Péter Nádas’ hochgelobtes, kleines Büchlein »Behutsame Ortsbestimmung« enthält zwei kleine Geschichten. Die erste, die dem Buch den Titel gab, erzählt (?) von einem kleinen Dorf im ländlichen Ungarn, in das sich der bekannte Schriftsteller gemeinhin begibt; dort (überwiegend?) lebt. Nádas, der »Aussteiger« genannt werden kann (hierin vielen anderen Schriftstellern wie etwa John Berger oder Andrzej Stasiuk ähnlich), versucht hier eine Erzählung über »seinen« Ort, »sein« Dorf und dessen Strukturen und »funktionieren«. Man ist jedoch früh geneigt, hinter dem Begriff des Erzählens eine Fragezeichen zu setzen – denn so richtig ist es dann doch keine Erzählung (Nádas nennt beide dann auch treffend »Zwei Berichte«). Allzu oft gibt es essayistische Züge und wer eine bukolische, emphatische Hymne auf das »natürliche Leben«, auf den (von Nádas anderweitig so hervorgehobenen) Waldbirnenbaum erwartet, wird enttäuscht werden; insofern ist der Untertitel »Die eingehende Betrachtung eines einsamen Waldbirnenbaums« ein bisschen irreführend.
Ausgehend von diesem Ort phantasiert sich Nádas durch die Jahrhunderte und die Geschichte, die von der frühen Besiedlung bis heute rekapitulierbar ist (die römischen Tonscherben sind fast allgegenwärtig) und berichtet dabei (ja: berichtet!) über dieses Dorf und sein Sozialwesen. Alles dichterisch und ohne Pose; erst recht ohne Herablassung (oder – was fast noch schlimmer wäre – stiller oder gar offener Bewunderung).
Der Waldbirnenbaum als Ausgangspunkt der Betrachtung der Welt – der Waldbirnenbaum ist die Welt; die einzige Welt:
...die Einheimischen, wenn sie »Dorf« sagen, [meinen] nicht einfach diesen Ort mit seinem geographischen Namen [...]. Sie gebrauchen das Wort im Sinne von Welt, so wie die Franzosen, wenn sie ‘tout le monde’ sagen. Das Dorf ist gleichbedeutend mit jedem und allen, wer jedoch ausserhalb dieses Umfelds lebt, gehört natürlich nicht zu »allen«. Darin ähneln sie ein wenig den Spartanern, Lesbiern, Athenern und allen übrigen Griechen, die alle ausser sich selbst als Barbaren betrachteten.
Und dann wechselt Nádas von der berichtenden Position ins »Wir«:
Bei uns gehört die Bevölkerung der nahe gelegenen Dörfer zur existierenden Welt, zu allem und allen, die Bevölkerung weiter entfernter Dörfer hingegen nicht. Das verhält sich wahrscheinlich deshalb so, weil nach langen, komplizierten, geheimen und öffentlichen Verabredungsprozeduren alle im Dorf urplötzlich auf die gleiche Weise handeln müssen, während andere in anderen Dörfern ein andermal anderes ganz anders zu machen haben, und darin liegt der Unterschied.
Das »Wir« ist also keine arrogant-herablassende Abgrenzung gegenüber dem anderen, sondern eine aus der Lebensnotwendigkeit resultierende Identität:
Wenn das Dorf die Zeit zum Auslegen von Kartoffeln oder zur Maisernte gekommen sieht, steht ausser Frage, dass jedermann die Kartoffeln auslegen oder Mais ernten muss, und dann legt das Dorf Kartoffeln aus oder erntet Mais.
Naturgemäss muss ein derartiger Kollektivismus dem auf Individualität ausgerichteten modernen Menschen fremd vorkommen – was Nádas auch zugibt (die Tatsache, dass Ungarn bis 1990 ein kommunistisches Land war, spielt zwar eine gewisse Rolle – allerdings nicht bei bzw. in der Betrachtung des beschriebenen Sachverhalts). Dennoch wird er schnell zum Pragmatiker; fügt sich in den o. g. Verabredungsprozeduren:
Wenn ich nicht das mache, es nicht dann und so mache, wie das Dorf es macht, erschwere ich mir das Leben, im physischen Sinn des Wortes. Was den Zustand von Erde und Himmel, den Boden und die Niederschläge betrifft, kann auch das Dorf mit nichts anderem rechnen als mit der Wahrscheinlichkeit. Nur wird es durch keinerlei individualistische Auffassungen daran gehindert, sich dieser Wahrscheinlichkeit zu unterwerfen. Es handelt sich um einen ungemein tiefen und sich auf alle Lebensphänomene erstreckenden Zwang, den das an individuelle Entscheidungen gewöhnte Bewusstsein kaum verdauen kann.
