Odes­sa Trans­fer – Nach­rich­ten vom Schwar­zen Meer (Hrsg.: Ka­tha­ri­na Raa­be und Mo­ni­ka Sznaj­der­man)

Odessa TransferIn »Odes­sa Trans­fer« be­gibt man sich in drei­zehn Etap­pen auf ei­ne Rei­se rund um das Schwar­ze Meer, wo­bei, wie Ka­tha­ri­na Raa­be als Mit­her­aus­ge­be­rin die­ses Bu­ches im Vor­wort fest­stellt, vie­le Bei­trä­ge här­ter und po­li­ti­scher aus­ge­fal­len sei­en, als man dies er­war­tet hat­te. Und der Le­ser schnauft mit­un­ter über die­sen tat­säch­lich ver­bis­se­nen po­li­ti­schen Im­pe­tus, der ei­ni­ge die­ser Er­zäh­lun­gen, Es­says und Re­por­ta­gen (es gibt auch ein Ge­dicht – und was für ei­nes!) be­stimmt und muss da­bei wohl kon­sta­tie­ren, dass die­se Re­gi­on vor­erst lei­der kei­ne Post­kar­ten­idyl­le ist, in der zwan­zig Jah­re nach Auf­he­bung der bi­po­la­ren Welt per Knopf­druck pa­ra­die­si­sche Zu­stän­de ein­ge­tre­ten sind.

Es be­ginnt mit Aka Mor­chil­ad­zes wun­der­ba­rer Orts­er­zäh­lung über die ge­or­gisch-tür­ki­sche Grenz­stadt Ba­tu­mi, wel­che den Schatz der Ewig­keit be­sitzt und im­mer auch nach Flucht riecht und dem Au­tor ge­lingt es auf die­sen noch nicht ein­mal zwan­zig Sei­ten fast die gan­ze Ge­schich­te vom 15. Jahr­hun­dert über Sta­lin bis in die Ge­gen­wart die­ses Or­tes zu evo­zie­ren und auf die Fra­ge, was wohl das Schön­ste an Ba­tu­mi sei, gibt es die­se klei­ne Elo­ge (und für ei­nen Mo­ment möch­te man so­fort dort hin):

Ge­hen Sie im Hoch­som­mer früh­mor­gens vom äu­ßer­sten Sü­den aus die Kü­ste ent­lang. Zu die­ser zeit keh­ren am Ran­de der Stadt die Fi­scher in ih­ren Boo­ten ans Ufer zu­rück, und in den Net­zen zap­peln und glit­zern die sil­ber­nen Fi­sche. Noch weiß man nicht, ob die Son­ne durch­kommt oder ob es reg­nen wird. Bei­des kann so­gar gleich­zei­tig ge­sche­hen. Das Meer ist ru­hig: Weit drau­ßen im Nor­den schau­kelt ein Schiff, des­sen Grö­ße und Her­kunft nicht aus­zu­ma­chen sind. Un­merk­lich nä­hert man sich der Stadt, oh­ne ge­nau zu er­ken­nen, wo sie be­ginnt. Zu die­ser Zeit ist rings­um al­les, wie es ur­sprüng­lich war. Die Häu­ser, die Pal­men und die lan­gen Bän­ke am Strand sind wie hin­ge­tupft – als ob es sie gar nicht gä­be. Die sanf­te Stim­me des Mee­res, das dump­fe Ge­schrei der Mö­wen – das ein­zi­ge ver­nehm­ba­re Ge­räusch.

Und di­rekt da­nach, wi­der die Ge­schichts­ver­ges­sen­heit die­ses Or­tes: Jen­seits da­von exi­stiert ein gan­zes Uni­ver­sum der Flucht, der Ret­tung, der Ver­än­de­rung und ein un­end­li­ches, un­ent­deck­tes Ter­ri­to­ri­um – na­tür­lich nur, wenn man sich in die­ses Meer hin­ein­wagt. Die­se letz­ten Wor­te der Er­zäh­lung von Mor­chil­ad­ze kön­nen fast pro­gram­ma­tisch für die­ses Buch ge­nom­men wer­den.

