Rai­nald Goetz: los­la­bern

Rainald Goetz: loslabern

Rai­nald Goetz: los­la­bern

LOSLABERN: Trak­tat, Trak­tat über den Tod, über Wahn, Sex und Text, und, er­hei­tert von die­sem so­eben durch ihn hindurch­gefahrenen Ex­pres­si­vi­täts­er­eig­nis: Be­richt!, der Herbst 2008!... Ei­ne gro­sse (groß­spu­ri­ge?) Er­öff­nung. Dann: »los­la­bern« als ethi­scher Akt. Als neue Dis­kurs­form im Ha­ber­ma­si­en der Nuller­jah­re? Und na­tür­lich auch gleich die »pas­sen­de« li­te­ra­tur­hi­sto­ri­sche Selbst­ein­stu­fung: Ein rich­tig los­ge­la­ber­ter Text wür­de sei­ne, dass man aber dann, oh­ne sich da­bei zu un­ter; Fin­ster­nis: Steu­er, Er­wach­se­nen­le­ben, Ver­ant­wor­tung, Ein­sicht, Ver­nunft; ENDHÖLLE. Ver­stan­den? Nein? Macht nichts. »los­la­bern« ist eben auch zwang­lo­ses bzw. ‑haf­tes Ab­son­dern. (Das aber glück­li­cher­wei­se eher sel­ten.)

Vom Grö­ßen­wahn wech­selt Rai­nald Goetz dann bis­wei­len ins thea­tra­li­sche und ge­riert sich auch schon mal als der Ge­fan­ge­ne. Aber trö­stend für den Le­ser: Er meint we­nig in die­sem Buch wirk­lich Ernst. Hin­ter die­sen Text­kas­ka­den steckt (zu) oft (zu) we­nig. Nur ab und an ist das an­ders, et­wa wenn er Schirr­ma­cher vor­hält, die Se­rio­si­tät des (FAZ-)Feuilletons dro­he nach­zu­las­sen. Dann blitzt die Angst des Kin­des her­vor, sei­ne Spiel­wie­se zu ver­lie­ren. Denn Goetz weiß sehr wohl, was er an sei­ner Spiel­wie­se hat.

Mit Wort­krea­tio­nen wie Ei­tel­keits­im­pli­ka­tio­nen, Gei­stes­ab­tö­tung­ef­fekt, Kitsch­reaktionärheiten (über Bo­tho Strauß), Un­ter­schich­ten­schmutz (Pri­vat­fern­se­hen) hat sich Goetz wohl end­gül­tig in den Tho­mas-Bern­hard-Him­mel ge­schrie­ben. Das be­deu­tet nicht, dass er ein simp­ler Bern­hard-Epi­go­ne wä­re oder ein­fach nur die (spä­ten) bern­hard­schen Welt­be­schimp­fun­gen ko­piert. Goetz ge­lin­gen Mo­men­te, die durch­aus ei­ne ei­ge­ne Stim­me er­ken­nen las­sen (zu­mal er der spie­le­ri­sche­re Au­tor ist – im Ge­gen­satz zum au­stria­kisch-bär­bei­ßi­gen Vor­bild [ja, Vor­bild]). Und die in tau­meln­den Text­sua­den ein­ge­floch­te­nen kur­zen, je­weils nur we­ni­ge Sei­ten lan­gen Er­zäh­lun­gen (Theo­lo­gi­sches Kon­vikt und 1918) sind tat­säch­lich klei­ne Per­len.

Amü­san­tes vom Feuil­le­ton-Grou­pie

Den­noch kommt ei­nem das Hand­ke-Wort vom »Wit­zel« in Be­zug auf den spä­ten Tho­mas Bern­hard in den Sinn (Hand­ke ver­ehr­te die frü­he Pro­sa Bern­hards), wenn man nun die­se Klatsch- und Lü­gen­ge­schich­ten ei­nes doch arg ner­vö­sen Feuil­le­ton-Grou­pie liest (Goetz spielt da­mit, sei­nen Schil­de­run­gen er­fun­de­ne Pas­sa­gen hin­zu­zu­fü­gen und sie da­durch zu li­te­r­a­ri­sie­ren). Da­bei ist das al­les durch­aus amü­sant (ins­be­son­de­re wenn man den je­wei­li­gen Kon­text kennt, d. h. min­de­stens FAZ-Le­ser und Fern­seh­zu­schau­er ist; die re­gel­mä­ßi­ge Per­len­tau­cher-Lek­tü­re scha­det auch nichts).

Auf schein­bar je­den »la­bert« Goetz ein (der Le­ser merkt nicht im­mer so­fort, ob es sich um in­ne­re Mo­no­lo­ge oder rea­le Dia­lo­ge han­delt). Es ist die Kas­sie­re­rin an der Supermarkt­kasse, der Zeit­schrif­ten­ver­käu­fer (der ihm 15 Cent Wech­sel­geld in 1‑­Cent-Stücken zu­rück­gibt) oder eben die Crè­me-de-la-Crè­me des deut­schen Feuil­le­tons, die hier durch den Text­mahl­strom ge­zo­gen wird. So wie Frank Schirr­ma­cher (des­sen Ar­ti­kel im Herbst 2008 er als durch­ge­knallt be­zeich­net und im Ge­spräch auf dem FAZ-Herbst­emp­fang maßt sich Goetz un­ver­mit­telt an, ihn ein­fach zu bit­ten, weg­zu­ge­hen), Don Al­phon­so (der um­schmei­chelt wird), Chri­sti­an Kracht (über des­sen zwei­tes Buch er ver­zwei­felt), Pe­ter Slo­ter­di­jk (dem mal eben die Welt er­klärt wird [pein­lich]), Joa­chim Lott­mann (vor dem er sich so­gar fürch­tet) oder Da­ni­el Kehl­mann (der wie ei­nen Stre­ber-Schul­jun­ge ab­ge­kan­zelt wird). Von Fer­ne be­ob­ach­tet er auch Kai Diek­mann (Goetz’ wil­de As­so­zia­ti­on: Diek­mann be­nut­ze als Haar­gel das Schei­den­se­kret von La­dy Bitch Ray), Bro­der; Diek­mann und Bro­der (»Arte«-Film!), Nils Mink­mar (der Son­der­be­auf­trag­te für Brand­be­schleu­ni­ger beim ZK der FAS), Mid­del­hoff (Ach­tung: Na­mens­wit­ze), Döpf­ner, Stuck­rad-Bar­re (ob­wohl Sprin­ger-Ko­lum­nist mit auf­mun­tern­den Wor­ten ver­se­hen).

