Die Buchstaben um 90 Grad gedreht und gestapelt zu einem fragilen Turm: »Beuys«. In der Ecke rechts unten der verwaiste Beuys-Hut, darüber prahlerisch »Die Biographie«. Schon 2010 wirbelte Riegel (der sich »HP Riegel« nennt) mit seiner Biographie zu Jörg Immendorff (auch die Biographie), dessen »Assistent und Privatsekretär« er einige Jahre war, nicht nur die Szene auf. Immendorff, der »egomanische Populist«, wurde von ihm wahlweise der »pathologischen Aggression« (die frühen Jahre), der politischen Bedeutungslosigkeit seiner Kunst (der Café-Deutschland-Komplex kam zufällig, nämlich durch die Wiedervereinigung zu einer ihr dann ungehörig zugesprochenen Bedeutung) und der Saturiertheit bezichtigt. Von »Kollektivisten, über die populistische Kiez-Phase zur prominenten Medienfigur« – so vermischte Riegel Leben und Werk und arbeitete sich ausgiebig an Immendorffs Vorlieben zum Rotlichtmilieu und Kokainkonsum ab; über letzteres spekulierte er mehr als er Fakten lieferte.
Tatsächlich ist diese Biographie in einigen Punkten äußerst lückenhaft. So gibt es nur wenige, dürre Sätze zu Immendorffs Verhältnis zu Marie-Josephine Lynen, der Mutter seines Sohnes, ohne das der Biograph hierfür Gründe angibt. Dafür bedenkt er Immendorffs zweite Frau Michaela Danowska aka Oda Jaune mit allerlei Attributen und füttert den Leser mit dem leidlich bekannten Gossenjournalismus, dem er sich so willig hergibt wie einst Immendorff den Boulevard für seine Vermarktung entdeckte. Hierfür findet Riegel nur küchenpsychologische Plattitüden als Erklärung, wie der Wunsch nach Anerkennung, vielleicht sogar Liebe. Am Ende wird Immendorff zu einem maximal mittelmäßigen Künstler mit einer ziemlichen »Unfähigkeit zur Durchdringung«, dessen Werk die »gesellschaftliche Relevanz« fehle und der sich sogar zuweilen »fremder Ideen« bedient hat. Natürlich ist es nicht Aufgabe des Biographen sein Subjekt durchgängig affirmativ zu kommentieren. Aber es sollte wenigstens ein Versuch unternommen werden, Leben und Schaffen im jeweiligen Kontext der Zeit zu verorten. Es ist natürlich leicht sich aus der Distanz von 30 oder 40 Jahren an Immendorffs politische wie künstlerische Achterbahnfahrten zu verlustieren und im Stile eines Buchhalters die sich dann später aufzeigenden Widersprüche hämisch zu kommentieren. Eine auch nur halbwegs seriöse Auseinandersetzung sieht allerdings anders aus und man fragt sich während der Lektüre, welches Zerwürfnis zwischen den beiden zu einem derart niederträchtigen Text geführt haben könnte. Ein Ziel hatte Riegel allerdings erreicht: Aufmerksamkeit.
Und jetzt also Beuys. Die Beschäftigung mit diesem Buch verlangt fast nach einer Klarstellung bevor ich voreilig in die Ecke der Beuys-Verfechter rubriziert werde: ich bin kein Adept. Etliche von Beuys’ Aussagen (unter anderem die, das jeder Mensch ein Künstler sei), habe ich immer für Unsinn gehalten. Politisch war Beuys ein Dilettant, intellektuell wohl nur Durchschnitt. Aber Beuys’ Vorstellungen provozierten den leicht verschmockten Kunst- und Kulturapparat und die verstaubte Kulturbürokratie der 70er Jahre. Als Dirigent eines bereits damals auf Hyperventilation ausgerichteten Medienapparates war er seiner Zeit weit voraus; Wirkungsmacht statt Inhalte, so lautet eine durchaus zutreffende Feststellung Riegels. Weil er das gängige, vermeintlich elitäre Kunstverständnis radikal infrage stellte, rubrizierte man ihn unter den Linken ein. Aber das war – und das zeigt dieses Buch anschaulich – ein veritables Missverständnis. Dennoch sagt all dies noch nichts über Beuys’ Qualitäten als Künstler (und Lehrer) aus.