Von Ba­tu­mi geht es im Uhr­zei­ger­sinn (Raa­be) mit Emi­ne Sev­gi Öz­de­mar an die tür­ki­sche Schwarz­meer­kü­ste (ein ex­pres­sio­ni­stisch-po­li­ti­scher Text). Da­nach folgt An­drzej Sta­si­uks mit­rei­ßen­de Road­mo­vie-Er­zäh­lung in der er von Ser­bi­en über Bul­ga­ri­en (es gibt im bul­ga­ri­schen Ho­tel­fern­se­hen, so stellt der Au­tor fest, nur Por­nos oder Eu­ro­s­port; bei letz­te­rem schläft er dann ein) bis nach Istan­bul fährt und dem Le­ser die­sen Raum zum Rei­sen in schö­nen Bil­dern mit be­le­ben­den Ab­schwei­fun­gen na­he­bringt. Man er­fährt so ne­ben­bei, war­um Sta­si­uk für die EU-Mit­glied­schaft Ser­bi­ens plä­diert (da­mit es an den Gren­zen kei­ne bü­ro­kra­tisch-auf­rei­ben­den Kon­trol­len mehr gibt, die den un­ge­hin­der­ten Ver­kehr und vor al­lem die schnel­le Au­to­fahrt auf­hal­ten) und wie ver­blüfft er schließ­lich ist, als er auf tür­ki­schem Ge­biet fah­rend so rein gar nichts ent­deckt, was sei­nem Bild vom Ori­ent ent­spricht und sich eher an ei­ne deut­sche Au­to­bahn oder den ame­ri­ka­ni­schen Mais­staat Io­wa er­in­nert fühlt. Und vor­her der Grenz­be­am­te an der bul­ga­risch-tür­ki­schen Gren­ze mit sei­nem ele­gant gestutzte[n] Schnurr­bärt­chen, der im Häus­chen mit dem gro­ßen Por­trait von Ata­türk mit Fei­er­lich­keit und Ge­setzt­heit, ja so­gar Wür­de die vio­let­te Mar­ke des Staa­tes in den Paß kleb­te und fast eu­pho­risch wird be­merkt: Das Land ge­fiel mir von An­fang an.

Su­per­mäch­te der My­tho­lo­gie, Ovid und der Man­tel der Mut­ter

Da­nach über­nimmt Si­byl­le Le­witschar­off ver­spielt-as­so­zia­tiv (von Fer­ne Tho­mas Pyn­chon an­him­melnd), wo­bei die an­son­sten so ger­ne vor­ge­tra­ge­ne Bul­ga­ri­en-Haß­lie­be der Au­torin dies­mal weit­ge­hend aus­bleibt. Die­sen Part über­nahm vor­her be­reits Sta­si­uk mit dem Ver­gleich Bul­ga­ri­ens mit Ban­gla­desh (auch wenn es nur um die Qua­li­tät des Asphalts der bul­ga­ri­schen Stra­ßen ging). Ta­kis Theo­do­rou­pou­los’ wun­der­bar iro­ni­scher, aber nie­mals de­spek­tier­li­cher Auf­satz über die Su­per­mäch­te der My­tho­lo­gie ist dann ei­ner der Hö­he­punk­te die­ses Bu­ches. Wir er­fah­ren so ei­ni­ges über den be­dau­erns­wer­ten Mann Odys­seus, der tat­säch­lich gar kein rich­ti­ger See­fah­rer war und des­sen An­ti­po­de Ja­son, die­sem zum ru­he­lo­sen Her­um­ir­ren Ver­ur­teil­ten. Wir ler­nen, dass die Grie­chen ih­re Ko­lo­nien nicht als Er­obe­rer führ­ten, le­sen ei­ni­ges über Me­dea (die im Ge­gen­satz zu Ma­ria Cal­las in Pa­so­li­nis Film in Wirk­lich­keit blond ge­we­sen sein soll) und der Bo­gen zum Schwar­zen Meer wird mit dem Zug der Ar­go­nau­ten und die ima­gi­nä­re Er­obe­rung des Gast­li­chen Mee­res ge­schla­gen.

Mir­cea Căr­tă­res­cu zieht es von Kind­heit an im­mer wie­der in die Ver­ban­nungs­stadt Ovids (To­mis bzw. Con­stanţa), der hier die Spra­che des Un­glücks er­fun­den hat­te. 1995 war das Meer merk­wür­dig alt ge­wor­den und in ei­ner Vi­si­on schmilzt das Bron­ze-Denk­mal Ovids da­hin. Ein schö­nes Bild wie trotz (oder we­gen?) der tou­ri­sti­schen Auf­be­rei­tung für den sei­ner­zeit von Rom Ver­ges­se­nen und von den Bar­ba­ren be­wein­ten ir­gend­wann wie­der zum Ver­ges­sen füh­ren kann und die Ver­geb­lich­keit all die­ses Trei­bens wird am En­de auf die Spit­ze ge­trie­ben, wenn der Hit­ze­tod des end­lo­sen Uni­ver­sums in ein paar Mil­li­ar­den Jah­ren »droht«.

Auch At­ti­la Bar­tis kommt im­mer wie­der nach Con­stanţa, sei­nem Sehn­suchts­ort der Kind­heit. Sein Bei­trag ist emi­nent po­li­tisch und be­schäf­tigt sich mit dem Ce­auşes­cu-Re­gime Ru­mä­ni­ens (der Na­me des Dik­ta­tors fällt nie; die­se Eh­re wird nicht ge­währt). Als An­ge­hö­ri­ger der un­ga­ri­schen Min­der­heit mach­te der Ich-Er­zäh­ler, der mit Bar­tis iden­tisch ist (ei­ne Ver­frem­dung wird erst gar nicht ver­sucht), von Kind an Be­kannt­schaft mit Arg­wohn, Pres­si­on und Ver­fol­gung und stellt re­si­gniert fest, dass das »neue« Ru­mä­ni­en zu häu­fig auf den al­ten Struk­tu­ren (Per­so­nen) auf­baut. Da mag man den manch­mal arg mo­ra­li­sie­ren­den Ge­stus nach­se­hen und Bar­tis er­kennt sel­ber, dass es ei­gent­lich sei­ne Auf­ga­be wäre…über die Zu­kunft des Schwar­zen Mee­res zu schrei­ben, aber die Zu­kunft ist hier so eng mit der Ver­gan­gen­heit ver­knüpft, dass das Ver­ge­gen­wär­ti­gen der Ver­gan­gen­heit zur Zu­kunft zu ge­hö­ren scheint. (Ist das wirk­lich so?)