Es gibt auch Re­mi­nis­zen­zen zu Mar­tin Wal­ser, En­zens­ber­ger, Bern­hards »Prei­se« (er ru­bri­ziert es als schwä­che­res Werk im Œu­vre ein), zur Tell­kamp-Lek­tü­re vom »Turm« (da­zu ei­ni­ge grot­ten­fal­sche Les­ar­ten, et­wa wenn er Ost­rom in Tell­kamps Ro­man ei­nem rea­len Ort zu­ord­net oder sug­ge­riert, ein Ver­tei­di­ger des DDR-Scheißstaat[es] könn­te sich auf die­ses Buch be­ru­fen – ob­wohl durch­aus kon­ze­diert wird, dass Tell­kamp die At­mo­sphä­re der DDR tref­fend schil­dert). Oder ei­nen Spon­tan­ver­gleich über Ber­li­ner Schnodd­rig­keit und Münch­ner Freund­lich­keit. Die Ver­fil­mung von Aus­ts »RAF«-Buch (Drecks­film). Joa­chim Kai­sers To­tal­trau­rig­keit zum 80. Ge­burts­tag-In­ter­view in der SZ (und wie sonst nur sel­ten spricht ei­nem da der Au­tor aus der See­le). Hai­ders Un­fall und das Au­to­wrack als Kunst­werk. Und na­tür­lich die sich an­bah­nen­de »Fi­nanz­kri­se« (nebst Leh­man-Plei­te) – es gibt fast nichts, was im Herbst 2008 en vogue war und sich nicht in die­sem Buch be­ar­bei­tet fin­det (in­klu­si­ve der Re­fle­xio­nen, die wie­der­um nur Re­fle­xio­nen auf frü­he­re Re­fle­xio­nen sind, wie et­wa über Schle­ef und des­sen Thea­ter­kunst, Hand­kes letz­ten Satz aus »Wunsch­lo­ses Un­glück« oder den schlechte[n] Schrift­stel­ler Al­fred Dö­b­lin, die­sen Ödnisproduzent[en]). Ge­gen En­de ver­misst man in­tui­tiv dann doch einige(s) und fragt sich war­um.

Af­fir­ma­ti­on von Tratsch und üb­ler Nach­re­de als Kunst, so re­fe­riert Goetz ein­mal in ei­ner Sua­da über Döpf­ner – aber der Le­ser hat un­ver­mit­telt ei­nen An­halts­punkt, wie er die vor­lie­gen­de Pro­sa cha­rak­te­ri­sie­ren könn­te. Da­bei sind man­che die­ser Re­fle­xio­nen von lu­zi­der Kraft, et­wa wenn er über die Jah­re der Schrö­der-Kanz­ler­schaft sagt: Nur in den rot-grü­nen Jah­ren gab es kurz ein­mal den Ver­such ei­ner di­rek­ten Af­fir­ma­ti­on der Macht, und man konn­te an Schrö­ders Bei­spiel gut se­hen, dass so­gar in der Po­li­tik der Wil­le zur Macht so di­rekt nicht af­fir­miert wer­den darf, weil die Macht sich mit die­ser Selbst­affirmation selbst ge­fähr­det, so­gar selbst zer­stö­ren kann. Lei­der wen­det sich Goetz dann wie­der sei­nem Ge­sprächs­gast zu, statt die­sen be­le­ben­den Ge­dan­ken wei­ter auszu­führen.

Qua­li­täts­jour­na­lis­mus und Dis­kurs­irr­sinn

Ge­lun­gen die hi­sto­ri­sche Al­le­go­rie zum ak­tu­el­len Ver­hält­nis zwi­schen Po­li­tik und Wirt­schaft. Seit Jah­ren, so Goetz, wird der Po­li­tik die Vor­rang­stel­lung von der Wirt­schaft strei­tig ge­macht (was – un­üb­lich in die­sem Buch – sehr zu­rück­hal­tend for­mu­liert ist). Die­sen Kampf zwi­schen Po­li­tik und Wirt­schaft um den ge­sell­schaft­li­chen Spit­zen­rang sieht er nun par­al­lel zur hi­sto­ri­schen Kon­fron­ta­ti­on zwi­schen Kir­che und Reich, Papst und Kai­ser in den zu­rück­lie­gen­den Jahr­hun­der­ten. (Da er­in­nert man sich dann an sei­nen Ge­schichts­un­ter­richt.)

Zum Qua­li­täts­jour­na­lis­mus führt Goetz kur­zer­hand ei­ne Art »Be­weis­last­um­kehr« ein: Mehr denn je war…die öf­fent­lich zu­gäng­li­che In­for­ma­ti­on in ei­ner sol­chen Massen­haftigkeit, Zu­gäng­lich­keit und Un­über­blick­bar­keit zu­gäng­lich, dass das Pro­blem intellek­tueller Qua­li­tät, al­so auch das Pro­blem für den Qua­li­täts­jour­na­lis­mus, längst um­ge­kippt war aus dem Be­darf an In­for­ma­ti­on in das Ge­gen­teil, in Be­darf an Nicht­ha­ben von In­for­ma­ti­on… Zu Recht merkt er an, dass 90 Pro­zent der über­all wich­tig­tue­risch wei­ter­ge­flü­ster­ten Hintergrundinformationen…totaler So­zi­al­müll, Un­sinn, Jau­che sei­en, die auch dem Qua­li­täts­jour­na­lis­mus viel zu oft das Hirn viel zu sehr über­schwemmt. Dem­nach be­stün­de Qua­li­täts­jour­na­lis­mus durch­aus (oder ge­ra­de) auch im Nicht-Mel­den all­zu ba­na­ler und/oder lä­cher­li­cher bzw. un­ge­prüf­ter, ein­fach nur ab­ge­son­der­ter »Infor­mationen«. (Ei­ne mehr als zu­tref­fen­de Ein­schät­zung, wie man bei­spiels­wei­se ak­tu­ell an der lach­haf­ten Pseu­do-Be­richt­erstat­tung der so­ge­nann­ten Qua­li­täts­me­di­en zu den Ko­ali­ti­ons­ver­hand­lun­gen se­hen kann.)

