Eine kleine Tetralogie zum Bachmannpreis 2015
Service für Schnellleser:
I. Flatulenzen
II. Weg mit den Patenschaften!
III. Die Kritik in der Krise
IV. Journalistische Dominanz oder: Vermutlich keine »Muppet-Show« in diesem Jahr
Für Allesleser (ein Pleonasmus):
Eigentlich wollte ich ja einen eher kleinen Prolog zum Bachmannpreis schreiben. Aber dann kam eine öffentlich-rechtlich bezahlte Redakteurin daher, die glaubte, etwas ganz und gar Böses gefunden zu haben: Der Jury-Vorsitzende des Bachmannpreises hatte mit Ronja von Rönne eine Autorin zur Lesung eingeladen, die vor einiger Zeit in der »Welt« einen polemischen, antifeministischen Text geschrieben hatte und dafür unter anderem (aber nicht nur) Beifall von rechtsgerichteten Kreisen erhalten hatte. Die hehren Schwüre und Märsche in punkto Meinungsfreiheit (wer erinnert sich nicht an die wunderbare Inszenierung?) wurden nun flugs mit dem »Stillgestanden!«-Diktum einer Handvoll Krawallanten begraben. Meinungsfreiheit ist in diesen Kreisen ohnehin nur als Imperativ zu verstehen: »Bild Dir meine Meinung! Und nur meine!« Neben einer Skandalisierung, die die Skandalisierung des jeweils inkriminierten Beitrags noch übertrifft, wird hierfür eine explizit moralische Grammatik angesetzt. Ein Text ist nicht mehr »schlecht« oder »falsch«, schon gar nicht mehr wird dies begründet. Es werden ausschließlich die schweren Geschütze aufgefahren, wobei es mindestens »Hetze« oder/und »menschenverachtend« sein muss, gerne aber auch in Verbindung mit – je nach thematischer Ausrichtung – einer zielsicher diagnostizierten Phobie. Fast scheint es ein Wettbewerb um virtuelle Heiligenscheinpunkte zu geben: wer zuerst den Fehlgeleiteten bekehrt oder, besser, auf Dauer erle(di)gt, hat gewonnen. Und so musste nun (1.) die Autorin noch einmal kräftig diffamiert und (2.) der Bachmannpreis dafür instrumentalisiert werden.
Unkundige über die Modalitäten des Wettbewerbs fragten nach, wo man denn den Wettbewerbstext Rönnes lesen könne oder machten gar die gesamte Jury für die Nominierung verantwortlich. Es ist ja wirklich zu viel verlangt, sich vorher ein wenig zu informieren. Und wie bei solchen Gelegenheiten durchaus üblich wurde vom Inhalt des Aufsatzes in der »Welt« auf die Qualität des natur- und satzungsgemäß der Öffentlichkeit noch unbekannten Textes geschlossen. Natürlich lehnen diese Gesinnungsrichter eine Trennung zwischen Autor und Werk, zwischen Fiktion und Aufsatz a priori ab. Ihre Sehnsucht ist eine aseptische, ausschließlich auf ihren moralischen Vorstellungen begründete Kunst. Auch das kennt man ja.
Unabhängig davon wie die literarische Qualität des Wettbewerbsbeitrages auch sein wird – bei den argusäugigen, aber leider in punkto Literatur eher ignorant-unkundigen Tugendwächtern wird selbstverständlich immer der Sound des Feminismus-Textes mitschwingen, auch wenn Rönne längst andere Texte geschrieben hat. Nicht auszudenken, wenn es sich am Ende um einen akzeptablen literarischen Text handeln sollte. Ob der ein oder anderen Juror ihn dann auch öffentlich loben wird, droht doch jeder Befürworter nach Belieben in eine politische Ecke gedrückt und denunziert zu werden? Denn ständig dräut der »Shitstorm«, deutsch: Scheißesturm. Ein schwacher Trost ist da nur, dass jeder Scheißesturm entsprechende Arschlöcher als Urheber hat. Außerhalb des hyperventilierenden Lynchmobs interessiert so etwas eigentlich keinen denkenden Menschen, falls nicht Massenmedien am Ende aus der Flatulenz der Wenigen einen Orkan inszenieren (was sie immer häufiger praktizieren, denn es ist doch wohl allzu dröge immer nur Tatsachen zu berichten).