Und so auch die Re­mi­nis­zenz an die Mut­ter am En­de der Er­zäh­lung, ein Mo­ment des Glücks, zu se­hen auf ei­nem Fo­to von ihr, auf­ge­nom­men vor ge­nau fünf­zig Jah­ren, je­mand hat mit Tin­ten­stift das Da­tum auf die Rück­sei­te ge­schrie­ben […] Con­stanţa, 1958. Ich rech­ne nach, sie war da­mals ein­und­drei­ßig Jah­re alt. Al­so war sie von ih­rem er­sten Mann schon ge­schie­den. Al­so kann­te sie mei­nen Va­ter noch nicht, denn mein Va­ter saß zu der Zeit im Ge­fäng­nis. Wie­der und wie­der rech­ne ich nach: ge­nau fünf Jah­re zu­vor war ih­re Toch­ter ge­stor­ben. […] Ei­gent­lich er­ken­ne ich sie nur an ih­rem Man­tel. Auch zwan­zig Jah­re spä­ter noch war das ihr Herbst­man­tel. Ir­gend­wann ge­gen En­de der sieb­zi­ger Jah­re ver­schwand die­ser Po­pe­lin­man­tel von den Herbst­fo­tos. Fast ein gan­zes Le­ben lang hat­te sie ihn be­ses­sen. Mit we­hen­dem Haar, ei­nen lan­gen Schal um den Hals, steht sie am Ufer des Mee­res. Ih­ren Man­tel knöpft sie nicht zu, hält ihn nicht zu­sam­men, läßt ein­fach ge­sche­hen. Öff­net sich je­man­dem. Schön und frei ist sie. Fremd. We­der in Ver­gan­gen­heit noch in die Zu­kunft schaut sie, nur je­man­dem in die Au­gen. Sie ist glück­lich. Weit im Hin­ter­grund ist ein Leucht­turm. Von Vá­sá­r­he­ly aus ist die­ser Leucht­turm, zu­min­dest in Ki­lo­me­tern ge­mes­sen, der fern­ste Punkt, an den sie in ih­rem Le­ben je ge­langt ist.

Blue­jeans, Tee und Ein­heits­kind­heit

Kat­ja Lan­ge-Mül­ler er­zählt ei­ne deutsch-ru­mä­ni­sche, ein biss­chen ver­schro­be­ne Lie­bes­ge­schich­te be­vor Ni­co­le­ta Esi­nen­cu mit ih­rem ful­mi­nan­ten Ge­dicht »Odes­sa Trans­fer« (der ja auch Ti­tel des Bu­ches ist) an­setzt. Hier er­scheint die­ses Schwarz­meer-Viel­völ­ker­ge­misch in sei­ner gan­zen Viel­fäl­tig­keit, Schön­heit und gleich­zei­tig Ver­zweif­lung. Viel mehr als man­che po­li­ti­sche Re­por­ta­ge ent­steht hier ein hi­sto­risch-kul­tu­rel­ler Ab­riß der letz­ten drei­ßig, vier­zig Jah­re und das auf leich­te, aber kei­nes­wegs seich­te Art. Da ist Pe­re­stroi­ka ir­gend so ein neu­es ame­ri­ka­ni­sches wort // das mein bru­der aus odes­sa mit­ge­bracht hat und Jeans wer­den zu Sta­tus­sym­bo­len (wo­bei: ech­te jeans müs­sen ab­ge­nutzt sein). Da wird die Ge­schich­te Bes­sa­ra­bi­ens er­zählt und das jet­zi­ge Le­ben zwi­schen Mol­da­wi­en, Ru­mä­ni­en und der Ukrai­ne ge­spie­gelt, wel­ches sich au­ßer der zum Teil aben­teu­er­li­chen Hin- und Her­rei­se­rei über Staa­ten­gren­zen hin­weg (hin­rei­ßend das Schil­dern des Tex­til­schmug­gels im Über­ein­an­der­an­zie­hen von Ho­sen, Pull­overn und Jacken) kaum von der frü­he­ren Zeit un­ter­schei­det. Und die Men­schen seuf­zen o gott daß wir aus­ge­rech­net im ärm­sten land // von eu­ro­pa ge­bo­ren wer­den muss­ten. Aber in con­stanţa ist das meer grün, Guir­gui­leşti ist ei­ne Stadt am Meer (!), blue­jeans sind so was ba­na­les ge­wor­den und das schwar­ze meer hat die far­be des waf­fen­han­dels und dro­gen­han­dels // in trans­ni­stri­en.