Und wenn Goetz rich­tig wü­tend und da­bei ge­nau ist, dann ist die Lek­tü­re tat­säch­lich mehr als nur amü­san­tes Plai­sir. Et­wa, wenn er aus An­laß der Fi­nanz­kri­se ge­konn­te Me­di­en­kri­tik be­treibt und den kom­plet­ten Dis­kurs­irr­sinn kon­sta­tiert, der die ge­sam­te Pres­se, be­son­ders aber die Feuil­le­tons, und un­ter de­nen am al­ler­hef­tig­sten na­tür­lich ge­ra­de auch wie­der das al­ler­hy­ste­risch­ste, das der Faz, be­fal­len hat­te, wo jetzt in mehr oder we­ni­ger täg­lich er­schei­nen­den Ar­ti­keln die Re­vo­lu­ti­on aus­ge­ru­fen wur­de, die mor­gen gleich über uns her­ein­bre­chen­de REVOLUTION vor­her­ge­sagt wur­de, Re­vo­lu­ti­on, egal ei­gent­lich von was und wo­für, Re­vo­lu­ti­on aber auf je­den Fall täg­lich an­ge­fragt und an­ge­mahnt wur­de […] und je­der von uns Schrift­stel­lern muss­te, das war in die­sen Wo­chen Pflicht, per Ar­ti­kel oder In­ter­view das En­de des Ka­pi­ta­lis­mus, wie wir ihn ken­nen ver­kün­den, das neu her­auf­kom­men­de Zeit­al­ter der Ver­nunft an­kün­di­gen, das jetzt im Zu­sam­men­bruch der Irr­sin­nig­kei­ten des Ka­pi­tals sicht­bar wer­den wür­de […] je bes­ser be­zahlt der Feuil­le­ton­re­dak­teur, um­so ra­di­kal­an­ti­ka­pi­ta­li­sti­scher der Neo­an­ti­ka­pi­ta­lis­mus, um­so or­tho­or­tho­do­xer der Ba­sal­mar­xis­mus, es war in der ge­sam­ten Öf­fent­lich­keit kurz ei­ne Stim­mung wie frü­her in der Al­ter­na­tiv­kul­tur, Wir­ge­fühl, Grup­pen­druck, Un­sinns­pa­ro­len und rich­ti­ger Lü­gen na­tür­lich auch, mit dem un­an­ge­nehm mo­di­schen Tri­um­pf­ge­fühl, es im­mer schon ge­wusst zu ha­ben, aber links ist nicht nur mit den Schwa­chen im So­zia­len, links ist im Dis­kurs manch­mal auch kurz da, wo ei­ne Wahr­heit schwach ist ak­tu­ell…

Ba­by Schim­mer­los mit lich­ten Mo­men­ten

Da ist dann doch die­ser Hang auf der rich­ti­gen Sei­te ste­hen zu wol­len (was er den an­de­ren vor­wirft). Un­ter die­sem Kon­for­mis­mus büßt Goetz’ Den­ken dann an Schär­fe ein; es wird ein­di­men­sio­nal und leicht aus­zu­rech­nen. So lehnt er na­tür­lich ganz »kor­rekt« den Na­tio­nal­staat ab (be­son­ders hef­tig sein Ekel vor den Schleimer[n] und Mitmacher[n] der nur so trop­fen­den, so fürch­ter­lich ge­we­se­nen mitt­le­ren Nuller­jah­re hier in die­sem DEUTSCHLAND VERRECKE usw, Grau­sig­keitstiefst­punkt war der WM-Som­mer 2006 ge­we­sen), wäh­rend er den Wohl­fahrts­staat selbst­ver­ständ­lich be­jaht (an­ge­kotzt ist er von ei­nem ein Buch mit der Ka­pi­tel­über­schrift »War­um ist der Staat über­haupt not­wen­dig«). Über die Am­bi­va­lenz die­ser bei­den Ein­stel­lun­gen ist sich Goetz (wie vie­le an­de­re In­tel­lek­tu­el­le) gar nicht im Kla­ren.

Nicht nur hier seufzt der Le­ser ob des Pri­vi­legs ei­nes nicht ar­gu­men­tie­ren müs­sen­den Bu­ches: Man er­klärt es ganz schnell zur Li­te­ra­tur, da­mit man die In­kon­se­quen­zen nicht er­läu­tern muss. Wi­der­spruch ist in die­sem Kon­zept nicht nur nicht vor­ge­se­hen, er ist sinn­los. Oder war­um (und vor al­lem: wie) soll­te man wi­der­spre­chen, wenn bei­spiels­wei­se Gor­bat­schow zum et­wa drittwichtigste[n] Mensch des 20. Jahr­hun­derts apo­stro­phiert wird, nach Le­nin und Hit­ler und wohl si­cher vor Sta­lin?

Ein­deu­tig lei­det dar­un­ter das, was man Se­rio­si­tät des Au­tors nen­nen könn­te (ein Be­griff, den Goetz vor­aus­sicht­lich in drei Sät­zen à je zwei­ein­halb Sei­ten aufs Schärf­ste als Un­fug ab­tun wür­de). Aber es gibt auch ge­wollt ko­mi­sche Pas­sa­gen in die­sem Buch, wenn der Au­tor bei­spiels­wei­se ei­ne Art Feh­ler­such­spiel ent­wirft:

Gio­van­ni di Lo­ren­zo, Die Zeit […]
Hel­mut Mark­wort, Fo­cus […]
Ger­hard Steidl, Steidl-Ver­lag
El­ke Hei­den­reich, Spi­nat

Oder wenn er lau­nig die sie­ben gro­ßen »W« des Jour­na­lis­mus auf­zählt:
wer? // was? // wie? // wo? // wann? // war­um?