II. Weg mit den Patenschaften!
Also jetzt zum Bachmannpreis, eines jener Ereignisse, welches auf eine altmodische Art polarisiert. Einige halten es für einen schrecklichen Eventismus, der Autoren erniedrige.1 Sie möchten am liebsten in vorauseilendem Paternalismus sowohl die Teilnehmenden wie auch die eventuell in Residuen aufkommenden Literatur vor dem bösen Kommerz beschützen. Andere nehmen es als Unterhaltungsshow mit Spaßpotential, in der die Literatur nur noch eine untergeordnete Rolle spielt; in etwa so etwas wie der ESC nur ohne Lichteffekte.
Interessant dabei ist, dass ich im persönlichen Gespräch mit Literaturwissenschaftlern, Literaten oder einfach nur (nur?) Lesern kaum jemanden gefunden habe, der die Veranstaltung über die drei Tage hinweg anschaut. Das Urteil speist sich zumeist aus den zusammengesehenen Schnipseln, die auf »Kulturzeit« oder Youtube abrufbar sind. Selbst die Lesungen und Diskussionen, die im Netz lange Zeit abrufbar sind, werden kaum genutzt.
Ein übrigens gängiges Verfahren, das sich beispielsweise auch dann zeigt, wenn es um die angebliche oder tatsächliche »Verdummung« durch das Fernsehen geht, die am vehementesten von denen verfechtet wird, die im Laufe der Diskussion dann freimütig und mit Ernst-Jünger-hafter Attitüde bekennen, seit soundsoviel Jahren keinen Fernseher mehr zu besitzen und auch nicht mehr zu schauen. Auch sehr gerne gehört und gesehen bei Kritikern, die einen Autor »nicht mögen« und wenig später erzählen, dass sie jahrelang nichts mehr von dieser Person rezipiert haben – außer das, was über dessen Texte geschrieben wurde. So kann zuverlässig die längst gefundene Meinung ungestört von der Realität weiter existieren und verbreitet werden.
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass die Teilnehmer des Bachmannpreises dies freiwillig tun und zwar nicht um literarischer Meriten willen (zumindest nicht vordergründig), sondern aus aufmerksamkeitsökonomischen Gründen oder sogar als Sprungbrett.2 Dieses Verhalten halte ich für legitim. Eine wie auch immer geartete Beschädigung der Literatur sehe ich nicht: Zum einen lässt sich gute Literatur nicht dadurch beschädigen, nur weil sie auf einem Rummelplatz gelesen wird. Und zum anderen ist nicht überall wo Literatur draufsteht auch welche drin.
Längst hat der Wettbewerb mit den einstigen Werkstattgesprächen der Gruppe 47 nur noch das Verfahren gemein: Zunächst liest Einer und Alle schweigen. Danach reden Alle und der Lesende schweigt. Im Tagebuch von Hans Werner Richter – und nicht nur dort – kann man nachlesen, dass das hehre Werkstattgespräch auch nur am Anfang »funktionierte«. Sehr bald traten die Kritiker auf dem Plan und bestimmten von nun an die Diskussionen. Parallel dazu hatte die Gruppe 47 ihre Unschuld verloren, als Richter für seine Einladungspostkärtchen auch Empfehlungen von Verlegern folgte (was nicht bedeutet, dass die Empfehlungen per se falsch waren – aber Richters Autonomie bekam dadurch Risse).
Es wäre natürlich naiv zu glauben, dass die Übertragungen im Fernsehen keinen Einfluss auf den Ablauf und den Wettbewerb nehmen. Aber die These, der Bachmannpreis werde durch das Fernsehen »verdorben«, halte ich derzeit für übertrieben. Womöglich ist die Übertragung der Jury-Diskussion sogar ein Regulativ. Die Probleme der Veranstaltung liegen eher weniger in der medialen Präsenz, sondern im starren Festhalten an bestimmte Verfahren. Neben Kleinigkeiten wie z. B. die nervigen und fast nur noch als Pinkelpause verwendbaren sogenannten Autorenvideos müsste man konkret mindestens eine heilige Kuh schlachten, um eine Belebung des Wettbewerbs zu erreichen.
Es geht um das Auswahl- bzw. Vorschlagverfahren der Beiträge. Bisher schlägt jeder Juror zwei Kandidaten vor. Dies macht er in Unkenntnis der anderen Beiträge der anderen Juroren. Die aktuelle Vorschlagsregel, wonach ein Juror sozusagen für »seine« Autoren die Patenschaft übernimmt, widerspricht dem Gedanken, dass eine Jury eigentlich neutral zu handeln habe, d. h. nicht parteiisch sein soll. Dass diese Parteilichkeit transparent geschieht, verbessert die Situation nicht.