Man wan­dert mit Karl-Mar­kus Gauß durch Odes­sa (für ihn ei­ne Art Tri­est des Ostens) und ent­deckt mit dem neu­en Shoo­ting Star der ost­eu­ro­päi­schen Li­te­ra­tur­sze­ne, dem Ukrai­ner Ser­hij Zadan, »Post­so­wje­ti­sche Pa­ra­die­se«, in dem man ei­ner ju­gend­li­chen Die­bes­ban­de bei der »Ar­beit« zu­schaut und am En­de ei­ner der Die­be in den ero­ti­schen Bann ei­ner deut­lich äl­te­ren Ge­ne­rals­wit­we ge­rät. Da­ne­ben pflan­zen ein paar Mol­da­wi­er wil­den Hanf an und in Jal­ta wird in ei­nem Be­ton­mi­scher in ei­nem selt­sa­men al­che­mi­sti­schen Un­ter­neh­men bis zu ei­ner Ton­ne Nor­mal­kaf­fee her­ge­stellt, wo­bei es von Vor­teil war, dass die Al­che­mi­sten Ve­ge­ta­ri­er wa­ren und sich nur bom­ben­star­ken Tee brau­ten. Hier wer­den so­wohl die Er­in­ne­run­gen an die So­wjet­zeit als auch das neue, ver­wir­ren­de Le­ben in der Ge­gen­wart mit ei­nem hei­ter-ma­gi­schen Rea­lis­mus er­zählt, wie es ihn viel­leicht im Mo­ment nur aus Ost­eu­ro­pa gibt.

Ge­tra­gen und ernst wird es als man mit Kat­ja Pe­trows­ka­ja das Kin­der­la­ger Orl­jo­nok be­sucht (die­ser weltgrößte[n] En­kla­ve für die glück­li­che Kind­heit) und von der Au­torin äu­ßerst sug­ge­stiv die Par­al­le­le zwi­schen so­wje­ti­scher Um­er­zie­hungs­an­stalt und na­tio­na­li­sti­schem In­dok­tri­na­ti­on à la Pu­tin na­he­ge­legt be­kommt. Da­mals wie heu­te ei­ne Ein­heits­kind­heit mit dem Ziel ei­ner ma­ni­pu­lier­ba­ren Ge­sell­schaft und man be­zwei­felt gar nichts an die­sem Be­richt, fin­det es auch ganz schlimm, wenn auf ei­ner Wan­de­rung noch »Auf­ga­ben« zu lö­sen sind, wird aber durch die­sen bes­ser­wis­se­ri­schen Duk­tus skep­ti­scher als nö­tig und möch­te die Au­torin ein­mal nach Deutsch­land ein­la­den um ihr zu zei­gen, wie viel fei­ner aber in der Wir­kung ähn­lich hier die Ju­gend kon­di­tio­niert wird, aber da er­fährt man aus der Kurz­bio­gra­phie am En­de des Bu­ches, dass sie seit 1999 in Ber­lin lebt und für die Süd­deut­sche Zei­tung, die Neue Zür­cher Zei­tung und die Deut­sche Wel­le ar­bei­tet.

Ab­cha­si­en

Den Ab­schluss des Bu­ches bil­det ein über­aus in­ter­es­san­ter Es­say des bri­ti­schen Jour­na­li­sten und Ost­eu­ro­pa­ken­ners Ne­al Ascher­son, der tat­säch­lich für ei­ne po­li­ti­sche und di­plo­ma­ti­sche An­er­ken­nung Ab­cha­si­ens plä­diert. Im Ge­gen­satz zu Süd-Os­se­ti­en (wie Ab­cha­si­en ei­ner von Ge­or­gi­en ab­trün­ni­gen Pro­vinz), die sich durch die ein­sei­ti­ge Au­to­no­mie mit dem rus­si­schen Nord-Os­se­ti­en ver­ei­ni­gen und in Russ­land auf­ge­hen will, at­te­stiert Ascher­son Ab­cha­si­en die Chan­ce durch ei­ne po­li­ti­sche Selb­stän­dig­keit aus dem Ein­fluss­be­reich Russ­lands her­aus­tre­ten zu kön­nen. Er hält Ab­cha­si­en für ei­nen vertrauenswürdige[n] und öko­no­misch lebensfähige[n] Mi­ni­staat, der im Mo­ment in Ge­or­gi­en schlech­ter auf­ge­ho­ben sei als wei­land in der UdSSR, als Ab­cha­si­en of­fi­zi­ell als au­to­no­mes Ge­biet ge­führt wur­de. Die öko­no­mi­sche Fra­ge streift Ascher­son mit der Be­mer­kung, Ab­cha­si­en lie­ge dort, wo die Kü­ste des Schwar­zen Mee­res am Schön­sten sei und setzt da­mit al­so auf den Tou­ris­mus.