Bei al­ler Al­bern­heit: Goetz ver­steht sich (seit »Ab­fall für Al­le«) als Chro­nist (in­zwi­schen der per­ver­sen Nuller­jah­re). Und dies macht er re­bel­lisch-po­sie­rend, ber­nar­desk-wü­tend in ei­ner Mi­schung zwi­schen Ba­by Schim­mer­los des FA­Z/ta­z/S­Z/­Spie­gel/­Zeit-Feuil­le­tons und ei­nes »écri­tu­re automatique«-Adepten der 1920er Jah­re.

Man ver­ges­se je­doch nicht: Hier wird ein Schau­spiel auf­ge­führt. Goetz ist na­tür­lich längst nicht mehr das en­fant ter­ri­ble. Er ist »an­ge­kom­men« und be­rich­tet aus dem Zen­trum des »Be­triebs« und nicht von des­sen Rand (auch das un­ter­schei­det ihn bei­spiels­wei­se von Bern­hard). Man ach­te bei­spiels­wei­se dar­auf, wen er nicht er­wähnt. Es gibt bei ihm auch kei­ne »Ent­deckun­gen«, kei­ne »Außenseiter«-Sichten. Er stif­tet kei­ne »Dis­kur­se«, er nimmt sie nur auf, spinnt sie teil­wei­se in Ab­sur­de aber manch­mal ge­lin­gen ihm da­bei be­le­ben­de Ideen. Sei­ne Krea­ti­vi­tät ist den­noch auf die Re-Ak­ti­on be­schränkt. Goetz’ »los­la­bern«, Teil ei­nes gro­ßen Pro­jekts, sind Auf­zeich­nun­gen, die den am Feuil­le­ton in­ter­es­sier­ten Le­ser ein biss­chen ei­ne Schlüs­sel­loch­per­spek­ti­ve sug­ge­riert. Wie lan­ge die Kraft die­ser Be­ob­ach­tun­gen at­trak­tiv bleibt, ist frag­lich. Der Chro­nist der Nuller­jah­re scheint manch­mal mit eher kur­zer Le­bens­dau­er zu be­rich­ten. Aber viel­leicht irrt der Le­ser da und in zwan­zig Jah­ren sind die­se Bü­cher ka­no­ni­siert. Min­de­stens wer­den sie den dann noch le­ben­den Zeit­ge­nos­sen als Er­in­ne­rungs­stüt­zen die­nen.


Die kur­siv ge­setz­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch

12 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Das scheint ja ein wirk­lich amü­san­tes Ge­la­ber zu sein, aber ver­dammt müh­se­lig zu le­sen. Dein aus­ge­wähl­tes Zi­tat z‑B. wird nach 5–6 Zei­len recht un­über­sicht­lich:

    „...kom­plet­ten Dis­kurs­irr­sinn kon­sta­tiert, der die ge­sam­te Pres­se, be­son­ders aber die Feuil­le­tons, und un­ter de­nen am al­ler­hef­tig­sten na­tür­lich ge­ra­de auch wie­der das al­ler­hy­ste­risch­ste, das der Faz, be­fal­len hat­te, wo jetzt in mehr oder we­ni­ger täg­lich er­schei­nen­den Ar­ti­keln die Re­vo­lu­ti­on aus­ge­ru­fen wur­de, die mor­gen gleich über uns her­ein­bre­chen­de REVOLUTION vor­her­ge­sagt wur­de, Re­vo­lu­ti­on, egal ei­gent­lich von was und wo­für, Re­vo­lu­ti­on aber auf je­den Fall täg­lich an­ge­fragt und an­ge­mahnt wur­de […] und je­der von uns Schrift­stel­lern muss­te, das war in die­sen Wo­chen Pflicht, per Ar­ti­kel oder In­ter­view das En­de des Ka­pi­ta­lis­mus, wie wir ihn ken­nen ver­kün­den, das neu her­auf­kom­men­de Zeit­al­ter der Ver­nunft an­kün­di­gen, das jetzt im Zu­sam­men­bruch der Irr­sin­nig­kei­ten des Ka­pi­tals sicht­bar wer­den wür­de […] je bes­ser be­zahlt der Feuil­le­ton­re­dak­teur, um­so ra­di­kal­an­ti­ka­pi­ta­li­sti­scher der Neo­an­ti­ka­pi­ta­lis­mus, um­so or­tho­or­tho­do­xer der Ba­sal­mar­xis­mus, es war in der ge­sam­ten Öf­fent­lich­keit kurz ei­ne Stim­mung wie frü­her in der Al­ter­na­tiv­kul­tur, Wir­ge­fühl, Grup­pen­druck, Un­sinns­pa­ro­len und rich­ti­ger Lü­gen na­tür­lich auch, mit dem un­an­ge­nehm mo­di­schen Tri­um­pf­ge­fühl, es im­mer schon ge­wusst zu ha­ben, aber links ist nicht nur mit den Schwa­chen im So­zia­len, links ist im Dis­kurs manch­mal auch kurz da, wo ei­ne Wahr­heit schwach ist ak­tu­ell…“

    Ich sel­ber ver­lie­re mich ja auch zu gern in el­len­lan­gen Schach­tel­sät­zen , aber das obi­ge Bei­spiel ist schon hef­tig und wenn „...“ be­deu­tet, dass es noch ei­ne Wei­le so wei­ter­geht – ääh, wo war ich ste­hen ge­blie­ben?

