun­gen ge­schul­det sein, aber tat­säch­lich war die Kon­sum­gü­ter­in­du­strie Vor­kriegs­deutsch­land im Ver­gleich et­wa zu Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en und erst recht den USA so un­ter­ent­wickelt, dass das En­de der »Kriegs­in­du­strie« tat­säch­lich ein weit­ge­hend de­indu­stria­li­sier­tes Land zu­rück­ge­las­sen hät­te.)
    Zen­tral blieb die völ­li­ge Ent­waff­nung der Streit­kräf­te und die
    Zer­schla­gung der Schwer­indu­strie, um Deutsch­land als po­ten­ti­el­len Ag­gres­sor ein für al­le­mal un­schäd­lich zu ma­chen. Hin­ge­gen soll­te mit­tel­fri­stig ei­ne ex­port­ori­en­tier­te mit­tel­stän­di­schen Kon­sum­gü­ter­in­du­strie ge­för­dert wer­den. Vor­erst soll­te der Le­bens­stan­dard der deut­schen Be­völ­ke­rung re­du­ziert wer­den – auch vor den Hin­ter­grund, dass es den »Schul­di­gen« nach dem Krieg nicht bes­ser ge­hen soll, als den Op­fern.

    Auch wenn der »Mor­genthau-Plan« nie of­fi­zi­ell Richt­schnur des (west-)allierten Han­dels in Deutsch­land ge­we­sen ist, hat er mei­ner An­sicht nach die un­mit­tel­ba­re Nach­kriegs­po­li­tik be­ein­flusst und zwar in (auch für die Deut­schen) po­si­ti­ver Wei­se. Nach An­ge­ben der eng­lispra­chi­gen Wi­ki­pe­dia (und im in­ter­es­san­ten Wi­der­spruch zur deut­schen Wi­ki­pe­dia) leb­ten Vor­stel­lun­gen Mor­genthaus in der Dok­trin für die US-ame­ri­ka­ni­schen Be­sat­zungs­trup­pen JCS (Joint Chiefs of Staff) 1057 fort. Al­ler­dings trägt die­se Dok­trin, von der Le­wis Dou­glas, Be­ra­ter des US High Com­mis­sio­ner, mit ei­ni­gem Recht sag­te: »This thing was as­sem­bled by eco­no­mic idi­ots. It makes no sen­se to for­bid the most skil­led workers in Eu­ro­pe from pro­du­cing as much as they can in a con­ti­nent that is de­spera­te­ly short of ever­ything« nicht ge­ra­de die Hand­schrift ei­nes aus­ge­wie­se­nen Wirt­schafts­exper­ten wie Hen­ry Mor­genthau – dass z. B. die Holz­ex­por­te aus der ame­ri­ka­ni­sche Zo­ne ei­nen Um­fang er­rei­chen soll­ten, der auf län­ge­re Sicht zur völ­li­gen Ent­wal­dung ge­führt hät­te, und an­geb­lich al­len Ern­stes der »ul­ti­ma­te des­truc­tion of the war po­ten­ti­al of Ger­man fo­rests« die­nen soll­te, war be­stimmt nicht im Sin­ne des Agrar­ro­man­ti­kers.
    Mei­ner An­sicht ist die Dok­trin JCS 1057 Aus­druck ei­nes »gei­sti­gen Kriegs­scha­dens« im Den­ken vie­ler US-Mi­li­tärs, die (un­be­wusst) ei­ne »Na­zi-Den­ke« an­ge­nom­men hat­ten.

  13. MMar­hein­ecke dan­ke fuer die aus­fuehr­li­che Be­schrei­bung
    des Mor­genthau Plans. Da ich ab Mai 1945 ein so­ge­nann­tes »Pet« der OSS in Bre­men ei­ni­ge Jah­re lang war [da bei­de El­tern im Wie­der­stand ge­we­sen wa­ren fie­len wir un­ter den Schutz die­ser
    in­ter­res­s­an­ten Par­ty-freu­di­gen Bur­schen] kann ich nicht sa­gen, dass ich un­ter ir­gend­wel­chen Ueber­bleib­seln die­ses Plans ge­lit­ten ha­be.

  14. „Wer die­ses Buch »ge­fähr­lich« nennt und be­haup­tet, ei­ne solch jour­na­li­stisch-li­te­ra­ri­sches The­sen­werk lie­fe­re un­ver­bes­ser­li­chen Pa­zi­fi­sten oder rechts­ra­di­ka­len Dumm­köp­fen (nur) bil­li­ges Ma­te­ri­al...“, hat bis auf das „nur“ gar nicht so un­recht, aber das kann ja wohl nicht be­deu­ten, dass un­be­que­me Fak­ten nicht be­nannt wer­den soll­ten. Ge­gen ideo­lo­gi­sche Ver­bohrt­heit und Neo­na­zi­dumpf­backen ist so­wie­so kein Kraut ge­wach­sen. Wie­der­ein­mal ei­ne groß­ar­ti­ge Re­zen­si­on, die Lust auf’s Buch macht.

  15. @blackconti
    Mei­ne For­mu­lie­rung war ei­ne An­spie­lung auf die Aus­sa­gen des Wohl­stands­jün­gel­chens Da­ni­el Kehl­mann, der sich an­maß­te ein in die­se Rich­tung ge­hen­des Dik­tum aus­zu­spre­chen.

    Mich wun­dert im­mer: Ei­ner­seits soll der mün­di­ge Bür­ger über Atom­strom, Ver­fas­sungs­ver­trä­ge und Kriegs­ein­trit­te in Form von Re­fe­ren­den ab­stim­men an­de­rer­seits gibt es selbst­er­nann­te »Ver­brau­cher­schüt­zer« die mei­nen, die Leu­te sei­en zu blöd, ein sol­ches Buch ent­spre­chend ein­zu­ord­nen.

  16. Ich hat­te Dich, glau­be ich, schon rich­tig ver­stan­den. Hin­ter der „be­sorg­ten“ Mei­nung über die „Ge­fähr­lich­keit“ steckt, na­tür­lich un­aus­ge­spro­chen, der Ge­dan­ke an Zen­sur oder zu­min­dest Selbst­zen­sur und das ist ein­fach un­ak­zep­ta­bel. Dass ir­gend­wel­che Na­zi­idio­ten zur Un­ter­stüt­zung ih­res ver­qua­sten Welt­bil­des so ein Kom­pen­di­um nach „Stel­len“ durch­for­sten, ist ziem­lich si­cher und un­ter die­sem Aspekt ist auch die Bi­bel „ge­fähr­lich“.