Künstler und Interpret in einem
Bei der großen Beuys-Retrospektive vor zweieinhalb Jahren in Düsseldorf stieß mir das Malen mit Hasenblut unangenehm auf; ich artikulierte ein gewisses Unbehagen, das sich dort vielleicht »Blut und Boden« finden könnte. Das ambivalente Gefühl wuchs noch, als ich diese wunderbare Zeichnung der beiden Frauen entdeckte (und nicht nur diese). Eine große Faszination ging von einzelnen Installationen wie dem »The Pack (das Rudel)« aus, auch »Zeige deine Wunde« war ergreifend (den autobiographischen Hintergrund kann man erfühlen). Die teilweise martialischen Performances von Beuys (und seinen Mitstreitern), die dort in Ausschnitten zu sehen waren, bestätigten meinen Eindruck eines zwischen Provokation und Wahnsinn geschickt balancierenden Selbstdarstellers, der jede noch so banale Aktion zur Kunst aufhübschte und damit große Beachtung fand. Riegels ausführliche Beschreibungen dieser oft stundenlangen, happeningartigen Veranstaltungen bekräftigen diesen Eindruck, wenngleich man szenische Photographien dieser »Events« (wie man es heute nennen würde) im Bildteil vergeblich sucht. Bis heute ist mir dieser bisweilen sklavisch anmutende Enthusiasmus der Beuys-Versteher unerklärlich, wobei bei vielen Protagonisten, die nach vielen Jahren sachlich und nüchtern Bilanz ziehen könnten, längst die wohlige Verklärung eingesetzt hat.
Beuys, diese spirituelle One-Man-Show, machte damals etwas, was inzwischen längst zum Standard des modernen Künstlers geworden ist: Er verließ sich nicht auf die Deutungen der Rezipienten und der Kritik, sondern übernahm diese gleich mit. Er gab seiner Kunst einen metaphorischen Unter- und Überbau, der die verstörenden-skurrilen Aktionen oder banal erscheinenden Werkstücke (von denen es zahlreiche gibt) politisch und allegorisch auflud. Beuys’ Ansehen wuchs ungeachtet der Unverständlichkeit seiner Theorien und der Unzugänglichkeit seines Werkes ständig, wie zum Beispiel Walter Grasskamp luzide bemerkte.1 Pointiert formuliert: Je abstruser eine Installation oder Performance war, desto notwendiger waren die allzu bereitwillig gegebenen Erklärungen, die Beuys noch mit einer guten Portion »kleinbürgerlichen Revanchismus« versetzte (der »eigentlich um die Anerkennung durch die Institutionen buhlt, die er bekämpft«; wieder Grasskamp2) – und desto geheimnisvoller und interessanter erschienen dann Künstler bzw. Werk. Damit war das Interpretationsmonopol der klassischen Kunstkritik wenn nicht überholt, so doch angegriffen. Es bleibt ein Rätsel, warum sie sich damit abfand und sich schließlich größtenteils ziemlich widerstandslos in die Affirmation begab.
Leider untersucht Riegel dieses Phänomen zu wenig und konzentriert sich fast nur auf den Feuilleton-Journalismus. Bilanzierend betrachtet genügten nämlich zwei Journalisten, um Beuys in den Olymp des deutschen Kunstbetriebs zu heben. Riegel stellt richtig fest, dass Beuys’ einfache und zugleich wirre Sprache, sein gelegentliches Nach-Worten-Ringen nicht als Makel, sondern baldigst als Merkmal empfunden wurde. Oft waren die ungelenken Reden Paraphrasierungen eines kruden, esoterischen Weltbilds, dessen Quellen er aus guten Gründen verbarg. War man erst einmal positiv von Beuys eingenommen, störte die Wirrnis nicht mehr. Als Beuys in Großbritannien oder den USA in brüchigem Englisch Vorträge hielt und Interviews abgab, sah die Rezeption deutlich anders aus: Kritiker und Publikum verließen irritiert und/oder gelangweilt den Saal.