  2. Ich glau­be, man muß in ei­nen ge­wis­sen Rhyth­mus kom­men – dann geht’s mit der Lek­tü­re ei­gent­lich ganz gut. Das ist na­tür­lich bei ei­nem Zi­tat schwie­rig, weil ich meist mit­ten­drin an­ge­fan­gen ha­be und auch noch Aus­las­sun­gen ge­macht ha­be (der Über­sicht­lich­keit we­gen). Mir kommt al­ler­dings jetzt der Ge­dan­ke, dass die­se Aus­las­sun­gen das Ver­ständ­nis eher er­schwe­ren als ver­bes­sern.

  3. Re-Ak­ti­on – und ein Ge­fühl des Un­ge­nü­gens
    Im noch­ma­li­gen Über­le­sen fra­ge ich mich, ob Goetz nicht ein­fach nur das bes­se­re Feuil­le­ton sein will. Was er wie­der­fin­den will, ist sei­ne Hö­he der Er­kennt­nis.

    Er will näm­lich nicht sich sel­ber und sei­ne Frei­hei­ten auf­ge­ben und hin­ter die­se Zu­ge­win­ne zu­rück. Sein Man­ko ist, dass er – ob­wohl er es ver­schie­dent­lich for­der­te – das bis­her nicht in »künst­le­ri­sche An­stren­gung«, al­so Li­te­ra­tur ver­wan­deln konn­te. Ist viel­leicht das li­te­ra­ri­sche / li­te­r­a­ri­sier­te Blog über­haupt sei­ne Form und sei­ne Stär­ke?

    Ich er­in­ne­re mich an sei­ne An­fän­ge in SPEX, wo er so­fort mit ei­nem ei­ge­nen, hoch-sub­jek­ti­vier­ten, drin­gen­den Ton da­bei war. Wäh­rend sei­ne Bü­cher nach »Ir­re« dann oft ei­ne An­stren­gung wa­ren, ei­ne Kunst-An­stren­gung, die äs­the­tisch nicht wirk­lich auf­gin­gen. Und sei­ne neue­ren Sa­chen sind nett, aber nicht wirk­lich von li­te­ra­ri­schem Be­lang. (Ob­wohl ich den Ver­dacht ha­be, dass er ei­nen selbst­ge­ge­be­nen Be­lang gern er­reich­te.)

    So er­scheint sei­ne Zei­tungs­hö­rig­keit als ein Aus­weg, als ein An­ge­schlos­sen­sein an ei­ne Zeit­gei­stig­keit, ie er an­scheind sucht (Va­ni­ty fair), die er auch leicht über­flü­gelt... und dann doch hin­ter et­was zrück­bleibt. Ihn zu le­sen, macht mir mei­stens Spaß. Aber das war es dann auch. Das ist je­den­falls mein Ge­fühl des Un­ge­nü­gens.

     

  4. Ja, »Spaß« ge­macht hat die Lek­tü­re; nett ist die rich­ti­ge For­mu­lie­rung. Manch­mal holzt er ein biss­chen her­um, um ein ge­wis­ses Skan­dal­po­ten­ti­al zu ha­ben. Al­les in Al­lem aber von pos­sier­li­cher Harm­lo­sig­keit. Und li­te­ra­risch tat­säch­lich zweit­ran­gig. Ob­wohl er’s könn­te.

  5. Das Un­ge­nü­gen
    Die Re­zen­si­on und Kom­men­ta­re be­stä­ti­gen mir ein biss­chen den zwie­späl­ti­gen Ein­druck, den das En­de von »Ir­re« bei mir hin­ter­las­sen hat­te, und das mich ein biss­chen dar­an zwei­feln ließ, wie die näch­sten Wer­ke so ge­ra­ten könn­ten. »Ir­re« ha­be ich wirk­lich nicht be­reut, (kraft­strot­zen­de Voll­blut­s­pro­sa, Form- und Ge­stal­tungs­wil­le, die re­flek­tiert wer­den, oh­ne dass es künst­lich wirk­te).. nur als er dann »die Kul­tur in sei­nen Kopf tut«, so ähn­lich sagt er’s glau­be ich, da hat es für mich nicht mehr die glei­che Sub­stanz. Zu sehr klingt es mir nach Kraft­meie­rei, wenn er sich mit Fä­ka­li­en in die Feuil­le­ton­schlacht schmeißt und sich aber der gro­ßen Wahr­heit ver­pflich­tet. Sei­ne Geg­ner, die­se Pro­fes­sör­chen, Ger­ma­ni­sten­pro­sa­schrei­ber­lin­ge le­gen die Lat­te nicht hoch ge­nug, kön­nen gar nicht so (wie er) aus dem vol­lem Schöp­fen.. aber so stei­gen doch lang­sam die Zwei­fel em­por: Was ist denn die­se gro­ße Wahr­heit, für die er kämpft? Ir­gend­wie se­he ich sie nicht mehr in den De­kla­ra­tio­nen, nur ihr zu die­nen, den An­grif­fen, Ver­tei­di­gun­gen,... Es ist im­mer noch lu­stig, selbst­iro­nisch usw... Aber wenn er so um sich drischt, kämpft er dann nicht letz­lich auch nur um die Deu­tungs­ho­heit, die gei­sti­ge Luft­ho­heit im Zei­tungs­blät­ter­sa­lat? Ist er dann nicht doch auch »nur« ei­ner von ih­nen, auch wenn er noch so iro­nisch dar­über schreibt, wie die um­sor­gen­de Kul­tur ihn emp­fängt?
    Die Stär­ke von »Ir­re« ist die Stär­ke des ei­ge­nen Er­leb­ten. Die Po­si­tio­nen, die er zu Kunst, zu an­de­ren Per­so­nen, Äu­ße­run­gen, öf­fent­li­chen Vor­komm­nisen etc. ver­tritt, fal­len da­ge­gen ab, weil sie nicht die Wucht die­ses un­mit­tel­bar Be­trof­fe­nen er­rei­chen und wir­ken dann et­was »un­ge­nü­gend« wenn sie den­noch mit der glei­chen Em­pha­se vor­ge­bracht wer­den.
    So ist in je­den­falls mein vor­läu­fi­ger Deu­tungs­ver­such..
    -

  6. @Phorkyas
    Ich ha­be »Ir­re« nicht ge­le­sen, aber was Sie da be­schrei­ben, er­zäh­len, re­ka­pi­tu­lie­ren: Dies könn­te auch für »los­la­bern« gel­ten. Wo­bei viel­leicht dann hier noch mehr die ober­fläch­li­che »Kraft­meie­rei« be­dient zu wer­den scheint (aber das ist ei­ne Ver­mu­tung).

