Einst wurde Fritz J. Raddatz einmal gefragt, wer aus den Tagebüchern von Thomas Mann all diese Intimitäten wissen sollte oder gar müsste. Raddatz antwortete ostentativ: »Ich. Ich habe alle Bände gelesen und keine Zeile ausgelassen. Warum sind Banalitäten […] bei Thomas Mann so wunderbar? Ich finde, sie sind das Unterfutter eines großen Werkes. Selbst seine Masturbationsexerzitien fand ich schön absurd.«
Die erhaltenen und publizierten Tagebücher von Thomas Mann umfassen vielleicht 9000 Seiten. Von den 18 Tage- und 38 Notizbüchern, die man nach Patricia Highsmiths Tod gefunden hatte und die insgesamt rund 8000 Seiten umfassen sollen, kann man nun bei Diogenes aus Anlass ihres 100. Geburtstages 1300 Seiten lesen. Federführend als Herausgeberin fungiert Anna von Planta, Lektorin des Diogenes Verlags, der die Weltrechte von Patricia Highsmith besitzt. Die ersten publizierten Einträge sind von 1941. Der letzte Eintrag ist vom 6. Oktober 1992; über die Jahre 1993 bis zu ihrem Tod 1995 wird der Leser durch eine kurze Zusammenfassung informiert.
Patricia Highsmith wurde am 19. Januar 1921 in Fort Worth, Texas, geboren. Ihre Eltern ließen sich bereits vor Patricias Geburt scheiden. Die Mutter heiratete 1924 erneut. 1927 Umzug nach New York. Ihren leiblichen Vater, einen deutschen Einwanderer (daher brachte sie sich eifrig die deutsche Sprache bei), lernte sie erst mit 12 Jahren kennen. Sie studierte bis 1942 englische Literaturwissenschaften am Barnard College. Bereits während des Studiums verfasste sie Kurzgeschichten, die im studentischen Magazin »Barnard Quarterly« veröffentlicht wurden, dem sie auch kurz als leitende Redakteurin diente. Neben ihrer schriftstellerischen Ambition zeichnete sie auch und fertigte Skulpturen.
Die Tagebücher nutzte Highsmith für die Dokumentation der unmittelbaren Erlebnisse, während die Notizbücher für intellektuelle und, mit der Zeit immer stärker, literarische Verarbeitungen, als eine Art »Spielwiese« (die Herausgeberin), dienten. Die Einträge in den Tagebüchern verfasste Highsmith anfangs häufig in französisch, deutsch und spanisch, später auch italienisch, um eine heimliche Lektüre beispielsweise der Mutter zu erschweren; die Einträge in den Notizbüchern sind in englisch. Für die vorliegende Ausgabe wurden die fremdsprachigen Passagen der Tagebücher von Elizabeth Lauffer, Sophie Duvernoy, Noah Harley und Hope Campbell Gustafson übertragen. Im Buch wird gekennzeichnet, welche Sprache Highsmith jeweils verwendete. Die Passagen, die Highsmith auf deutsch verfasst hatte, wurden geglättet; die englischen Texte von Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Härtle und Peter Torberg übersetzt.
Auslassungen sind, wie es heißt, der besseren Übersichtlichkeit halber, nicht gekennzeichnet. Es gibt Fußnoten (sehr kleines Schriftbild) in denen zumeist die zahlreichen Lokalitäten, getroffenen Personen und einige werkgenetische Anmerkungen skizziert werden. Literaturwissenschaftliche Einschübe gibt es selten; man bleibt fast immer deskriptiv. Über die im Vorwort angedeutete Editionspolitik, dass man besonders üble Formulierungen Highsmiths beispielsweise gegen Schwarze und Juden nicht aufgenommen habe, wird noch zu reden sein.
Den vollständigen Essay »Zwischen Selbst- und Welthass« bei Glanz und Elend lesen.