»…einer vom andern abgeschrieben…«
Bei aller noch auszuführenden Kritik: Riegel hat sehr akribisch über Beuys recherchiert, insbesondere was die frühen Jahre angeht. Dabei räumt er unerbittlich mit allen Legenden, Lügen und Mythen in und um die Person auf, auch wenn er sich zu gerne an Kleinigkeiten abarbeitet. Es beginnt schon auf der ersten Seite. Allen Ernstes fragt er, warum sich Beuys’ Mutter zum Zeitpunkt von Josefs (das »ph« kam erst viel später) Geburt in Krefeld und nicht in Kleve befand und skandalisiert, dass auf der Geburtsurkunde keine Hausnummer des Geburtshauses eingetragen ist. Über die Umstände seiner Geburt äußerte sich Beuys nie schreibt Riegel dann in unfreiwilliger Komik. Aber die »Verwerfungen« gehen weiter: Seine Kindheit habe Beuys verklärt, so Riegel (wer tut das nicht). Es werden falsche Umzugsdaten der Familie genannt (für Riegel wichtig, weil es für seine Tendenz spricht). Es kommt immer schlimmer: Beuys hatte kein Abitur (ein ehemaliger Lehrer gab hierzu 1951 eine falsche Eidesstattliche Versicherung ab) und hätte demzufolge niemals Lehrer an der Akademie in Düsseldorf werden können. Beuys, der sich 1940 freiwillig zur Wehrmacht meldete und für 12 Jahre verpflichtete, habe sich dort untergeordnet (was sollte er sonst tun?). Er war nie Kampfpilot (hierfür hätte er das Abitur gebraucht), sondern erhielt eine Funkerausbildung (immerhin ein Fortschritt zu Riegels Immendorff-Biographie: dort war Beuys noch »Kampfpilot»3 ). Er flog »nur« mit – als Funker, Navigator und später Schütze. Beuys prahlte nach dem Krieg mit Verwundetenabzeichen und Eisernen Kreuzen, die er niemals erhalten hatte und erzählte von seinen naturwissenschaftlichen (universitären) Studien, die es nicht gab.
Natürlich stimmt die Legende, nachdem ihn Tataren nach einem Flugzeugabsturz tagelang mit Fett und Filz aufgepäppelt haben, mit keinem Wort, was Riegel exakt anhand der vorliegenden Daten aus Beuys’ damaliger Militäreinheit nachstellt. Auch wenn die Tataren-Geschichte längst als Lüge entlarvt wurde, liefert dieses Buch einen Blick auf das Zustandekommen, was erneut zeigt, wie geschickt Beuys die Medien für seine Dinge einzusetzen pflegte. Zur Dekonstruktion hätte aber auch ein genauer Blick in das von Riegel ausführlich zitierte Gespräch mit André Müller von 1980 gereicht. Beuys sagte dort: »Da habe ich irgendeinmal in einem Katalog zu einer Ausstellung so eine Lebensgeschichte von mir gegeben, und dann hat es einer vom anderen abgeschrieben, und auf einmal gab es da diese Geschichte« (hastig relativiert er diese Aussage gleich wieder im nächsten Satz, ohne dass der Leser erfährt, in welchem Duktus dies gesprochen wurde).
