Auf dem Umschlag steht nur »Mahler«. Der Titel: »Längen und Kürzen«. Man staunt, einen »Band I« eines »schriftstellerischen Gesamtwerks« in den Händen zu halten. Die Figuren hat man aber schon einmal irgendwo gesehen.
Mahler? Ja. Klar. Es handelt sich um den österreichischen Zeichner Nicolas Mahler (bekannt aus für FAZ, NZZ und »Titanic«, zum Beispiel).
Und ganz schnell geht man Mahler auf den Leim: Ist nicht der vor dem Verlagschef stehende und später in seinen Briefen mit »M.« zeichnende Dichter Mahler selber? Ein findiger Trick, denn man glaubt zunächst genau das Buch zu lesen, welches der Dichter seinem Verleger vorstellt (wie lakonisch diese gezeichneten Comics) und seiner Freundin Dorothee anpreist.
Diese Briefe, Postkarten und Faxe an diese Dorothee, auf einer alten Adler-Schreibmaschine geschrieben, sind von hinreißend hintersinniger, subtiler Komik. »M.« hält diese Autographen (naturgemäß) für eminent wichtig und will sie später in sein Buch aufnehmen. Er beklagt sich darüber, dass sein Bild in der Literaturzeitschrift, die einen kurzen Text von ihm veröffentlicht hatte, zu klein ist. Er fragt seine Freundin, bittet um ihre Einschätzungen und Urteile, aber dies sind nur rhetorische Fragen. »M.« weiß längst, was er möchte und was nicht. Seine Einfälle notiert er auf Zetteln, die er dann in einen Karton legt, seine Einfallschachtel. Seine Sparbücher legt er auch hier hinein, weil er glaubt, dass Einbrecher sie hier nicht suchen würden (er ist auch ein bisschen ängstlich).
Zwar erlebt »M.« nichts, seine Einfälle sind einfach und eher selten, aber er weiß das, was jeder Schriftsteller von sich weiß: Ich bin etwas ganz Besonderes. Und es ist so spannend, ein Schriftsteller zu sein. Nichts kann seinen Selbstbewußtsein trüben. Er beginnt Gedichte zu schreiben, die er in einem anderen Karton aufhebt. Hieraus soll ein Gedichtzyklus werden. Dabei stellt er fest, dass es einfacher ist, Gedichte zu schreiben, die sich nach hinten nicht reimen. So wie dieses zum Beispiel:
DR. NICHTERL
stell dir vor
heut war ich
beim arzt
und stell dir vor
gar nicht lang hab ich
warten müssen
und stell dir vor
nichts hat er
gefunden
Das Buch soll schließlich »ROMANE, BRIEFE, POSTKARTEN, FAXE und GEDICHTE« heißen. Er besteht auf diesem Titel. Der Verlag sagt, er muß die ersten 500 Exemplare der Auflage aus der eigenen Tasche bezahlen. Er willigt ein und bittet Dorothee um Verschwiegenheit. Er besucht Buchläden, findet sein Buch dort nicht, dafür einige Rezensionsexemplare in den Ramschkisten. Die Ursache für den nicht stattfindenden Verkauf sieht er natürlich im Betrieb, den ignoranten Buchhändlern, dem Publikum. Nur nicht bei sich selber. Selbstzweifel sind ihm unbekannt. Besprechungen gibt es keine. Und Dorothee antwortet nicht mehr. Er schreibt trotzdem weiter. Bis Weihnachten.
Ein Buch für einen amüsanten Nachmittag. Es ist eben nicht immer der »Betrieb«, sondern auch (oder gerade) diejenigen, die sich für die Größten halten. Daher ist die Figur des Schriftstellers auch beliebig variierbar – genauso gut könnte es sich um einen Künstler, Politiker, Manager oder einfach nur um den Nachbarn handeln. Und man ahnt es dann: Ein bisschen was von uns steckt auch in diesem »M.«.
Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch
Leseprobe vom Luftschacht-Verlag (pdf)
Ich möchte keine Kritik an Ihrer Darstellungsweise äußern, – sie hätte das auch gar nicht verdient – aber irgendwie habe ich immer noch nicht verstanden, wovon das Buch eigentlich handelt. Oder kann es sein, dass dieser inhaltliche Minimalismus (sehr euphemistisch, finden Sie nicht auch?) im Grunde das ganze Buch ausmacht?
Dieses zitierte Gedicht, finde ich, ist auch eine große literarische, pardon, lyrische Leistung! Titel und Inhalt sind ja wahrlich beinahe konform! Wobei ich hätte dieses Meisterwerk nicht »Dr. Nichterl«, sondern eher »Nichtssagend« genannt hätte...
Name scheint auch hier Programm zu sein, vor allem bezüglich des Titels. Ob hier wohl die »Längen« oder eher die »Kürzen« überwiegen? Vielleicht formal eher ersteres und dafür eine inhaltliche Bescheidenheit?
Dass ich mich hier so weit aus dem Fenster gelehnt habe, um über das Werk herzuziehen, zeigt, dass ich ihrer Bearbeitung vertraue. Das sollte Ihnen gehörigen Respekt zollen.
Naja,
kurz gesagt ist das Buch eine Ironisierung des »Literaturbetriebs«, allerdings eher unter dem Gesichtspunkt des »nicht erkannten Schriftstellers«. Insofern ist das Gedicht natürlich kongenial.
Ich glaube, ich habe da wohl ein paar Zeilen überlesen. In Anbetracht dieses Satzes »Daher ist die Figur des Schriftstellers auch beliebig variierbar – genauso gut könnte es sich um einen Künstler, Politiker, Manager oder einfach nur um den Nachbarn handeln.« hätte ich eigentlich diese auf Persönlichkeiten in diesem Stande abzielende, kritisierende Abstraktion, kurzum Ironisierung, erkennen müssen.
Interessant wäre dass, wenn man jetzt noch dieses Schema auf eine relevante Person anwenden würde...