    Wo­bei: Bei al­ler »Kraft­meie­rei« ist Goetz den­noch im »Be­trieb« sehr stark ein­ge­bun­den. Das be­stärkt mei­ne Skep­sis, was die­se Re­bel­len­at­ti­tü­de an­geht.

  7. mensch, der goetz.... den hat­te ich to­tal ver­ges­sen, nach­dem ich da­mals, vor vie­len jah­ren ... mich schier »ir­re« ge­le­sen ha­be.
    jetzt er­tap­pe ich mich bei dem ge­dan­ken »lebt der noch?«.... ir­gend­wie hat­te ich ihn des selbst­mords oder des ex­zes­si­ven le­be­to­des ver­däch­tigt und sie­he da.... er bleibt sich treu, um es mal po­si­tiv zu sa­gen :-)

  8. Er­zäh­lung über die Hin­ter­grün­de rei­ner Re-Ak­ti­on in der Li­te­ra­tur
    Ei­ne wei­te­re Se­rie, die hier seit kur­zem zu se­hen ist, trägt den Ti­tel Rück­kehr aus der An­oma­lie. Die Fi­gu­ren lau­fen be­stän­dig durch ver­schie­de­ne Ein­gangs­to­re auf de­nen An­oma­lie drauf­steht. Neu für die mei­sten Zu­schau­er dürf­te die Dar­stel­le­rin Je­nif­fer Le­wis sein, die als PR-Mit­ar­bei­te­rin in der Se­rie da­für zu­stän­dig ist, al­les, was die An­oma­lien be­trifft, vor der Öf­fent­lich­keit ge­heim zu hal­ten.

    Die PR-Mit­ar­bei­te­rin sieht ge­nau­so aus wie ei­ne jun­ge Frau, die in der Se­rie ei­ne Rol­le als an­ge­hen­de Schau­spie­le­rin hat, Cla­rence Brown, agiert aber völ­lig an­ders und sorgt da­mit für ei­ni­ge Pro­ble­me bei Kol­le­gen, die mei­nen sie ja be­reits „zu ken­nen“.
    Das Team, das im Zen­trum steht, agiert von ei­nem so ge­nann­ten An­oma­ly Re­se­arch Cen­ter, kurz ARC, aus. Zwi­schen­zeit­lich tritt auch die PR-Ma­na­ge­rin dem Team bei. Da sie aus­sieht wie Cla­rence Brown, aber ei­gent­lich ei­ne ganz an­de­re Per­sön­lich­keit ist, führt dies na­tür­lich zu zahl­rei­chen Ver­wech­se­lun­gen, auf die ich aber nicht wei­ter ein­ge­hen wer­de.
    Statt­des­sen soll hier noch et­was über das Team mit­ge­teilt wer­den, des­sen Mit­glie­der stän­dig ver­ges­sen durch wel­che To­re sie schon ge­lau­fen sind, durch wel­che noch nicht. Die­se Mit­glie­der tau­chen im­mer nach ei­ni­ger Zeit auf und ver­schwin­den dann wie­der. Al­le To­re füh­ren in ei­ne Gei­ster­welt, wenn man ei­ner al­ten Le­gen­de der Es­ki­mos ver­trau­en schen­ken darf.
    Die To­re be­stehen aus ei­ner glit­zern­den Kri­stall­flüs­sig­keit, durch die man von bei­den Sei­ten hin­durch­schau­en kann. (Man sieht nur un­deut­li­che Kon­tu­ren.) Von der ei­nen Sei­te her schaut man in die Ver­gan­gen­heit. Von der an­de­ren in die Zu­kunft. Zwi­schen je­weils zwei To­ren ist es so, als wür­de die Zeit still­ste­hen. Oder als hät­te al­les von ir­gend­wel­cher Be­deu­tung be­reits statt­ge­fun­den, in der ei­nen oder an­de­ren Form. Als wä­ren al­le mög­li­chen Ge­dan­ken be­reits ge­dacht wor­den. Neu­ig­kei­ten wer­den je­weils zwi­schen den Team­play­ern aus­ge­tauscht, wenn sie sich beim Ver­las­sen oder Ein­tre­ten in die To­re be­geg­nen.
    An­oma­lie gibt es in ver­schie­de­nen Sor­ten, die von den Team­play­ern eben­falls ge­gen­sei­tig aus­ge­tauscht wer­den. Ein Kon­zen­trat ei­ner be­stimm­ten Sor­te An­oma­lie (z.B. Exo­tic Mist) lässt sich in prak­ti­schen Schach­teln ein­la­gern, mit Hil­fe ei­nes com­pu­ter­un­ter­stütz­ten Ver­fah­rens.
    Die Schach­teln sind üb­li­cher­wei­se ver­steckt in klei­nen spre­chen­den Pup­pen, die sich von An­oma­lie er­näh­ren. Die­se Pup­pen spre­chen (in der Re­gel) sehr höf­lich, schei­nen aber an­son­sten et­was ver­wirrt zu sein. Wenn sie lü­gen, sind es aus ih­rer Sicht im­mer Not­lü­gen. Die Team­play­er, die das bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de er­kannt ha­ben, schei­nen ei­gent­lich ganz gut mit ih­nen aus­zu­kom­men. Manch­mal sind sie aber irr­sin­nig un­ge­hal­ten, weil sie vor lau­ter Not­lü­gen ganz auf­ge­dreht sind (sü­ße Din­ger). We­gen die­sem gan­zem Stress mit den Pup­pen wird man auch schwer­lich nur so et­was wie ei­nen nor­ma­len Team­play­er an­tref­fen. (Rich­tig: Die Pup­pen wer­den von Dar­stel­lern ge­spielt, von de­nen ei­ne die be­reits er­wähn­te Cla­rence Brown ist.)