Ab­cha­si­ens all­ge­mei­ne po­li­ti­sche An­er­ken­nung wür­de nicht nur die Los­lö­sung von Ge­or­gi­en be­deu­ten, son­dern könn­te auch die Vor­macht­stel­lung Russ­lands ein­däm­men. Russ­lands Hil­fe wür­de von den Ab­cha­sen (Ascher­son zeigt, dass die­se Zu­ord­nung nicht eth­nisch ver­stan­den wer­den kann) eben­so arg­wöh­nisch be­trach­tet, aber man nimmt sie man­gels Al­ter­na­ti­ve an, so die The­se. Gleich­zei­tig wird über die Kne­be­lung der ge­or­gi­schen Re­gie­rung an USA und NATO re­fe­riert. Der We­sten wür­de mit sei­ner Un­ter­stüt­zung der un­rea­li­sti­schen ge­or­gi­schen Ge­biets­an­sprü­che si­cher­stel­len, dass Ge­or­gi­en ihr ohn­mäch­ti­ger Kli­ent blei­ben wür­de und Tbi­lis­si noch stär­ker auf mi­li­tä­ri­sche, wirt­schaft­li­che und di­plo­ma­ti­sche Pa­tro­na­ge Wa­shing­tons an­ge­wie­sen sei.

Ascher­son sieht ei­ne Par­al­le­le zum sehr lan­gen Be­har­ren der deut­schen Nach­kriegs­re­gie­run­gen auf die Gren­zen von 1937. Erst mit der Re­gie­rung Brandt/Scheel wur­de in den 70er Jah­ren die so­ge­nann­te Oder-Nei­ße-Gren­ze an­er­kannt und die Bun­des­re­pu­blik aus der Fal­le her­aus­ge­führt. Nicht zu Un­recht sieht Ascher­son erst in der An­er­ken­nung die­ser neu­en Nach­kriegs­ord­nung (die dann frei­lich 1990 in­ner­halb des so­ge­nann­ten »Zwei-plus-Vier«-Vertrag noch ein­mal von der dann sou­ve­rän wer­den­den Bun­des­re­pu­blik be­stä­tigt wer­den muss­te) die for­ma­le Mög­lich­keit zur spä­te­ren Wie­der­ver­ei­ni­gung (die Fra­ge war tat­säch­lich 1990 kaum noch Dis­kus­si­ons­the­ma in der deut­schen Po­li­tik; al­len­falls ei­ni­ge Ewig­gest­ri­ge ar­ti­ku­lier­ten Vor­be­hal­te).

Wann wer­den wir den ge­or­gi­schen Wil­ly Brandt er­le­ben? wird durch­aus pi­kant ge­fragt. Der poin­tier­te Es­say be­leuch­tet lei­der nicht die op­po­si­tio­nel­len Grup­pen in Ge­or­gi­en, die sich durch ih­re vor­he­ri­gen Re­gie­rungs­zei­ten eben­falls dis­kre­di­tiert ha­ben. Und er be­rück­sich­tigt nicht die Si­gnal­wir­kung im Kau­ka­sus, die ei­ne An­er­ken­nung ei­nes Staa­tes Ab­cha­si­en nach sich zie­hen wür­de. Nicht zu­letzt durch ein Vor­pre­schen des An­er­ken­nens von Slo­we­ni­en und Kroa­ti­en durch die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und der EU wur­den sei­ner­zeit die Krie­ge in Ex-Ju­go­sla­wi­en ge­ra­de nicht un­ter­bun­den, son­dern erst ent­facht.

Wo ist der Geist des An­fan­gens?

Ach ja, und da gibt es ja noch die Bil­der von An­drzej Kra­marz, die klug zwi­schen die je­wei­li­gen Bei­trä­ge ein­ge­fügt wur­den. Ei­ne Mi­schung von alt­so­zia­li­sti­scher Tri­stesse, merk­wür­dig kraft­strot­zen­der Ge­gen­wart und Au­gen­blick­glück­se­lig­keit zeigt sich dem Le­ser dort. Und die­ser ist nach der Lek­tü­re hin- und her­ge­ris­sen zwi­schen Fas­zi­na­ti­on und Ban­gig­keit und das Wort von Ka­tha­ri­na Raa­be vom An­fang scheint mehr Be­dro­hung als Zu­stands­be­schrei­bung: Je­de nur denk­ba­re Zu­kunft scheint am Schwar­zen Meer schon Ver­gan­gen­heit zu sein. Die Mög­lich­kei­ten fried­li­chen Zu­sam­men­le­bens ex­trem un­ter­schied­lich ge­präg­ter Men­schen, die Re­li­gi­on, Spra­che und Tra­di­tio­nen trennt; die Mög­lich­keit mör­de­ri­schen Has­ses, der zu Flucht, Ver­trei­bung und Aus­lö­schung führt – al­les wur­de schon ein­mal aus­pro­biert.