Mit »einer« ist vor allem Ernst-Günter Engelhard gemeint, Redakteur bei »Christ und Welt«, den der Meister 1968 in seinem Atelier empfing und unablässig mit Geschichten fütterte, die zum Teil bis heute abgeschrieben und fortgeführt werden. Schon vorher war Engelhard von Beuys fasziniert; er war ein Aficionado der ersten Stunde. In scheinbar intimer Vertrautheit bekam der Journalist Informationen aus erster Hand; eine fulminante Lebensgeschichte, die von nun nicht mehr befragt wurde. Sie enthielt sogar Elemente, die wunderbar in den Aussöhnungs-Kontext der sozial-liberalen Koalition mit den ehemaligen Kriegsgegnern passte. Engelhard setzte die Marke, an der sich bis heute die überwiegende Zahl der Beuys-Rezipienten orientiert, so Riegel. In den 70ern kam noch Gerhard Jappe von der immer einflussreicher werdenden FAZ dazu, der von Beuys in ähnlichem Stil »bedient« wurde.
Auch noch Anthroposoph
Genüsslich vergleicht Riegel die aufgrund neuer Erkenntnisse notwendig gewordenen Änderungen in den Auflagen der bisher erschienenen Biographien, das stiekume Weglassen der sich später allzu offensichtlich zeigenden Lügengebäude und geißelt die verbliebenen, immer noch falschen bis zweifelhaften Stellen. Aber es geht ihm nicht primär um die Richtigstellungen zu den Biographen und Interpreten, die Beuys’ Legenden allzu kritiklos auf den Leim gegangen sind. So hatte Beat Wyss schon (fast) alles zu Beuys und dessen Selbstinszenierungen und Mythen gesagt und ihn vor fünf Jahren mehr plakativ als erhellend als den »ewigen Hitlerjungen« verortet. Riegel, der Wyss nicht einmal namentlich erwähnt, fußt auf dieser These, in dem er beispielsweise zahlreiche von Beuys’ Mäzenen und Galeristen als durch die NS-Zeit belastete Protagonisten outet und damit suggeriert, Beuys habe sich auch politisch mit ihnen »verstanden«. Der Einfachheit halber werden die »unbelasteten« Persönlichkeiten mit denen Beuys ebenfalls regen Kontakt pflegte, kaum oder gar nicht erwähnt.
Stattdessen findet sich im Bildteil des Buches ein Foto von Paul Fastabend in SS-Uniform, was inmitten der Beuys-Portraits aus allen möglichen Lebensabschnitten sehr suggestiv wirkt. Fastabend, Jahrgang 1905, wird ab Ende 1970 eine Art Büroleiter von Beuys und gründet mit ihm und Johannes Stüttgen 1971 die »Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung«, die dann später in die AUD (»Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher«) integriert wurde, einer Partei, mit der Beuys schon in den 60er Jahre sympathisierte und die in den 70ern eine programmatische Wende von nationalistisch nach ökologisch vollzog und schließlich einer der Gründungsorganisationen der Grünen wurde. Bestimmende Figur bei der AUD war August Haußleiter, dessen rechtsextremistisches Gedankengut ausgiebig thematisiert wird. So wird Wyss’ Schlagwortthese fortgeführt, ohne ihren Urheber auch nur eines Wortes zu würdigen.
Aber Riegel »entdeckt« gleichzeitig noch eine weitere Camouflage. Geradezu obsessiv findet (und erfindet) er allüberall Parallelen und Fortschreibungen in Beuys’ Leben und Werk mit den Schriften von Rudolf Steiner, dem Spiritus Rector der Anthroposophie. So wird fast jede Aktion, jede Performance, jedes Kunstwerk (mit Ausnahme der Zeichnungen; Riegel nennt Beuys einen überragende[n] Zeichner) in Verbindung mit dem Weltbild Rudolf Steiners gebracht (wenn Nazitum und Steiner nicht reichen, werden noch die Rosenkreuzer in den Zeugenstand gerufen). Als Beuys beispielsweise die Reste seiner vertrockneten Weihnachtsbäume in eine Skulptur integriert, findet der Biograph ein Äquivalent zu Tannenbäumen in Steiners Texten. Der erhobene rechte Arm während einer Performance 1964 ist natürlich ein stilisierter Hitler-Gruß. Wenn Beuys die Zahl sieben verwendet, hat dies selbstredend mit Steiner zu tun (dass gerade diese Zahl immer schon eine besondere Bedeutung aufweist, kommt ihm nicht in den Sinn). Da es fast nichts gibt, wozu Steiner nichts geschrieben hat, findet Riegel auch noch so abseitige Parallelen. Beuys habe, so Riegel, den Begriff »anthropologisch« immer dann verwendet, wenn er eigentlich »anthroposophisch« gemeint habe. Beuys wird zum trojanischen Pferd der Anthroposophie. Besonders die einzigartige[n] schamanistische[n] Mysterienspiel[e], die ihn als moderne[n] Multimediakünstler präsentiert[en] bieten reichlich Deutungsmöglichkeiten in dieser Richtung.