    Ein Un­ter­su­chungs­aus­schuss zur Er­mitt­lung der Be­stand­tei­le von An­oma­lie brach­te kürz­lich fol­gen­des ans Licht: 70% das Üb­li­che (das, was auch als Nach­rich­ten der Sen­de­an­stal­ten zu ent­neh­men ist) 30% das, was, aus wel­chen Grün­den auch im­mer, nicht öf­fent­lich dis­ku­tiert wer­den kann, wor­über aber je­der sei­ne ganz ei­ge­ne Vor­stel­lun­gen be­sitzt. Das P.R.-Team, wel­ches für die Re­gie­rung ar­bei­tet, sorg­te da­für, dass in den Me­di­en die­ses Er­geb­nis des Un­ter­su­chungs­aus­schus­ses aus­führ­lich dis­ku­tiert wur­de. Mit dem Er­geb­nis, das man ihm nicht trau­en kön­ne. (Ob­wohl es auch ein­zel­ne Stim­men gab, die mein­ten jetzt wüss­ten wir al­so end­lich wor­aus An­oma­lie be­stehe.)
    Ei­ne Re­por­te­rin schien so­gar nach­fra­gen zu wol­len, ob denn nun durch die­ses Er­geb­nis al­ler un­be­stimm­ba­ren Her­kunft der An­oma­lie der Kampf an­ge­sagt sei, aber nie­mand ging wei­ter auf ih­re Ar­gu­men­ta­ti­on ein. So war je­der wei­te­ren Dis­kus­si­on über die Be­deu­tung der Exi­stenz der An­oma­lie wie­der ein­mal auf un­be­stimm­te Zeit der Saft ab­ge­dreht.

    Vor ei­ni­gen Ta­gen er­schien ei­ne wei­te­re Se­rie auf den hei­mi­schen Ka­nä­len, zu der Team­play­er aus den be­reits ge­sen­de­ten Staf­feln von Zu­rück aus der An­oma­lie ein­ge­la­den wur­den, um dort, in ei­ner nach­ge­ahm­ten Stu­dio­at­mo­sphä­re, ih­re Er­fah­run­gen mit den Wir­kun­gen ver­schie­de­ner Sor­ten von An­oma­lie öf­fent­lich zu er­ör­tern.
    Die Be­haup­tun­gen ei­nes Team­play­ers dort lie­fen zum Bei­spiel dar­auf hin­aus, dass je­des bis­he­ri­ge ideo­lo­gi­sche Den­ken ei­ne mas­sen­psy­cho­lo­gi­sche An­oma­lie dar­stel­le, ganz so wie es Her­mann Broch be­reits 1941 in sei­ner Mas­sen­wahn-Theo­rie dar­ge­stellt hät­te. Laut die­ser ent­wickelt sich Ge­schich­te in psy­chi­schen Zy­klen: 1. Ein be­stimm­tes Wer­te­sy­stem ge­langt zu ab­so­lu­ter Gel­tung. 2. Über­span­nung des Wer­te­sy­stems (Über­wa­chungs­wahn, He­xen­ver­fol­gung und Säu­be­rungs­ak­tio­nen an­de­rer Art)
    3. Glaub­wür­dig­keits­kri­se 4. Zer­ris­sen­heits­wahn.
    Im Mo­ment wür­de die west­li­che Kul­tur sich selbst­ver­ständ­lich in letz­te­rer Pha­se be­fin­den, ge­kenn­zeich­net durch die völ­li­ge Un­si­cher­heit, in die die Mensch­heit zur Zeit ge­ra­te, hin und her ge­ris­sen zwi­schen der al­ten Ideo­lo­gie der In­di­vi­dua­li­sie­rung durch Kon­sum und dem zu­neh­men­den Er­ken­nen der Not­wen­dig­keit des Über­win­des die­ser Ideo­lo­gie zu­gun­sten ei­nes nach­hal­ti­gen Le­bens­stils und ei­nes Le­bens in Ein­klang mit al­len Men­schen und der Na­tur.

    Ein an­de­rer Mann, der sich als wei­te­rer Team­play­er aus ei­ner äl­te­ren Staf­fel vor­stell­te, (von der ich nie ei­ne Fol­ge ge­se­hen ha­be) be­haup­te­te vor lau­fen­der Ka­me­ra es wä­re end­lich Schluss mit al­ler An­oma­lie, so­bald sich die Frau­en kon­se­quent wei­gern wür­den, wei­ter­hin für die Rol­len als Pup­pen be­reit zu ste­hen. Nur so könn­te al­ler Ver­wech­se­lung zwi­schen Schein und Wirk­lich­keit un­ter Män­nern und Frau­en Ein­halt ge­bo­ten wer­den und wir könn­ten end­lich die­sen hi­sto­ri­schen teuf­li­schen Kreis­lauf der so­eben von sei­nem Kol­le­gen be­schrie­be­nen psy­chi­schen Zy­klen ver­las­sen. Könn­ten un­se­re fal­schen Vor­stel­lun­gen über An­oma­lie, Zeit und Tod ab­strei­fen.
    Noch ein an­de­rer Play­er misch­te sich nun in die Dis­kus­si­on ein und mein­te er wol­le un­be­dingt zu dem bis­lang Ge­sag­ten noch hin­zu­fü­gen, dass wir da­zu aber zu­nächst ein­mal den Ma­chen­schaf­ten der PR-Agen­tu­ren der Re­gie­run­gen ein En­de ma­chen müss­ten, da­mit sich die Pup­pen nicht wei­ter­hin zwangs­läu­fig an Hand von An­oma­lie er­näh­ren müss­ten b.z.w. könn­ten.