Und man fragt sich wie bei all die­sem Traditions‑, Er­in­ne­rungs- und Ge­schichts­ge­röll, der auch in fast all den Bei­trä­gen im Buch hin­auf- und her­un­ter­ge­wälzt wird, so et­was wie ein Neu­be­ginn mög­lich sein soll. Wo ist denn die­ses »re­ge­ne­ra­ti­ve Ge­nie« der Men­schen, von dem Pe­ter Slo­ter­di­jk in sei­nen Poe­tik­vor­le­sun­gen sprach? Je­nes Ge­nie, wel­ches statt »vor die töd­li­chen Ka­pi­tel der Ge­schich­te zu­rück­zu­blät­tern« und die »heil­lo­sen Über­lie­fe­run­gen« zu re­pe­tie­ren »mit der Stif­tung neu­er Le­bens­for­men aus dem Geist des An­fan­gens« ant­wor­tet. Die­ser »Geist des An­fan­gens« könn­te, ja müss­te von den Dich­tern auf­ge­grif­fen wer­den. Von zwar von de­nen, die eben nicht nur zu­rück­blät­tern. In die­sem Sin­ne gibt es ein paar An­fän­ge in »Odes­sa Trans­fer«. Aber ob sie ge­hört wer­den? (Und wie­der braucht man die Hoff­nung.)

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. »Der wil­de Osten«
    Lang schon stört mich der hie­si­ger­seits im­mer noch eher ein­sei­ti­ge Blick nach We­sten. Und öf­ter schon dach­te ich: Ich wür­de gern je­de ein­zel­ne mei­ner USA-Er­fah­run­gen ge­gen ei­ne aus Ost­eu­ro­pa tau­schen.

    Et­was von Sta­si­uks Geist – ein et­was auf­müp­fi­ger, die Feh­ler in bei­den her­ge­brach­ten Sy­ste­men ken­nen­der, in je­dem Fal­le ei­gen­stän­di­ger und da­bei doch kos­mo­po­li­ti­sche­rer Geist als bei vie­len rei­se­er­fah­re­nen Jün­ge­ren „im We­sten“ – schät­ze ich seit Län­ge­rem bei Schrift­stel­lern aus dem aus un­se­rer Sicht oft so folk­lo­ri­stisch ab­ge­ta­nen „wil­den“ Osten.

    Und eben­so seit Län­ge­rem ha­be ich die Bil­der aus dem Film Car­pa­tia im Kopf – ein ganz an­de­rer, aber eben­so ei­gen­stän­di­ger Raum im Osten, ei­ner wei­te­rer von de­nen, die hier zu­gleich so vor­stel­lungs­über­la­de­ne und da­bei doch so un­ge­läu­fig sind. (Ist na­tür­lich hier nur ei­ne sub­jek­ti­ve Ver­bin­dung, aber ich fühl­te mich wäh­rend des Le­bens ein paar Mal dar­an er­in­nert.)

    An den Geist das An­fan­gens glau­be ich ak­tu­ell nicht so recht, trotz des neu­en Jah­res – aber das ist viel­leicht et­was, das sich in der Er­fah­rung dann dort re­vi­die­ren lie­ße. Sehr wohl aber dar­an, dass die ei­gent­lich re­ge­ne­ra­ti­ve Wirk­kraft aus der Viel­falt sol­cher schlicht geo­gra­phi­scher Kräf­te kom­men kann. (Ein biss­chen da­von steck­te ja viel­leicht auch in dem „Ho­ri­zont Ju­go­sla­wi­en“ im Sin­ne Hand­kes [trotz der Ser­ben]: al­le könn­ten ein biss­chen frei­er sein, gä­be es ein­fach mehr Ver­schie­den­heit und da­mit Be­fruch­tung mit dem je­weils Bes­se­ren und mehr ge­gen­sei­tig neu­tra­li­sier­te Do­mi­nan­zen.)

    Dass sich das trä­ge, teils längst in den öko­no­mi­schen Fän­gen sei­ner Ver­ein­heit­li­chung siech ge­wor­de­ne Eu­ro­pa wo­mög­lich aus ei­nem solch ent­le­ge­nen Raum in­spi­rie­ren oder er­neu­ern lie­ße, das wä­re ein schö­ner Ge­dan­ke. Das Buch je­den­falls hät­te ich viel­leicht über­se­hen und wür­de es nun ger­ne le­sen!

     

  2. Na­tür­lich ha­be ich mehr­mals bei der Lek­tü­re an Hand­ke und »sein« Ju­go­sla­wi­en ge­dacht. Der »Geist des An­fan­gens« war hier – ein­mal als The­se ge­setzt – die »heil­vol­le« Über­lie­fe­rung des ge­mein­sa­men Zer­schla­gens der NS-Be­sat­zung, wel­ches von uns an die »un­heil­vol­len« Über­lie­fe­run­gen fer­ne­rer Zeit über­la­gern, wenn nicht aus­lö­schen soll­te. Hand­ke be­tont die­se Ge­mein­sam­keit sehr häu­fig – und muss­te dann fest­stel­len, dass sie nicht hält.