Dabei interpretieren Juroren ihre Patenschaft sehr unterschiedlich. Die Betreuung reicht vom reinen Vorschlagen bis hin zur Lektorierung des Wettbewerbstextes. In jedem Fall ist die Kritik über einen Text auch immer eine Aussage über den jeweiligen Juror, insbesondere wenn in der Jurydiskussion eine Teilnahme des Jurors beispielsweise in Form eines Lektorats erwähnt wird. Im Außenverhältnis gilt der Juror als besonders angesehen, der die meisten Preisträger »hervorgebracht« hat. Dass dies mit der Leistung eines Jurors auf ästhetischem Gebiet eigentlich nichts zu tun hat, liegt zwar auf der Hand, zählt beim Preisträgerzählen jedoch nicht.
Problematisch wird es, wenn dem Juror vorgeworfen wird, sich in der Diskussion genug nicht für »seinen« Kandidaten eingesetzt zu haben. Dabei beginnen unter Umständen spätestens mit Kenntnis der anderen Beiträge die strategischen Überlegungen. Beginnt etwa der Juror, der den Autor vorgeschlagen hatte, die Diskussion nach dessen Lesung wird dies als Schwäche des Textes interpretiert. Der Juror gerät dabei schnell in die Defensive. Entweder er versucht sich an einer Inhaltsangabe oder er flüchtet sich in die Verteidigung mit der Phrase »Ich habe X vorgeschlagen, weil…«. Damit entfällt für die anderen Juroren eventuell die Notwendigkeit, den Text positiv zu würdigen. In einer späteren zweiten Wortmeldung kann der Juror unter Umständen nur noch sein Eingangsstatement wiederholen.
Nachdem der Juror alle Texte zur Kenntnis genommen hat, soll nun urplötzlich nach literarischen, »neutralen« Kriterien entschieden werden. Der Juror gerät dabei in einen Konflikt: Zum einen findet er einen oder mehrere andere Texte besser, zum anderen muss er mindestens nach außen zu »seinen« Kandidaten stehen.
Beim Abstimmungsverhalten zum Bachmannpreis bzw. den anderen Preisen tritt diese Kalamität besonders hervor: Im Zweifel werden alle Juroren auf einen ihrer Autoren rekurrieren (sofern der »Cut« überstanden wurde). Da auf diese Weise keine Gewinnerfindung möglich ist, wird praktisch vorausgesetzt, dass die Patenschaft(en) am Ende aufgegeben werden.
Dabei wird deutlich: Die Juroren werden durch die Patenschaften belastet. Sie werden zu taktischen und strategischen Überlegungen herausgefordert, die eine freie und womöglich freche Diskussion hemmen. Daher muss eine andere Jury die Wettbewerbstexte aussuchen. Es muss eine nach allen Seiten unabhängige Jury sein: Unabhängig von den Wünschen der Verlage, des ORF, der Geldgeber oder anderer Gruppen.3
Diese Neuordnung ist eine Grundvoraussetzung, der alle anderen reformerischen Schritte untergeordnet sind. Die leidige Frage nach Romanauszug oder abgeschlossener Text wäre dann überflüssig, da diese Angabe einfach unterbleibt. Und ob die Autoren ihre Texte noch selber lesen oder ob dies anonymisiert von Schauspielern übernommen wird, wäre ein zweiter Schritt.
Man sollte in jedem Fall zurückkehren zu einem Preis; vielleicht noch einem oder zwei Stipendien. Wichtig wäre dabei, dass es die Möglichkeit gibt, den Preis auch zu verweigern, wenn es keinen Text gibt, der als preiswürdig erscheint. Auch dies ist nur dann möglich, wenn die unseligen Patenschaften aufgegeben werden.
Soweit die Utopie. Denn fest steht, dass mit einem Jury-Vorsitzenden Hubert Winkels das aktuelle Konzept nicht verändert wird. Winkels hat sich zu den bestehenden Verfahren bekannt, sieht sich als Bewahrer und ist Traditionalist. Der Bewerb muss also erst einmal Winkels als Jury-Vorsitzenden überstehen, um dann reformiert zu werden.4
III. Die Kritik in der Krise
Nicht zuletzt der unwürdige Preisträger des letzten Jahres zeigt an, in welcher Krise sich die Literaturkritik befindet. Diese Krise ist allerdings allgemeiner Natur und nicht auf den Bachmannpreis beschränkt und zeigt sich in den Fernsehübertragungen aus Klagenfurt nur deutlicher als sonst. Etliche Bachmannpreis-Groupies wenden sich inzwischen lieber direkt an die »automatische Literaturkritik« von Kathrin Passig. Dort werden Texte anhand einer durchaus variablen Checkliste mit Plus- oder Minuspunkten bewertet, sofern z. B. bestimmte Formulierungen vorkommen oder irgendwelche andere Kriterien erfüllen. So gibt es für die Erwähnung innerer Organe »die nicht das Herz sind« oder wenn Protagonisten fernsehen Pluspunkte, während »Tangomusik « oder »Kontrast zwischen Stadtleben und Landleben« Abzüge bringen. Dabei werden selbstverständlich auch außerliterarische Aspekte herangezogen (bspw. »schnörkelloser Lebenslauf« des Autors »ohne Preise« oder »guter Typo«). Wichtig ist, dass es theoretisch auch exakt andersherum sein könnte, d. h. die Kriterien die Pluspunkte erhalten, könnten auch negativ gewichtet sein und umgekehrt. Mit derartigen Kriterien wird die als hermetisch empfundene und scheinbar willkürlich agierende Literaturkritik persifliert.