    Of­fen­bar ein schwie­ri­ges The­ma, sag­te die Mo­de­ra­to­rin und feg­te sich mit ge­hö­ri­gem Schwung ei­ni­ge wei­ße Haar­sträh­nen von ih­rem Ge­sicht weg, lehn­te sich zu­rück und seufz­te so tief, dass ihr un­mit­tel­bar al­le an­we­sen­den Play­er, aus den un­ter­schied­li­chen be­reits aus­ge­strahl­ten Staf­feln, in die Au­gen starr­ten. Sie so an­starr­ten, als wür­de gleich­zei­tig in ih­nen al­len die Ver­mu­tung auf­kom­men, sie wä­re viel­leicht selbst nur ei­ne wei­te­re die­ser, von der PR-Ma­schi­ne­rie vor­ge­schal­te­ten, Pup­pen.
    Aber wie steht es denn mit euch, mei­ne lie­ben Team­play­er, ent­fuhr es dar­auf hin der Mo­de­ra­to­rin, als sie sich wie­der be­gann vor­sich­tig et­was nach vor­ne zu beu­gen. Wenn ihr al­le euch nicht mehr län­ger un­ter eu­ren ab­strak­ten Ver­hält­nis zu dem Co­dex eu­res Teams ver­stecken wür­det, son­dern je­der wirk­lich als der­je­ni­ge, der er ein­fach ist zu agie­ren be­gän­ne, zu­sam­men mit Gleich­ge­sinn­ten aus al­len Le­bens­be­rei­chen und Kul­tu­ren, wür­de sich dann nicht auch die Nach­fra­ge nach wei­te­ren neu­en Sor­ten von An­oma­lie ra­pi­de ver­rin­gern. Und die Vor­stel­lun­gen über die Rol­len, wel­che die so ge­nann­ten Pup­pen in un­se­rer Ge­sell­schaft spie­len, kön­nen doch erst dann of­fen the­ma­ti­siert wer­den, wenn wir al­len glei­cher­ma­ßen das Recht ge­ben den Le­bens­sinn, frei von äu­ße­ren Vor­ga­ben, in sich selbst zu ent­decken.

    War­um die­se Sen­dung nicht im Eklat ei­ner zen­tra­len Me­di­en-und-Sucht-tra­gi­schen Wen­dung en­de­te, frag­te ich kürz­lich ei­nen halb­wegs min­der­jäh­ri­gen Re­por­ter und er ant­wor­te­te mir amü­siert, aber auch be­sorgt: Weil nie­mand et­was dar­über an den ent­schei­den­den Stel­len mit­be­kom­men hat. Oder zu­min­dest so tut. Die­se Sen­dung führt ihr Schat­ten­da­sein, so lan­ge sie von ent­spre­chen­den Stel­len ein­fach durch vor­ge­täusch­te Nicht­be­ach­tung ab­ge­zir­kelt wird. So­lan­ge die­se Stel­len of­fi­zi­ell die­se Sen­dung als Phä­no­men dar­stel­len kön­nen, wel­ches man nicht be­ach­ten bräuch­te. So­lan­ge ir­gend­et­was so prä­sen­tiert wer­den kann, dass es in­ner­halb der Struk­tur der spek­ta­ku­lä­ren Macht wahr­ge­nom­men wird, die na­tür­lich aus­schließt, dass wir Wi­der­sprü­che in­ner­halb un­se­rer Ge­sell­schaft wirk­lich er­ken­nen und gleich­zei­tig auch ernst neh­men. So­lan­ge die PR An­stal­ten es schaf­fen die Un­zu­frie­den­hei­ten der Be­völ­ke­rung so zu ka­na­li­sie­ren, dass die­se je­ne als Un­ter­hal­tung oder Los­la­bern oder was auch im­mer ge­nie­ßen kann, so­lan­ge kann al­les ei­gent­lich noch beim Al­ten blei­ben.
    Sie fahn­den nach dem Schlüs­sel zum Um­bruch zwi­schen dem 20. und 21. Jahr­hun­dert, nach der Er­kennt­nis des Irr­we­ges und nach der Ein­sicht in den Aus­gang aus den An­oma­lien des heu­te im­mer wei­ter in­mit­ten des sich aus­dif­fe­ren­zie­ren­den Me­di­en­wahns bis der Wind plötz­lich aus ei­ner ganz an­de­ren Rich­tung weht und uns al­le Din­ge neu se­hen lässt.

  9. Hat­te das Buch im­mer noch nicht in den Hän­den, aber weil das Stich­wort »Qua­li­täts­jour­na­lis­mus« fällt und das Co­ver so­wohl farb­lich als auch ty­po­gra­fisch im Cor­po­ra­te De­sign des DLF da­her­kommt... mei­ne Fra­ge: Spielt das ir­gend­ei­ne Rol­le? Oder po­si­tio­niert sich RG pa­ra­tex­tu­ell ganz be­schei­den als Deutschlandfunk(er) der deut­schen In­tel­lek­tu­el­len? Auf je­den Fall ei­ne reiz­vol­le Rei­bung zwi­schen Buch­de­sign und Ti­tel, weil DLF ja für al­les, au­ßer »los­la­bern« steht.

  10. In­ter­es­san­te Deu­tung
    …wä­re aber nicht mei­ne. Goetz hat »ge­nug« mit sei­nem »Ge­gen­über« der FAZ zu tun (die SZ kri­ti­siert er deut­lich rau­er für das Kai­ser-In­ter­view). Was er über Qua­li­täts­jour­na­lis­mus sagt, ist prak­tisch zi­tiert. Ich bin fast si­cher, dass er DLF/DLR nicht als Quel­le ver­wen­det.

    Die­ses »los­la­bern« ist in mei­ner Deu­tung ei­ne Art spon­ta­nes Mo­ri­ta­ten- bzw. Steg­reif-Ge­re­de in Buch­form mit ge­le­gent­li­chen Twit­ter-Ein­schü­ben. Das ist na­tür­lich al­les nur Show und cool ge­styl­te Selbst­dar­stel­lung. Wer bei Goetz nicht vor­kommt, exi­stiert für ihn so­zu­sa­gen nicht.

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