Mit den drei Stücken Reich des Todes, Baracke und Lapidarium, die im soeben erschienenen Band Lapidarium versammelt sind und der parallel dazu publizierten Textsammlung wrong beendet der Schriftsteller Rainald Goetz seine sechsteilige Schlucht-Reihe, jenen 2007 begonnenen »Versuch der Erkundung der Dunkelzeit der Nullerjahre«, bestehend aus »Klage, Tagebuchessay; loslabern, Bericht; Johann Holtrop, Abriß der Gesellschaft, Roman; elfter september 2010, Bilder eines Jahrzehnts«. Hier soll es ausschließlich um wrong gehen, die der Schriftsteller »Textaktionen« nennt. Sie reichen von 2005 bis hinein in die unmittelbare Gegenwart. Es handelt sich um je einen (längeren, kürzlich erst veröffentlichten) Arbeitsjournal- bzw. (kürzeren, bisher unveröffentlichten) Tagebucheintrag, einige markante Essays, vor allem jedoch Reden und Interviews mit diversen Medien.
Insbesondere die Texte der Nuller- und Zehnerjahre wirken rückblickend fast wie aus einer anderen Epoche. Etwa die für heutige Verhältnisse sehr lange Rezension über Michel Houellebecqs Die Möglichkeit einer Insel aus dem Jahr 2005, damals erschienen im Magazin Cicero. Goetz outet sich von Beginn an als Enthusiast, bekommt gute Laune bei der Lektüre, entdeckt, dass da »materialistischer Fundamentalpessimismus […] in einer comic-haft überzeichneten Heiterkeitserzählweise« gezeigt wird und bilanziert, dass der Leser »am Ende des Lebens von Daniel […] emotional so mitgenommen, ausgelaugt, zermalmt [ist] wie Daniel selbst.« Und es gelingt ihm mit der Feststellung, dass sich Houellebecq »zum Chronisten [der] öffentlichen Bedingungen für individuelles Unglück gemacht« habe, eine über diesen Roman hinaus treffende Charakterisierung der Prosa dieses französischen Schriftstellers über die damalige Publikation hinaus.
Goetz zeigt sich in seinen essayistischen Texten nicht nur als luzider, sondern bisweilen mitfühlender Literaturerklärer, wie im Nachwort zu einem Roman von Albert von Schirnding, indem er dessen »Tatkraftleben, dem Sympathie und Sehnsucht gelten« in schönen, knappen Sätzen Revue passieren lässt. Oder 2014, die Eloge zu Siegfried Unselds 90. Geburtstag. Ich glaube, dass noch nie jemand den Gang Unselds derart plastisch beschrieben hat, »dieses Gehen und die schwingenden Arme, den vorgebeugten Oberkörper, und indem er mir seine rechte Hand zum Gruß hinstreckte, faßte er sich zugleich mit der linken kurz zwischen die Beine und packte zu, um die lose Last dort etwas zu heben und zu lockern.« Er bewunderte Unselds Urteilskraft, berichtet von dessen Schwierigkeiten des Verlegers mit seiner Prosa und ist verblüfft, dass in den (bisher veröffentlichten) Briefwechseln Unselds mit Schriftstellern dieser stets sympathischer erscheint als die jeweiligen Autoren (was auch stimmt). Ganz und gar euphorisch, in den Duktus des (einstigen?) Popliteraten verfallend, wird er bei der Würdigung von Joachim Bessings Roman untitled (2013).
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