Desillusionierende und messerscharfe Analyse des deutschen politischen Kabaretts in der Süddeutschen Zeitung von Burkhard Müller – »Dumm zu sein bedarf es wenig.« Zunächst macht Müller einen Parforceritt durch die Kulturgeschichte des Kabaretts, um dann festzustellen:
Das Kabarett war im alten Westdeutschland, neben Magazinen wie Stern und Spiegel, eine der wichtigsten Ausdrucksformen der Sozialdemokratie auf der Zielgeraden. Gibt es etwas Beflügelnderes, als kämpfender Held und doch schon sicherer Sieger zu sein? Was das Kabarett seinem dankbaren Publikum schenkte, war die beseligende Teilhabe an diesem Gefühl. Der persönliche Angriff auf den Mächtigen und die persönliche Gefahr, die er bedeutet, die Explosion des Witzes, die einen Geltungsanspruch zerfetzt wie eine Handgranate den Leib des Potentaten: das setzt im Fall des Gelingens gewaltige Mengen Glückshormone frei.
Mit der Sozialdemokratisierung der Politik auch nach 1982 ist das Kabarett in Wirklichkeit nie fertig geworden und übte sich in klassenkämpferischen (Pl)Attitüden. Mit Kohl und Strauß wurde jedoch die Personalisierung sozusagen kanonisiert. Keine Kabarettsendung im Fernsehen kommt heutzutage ohne diese affektgesteuerte Schlagwortgymnastik aus. Die blosse Nennung von »Ackermann« und jetzt »Westerwelle« entzückt das Publikum geradezu. Mehr bedarf es fast gar nicht mehr. Versucht sich der Kabarettist dann auch noch in mehr oder weniger gelungenen Imitationen von Politikern, bebt der Raum. Müller bilanziert:
Besonders intelligent war das Kabarett zwar nie; es hatte methodisch nie eine andere Wahl als die gedankenarme Personalisierung. In seinen Blütezeiten aber machte es das durch Kampfesmut wett. Den benötigt es heute wahrlich nicht mehr. Wer in jüngster Zeit einem Münchner Kabarett-Abend beiwohnte, konnte erleben, wie die kleinere und größere Politik zwei Stunden lang in der Kategorie der zu entlarvenden Dummheit verhandelt wurde.
Es ist reine Verkennung, wenn im aktuellen Fall des »Bruder Barnabas« der Bayerische Rundfunk die Aufzeichnung des Starkbieranstichs unter anderem um das Zitat begradigt, in dem Westerwelle indirekt als rhetorischer KZ-Bauer dargestellt wird. Das war keine Heldentat von Michael Lerchenberg. Das war einfach nur blöde. Und zwar so blöde, dass man sich darüber noch nicht einmal entrüsten sollte. Man sollte es zeigen. Immer wieder zeigen. Denn es dokumentiert: Das politische Kabarett ist auf Kneipenniveau heruntergekommen. Und es dokumentiert: Das Publikum merkt es nicht einmal.
Am Ende konstatiert Müller sinngemäss: Jetzt muss die Politik das Kabarett auch noch selber machen. Ausgerechnet mit Seehofer. Dem Land bleibt scheinbar nichts erspart.
Da ist, glaub’ ich, ’ne Macke beim Link zum SZ-Artikel (?)
Die Macke ist echt – bei mir zeigt sich auch kein Artikel an. Bin über google zum Artikel und zum Videoauschnitt gekommen.
Bitte um Entschuldigung. Jetzt geht’s.
Über die KZ-Assoziation des Nockherberg-Derbleckers kann man wirklich nicht streiten. Das war tatsächlich nur blöde und öde war diese Paulaner-Bierveranstaltung eigentlich schon immer. Aber dieses Münchener Schicki-Micki-Schaulaufen als politisches Kabarett zu bezeichnen und sozusagen als exemplarisch für das Genre und seinen Niedergang darzustellen geht einfach nicht. Politisches Kabarett nur als einigermaßen akzeptabel und mutig zu erklären, wenn die Protagonisten Leib und Leben riskieren (Wedekind, Tucholsky), wie es der Kommentator der SZ tut, verkennt völlig, dass es gerade heute in Zeiten der Medienberater und Medien- und Meinungskampagnen, dem Fehlen einer kraftvollen Opposition, dringend notwendig ist, die ganze erbärmliche Lächerlichkeit eines Ackermanns oder eines Westerwelle sichtbar zu machen. Das schafft massenwirksam kein Kommentar in FAZ oder SZ, das kann aber ein Schramm, ein Priol , ein Schmickler oder ein Pispers. Das ist überspitzt, überzogen und ganz sicher nicht sachlich oder objektiv, aber meistens witzig, unterhaltsam und erhellend. Wie gesagt: Meistens, wenn’s von guten Leuten gemacht wird.
