Furios-spannende Zeit- und Mediengeschichte: »Faking Hitler« liefert neue Einblicke in das scheinbar Bekannte um die Affäre der Hitler-Tagebücher
Auch wer es nicht selber erlebt hat, kennt sie irgendwie: die sogenannten Hitler-Tagebücher, die 1983 für kurze Zeit ganz Deutschland elektrisierten. Ich war damals 24 Jahre alt. Magazine wie »stern« mit ihren ellengenlangen Fotoreportagen interessierten mich eher weniger. Das Heft mit den Hitler-Tagebüchern hatte ich dennoch gekauft. Obwohl die Zweifel groß waren. Wieso tauchten auf einmal, 40 Jahre nach Kriegsende, diese Tagebücher auf? Und warum kommen sie in einem solchen Magazin? Wäre nicht eher der reputationsmässig höherstehende Spiegel die richtige Plattform gewesen? Im Fernsehen hielten sich nach meiner Erinnerung zunächst Skeptiker und Euphoriker die Waage.
Aber der Scoop währte nur ein paar Tage, dann war klar: die Tagebücher waren gefälscht. Scheibchenweise kamen nun die Einzelheiten in die Öffentlichkeit, die irgendwann ermüdeten. Ein paar Jahre später noch »Schtonk«; ein Film, der mich nur mässig amüsierte, weil ich ihn übertrieben und verharmlosend fand.
Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich, dass das Ansehen des Journalismus damals nicht dauerhaft Schaden nahm. Das hatte allerdings damit zu tun, dass die Schar der Skeptiker sehr schnell Oberhand gewann – vor allem auch in den Konkurrenzmedien. Journalistenallianzen und Recherchenetzwerke gab es damals nicht. Am Ende blieb nahezu alles am »stern« haften. Und die hatten ihren Sündenbock, den »Starreporter« Gerd Heidemann. Der eigentliche Fälscher Konrad Kujau wurde eher bestaunt, manchmal sogar bewundert. Später, nach seiner Haft, sah man ihn verschiedentlich im Fernsehen, bevorzugt in Talkshows. Man scherzte und lachte. Auf Youtube kann man das teilweise noch ansehen. Das widerte mich an, weil eine vorsätzliche Geschichtsfälschung fast wie ein Kavaliersdelikt behandelt wurde. (Später beim anderen großen Fälscher Beltracchi, der die Schicki-Micki-Möchtegern-Kunst-Avantgarde hinters Licht führte, war das anders.)
Anfang des Jahres erfuhr ich von einer zehnteiligen Podcast-Serie »Faking Hitler« – und das unter Ägide des »stern«. Mutig, mutig. Den Autor Malte Herwig kenne ich persönlich durch meine Beschäftigung mit Handke und seine – nach wie vor – luzide Biographie über den österreichischen Schriftsteller. Damals entdeckte Herwig Briefe von Handkes leiblichem Vater, die unbekannt waren. Für sein Buch »Die Flakhelfer« ging er in Archive um festzustellen, wer von den 1925ff geborenen noch NSDAP-Mitglied wurde – und dies später dann bestritt. Es gab keinen Automatismus bei der Mitgliedschaft – so die recherchierte Botschaft. Das Buch löste Kontroversen aus. Herwig ging es nicht darum, die Leute zu denunzieren. Er wertete nicht, er berichtete. Für manche war dies zu viel, weil sich herausstellte, dass ihre Idole auch nur Menschen waren, die sich in ihrer Jugend falsch verhielten.
Nun also die Aufarbeitung der Hitler-Tagebücher. Der Beginn der Podcastserie Anfang Januar fiel in die Zeit des Relotius-Skandals des »Spiegel«, der Ende Dezember begann und nicht nur dort blieb. Aktuell sind somit große Teile angesehener Publikationsorgane betroffen; es gab Preise von Jurys. Herwig, einst auch beim »Spiegel« engagiert, vermeidet jede Parallele zwischen 1983 und 2018/19. Er bleibt bei der Sache. Und das ist gut.
Ich habe bis zum Schluss gewartet, die Serie anzuhören. Ich ziehe es vor, die einzelnen Folgen hintereinander zu hören; der Abstand von einer Woche stört mich. Die rund sechseinhalb Stunden hörte ich in zwei Tagen. Zum Frühstück, zum Mittagessen, zum Abendbrot, vor dem Schlafengehen.
Herwig gelingt es, die Angelegenheit, die eigentlich hinlänglich bekannt ist, auf eine neue Art lebendig werden zu lassen. Man hört Aufzeichnungen der Telefonate zwischen Heidemann und Kujau (der fast bis zum Schluss in Heidemanns Augen »Fischer« hiess) und ist mittendrin. Händler und Gelehrte erklären, warum und welche Menschen sich für Hitler-Devotionalien interessieren und Zeitzeugen verblüffen mit ihren Beobachtungen. Herwig befragte ausführlich ehemalige »stern«-Verantwortliche wie beispielsweise Thomas Walde (damals Redaktionsleiter) oder den später zum Aufklärer bestimmten Michael Seufert. Die damalige Redakteurin Ingrid Kolb (später Leiterin der Henri-Nannen-Schule) kommt zu Wort und auch der »Kujau-Experte« Marc-Oliver Boger. Und schließlich steht auch Gerd Heidemann Rede und Antwort und Herwig bohrt nach, wo es wichtig ist.