Hier stösst Nádas sofort in das Herz des sich einerseits leicht faszinierten – andererseits natürlich aufklärerisch-empörenden Lesers des 21. Jahrhunderts (der immer inständig hofft, der Strom möge nicht gerade jetzt ausfallen): Wird hier nicht einer archaisch-agrarischen (Mini-)Despotie das Wort geredet? Wird nicht eine Idylle des kollektiven Dorfzusammenhangs erzeugt, der jener österreichischen Romantradition (Innerhofer; Josef Winkler; der autobiografische Thomas Bernhard) Hohn spricht, die mit der leidlichen Zertrümmerung der Verkitschung des Landlebens (stellvertretend für alle: des österreichischen Landlebens) Grosses geleistet hat (auch und vor allem literarisch)?
Schön, dass das alles ein bisschen komplizierter ist:
Wenn das Dorf etwas tut oder wahrnimmt, dann hat weder die Handlung noch die Wahrnehmung ein Subjekt, eine Person, das heisst, die an der Handlung oder Wahrnehmung beteiligten Personen werden vom kollektiven Bewusstsein rituell verschlungen und ihre Erfahrungen dem für den Ort stehenden Gattungsnamen zugeordnet...Natürlich gibt es immer tonangebende Personen, die auf die langsam, kompliziert und geheimnisvoll vorbereitete Entscheidung wahrscheinlich grösseren Einfluss haben, wenn aber eine Entscheidung einmal gefällt ist, unterwerfen sich ihr ausnahmslos alle, und auch die Rolle einzelner Personen hat weiter keine Bedeutung.
Keine Zeit und kein Bedarf an egozentrischen Einzeltouren – oder einfach nur eine »innovationsfeindliche Gesellschaft«? Aber: Muss der rumorende, rebellische Geist des modernen Menschen nicht in Anbetracht dieser Strukturen warnen, Ängste aussprechen, gar ins Beschwören kommen?
Ausser dem Wissen des Dorfes gibt es kein Wissen konstatiert Nádas und illustriert es anschaulich an einer Geschichte von sechs deutschen Soldaten, von denen nach dem Krieg einer (bei der Feldarbeit) schwer erkrankte und schliesslich starb:
Das Dorf wusste, jeder wusste, dass der Mann mit dem Tode rang, einen Arzt holte trotzdem niemand. Der in einer entfernten Ortschaft lebende Bezirksarzt gehörte nicht zu »allen«. Auch der Pfarrer nicht, deswegen wurde der Tote ohne Pfarrer beerdigt.
Nádas weist ausdrücklich darauf hin, dass dieses Sterbenlassen keine Verrohung in Bezug auf den deutschen (und eigentlich feindlichen) Soldaten darstellt (die Deutschen waren irgendwann integriert). Er erzählt weiter, wie das gesamte Dorf Jahre später, als die restlichen ehemaligen Soldaten Heimweh bekamen, unter Einsatz ihres Lebens diese Leute zur ungarisch/österreichischen Grenze gebracht haben (damals im Kalten Krieg war dies sehr gefährlich).
Nádas verwendet den Begriff des prämodernen Denkens für das Leben und Handeln der Dorfbewohner. Er vergisst zu erklären, dass in der gegebenen Struktur dieses Denken fast wörtlich zu verstehen das Überleben sichert. Dies gilt wohl auch unter Berücksichtigung des Beispiels der sterbenden deutschen Soldaten. Später erschliesst sich dem Leser das Netz der Leistungen und Gegenleistungen, die im sozialen Kontext von den Dorfbewohnern erbracht werden.