    Dass, was man dann bei den Ser­ben »Na­tio­na­lis­mus« nann­te und bei den Slo­we­nen, Kroa­ten, Bos­ni­ern, Ma­ze­do­ni­ern, Mo­nene­gri­nern und zu­letzt Ko­so­va­ren dann »Frei­heits­kampf« schürt die­se un­heil­vol­len Er­zäh­lun­gen nicht nur, son­dern er­weckt sie wie­der zum Le­ben. Wenn man dann Ab­cha­si­en an­er­ken­nen möch­te ist das un­ge­fähr so, als wür­de man das Feu­er mit Öl lö­schen wol­len.

    In­zwi­schen ver­sucht die Po­li­tik in su­pra­na­tio­na­len, nicht mehr em­pha­thie­fä­hi­gen Ge­bil­den den Na­tio­na­lis­mus zu Gun­sten ei­nes Re­gio­na­lis­mus aus­zu­trei­ben, der sich dann tat­säch­lich mehr oder we­ni­ger zur re­gio­na­len Folk­lo­re ent­wickelt bzw. sich zu ent­wickeln droht.

    Ei­ni­ge Bei­trä­ge wa­ren mir schon ih­rer Mo­ra­li­tät zu sehr auf den »We­sten« und des­sen Vor­stel­lun­gen aus­ge­rich­tet, aber le­sens­wert ist das al­le­mal.

  3. Aus dem Flach­land
    Im­mer wenn ich ei­nem Freund ge­gen­über mit mei­ner Be­gei­ste­rung für Viel­falt kom­me, will er das als re­la­ti­vie­ren­des Ele­ment der Post­mo­der­ne ab­tun (und sieht nicht, dass er sich da sei­ner­seits an ei­nem Front­ver­lauf be­wegt, es aber nicht „rü­ber“ schafft).

    Den Ge­dan­ken in ei­ner sol­chen Idee mit dem ge­mein­sa­men „Heil“ se­he ich schon – emp­fin­de ihn aber (kann sein wg. mei­nes „Deutsch­tums“, dem das Un­se­li­ge der neue­ren Ver­gan­gen­heit ja ge­ra­de­zu zum Kol­lek­tiv-Kon­sti­tu­ie­ren­den wur­de, das nun längst auch ein biss­chen klap­pert) mitt­ler­wei­le et­was „zu spät“. Je­den­falls weiß ich von ein paar jün­ge­ren Be­kann­ten aus „dem Osten“ (Po­len resp. Russ­land resp. Kroa­ti­en), dass die­se die Über­win­dung ih­res Sy­stems eben zu we­nig durch deutsch-gründ­li­che „Auf­ar­bei­tung“ über­wun­den se­hen, als durch ein „vor­wärts und ver­ges­sen“ (und auch viel Ver­drän­gen). Mir ist dar­über klar ge­wor­den, dass die so ei­nen hei­len­den wie un­se­ren sei­ner­zeit aus­glei­chen­den „rhei­ni­schen“ Ka­pi­ta­lis­mus ja so nie ken­nen ge­lernt ha­ben und es auch nicht wer­den. (Et­wa im Sin­ne Jo­chen Schim­mangs.) Da gibt’s zwar Pro­duk­ti­vi­tät, aber kol­lek­tiv eher die al­te Un­gleich­heit. Und das al­les zu­sam­men, Hi­sto­ri­en­re­ste bis in die Kon­ti­nui­tät der Per­so­nen (Ru­mä­ni­en) und wirt­schaft­li­chen Rück­fall in fast vor­mo­der­ne Zeit (Ukrai­ne) pro­du­ziert eher wie­der Un­gleich­zei­tig­keit.

    Könn­te man die dann (Sta­si­uk sieht es manch­mal so) als die „Viel­falt“ auf ei­nem zeit­li­chen Vek­tor be­grei­fen? Oder kann man feh­len­de Kon­ti­nui­tät mit ei­nem grö­ße­ren Ge­wicht an (von mir aus et­wa „my­thi­scher) Ver­gan­gen­heit aus­glei­chen? Sprün­ge macht die Ge­schich­te ja aber auch eher nicht.

    Über die po­li­ti­sche Di­men­si­on der neu­en Na­tio­na­lis­men traue ich mich nicht recht zu ur­tei­len, ist das als Wech­sel­bald ei­ner „Selbst­fin­dung“ der ja tat­säch­lich auch „neu­en“ Län­der viel­leicht doch le­gi­tim. (Ich den­ke et­wa an Slo­we­ni­en; al­ler­dings ist das auch zu klein für – et­wa die kroa­ti­schen oder ser­bi­schen – Groß­manns­tö­ne.)

    Ich glau­be, Hand­ke hat eher Recht mit sei­ner Not­wen­dig­keit ei­ner „poe­ti­schen“ oder viel­leicht tie­fen-er­zäh­le­ri­schen Ader in den Ge­schich­ten [Ge­schichts­ge­bun­gen] der Völ­ker, ei­ner ge­mein­sa­men gro­ßen Er­zäh­lung (wie­der­um post­mo­dern im Sin­ne Ly­o­tards?). Und die schei­nen uns im Um­brü­che-zer­klüf­te­ten Osten al­so „tie­fer“ als bei Flach­land-West­lern.