Inzwischen kann Passig mit dieser im Dauerironiemodus daherkommenden Verballhornung auch in halbwegs seriösen Medien reüssieren. Der Trick dabei ist, dieses Verfahren als »[ü]berwiegend ernst gemeint« zu kategorisieren. Inzwischen ist es ja auch Usus, sich das politische Weltbild in Satiresendungen einzukaufen, warum soll da nicht Literaturkritik als empirische Phrasenzählung funktionieren. Eine gewisse Ernsthaftigkeit wurde durch eine Preisvergabe (500 Euro bzw. durch Crowdfunding auch mehr) unterstrichen. Damit hat sich die Spaß- bzw. Kommunikationsguerilla, die sich bescheiden »Zentrale Intelligenz Agentur« nennt bzw. nannte und vor allem in den 00er Jahren ihre Protagonisten zu den Lesungen schickte (mit Gewinn für beide Seiten), schleichend aber nachhaltig im Klagenfurt-Zirkus eingerichtet. Heuer soll es diesen alternativen Bachmannpreis allerdings nicht geben. Vielleicht ist man des Spielzeugs überdrüssig – was verständlich wäre.
So oberflächlich Passigs Checkliste auch sein mag – sie zeigt auf erschreckende Art und Weise die schwindende Bedeutung der einst so funkelnden Literaturkritik. Beim näheren Lesen, Hören und Schauen entpuppen sich deren Protagonisten allzu oft nur noch als Literaturjournalisten5 »Literaturjournalismus« zeigt sich – kurt gefasst – in vier Punkten:
- »Flucht« des Kritikers in eine exzessive Inhaltsangabe.
- Außerliterarische Bezüge wie bspw. die Biographie und (politische) Gesinnung des Autors und Interviewäußerungen werden für die Bewertung eines Textes herangezogen.
- Schreiben in schlagzeilentauglichen Superlativen für die schnelle Bestückung von griffigen Schubladen.6 Damit geht fast immer eine Nivellierung der Komplexität des zu rezensierenden Textes einher.
- Persönliche Vorlieben werden als Allgemeingut ausgegeben (meistens beginnend mit »Ich hätte mir gewünscht…«).
Dieser Form der Kritik geht es fast nur noch darum, »das übliche problemerpichte Publikum« die »Moral von der Geschicht« zu erklären (so Karl Heinz Bohrer in einem anderen Zusammenhang in seinem Aufsatz »Ist Kunst Illusion?« von 2011). Literaturjournalisten sind Gejagte eines durchökonomisierten Betriebs.7 Sie müssen jährlich hunderte von Büchern »lesen»8 und sich an den Verlagsprogrammen der großen Häuser abarbeiten, um auf dem Laufenden zu sein. Für Entdeckungen bleibt kein Raum. Eine Diskussion um ästhetische Kriterien des Textes, der Form, der Sprache wird kaum noch geführt. Wohl gemerkt: Damit ist nicht ein germanistisches Proseminar gemeint. Aber etwas mehr als das brave Aufsagen des gerade Gelesenen bzw. Gehörten verquirlt mit der eigenen Empfindung müsste es schon sein.
So können dann tatsächlich am Ende auch die Passig-Kriterien Relevanz beanspruchen. Den vom Feuilletonbetrieb ernüchterten Literaturliebhabern geht es dabei ähnlich wie einem schwerkranken Patienten, der, von der Schulmedizin enttäuscht, zur Geistheilung wechselt. Etwas Schlechteres als den Tod kann es ja nicht mehr geben.