Über den Wert des Geldes ist sich jedermann absolut im klaren, über den Zusammenhang von Geld und Arbeit im Prinzip nicht weniger. Im internen Leben des Dorfs ist Geld trotzdem kein Zahlungsmittel, weswegen der Wert einer verrichteten Arbeit sich genaugenommen nicht in Geld ausdrücken lässt. Wenn jemand von auswärts kommt, wird er für seine Arbeit bezahlt, innerhalb der Dorfgrenzen aber macht bis zum heutigen Tag niemand etwas für Geld. Ein aussenstehender Beobachter erhält natürlich kaum Einblick in diese Naturalwirtschaft. Es wird Tauschhandel mit Materialien, Naturalien und Arbeit getrieben, deren Marktwert aber nicht von äusseren Faktoren, sondern von den jeweiligen Bedingungen des auf Jahrhunderte zurückblickenden inneren Marktes bestimmt wird. Was nichts mit Geld oder Finanzmärkten zu tun hat. Seltsamerweise auch dann nicht, wenn es sich um Waren handelt, die für Geld erworben worden sind. So etwa Ziegelsteine, Dachziegel, Brunnenringe oder Betonträger, die im internen Ausgleich durch Arbeit, Naturalien oder irgendwelche anderen Güter abgegolten werden, aber bei weitem nicht jedem.
Unweigerlich erinnert man sich bei diesem Gedanken an Marlon Brando im Film »Der Pate«, der einem Bäcker einen »Gefallen« tut. Den Gegenwert wird er, der »Pate«, vielleicht in zwanzig oder dreissig Jahren einfordern; vielleicht auch nie. Insofern knüpft der Gedanke des gegenseitigen Gefallentuns an alte, archaische Traditionen an, deren sich die Mafia (bzw. mafiaähnliche Organisationen) bedienen, um ihr Netzwerk zu stabilisieren:
Man behält nicht nur über Jahrzehnte hinweg im Gedächtnis, wer wem wann was gegeben und was er dafür bekommen hat oder wie viel er schuldet, auch das Verhältnis von Familien und Personen untereinander bestimmen diese Tauschhandelsakte tiefgreifender als sonst irgend etwas....Da der Wert der Beziehungen wesentlich höher ist als der Wert einzelner Dinge, der kommerzielle Wert dieser Dinge wiederum nicht in Geld umrechenbar oder umwechselbar ist, gibt es innerhalb der Dorfgrenzen keine Forderungen und Schulden im klassischen Sinn.
Die jeweilige »Schuld« nennt Nádas – ein bisschen unbeholfen – virtuell. Er erläutert, dass diese »Abkommen« weder schriftlich fixiert noch in Eile eingelöst werden. Tatsächlich will der Schuldner zu gleichen Bedingungen gar nichts zurückbekommen:
Diesen Geschäften liegt anscheinend die Erfahrung zugrunde, dass die Chance, in Notlagen Hilfe zu bekommen, um so grösser ist, je mehr Schuldner jemand in Reserve hat und je ansehnlicher deren Schuld ist. Was vor einigen Jahrzehnten noch Voraussetzung des Überlebens war.
Interessant ist auch das, was Nádas als Sanktionen wider das soziale Verhalten der Dorfgemeinschaft ausmacht (beispielsweise Diebstahl oder Formen von Gewalt). Da man solche Art Straftäter nicht ohne weiteres aus dem Dorf entfernen kann (bzw. dies offensichtlich nicht in Erwägung zieht), und eine Konsultation irgendwelcher staatlicher Organe (Polizei; Behörden) vollkommen ausgeschlossen sind, sehen die Sanktionsmechanismen natürlich ebenfalls reichlich »prämodern« aus.
Im Prinzip wäre da nichts zu machen, und doch muss das Dorf im Interesse von Ruhe und Ordnung etwas unternehmen. Wenn ein aussergewöhnliches Vorkommnis das Dorf erschüttert, wird zuerst ein Verfahren eingeleitet, das rasch Einigkeit herstellt. Durch die Notwendigkeit dieser Operation wird nun verständlich, warum fortwährend alle alles über alles wissen müssen. [...] Alle müssen...auf diese Fragen antworten. [...] Im Handumdrehen ist der Verdächtige gefunden, im allgemeinen ein Rückfalltäter. [...] Um ihren Namen nicht aussprechen zu müssen, identifiziert man die fragliche Person mittels allgemeiner Andeutungen. Die äusserste Grenze der Deutlichkeit ist mit Formulierungen erreicht wie: »Ich weiss wohl, aber ich sage dir nicht, wen ich meine. Du weißt es ja selbst.«
[...] Das Urteil wird solange aufgeschoben, bis der Verdächtige und eine grössere Anzahl von Menschen an einem Ort versammelt sind. In seinem Beisein wird das Geschehene vorgetragen, der Verdächtige dabei beobachtet. Entsetzliche Augenblicke. Und das ist noch die mildeste Bestrafung. Es gibt die Prügelstrafe, des weiteren die regelmässige Prügelstrafe, es gibt das Anzünden der Scheune, das Anzünden des Hauses, und es gibt den Mord. Zufällig ist jemand in den Brunnen gefallen. Als ich vor vierzig Jahren zum ersten Mal in das Dorf kam, war noch der verkohlte Dachstuhl eines Hauses zu sehen.
