»Warum es so schwer ist, die ‘Bild’-Zeitung zu kritisieren. Und warum man es dennoch machen sollte« lautet der Untertitel eines Artikels von Georg Seeßlen und Markus Metz im aktuellen »Freitag«. Nach holprigem Beginn kommt man in Fahrt:
Die Empörung unter den aufrechten Demokraten, so es sie noch gibt, den verbliebenen Verfechtern einer moralischen Kultur der Medien, den versprengten Aufklärern, Sprach- und Bildkritikern, den Vertretern von Persönlichkeitsrecht und Menschenwürde ist verständlicherweise groß. Auf einen Beistand der Parteien, der Stars der Unterhaltungsbranche, der großen kulturellen Institutionen, der Gewerkschaften und der Kirchen gegen das System Bild sollte niemand zählen. Man hat sich, so scheint es, arrangiert, man benutzt einander, man schaut gar nicht mehr genauer hin. Das System Bild, wir brauchen dazu nur die Plakate mit den Prominenten anzusehen, die für es Reklame machen, ist nicht nur ein System der Korrumpierung, sondern auch ein System der vollendeten moralischen Korruption.
Schließlich wird mit (rhetorisch) grosser Geste gefragt:
Wie viel…wollen wir uns eigentlich gefallen lassen, als Geschmacksverstärker in der Müllkultur, als medienpopulistische Aufweichung der parlamentarischen Demokratie, als Organ, das sich seine Opfer sucht, und in seinen Stories öffentlich zerstört, als groteske Parallelwelt von Prominenten und Halbprominenten, die nach dramaturgischen Regeln aufgebaut und wieder hinunter gestoßen werden, als bunte Mischung von Bigotterie und Prostitution?
Das »System Bild«, welchem man sich auf so unterschiedliche Art nähert, wird dabei weder im Kontext anderer, ähnlich gelagerter Presseorgane beispielsweise aus Grossbritannien, Österreich und der Schweiz gestellt, noch kommt die Quintessenz über die einfache Feststellung Das System Bild funktioniert, weil so viele Menschen, so viele Institutionen, so viele Interessen mitspielen hinaus.
Bezeichnend ist, dass die diskursiv-didaktische »Bewältigung« des Phänomens »Bild« (in Anlehnung an die 68er) durch den »Bildblog« gänzlich unerwähnt bleibt, was zu Spekulationen reizt. Und wieso kommt der laue Appell, sich zur Wehr zu setzen und die vage Andeutung einer aus mehreren Versatzstücken zusammengesetzten, amalgamierten Kritik mit einer resignativen Attitüde daher?
Wenn sich denn – wie behauptet wird – die »Bild« originäre und an keine Staats- oder Daseinsform unmittelbar gebundene (Menschen-)Rechte verletzt ( Der Mensch hat das Recht, Rechte zu haben, die ihm weder vom Staat, noch vom nächsten, noch von einem »Medium« genommen werden können), dann wäre sie strukturell eine Art mafioses Unternehmensgebilde, welches über ihre (Medien)Macht einen Staat im Staate errichtet – mit eigenen Wertvorstellungen, Gesetzen und Sanktionsmechanismen. Das Arrangement zwischen den einzelnen Akteuren innerhalb dieser Parallelwelt beruhte dann auf einem perfiden Moral- und Ehrenkodex von Gefälligkeiten und Gegengefälligkeiten – der Ursprung, ja die Keimzelle des »Patentums«. Nur das es hier nicht um organisiertes Verbrechen geht, sondern um die Deformation gesellschaftlicher Partizipation mit Mitteln der medialen Infiltration.
Die Legitimation erfolgt täglich durch den Käufer, der aus der Parallelwelt heraus in die »richtige Welt« (der Politik und Wirtschaft) seinen Einfluss an »Bild« delegiert (und das zu einem Spottpreis von 60 Cent). Hier findet die »schweigende Mehrheit«, der zornige Untertan, ihr verstärkendes Sprachrohr (und da passt dann das Bild mit dem Paten wieder).
Das Arrangement zwischen »Bild« und Prominenten, die vor Jahren noch im negativen Fokus von Kampagnen standen (interessantestes Beispiel ist Alice Schwarzer) geht einher mit deren Deutungsverlust im medialen Diskurs. Mit »Bild« können sie diesen schleichenden Verfall ihrer intellektuellen Potenz noch auf Jahre verbrämen. Im Umfeld der »Bild«-Zeitung fällt das nicht auf; der Profifußballer, der vor zehn Jahren aufgehört hat, ist in der Altherrenmannschaft immer noch ein grosser Star.
Statt diese Entwicklungen einmal sorgfältig zu dokumentieren und gegebenenfalls zu kommentieren, erschöpft sich die Kritik an der »Bild« (auch der Beitrag von Seeßlen/Metz) in eine mehr oder weniger moralische Empörung.Das viele Kampagnen insbesondere der Diekmann-Ära als Rohrkrepierer endeten (zuletzt der Koch-Wahlkampf 2007/08), wird oft genug ausgeblendet. Die Kunst, »Bild« zu ächten, muss gekonnt sein, damit sie sich nicht gegen die Verächter wendet (und nur noch zu deren eigener Katharsis dient). Statt »Bildblog« als Korrektiv wäre es vielleicht an der Zeit, eine Gegen-»Bild« zu implementieren.
[Der Beitrag wurde seinerzeit nach einigen Tagen offline gestellt. Er soll zur Dokumentation aufgeführt sein.]