IV. Journalistische Dominanz oder: Vermutlich keine »Muppet-Show« in diesem Jahr
Aktuell dürfte eine Hinwendung zur ästhetischen Literaturkritik beim Bachmannpreis noch schwieriger als in den Jahren zuvor werden. Hierfür genügt ein Blick auf die aktuelle Jury. Drei Juroren haben demissioniert: Burkhard Spinnen, Daniela Strigl und – nach nur einem Jahr – Arno Dusini. Neu sind Klaus Kastberger, Stefan Gmünder und Sandra Kegel. Die Neubesetzungen gehorchen scheinbar einem ausgeklügelten Länder- aber vor allem wohl Genderproporz, der medial genau beobachtet wird.9 Aber wesentlich interessanter als dieses kleinliche Zählen nach Ländern oder Männlein/Weiblein ist es, die fachliche Zusammensetzung der Jury zu befragen.
Zum einen ist mit dem Weggang von Burkhard Spinnen die letzte Stimme eines »berufsmäßigen« Autors verloren gegangen. Längst vorbei die Zeiten, als 1999 mit Robert Schindel, Thomas Hettche, Dieter Bachmann und Ulrike Längle10 4 von 7 oder 2003 Burkhard Spinnen, Josef Haslinger und Friederike Kretzen immerhin 3 von 9 Juroren selber Schriftsteller waren.11 Schon ein Jahr später war Spinnen in dieser inoffiziellen Kategorie alleine, was bis auf ein Intermezzo von Alain Claude Sulzer 2008–2011 auch so blieb. Generell war Spinnen mit seinen insgesamt 14 Teilnahmen (2000–2006, 2008–2014) die Ausnahme. Schriftsteller blieben häufig nur kurz in der Jury12, nachdem man zunächst gänzlich glaubte, darauf verzichten zu können und fast ausnahmslos Publizisten und Feuilletonisten in die Jury berief.
Zum anderen hat die Jury mit Daniela Strigl einen wirklich schier unersetzlichen Abgang zu verkraften. Strigls Rücktritt erfolgte im Dissens mit dem ORF, der maßgeblich an der Ausrichtung des Wettbewerbs beteiligt ist und entsprechende Konzessionen einfordert. So wollte der ORF die Besetzung des Juryvorsitzes nach Burkhard Spinnens Abgang bestimmen. Zusagen an Strigl wurden, so das Gerücht, zurückgenommen und Hubert Winkels als Jury-Vorsitzender bestimmt. Winkels selber stellt die Angelegenheit anders dar.
Nicht nur die einzige Stimme des Schriftstellers fehlt. Auch die Literaturwissenschaftler haben also einen Vertreter weniger: Dem Weggang von Strigl und Dusini folgt der dynamische und eloquente Kastberger. Mit Gmünder und Kegel (die bisher eher weniger mit Literaturbesprechungen aufgefallen war) sind nun 5 der 7 Juroren Feuilleton-Journalisten. Es bleibt abzuwarten, ob von dieser Jury Impulse ausgehen bzw. ob diese zugelassen werden oder ob sich die »journalistische« Sicht noch weiter durchsetzen wird.
Helmut Böttiger hat neulich in »zeit.online« einen Verriss für das neue »Literarische Quartett« in ZDF unter der Leitung von Volker Weidermann verfasst. Mit Christine Westermann und Maxim Biller sieht Böttiger eine Rollenverteilung in der Sendung wie in der »Muppet-Show« statt einer seriösen literaturkritischen Diskussionsrunde (die es mit Reich-Ranicki übrigens auch fast nie gab, aber das wird nicht thematisiert). Wie es inzwischen durchaus Usus in der Kritik ist verzichtete Böttiger für sein Urteil souverän auf die Kenntnis des Objekts seiner Kritik: Die erste Sendung in dieser Besetzung wird erst im Oktober ausgestrahlt werden. Aber das stört Böttiger nicht im Geringsten. Und auch die Redaktion von zeit.online nicht: Sie würzte den kalten Verriss mit einer Fotomontage der drei Diskutanten.
Ich möchte nicht den Böttiger machen, prognostiziere aber kühn, dass es 2015 keine »Muppet-Show« in Klagenfurt geben wird. Aber vielleicht gibt es wieder einmal, nach vielen Jahren, einen Prosatext, der verzaubert, ein »Wunder«, ein Text, der für die Dauer seiner Lesung vergessen lässt, was für ein Spektakel da stattfindet und welche Durchschnittlichkeit sich immer wieder bräsig einnistet. Man soll ja die Hoffnung nicht aufgeben.
Ich werde dieses Jahr – hoffentlich ein bisschen weniger als 2014 – über den Wettbewerb twittern. Aus sicherer Distanz, vom Fernsehgerät aus.