Bei all dem könnte man irgendwann glauben, Nádas huldige doch irgendwo versteckt einem Exotismus, der im Kern ein diffuses, archaisches Gerechtigkeitsempfinden befriedigt. Nádas macht aber die Gefährdungen aus:
Die Kenntnis dieser prämodernen Eigenschaften bringt uns der Einsicht näher, warum diese Region den tödlichen Versuchungen der europäischen Geschichte erlegen ist, dem Nationalsozialismus, Faschismus und Bolschewismus. Auf einmal tauchte jemand auf, der im Namen eines kollektiven Bewusstseins spricht und dabei seine persönlichen Ziele verfolgt. Doch die hinter den Erklärungen verborgene persönliche Absicht ist für das prämoderne Bewusstsein nicht zu erkennen.
Wenn irgendwo Rauch aufsteigt, weiss das Dorf, wer Feuer gemacht macht, riecht das Dorf, was dieser Jemand verbrennt. Die Welt ist überschaubar, das »alle« beobachtbar. Und ein »alle«, dass über das Beobachtbare hinaus noch andere mit einschliesst, ist für das Dorf nicht vorstellbar.
Wenn dies tatsächlich nicht vorstellbar ist, so dürften gerade die tödlichen Versuchungen keine Wirkung erzielt haben – ausser vielleicht diejenige der stillschweigenden Akzeptanz, ohne sein (unmittelbares) Verhalten in Wirklichkeit dem jeweiligen System anzupassen. Dies wäre dann die Sicht der Idylliker, die in derartigen Sozialformen einen gewissen Widerstand totalitären Verlockungen gegenüber ausgemacht haben.
Nádas negiert nun diese Sicht, was bedeutet, dass die Abgeschiedenheit dann doch nicht so gross war, wie dies auf den ersten Blick erscheint. Die »Barbaren« nahm man dann schon als übergeordnete Instanz wahr – dies jedoch ungeachtet der im Dorf selbst geltenden Gesetze. Leider erwähnt Nádas nirgendwo, wo die von ihm konstatierten Versuchungen sichtbar geworden sind – es sei denn, seine Beschreibung der Schattenwirtschaft während der kommunistischen Diktatur sollte als Beleg für Kollaboration gelten:
Das kollektive Bewusstsein betrachtete es nicht länger als Vergehen, die Hauptinstitutionen der Kollektivität, die Genossenschaften und den Staat zu bestehlen und zu betrügen. Im Gegenteil, das kollektive Bewusstsein billigte es und ermutigte dazu. Wenn ich die Gemeinschaft bestehle, handle ich als mutiger und freier Mensch, denn ich verschaffe mir in Namen aller Genugtuung für all das, was im Namen der Kollektivität gegen mich verübt worden ist, beziehungsweise ich hole mir etwas von dem zurück, was mir gehört haben könnte oder tatsächlich gehört hat. [...] Im zwanzigsten Jahr der Diktatur fragte niemand mehr, ob es wenigstens eine nominelle Rechtfertigung für sein Handeln gab, jeder nahm sich, was er sah und wegschleppen konnte, und das hat sich als ethisch anerkanntes, politisch sogar wünschenswertes Verhalten im kollektiven Bewusstsein festgeschrieben.
Süffisant bemerkt Nádas, dass dieses Verhalten nach der Wende nicht grundlegend verändert wurde; der aufmerksame Leser hat sicherlich längst erkannt, dass diese Beschreibung fast nahtlos auf die Moral der kapitalistischen Gesellschaft übertragen werden kann – und zwar aller Schichten.
Nádas glaubt, dass exakt dieses Vorgehen, also das Stehlen dessen, was man »Kollektivvermögen« nennen könnte, paradoxerweise den kollektivistischen Charakter des Denkens der Dorfgemeinschaft vertiefte. Nur: Was würde das bedeuten auf den Steuerhinterzieher der postmodernen, kapitalistischen Gesellschaft?