Die Ansichten über Heidemann scheiden sich vor allem in einem Punkt: War er Opfer oder Mittäter, Unwissender oder Eingeweihter? Dietls Film, der, obwohl ein Slapstick-Film, nicht unerheblich zur Festigung eines gewissen Meinungsbildes beitrug, suggerierte, dass sich der Reporter (gespielt von Götz George – mit der enervierend-lächerlichen Simulation eines dauerhaften Nasennebenhöhlendauerkattarhs) zumindest mit bereichert hat.
Einmal entdeckt Herwig eine Stelle in den Tonbändern (es sollen rund 400 sein), in der sich Kujau fast verraten hätte. Wer genau hinhört bemerkt, wie er »gefälscht« sagen will und bei »gef….« aufhört zu sprechen. Heidemann reagiert nicht, hört es nicht, will es nicht hören. Er fällt auf die Geschichten von »Conny« immer wieder mit Wucht herein, auch noch, als alle wissen, dass es sich um Fälschungen handelt. Er glaubt ihm lange alles, lässt sich über zwei Jahre für neue Lieferungen immer wieder vertrösten, was vermutlich damit zusammenhängt, weil Kujau mit dem Tagebuchschreiben gar nicht so schnell nachkommt. Erst waren es 27 Bücher, dann am Ende über 60. Zunächst gab es pro Buch 85.000 Mark, später dann mehr. Insgesamt über 9 Millionen Mark. Das Geld ist bis heute verschwunden. Kujau ist seit 2000 tot, Heidemann ist 87 und lebt in einer Dreizimmer-Sozialwohnung (mit einem legendären Archiv, Marke 1.0).
»Nicht verifizieren – falsifizieren!« Diese journalistische Grundregel habe er vergessen, so Walde im Telefonat mit Herwig. Selbstkritik nach mehr als 30 Jahren. Publizistisch löst die Affäre beim »stern« ein Erdbeben aus. Inzwischen habe man sich davon erholt, so die These. Als Frank Thomsen, heute PR-Chef von Gruner + Jahr, nach den Verflechtungen des Konzerns in die Affäre befragt wird, wiegelt dieser ab; Belege gibt es ja auch nicht. Die willigen Bezahler für den Tagebuchschrott bleiben juristisch verschont. Belangt wurden nur Heidemann und Kujau, wobei Heidemanns Haftstrafe mit 4 Jahren 8 Monaten noch 2 Monate höher ausfiel als die des Fälschers Kujau, der vor Gericht geständig ist. Heidemann transkribiert im Gefängnis die Bänder mit den Telefonaten – zwecklos; niemand nimmt sie als Entlastungsmaterial wahr.
Herwigs Podcastreihe ist nicht eine Sekunde langweilig (naja, die letzte Folge über die »Schatzsuche« nach »Geheimen Reichssachen« mit Boger nebst Begegnung mit »Hitlers Postkartenjunge« vom Hintersee einmal ausgenommen). Oftmals wirken die Resultate seiner Recherchen noch absurder als die Darstellungen in Dietls Film. Etwa wenn es um den ominösen Herrn »Fischer« geht. Heidemann steht eines Tages vor Kujaus Haus. Auf dem Klingelschild steht »Kujau«. Ob er das nicht gesehen habe? Nein, sagt Heidemann, es habe so geschneit an dem Tag; er habe nur ein »K« gesehen und dann habe Conny auch schnell die Tür geöffnet. Das war der Investigativreporter des »stern« der 1980er Jahre?
Schnell stellt sich heraus, dass Kujau ein notorischer und auch ein cleverer Lügner war. Aber was ist mit Heidemann? Kann man ihm seine manchmal kindliche Naivität glauben? Zumal nach all dem, was er damals als Reporter geleistet hatte. Warum kaufte er die ehemalige Göring-Jacht? Und warum schenkte er Herrn »Fischer« eine Hermann-Göring-Uniform, die er, Heidemann, für 70.000 Mark ersteigert hatte? Es gibt noch mehr Indizien, die Heidemann zuweilen in ein obskures Licht stellen.
Herwig erzeugt diese Fragen beim Zuhörer. Sein Verdienst: Er versucht erst gar nicht, zu spekulieren, sondern zeigt Möglichkeiten auf. Seine Meinung behält er für sich; wohltuend in diesen Zeiten. Zum Zeitpunkt des Scoops war er zehn Jahre alt. Auch die anderen Macher der Serie (Isa von Heyl, Nilz Bokelberg, Maria Lorenz, Frisa Morische) waren damals noch Kinder. Es zeigt sich, dass es gut sein kann, wenn Leute, die nicht in den einstigen Netzwerken verstrickt sind, eine solche Geschichte noch einmal neu aufarbeiten und recherchieren.