Im nachfolgenden Text ist zwar auch weiterhin von Autoren, Lesern und Juroren die Rede, aber selbstverständlich sind damit auch immer Autorinnen, Leserinnen und Jurorinnen gemeint. ↩
Letzteres trägt dazu bei, dass halbwegs arrivierte Schriftsteller selten unter den Teilnehmern zu finden sind – ihre Fallhöhe wäre unter Umständen zu hoch. Somit kommt der Bachmannpreis immer wieder in den Geruch eines Nachwuchswettbewerbs, was er per se nicht ist. Um dem entgegenzuwirken, wurden in den letzten Jahren unterschiedliche Verfahren ausprobiert. Diese waren eher mässig erfolgreich. Aktuell ist es notwendig "von einem Verlag oder einer Literaturzeitschrift schriftlich empfohlen zu werden". Eine Publikation wie in der Vergangenheit gefordert, muss nicht mehr vorliegen. ↩
Einige Namen fallen mir da schon ein, aber ob diejenigen bereit wären, die Vorauswahl zu übernehmen, bleibt fraglich. ↩
Allerdings dürfte vorher schon die aktuelle faktische Insolvenz des Landes Kärnten 2016ff die Existenzfrage des Wettbewerbs stellen. Sollte der ORF wider Erwarten auch noch das Preisgeldengagement übernehmen, wird dies mit Maßnahmen eingekauft werden müssen, die den Bewerb telegener machen, aber dadurch nicht unbedingt anspruchsvoller. ↩
In ihrem verdienstvollen Buch "Literaturkritik – Eine Suche" (2008) tritt Brigitte Schwens-Harrant vehement für ein verständlicheres Schreiben von Literaturrezensionen ein und nennt dies "journalistisch schreiben". Dies ist mit meiner Rubrizierung ausdrücklich nicht gemeint. ↩
Brigitte Schwens-Harrant: "Ist die Schublade erst kreiert, schreibt sich's gänzlich ungeniert" Und weiter: "Schubladisierungen sind das Resultat ungenauer Lektüre, aber auch fehlender aufmerksamer Analyse. Wenn Autoren erst einmal in einer Kritikerschublade gelandet sind, schreibt fröhlich eine Rezensentin von der anderen ab, ohne je einmal eine Autorin aus der Schublade zu holen und ihre Texte genauer anzusehen". ↩
Von Ekkehard Knörer konnte man einiges über Hubert Winkels' Terminkalender erfahren, über den er bei einer Tagung berichtete: " Und so blätterte er sehr detailliert seinen Terminkalender für das Jahr 2015 auf, von Moderationen zu Vorträgen, von den Jurysitzungen für den Preis der Leipziger Buchmesse zum nächsten Literaturfestival: im nächsten halben Jahr keine freie Minute. Zum Lesen und Denken und Schreiben kommt man dabei, wie er offen bekannte, eher nur zwischendurch." Immerhin reicht die Zeit, die Juroren einzustimmen. ↩
Es mag leicht ermessen, welche Qualität diese Form der "Lektüre" haben dürfte. Sie ist entweder oberflächlich oder findet nur noch partiell statt. ↩
Hinsichtlich des Länderproporzes gibt es interessante Interpretationsmöglichkeiten, da einige Juroren scheinbar doppelte Staatsbürgerschaften besitzen. ↩
Man kann jetzt streiten, ob Längle und Bachmann als Literaturwissenschaftler oder als Schriftsteller subsumiert werden können. ↩
Auch Ilma Rakusa, die von 2003 bis 2007 in der Jury saß, kann sowohl als Autorin als auch als Literaturwissenschaftlerin eingeordnet werden. ↩
Man denke z. B. an Maxim Biller, Hans Christoph Buch, Barbara Frischmuth (je 1x) oder Birgit Vanderbeke, die 1990 den Bachmannpreis gewonnen hatte und 2001 und 2002 in die Jury kam ↩
Ein interessanter Artikel und ein sehr interessantes Auseinandersetzen mit dem Bachmannpreis, den ich, glaube ich, schon seit seinem Entstehen verfolge und anmerke, daß man 1977 bei seiner Gründung sehr dagegen war, die Autoren öffentlich zur Schau zur Stellen, die IG-Autoren in Österreich haben dagegen protestiert, die GAV hat gesagt, wir können niemanden, weil es ja um Geld geht an der Teilnahme hindern, aber...
Das hat sich jetzt geändert und die jungen Autoren drängen, glaube ich, sehr energisch dorthin, denn dort ist das Geld, die Presse die Verlage...