Nádas’ Bericht ist – das wird am Ende klar – ein Abgesang:
Ich weiss nicht, wie in warmen Sommernächten das Dorf unter dem grossen Waldbirnenbaum mitten auf meinem Hof leise gesungen hat, und dieses Wissen habe ich hiermit weitergegeben. Heute gibt es keine auserwählten Bäume mehr, und der Gesang des Dorfes ist verstummt.
Das leise Singen der Dorfbewohner wird von diesen selbst nicht aufgezeichnet, nicht berichtet. Es bedarf eines »modernen« Menschen, der in den beiden Welten lebt. Es bedarf des Erlebens von Differenz, um beides wahrzunehmen – das »prämoderne« und das »postmoderne«. Wir sind hilflos dem Berichterstatter ausgeliefert, hängen an seinen Lippen (seiner Feder), glauben jedes Wort – und werden dabei zum prämodernen Jünger des Schriftstellers.
Die Gefahr, uns eine Postkartenidylle zu präsentieren ist gross; sie ist wohl gebannt worden. Dem in allen Lebensbereichen zunehmender Abstraktion unterworfenen Menschen dürstet gelegentlich nach dieser Art archaischer Struktur bzw. Berichterstattung darüber. Leider ist Nádas manchmal mit sich selber nicht ehrlich – sein Blick ist gelegentlich zu sezierend; allzu selten vermittelt er das Gefühl der gleichen Augenhöhe.
Wie immer wählst du interessante Bücher,
ich habe gestern schon dein Expose gelesen,habe es aber ‑wie immer- auf Anhieb nicht verstanden.Fasziniert hat mich beim zweitenmal lesen, dass die Menschen kein Geld als Zahlungsmittel brauchen.
Und so interessiert mich brennend die mögliche Tauschware, die dann eben NIcht-Geld heißt.Ich hätte da gute Ideen....
Ich denke schon,dass die Menschen auch früher Waren gegen eine speziell ausgedachte Währung getauscht haben.
Das gibt es ja heute noch-auch im Beruf.
»Tust du mir Gutes tu ich dir auch mal Gutes.«
Schade, dass du die Abstimmung beseitigt hast.Mich würde das Ergebnis interessieren.
Ich persönlich glaube an meinen mir zugedachten fiktiven Waldbirnenbaum in meinem Herzen mit und ohne Gesang.
Ja ‚auch mir dürstet nach archaischer Struktur, allerdings auf selber Augenhöhe-aber das weißt du ja ....
Systemtheoretisch
ist es nicht das Geld selbst, das die Probleme verursacht, wenn es als allgemeines Tauschäquivalent verwendet wird. Das Problem entsteht dadurch, dass Geld selbst zu einer Ware und verzinst wird. Außer dem marxistischen Ansatz, der in den Zinsen die Aneignung fremder Arbeitsleistung sieht, gibt es zum Beispiel noch das Freigeld von Silvio Gesell, um das Problem der Zinsen zu lösen. Wenn zwischen Produktion und Konsumtion in einer arbeitsteiligen Gesellschaft Raum liegt und Zeit vergeht, benötigt man ein unverderbliches Tauschäquivalent. Nur das Erinnerungsvermögen der Beteiligten reicht da nicht aus.
@Cleos
Das Ergebnis der Abstimmung war eindeutig: Es hatte niemand abgestimmt. Das legt zwei Möglichkeiten nahe. Die erste ist, dass bisher niemand bis zum Schluss gelesen hatte. Die zweite ist, dass es niemanden interessierte, der es bis zum Zeitpunkt meines Entfernens der Abstimmung gelesen hatte. Beides ist eindeutig.
Interessant ist ja, dass diese Art von »Tauschgeschäft« bei uns inzwischen fast verpönt ist. Allzu leicht wird dann von »Filz« oder »Seilschaften« geredet. Das hat m. E. sehr stark damit zu tun, dass die Abstraktion des Geldes auch eine gewisse Anonymität beinhaltet und keinerlei andere Konnotationen mitschwingen. Wenn ich etwas »bezahle« leite ich daraus sofort Rechte ab, die ja zur Not auch einklagbar sind.
In einer Gesellschaft, die nur auf Tauschwirtschaft funktionieren würde, würde ich verhungern. Ich bin handwerklich ungeschickt, kann nicht schwer heben und habe keinerlei »politischen« Einfluss. Das ist in etwa so wie mit der Schwarzarbeit. Ein Handwerker kann sich hiervon sehr gut ernähren – ein kaufmännischer Angestellter nicht.