So ganz stimmt die Lesart des SZ-Artikels nicht und man sollte sich vielleicht einmal Gedanken machen, warum in einer Gesellschaft das Gestammel eines Priol mehr Leute erreicht als ein substanzieller SZ‑, FAZ- oder ZEIT-Artikel. Ich finde die von Dir genannten sehr selten witzig (allenfalls in Grenzen Schramm) – sondern derart vorausrechenbar, dass sie nur Antipoden zu den »Teufeln« Ackermann (warum ist dieser Mann »erbärmlich« und »lächerlich«?) oder Westerwelle sind, die das Publikum zu billigen Ablachern degradieren. DAS ist kein Kabarett; das ist allenfalls deftiges Abreagieren.
Filigrane Wortkunst: Fehlanzeige. Stattdessen Herumgehampel, billige Imitationen und leicht zu erhaschende Zustimmung. Das ist ungefähr so, als wollte man mit einem Hammer eine Taschenuhr reparieren.
Ackermanns hämisches Victory-Zeichen nach dem Vodaphone-Prozess, seine lächerliche Selbstbeweihräucherung in der Finanzkrise, die Deutsche Bank hätte keine Staatshilfe benötigt, obwohl auch sie indirekt nur durch die staatliche Stützung der Schuldnerbanken vor dem Kollaps bewahrt wurde – lächerlicher geht’s doch kaum.
Ja , und warum lacht denn das Publikum über die wohlfeilen Pointen und Karikaturen der Kabarettisten? Woher diese leicht zu erhaschende Zustimmung? Ich vermute mal, weil selbst in den plattesten Pointen eine gehörige Portion Wahrheit steckt und diese selbst in kritischen Beiträgen der seriösen Medien unter dem Mantel der staatstragenden Seriosität kaum noch erkennbar ist.
Du wünscht Dir filigrane Wortkunst, was ich verstehen kann und was es ja im literarischen Kabarett auch eine zeitlang erfolgreich gab (Fink, Kreisler, frühe Lach-und Schiess), aber, ganz ehrlich, sieht oder hört man sich heute alte Aufnahmen an, so wirkt das doch ziemlich altbacken und ist wohl auch deshalb ausgestorben. Nein, die Politik agiert heutzutage mit billigen Parolen und dämlichsten Scheinargumenten, versucht Gesellschaftsschichten gegeneinander auszuspielen. Das ist keine Taschenuhr und niemand leidet unter der Selbstüberschätzung irgendetwas reparieren zu können. Die Politik kommt mit immer gröberen Klötzen und da ist ein grober Keil oder Hammer gerade recht. Wenn’s zum Lachen reizt – um so besser.
Das Victory-Zeichen – okay. Das ist sechs Jahre her und dafür hat er sich entschuldigt. Und weiter? Selbstbeweihräucherung? Naja, immerhin ist die Deutsche Bank tatsächlich ganz gut aus der sogenannten Krise herausgekommen (ob mit indirekter Unterstützung oder nicht).
Ob einem das passt oder nicht: Ackermann ist erfolgreich – in seinem Job. Man studiere die Zahlen. Die groben Fehler seines Vorgängers (u. a. den Verzicht auf den Kleinkunden) hat er ganz schnell behoben; die Deutsche Bank steht ziemlich gut da (trotz oder wegen der Personalpolitik). Was erwartet man von einem Vorstandschef der Deutschen Bank? Wohlfahrt? Wohl kaum, oder? Wer von den Brüdern war jemals beliebt (zu Lebzeiten)?
Die Tatsache, dass die Politik heutzutage mit billigen Parolen und dämlichsten Scheinargumenten agiert, ist m. E. kein Freibrief mit ebenso billigen Gegenparolen und dümmlichen Imitationen zu reagieren. Ich kann sowohl auf das eine wie auf das andere verzichten.
Zustimmung und Lesarten
Die Behauptung im Artikel, dass die
Frechheiten eine verwickelte Art [seien], vorhandene Strukturen zu stärken; letztlich eine umwegige Erklärung des Einverständnisses – das hätte ich gerne selbst gesagt. Lediglich ein Schramm scheint teilweise noch genügend angewidert, um ein bisschen Gift und Galle zu spucken (einmal sollte er Hüsch, glaube ich, einen Preis verleihen und hat ihn dabei als allzulieben Märchenonkel verunziert – irgendwie hat er da schon ’nen Punkt, Hüsch ist für ihn einfach zu nett und versöhnlich – Aber umgekhert: warum soll es nicht auch mal solche Töne geben?)