2005 habe ich zwei Tage vor dem Wettbewerb in der Presse eine müde Kritik gelesen, daß da nichts los und kein Skandal zu erwarten sein wird, da habe ich einen energischen Leserbrief geschrieben und heuer, denke ich, wird etwas los sein, das verspricht die Auswahl der Autorinnen, die Herren kenne ich nicht sehr und das ist der neuen Jury zu verdanken, wo ich die beiden Herren als sehr qualifizierte starke Stimmen einschätzen würde, die Dame kenne ich nicht sehr- spannend also und wahrscheinlich nicht nur wegen der provokanten jungen Frau in Berlin, die wahrscheinlich keine Ahnung hat, was sie dem Feminismus zu verdanken hat, denn vor hundert Jahren hätte man sie wahrscheinlich nicht zum Lesen eingeladen und sie hätte auch nicht studieren dürfen, sie muß aber einen vielversprechenden literarischen Text haben, sonst hätte sie Herr Winkels, den ich ebenfalls für sehr qualifiziert halte, nicht eingeladen und sie hat, auch wenn das auf ihrer Seite nicht erkenntlich ist, glaube ich, in Hildesheim studiert, aber sie ist sehr jung und hat noch dreizehn andere Konkurrenten, von denen jetzt offenbar niemand spricht, aber mindestens drei starke Frauen, wie Valerie Fritsch, ebenfalls nicht viel älter, Nora Gomringer, Michaela Falkner, um nur die provokantesten zu nennen, an ihrer Seite.
Das wird spannend werden, habe ich schon gedacht, noch ehe ich nachgegooglet habe, wen ich mir unter Ronja von Rönne vorstellen kann und von diesem Shitstorm etwas mitbekommen habe.
Nein, ich will nicht, daß man seine Haustiere tötet und ich mag auch keine Egoisten, bin aber immer noch auf den Bachmannpreis sehr gespannt, obwohl ich nicht recht weiß, was Sie unter einer Muppet Show verstehen und daß sich der größte Teil der Mitmenschen nicht sehr für Literatur interessieren, das ist wahrscheinlich so, daher sollte man sich nicht wundern, daß das Auswahlverfahren nur den Insidern bekannt ist und das sind wahrscheinlich die Autoren, die dort selber lesen wollen, aber einige, die sich das Wettlesen rund um die Uhr ansehen, gibt es schon, ich zum Beispiel und ich kenne auch einige andere Blogger, die das tun und bin 2008 auch zu meinem Blog gekommen, als ich während des Bachmannsurfen in den Pausen daraufgekommen bin, daß jetzt die Blogs darüber dieskutieren.
Also neugierig auf den neuen Bachmannpreis sein und nicht im Vornherein darüber motzen, sondern zuschauen und dann seine Meinung bilden, gegen die sogenannten Paten habe ich nichts und eigentlich auch nichts gegen das Auswahlverfahren, obwohl ich auch gern dort einmal gelesen hätte
So wünschenswert die Trennung von Juror und Patenschaft wäre, so wenig wird sie kommen. Denn genau die unlautere Verquickung von Rollen ist für den Literaturbetrieb typisch. Noch am treffendsten wurde Klagenfurt bislang (in einer Studie von Doris Moser) als »Börse« beschrieben, an dem verschiedenste Dinge notiert werden: von der Studiodekoration bis zur Stringenz der Jury-Diskussion. Und ja, irgendwo darunter auch literarische Texte.
Die Tatsache, dass jeder Juror immer zwei Pferdchen ins Rennen schickt (wovon eines dann gern als Kanonenfutter dient), macht es bei der Anzahl der Preise fast jedem möglich, einen Erfolg einzufahren. Es wäre eine Aufgabe der empirischen Literaturwissenschaft (hallo, digital humanities!) solche Korrelationen mal auszuzählen.
Man muss die öffentliche Diskussion über ein Stück Literatur in Anwesenheit des Autors nicht für den Gipfel der Literaturkritik halten. Man muss Live-Kritik im Fernsehen überhaupt nicht gut finden. Aber immerhin ist es (neben einigen Hörfunksendungen) das einzige Mal im Jahr, dass diese Kulturtechnik performativ und öffentlich stattfindet. Versagen und Fehlurteile stehen durch die Erfindung des Second Screens (damit meine ich die Begleitung und Kommentierung des Klagenfurt-Events durch Twitter und andere Formen des social-media-Groupietums) längst stärker unter Beobachtung als früher.
Insgesamt scheint mir Klagenfurt mehr ein Ereignis der Literaturkritik als der Literatur zu sein. Wie sollte man es auch anders rezipieren, wenn – wie im Jahrgang 2014 – wirklich nur lauter laue Texte am Start sind. Besseres hat die Literaturszene also nicht zu bieten, dachte man sich und musste sich mit seiner Aufmerksamkeit ganz notgedrungen auf Nebenschauplätze verlegen.