Die Serie macht deutlich, dass die angeblich einst so glorreichen Zeiten des Journalismus auch schon ihre Flecken hatten. Die Digitalisierung potenziert die Eitelkeiten und Ruhmsucht des Berufsstands noch. Die wachsende Skepsis der Rezipienten, die Entfremdung zwischen Journalismus und Publikum nährt sich aus den immer später sich immer mehr als fehlerhaft und tendenziös herausstellenden Berichterstattungen und zunehmenden Skandalen und Skandälchen. Bei allem ist es unvorstellbar, dass die Relotius-Affäre im Dietl-Stil aufgearbeitet wird.
»Faking Hitler« ist ein Muss für Journalisten, Medieninteressierte und –kritiker. Es weist naturgemäss in die Vergangenheit – und trotzdem in die Gegenwart. Man kommt aus dem Lernen gar nicht mehr heraus.
Nach dem ich nun, diese Aufarbeitung bis Folge 7 ½ angehört habe (Ab da wird es für mich uninteressant, da mich die Schadensbegrenzung der Sternredaktin nicht interessiert) , kann ich nur noch staunen, wie billig sich sich der Stern da eine neue Story noch einmal vergolden will.
Eigentlich ist die Geschichte ja als Pleitejournalismus des Stern abgehakt worden. Da man nun in die Tonbänder hinein hören kann, kann man sich auch ein Bild von den Protagonisten machen.
Es Fällt auf, das Kujau als der angebliche Einzeltäter, ( immer unter Zeitdruck ) sich anscheinend in der geschichtlichen Historie,sehr gut auskannte, So wird in Folge 7 von Archifmaterial gesprochen Welches Kujau bei seinen Anektoden gekannt haben muß, sich aber anderseits wie ein naiver Schüler verhält, der nicht begreift was seine Tat anrichtete.
Ein gewiefter Einzeltäter hätte doch sicher zu dem Zeitpunkt schon längst sich abgesätzt.
Nicht so Kuja, er telefoniert fröhlich und blauäugig mit Heidemann weite , anscheinend nicht verstehend, das sich da eine Schlinge um seinen Hals legt.
Das scheint mir aber dann doch etwas naiv in der Bewetung zu sein.
Eher macht es mir den Eindruck, dass da zwei nützliche Idioten in einem Spiel, welches sie nicht durchschaut haben, als Sündenböcke gebraucht wurden.
Es passt meines erachten überhaupt nicht zu den Telefonaten die nach der Aufdeckung zwischen Kujau und Heidemann geführt wurden.
Vielmehr sieht es doch danach aus, als ob hier eine Geschichte von höheren Stelle ausgeknobelt worden ist, und der Journalist Heidemann mit dem Kleinkriminellen Fälscher Kujau verkoppelt wurden. Auf mich macht Kujau eher den Eindruck, als glaube er die Geschichte selber, die er da präsentiert.
Die Spontandialoge zwischen Heidemann und Kujau würden nach meinem Empfinden eine viel angespanntere Stimme bei Kujau hervor rufen, wehre er sich ständig seines hinters Licht Führens bewußt.
Statt dessen versucht man in der Folge 6 aus einem undeutlichen Genmuschel einen Freudschen Versprecher zu konstruieren, der belegen soll, „Erwischt“.
Das ist einer ordentlichen Aufarbeitung aber wirklich kontraproduktiv, und verstärkt bei mir denn Eindruck, dass ich dem nächsten Märchen glauben schenken soll.
Ob Kujau seine Fälschung zugegeben hat, spielt meines erachtens da auch keine Rolle, da ich irgendwelche Deels nicht auschließen möchte.
Immerhinn fehlen ja noch 9 Milionen DM
Das die Absegnung auf höherer Ebene in der Stenredaktion erfolgte, und dass eventuell auch ein Herr Walde eventuell eine dunkle Rolle gespielt hat ( Man erinere sich an »Günter Guillaume«) wird überhaupt nicht in Erwägung gezogen.
Ziel im kalten Krieg, Lächerlich machen der Westpresse.
Warum nun noch einmal eine weitere Story aufgetischt wird die eben so unglaubwürdig ist, kann nur bedeuten, das es um den Stern mittlerweile wirklich schlecht steht.
Das hat sich der Stern aber selber zuzuschreiben und hat weniger mit den Hitler Tagebüchern zu tun.
Ist nur meine Meinung und von daher eben so unwichtig wie diese Geschichte.
Der letzte Satz Ihres Kommentars ist der beste. Wobei ich nichts gegen alkoholgeschwängerte Meinungsäußerungen habe und auch gerne bereit bin bei entsprechender Substanz die diversen Orthographiefehler zu übersehen. Ich lasse denn auch diese gequirlte Verschwörungsscheisse hier stehen – ein letztes Mal. Ansonsten ist es wohl besser die Kommentarfunktion abzuschalten.