Sehr viel habe ich bisher noch nicht gesehen, ich weiß nicht, ob es mir mit den Alten nicht genauso ergangen wäre, aber – da hat der Artikelschreiber leider recht – wenn es letztlich darauf hinausläuft einen Politiker niederzumachen, dann sollte nicht aller Geist in Schimpfwortsuche sich erschöpfen.. irgendwann hat man da nicht alle Beleidigungen und Arten jemanden als doof zu bezeichnen durch?
Pispers hab’ ich mal sehr gemocht und auch zweimal gesehen, seine Publikumsbeschimpfung (http://www.youtube.com/watch?v=wQaclQk5BK4) und ein paar Nummern wie Daimler Fans oder Chez Henri mag ich auch immer noch,... aber dann so etwas wie: »Ja man solle nicht in einen oberflächlichen Antiamerikanismus verfallen, hieß es. Aber meiner ist gar nicht oberflächlich« – soll man es dann als Pointe nehmen, wenn dann oberflächlicher Antiamerikanismus folgt?
Den professionellen Alibipolitikern (jetzt z.B. wenn die Politiker beim Katholikenprügeln mitmischen wollen) ihnen stehen wohl nun ebenso professionelle Dreckbewerfer und Talkshowverwurster gegenüber. – Und wenn man dann hinzunimmt, dass auch eine Titanic immer so hochaktuell und auf den Tagesbetrieb gemünzt ist, dass sie ihn letztlich auch nur bejaht,.. dann könnte einem so schlecht werden, dass man gar nichts mehr sehen und hören möchte vor Ekel.
Nur sollte man dort nicht stehen bleiben,.. und dass der Artikel hier Herrn Seehofer positiv hervorhebt, diese bzw. dessen Pointe mag ich nicht goutieren.
Vielleicht wäre es ja einfach an der Zeit ins Kabarett zu gehen? Mein letzter Besuch, allerdings in der Dresdener Herkuleskeule, hatte mich seinezeit sehr begeistert.
@Phorkyas
Ich glaube, die Bemerkung zu Seehofer ist eher ironisch gemeint... (Anders könnte ich es nicht verstehen.)
Ironie
Ist das wirklich nur ironisch:
Denn im Gegensatz zu seinen Profi-Kollegen riskierte Seehofer etwas, ein besonders kostbares Gut sogar: den Koalitionsfrieden?
Das da wirklich was Gefährliches dran war, glaube ich nicht, daher könnte es schon sein, dass Herr Müller diese Äußerung nicht in die Reihe mit dem alten, gefährlichen Kabarett stellen will. Mir will aber nicht aufgehen, ob er sich nur über den schlechten Witz lustig machen will (das wäre in meinen Augen nämlich nur ein weiterer schlechter Witz – ähnlich Martensteins »Pointe«, dass die Kabarettisten selbst die besseren Politiker abgäben – http://www.zeit.de/2010/12/Martenstein-12) oder was er dann mit dem letzten Absatz überhaupt aussagen möchte? – Wenn er die vordergründige Aufforderung an die Kabarettisten wieder etwas zu riskieren ironisiert, ist er dann nicht genauso ratlos wie sie? Kern seines Textes ist doch, dass den heutigen Kabarettisten der richtige Pfeffer fehle, weil es nichts mehr gibt, gegen das sie (mehr als pro forma) rebellieren könnten. ‘Ne Alternative weiß der Autor dann wohl aber auch nicht?
[Immerhin hat Kreisler nun noch ’nen Preis bekommen...]
@Phorkyas
Sicher ist das ironisch, da Seehofer ja immer (fast) alles tut, um diesen Koalitionsfrieden zu stören. Und es geht m. E. nicht nur um den fehlenden Pfeffer – es geht auch um Intellektualität, also eher so etwas wie Rosmarin oder Thymian.
Das es ein Kritiker besser aufzeigen muss, ist ein Gerücht. Ich komme da immer mit meinem Lieblingsspruch (nach Lessing): Ich muss nicht Koch sein, um feststellen zu können, dass die Suppe versalzen ist.
Einwände zerstreut
Sie haben wohl recht. Der Text ist ja genuegend gepfeffert und polemisch, so gesehen also ein positives Gegenbeispiel – Er hat mir auch Vergnuegen bereitet.. wie wohl sich auch gleich der Widerspruch regen wollte, der sich aber nicht hinreichend artikulieren liess (und wahrscheinlich nur auf ideologische Restbestandteile zurueckging, von denen mich das Kabarett noch nicht kurieren konnte) -
Kuerzlich hatte ich noch wieder versucht die »Anstalt« zu schauen, den Versuch aber abgebrochen.
@Phorkyas
Kuerzlich hatte ich noch wieder versucht die »Anstalt« zu schauen, den Versuch aber abgebrochen.
Dto!