    Oder wer­den sie da nicht bald eben­so aus­ster­ben wie „bei uns“? Wenn dem­nächst der gan­ze Bal­kan eu­ro­pä­isch ist, könn­te das ei­ne gu­te Schlag­sei­te für das Ge­samt­ge­bil­de brin­gen. Aber wer­den wir uns vom frem­den Heil noch mal so an­stecken las­sen wie mit un­se­rem sim­pel-ame­ri­ka­ni­schen, das ja auch er­lö­se­ri­sche Zü­ge hat­te? Oder geht es uns eher um die Pro­jek­ti­on des Rest-Uto­pi­schen solch vor­zugs­wei­se un­er­reich­bar zu den­ken­den Or­te? Um so nö­ti­ger wä­re es dann viel­leicht, sie à la Hand­ke zu „träu­men“. Doch ich fürch­te, die Leu­te wol­len Flach­bild­schir­me.

     

  4. Tja, die gro­ße ge­mein­sa­me Er­zäh­lung – ein schö­nes Ide­al. Aber der band zeigt ein­mal wie­der deut­lich, wie­vie­le un­ter­schied­li­che Er­zäh­lun­gen und In­ter­pre­ta­tio­nen auf eher klei­nem Raum im­mer noch exi­stie­ren und eben je­ne »un­heil­vol­len« (Slo­ter­di­jk) Sub-Er­zäh­lun­gen kon­stu­tu­ie­ren. Hand­kes »ge­mein­sa­me« Er­zäh­lung im Fall von Ju­go­sla­wi­en war tat­säch­lich der Wi­der­stand, der dann aus ver­mut­lich eher pro­fa­nen Grün­den nicht ge­nug Kleb­stoff be­inhal­te­te.

    Der Na­tio­na­lis­mus von Slo­we­ni­en, Kroa­ti­en, Bos­ni­en usw. hat ja merk­wür­di­ger­wei­se eben ge­nau das Ziel, sich in der Be­die­nungs­an­lei­tung für Flach­bild­schir­me ei­ne ei­ge­ne Ru­brik (mit ent­spre­chen­dem Au­to­kenn­zei­chen vor­ab) zu si­chern. Da­nach geht man dann un­ter das Dach EU und/oder NATO, weil das Brenn­holz­sam­meln zu­sam­men ein­fa­cher scheint (und man so­fort mit­re­den darf, wie das Ge­sam­mel­te ver­teilt wird).

    Aber wo und wie soll in ei­ner EU ei­ne ge­mein­sa­me Er­zäh­lung ent­ste­hen? Und er­fah­ren wir nicht ge­ra­de in Deutsch­land das die­se gro­ßen Er­zäh­lun­gen im­mer nur Re­kur­se auf je­ne un­heil­vol­len Zei­ten sind? Wir dis­ku­tie­ren um Er­eig­nis­se, de­ren »Auf­ar­bei­tung« nach 65 Jah­ren der­art kom­plex in­sti­tu­tio­na­li­siert wer­den müs­sen – nur: war­um noch ein­mal? Ei­ne Frau Stein­bach, die nor­ma­ler­wei­se Fri­seu­rin oder Bäcke­rei­fach­ver­käu­fe­rin hät­te wer­den sol­len (von mir aus auch ei­ne je­ne fe­schen Un­ter­neh­mens­be­ra­te­rin­nen, die mit ge­stren­gem Blick pick­li­ge Fir­men­er­ben auf die rich­ti­ge Spur brin­gen kön­nen) stellt ei­ner ge­wähl­ten Re­gie­rung »For­de­run­gen« um ein Er­eig­nis in ih­rer Sicht­wei­se dar­stel­len zu kön­nen. Das ist für mich ge­nau so ab­surd wie die Denk­ma­le­rei und Fei­er­tags­be­wäl­ti­gungs­rhe­to­rik, die sich im­mer noch durch den (Nachrichten-)Raum zieht.

    Als Kom­pro­miß ist dann je­mand wie Schim­mang und des­sen Idea­li­sie­rung der al­ten Bun­des­re­pu­blik. Das sah man, als man mit­ten­drin war, ver­mut­lich deut­lich an­ders (sie­he Koep­pen). Und Gott be­wah­re (falls es ihn gibt), dass wir nicht noch ir­gend­wann ein­mal die Schrö­der- oder Mer­kel­zeit als die »gu­te, al­te« her­vor­ho­len wie ein Greis ein ver­gilb­tes Fo­to sei­ner Ju­gend­lie­be.

    So wer­den die gro­ßen Er­zäh­lun­gen viel­leicht längst schon an­ders­wo ge­schrie­ben und er­schei­nen als Hol­ly­wood-Schin­ken oder Fuß­ball-Dra­ma ver­wan­delt. Das ist na­tür­lich DIE gro­sse Tri­via­li­sie­rung ei­ner Kul­tur. Aber es wür­de er­klä­ren, war­um die Leu­te Flach­bild­schir­me brau­chen.