@Köppnick
Zum Geld- bzw. Zinsenproblem habe ich ein interessantes Buch gelesen, was ich evtl. noch hier besprechen werde und am Rande davon berichtet: Gunnar Heinsohn »Söhne und Weltmacht«. Gerade seine Ausführungen zum »Eigentum« und der »Eigentumsgesellschaft« sind recht interessant.
Interessanter Bericht
Ihm stellen sich fast von selbst einige Kindheitserlebnisse im Thüringer Dorf der 40er Jahre zur Seite.
In diesem Dorf gab es einige Fremde, Fremdkörper. Obwohl sie ständig dort lebten, gehörten sie nicht zum »Wir«. Um ihre Grundstücke gab es hohe Hecken. Mir waren ihre düsteren (so schien mir), hinter den Hecken kaum sichtbaren Häuser, etwas unheimlich.
Geld spielte damals keine große Rolle, trotzdem wurde ziemlich genau abgerechnet: in Weizen, Zement, Zucker/Sirup oder Eiern und Blaubeeren. Und in Arbeitsleistungen.
Die über Jahrzehnte nicht ausgeglichen Geschäfte haben sich mir wenig idyllisch in Form jahrzehntelange Feindschaften wegen Nichtigkeiten eingeprägt.
Sehr typisch, daß alle über alles Bescheid wußten.
Schwere Konflikte/Übergriffe wurden lange ausgehalten, schließlich aber doch der »Außenwelt« überantwortet. Unserm Haus gegenüber beobachtete ich mehrfach eine junge, »tobsüchtige Frau«. Sie schlug ihren Vater. Einmal warf sie alles Geschirr durchs Fenster auf den Mist. Sie kam schließlich nach »Hildburghausen«, dem Synonym für Irrenhaus.
Einiges
an Nádas Bericht kommt mir neuartig vor – genau dass, was Du über die »Fremdkörper« schreibst, fehlt. Es gibt in seiner Erzählung keine Aussenseiterschilderungen – die (österreichische) Bauernliteratur lebt von den Aussenseitern. Hier kommen sie nicht vor.
Auch über diese Art von Feindschaften schreibt er nichts, was ich auch recht ungewöhnlich finde. Demnach ist die Dorfgemeinschaft sehr homogen. NAch allem, was man so von oder über Menschen weiss (oder glaubt zu wissen) kann das nicht sein. Vielleicht sind es aber auch sehr wenig Menschen. Hierüber fehlt jede Angabe.
Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, einen ethnologischen Bericht zu lesen. Der beschäftigt sich ja auch mit Charakteristika, ohne in konkrete Details zu gehen.
Zur Präzisierung
Die »Fremdkörper«, die ich vor Augen habe, waren keine aus dem Dorf heraus entstandene Außenseiter. Sie waren tatsächlich, wenn auch vor langer Zeit, zugezogen – ein Komponist, ein exzentrischer kleiner Fabrikant mit einer ebensolchen Frau.
Das Dorf und solche Leute blieben sich fern, man tat sich aber nichts.
Hingegen hab ich die unendlichen Feindschaften (für uns Kinder überhaupt nicht nachvollziehbar; wir durften aber plötzlich nicht mehr mit bestimmten Kindern spielen bzw. diese nicht mit uns) als ureigensten Wesenszug des Dorflebens verstanden.
Deshalb war mir auch immer Marxens Verdikt vom »Idiotismus des Landlebens« aus der Seele gesprochen.
»Wir«
Nádas spricht ab und zu von »wir« – ist also voll in die Dorfgemeinschaft integriert – bzw. fühlt sich so. An anderen Stellen scheint es wieder nicht der Fall zu sein. Nádas ist – soweit ich weiss – in Ungarn ein recht bekannter Schriftsteller.
Es gibt die Szene, als Anfang der 90er Jahre der Dorfälteste zu ihm kommt und fragt, wen das Dorf bei den neuen, freien Wahlen wählen soll. Dies drückt einerseits aus, dass man ihm eine gewisse »ausserweltliche Kompetenz« zuspricht – andererseits zeigt es auch, dass er weiterhin als ein Zugezogener betrachtet wird. In dem zweiten Bericht in diesem Buch (einem Nahtoderlebnis) wird deutlich, dass Nádas nicht permanant in diesem Dorf lebt(e), sondern zwischen den »Welten« pendelt. Das ist natürlich eine andere Voraussetzung.