Die lauen Texte des Jahres 2014 sind natürlich das Produkt der Jury, also »der Kritik«. Das bedeutet, dass nicht nur die Art und Weise wie die Jury über die Beiträge urteilt, der Kritik der Rezipienten unterliegt (das »performative« Element der Kritik), sondern auch die Auswahl der Beiträge. Letzteres wird ja gerne übersehen.
Es gab immer mal schlechte Jahrgänge (beispielsweise 2006 oder 2010), aber sollte sich dies als Dauerzustand festsetzen, wird auch die Bereitschaft junger Autoren immer mehr abnehmen, teilzunehmen. Insgesamt droht dann noch mehr eine Verflachung. Viele halbwegs arrivierte Schriftsteller sagen längst, dass sie kein Interesse an einer Teilnahme haben: die Fallhöhe sei einfach zu hoch. Es gibt Juroren, von denen man einfach nicht öffentlich gelobt oder gar verrissen werden möchte. (Ab und an liest man ja noch einmal einen bekannten Namen – mit dem sich sofort ein neues Problem stellt: Lobt man diesen Beitrag wittern einige einen Prominentenbonus. Lobt man nicht, interpretiert man es »draußen« als Promi-Malus.)
Auch ich halte dieses performative Element, dieses Sich-Stellen der Kritik, für eine wichtige Sache. Umso bedauerlicher, dass sich die Kritik hier meist allzu willig unter Wert »verkauft«. Dass sie im Vordergrund steht, ist ja alleine schon durch das Verfahren gegeben. Aber dass sie zum eigentlich Ereignis wird, hielte ich für bedenklich. Aber vielleicht ist das der Preis, den Literatur im Fernsehen zahlen muss (siehe »Literarisches Quartett«): Die Hauptrolle übernimmt stets die Inszenierung.
PS: So etwas wie eine »Rangliste« der Jury wurde hier vorgenommen.
Interessant, danke. Es wäre ästhetisch und interpretativ bzw. rezeptiv interessant, die Texte nicht von den jeweiligen Autoren lesen zu lassen (jeder Text sollte von einem oder zwei Schauspielern vorgetragen werden, eventuell männlich und weiblich, und zumindest als podcast im Netz verfügbar sein).
Vielleicht muss man einen Juryleiter installieren, der nicht an der Autorenauswahl beteiligt ist und dessen Hautaufgabe die Sicherstellung einer textgebundenen, literarischen Diskussion wäre (ev. anhand eines Themen- oder Kriterienkatalogs). Dann könnte man vielleicht eher verschmerzen, dass die Trennung zwischen Jury und Patenschaft bestehen bleibt (besser wäre, wie schon festgestellt, diese aufzuheben; aber wahrscheinlich ist diese Nichttrennung eine Motivation mitzumachen).
@metepsilonema
Ein ehemaliger Juror (generisches Maskulinum) schrieb mir zwei Gründe, warum die »Patenschaften« bleiben sollten: 1. »Wer möchte sich von anderen die Lektüre vorsortieren lassen?« und 2. wäre es nicht schlecht, wenn es wenigstens einen »Pflichtverteidiger« eines Teilnehmers gäbe. Ich gebe zu, dass ich die Sache mit dem Vorsortieren und den entsprechenden Eitelkeiten zweier Jurys übersehen habe. Das mit dem »Pflichtverteidiger« klingt gut, aber so manches Mal hatte man das Gefühl, da werde einer als »Kanonenfutter« (Marc Reichwein) vorgeschlagen.
Umso interessanter erscheint mir Dein Vorschlag eines neutralen Juryvorsitzenden, der dann sozusagen zum Moderator wird. Aber machen wir uns nichts vor: Es wird so bleiben, wie es ist, weil die Veranstaltung zu sehr unter dem Event-Charakter rezipiert werden soll. Das ist ja durchaus im Sinne des ORF.
Im Sinne des ORF, klar (ich frage mich gerade wie der Bachmannpreis als reine Radiosendung aussehen würde; wäre eigentlich perfekt für Ö1, könnte man dagegen halten, reduzierte allerdings die Einschaltquote).
Ganz überzeugen mich die zwei Punkte nicht: Einen Pflichtverteidiger braucht es eigentlich nur, wenn die Diskussionen persönlich oder unfair werden (man könnte sogar sagen, es stützt nur die gängige Praxis). Und zum Vorsortieren: Sicherlich, irgendwie muss man auswählen (geschieht das bei anderen Preisen ähnlich?), andererseits aber darf man von einer Jury erwarten, dass sie sich dem stellt, was kommt, solange es Literatur ist.
»...einer Handvoll Krawallanten...«
Fehlt da nicht ein »t« vor den »anten«?
Nein.