Fett, Filz, Hamsun und Joyce
Und selbstverständlich werden auch Beuys’ Hauptmaterialien, die für ihn markant werden sollten, mit Steiner in Bezug gebracht. Zum Fett heißt es bei Riegel: Ideelle Vorgabe für Beuys’ Adaption des Fetts in sein Konzept der Form schaffenden Bewegung waren die Gedanken Steiners zur »okkulten Entwicklung des Menschen« Er zitiert Steiner: »Dasjenige, was wir Fettsubstanz nennen, gleichgültig ob es der Mensch von außen genießt oder in seinem eigenen Organismus selber bildet, ist nach ganz anderen kosmischen Gesetzen aufgebaut als die Eiweißsubstanz.« Dass Steiner explizit nichts über Filz geschrieben hatte, macht nichts – Riegel findet trotzdem schnell eine anthroposophische Deutung, in dem Filz mit Wärme äquivalent gesetzt wird, und Wärme ermögliche laut Steiner die Wandlung des Geistigen in Materielles und umgekehrt. Wobei ihm hilft, dass Beuys tatsächlich die Wärme-Metapher im Sinne Steiners gebrauchte.
Am Ende diskreditiert Riegel Beuys als Person und weil er Person und Werk im »Fall« Beuys als unentwirrbar miteinander verbunden sieht, damit auch große Teile seines künstlerischen Œuvre. Aus dem freiwilligen Eintritt in Hitlers Armee 1940, seine spätere unkritische Reflexion hierzu (er nannte es 1980 eine »vernünftige Entscheidung« in »Solidarität mit meinen Altersgenossen«) bis zur Adaption der Lehren Rudolf Steiners wird ein neuer, brauner Anzug für Joseph Beuys gestrickt. Dabei stört es Riegel kaum, dass auch die Parallelen zu Steiner nicht neue Erkenntnisse sind; schon zu Beuys’ Lebzeiten wurden sie artikuliert. Es genügt ihm, die Vernachlässigung dieses Strangs in der Beuys-Rezeption als Enthüllung zu verkaufen.
Umso überraschender, als Riegel einmal, fast mitten im Buch plötzlich eine andere Interpretation für die Verwendung von Fett und Filz präsentiert: Wie er einen Steinwurf weit von einer gewaltigen Margarinefabrik aufwuchs, befand sich in Nähe von Beuys’ Gymnasium der Firmensitz einer der größten Schuhfabriken des Landes, von Elefanten-Schuhe. Aha – also alles eine Sache der Kindheit? Zu Beginn weist er darauf hin, dass Beuys’ Vater eine Lehre seines Jungen bei der Margarinefabrik als Berufsziel anstrebte – sicherlich ein Greuel für den jungen Beuys. Warum wird nicht die Möglichkeit untersucht, Margarine, d. h. Fett, als Reminiszenz an den Vater zu sehen, mit dem Beuys Zeit des Lebens ein diffiziles Verhältnis hatte? Schließlich fällt Riegel zum Filz noch die Militärzeit ein: Filz wurde für Schuhe und vor allem Militärstiefel verarbeitet und mit Filz sei er, Beuys, sicherlich damals andauernd in Berührung gekommen. Diese aus dem autobiographischen Erleben heraus abgeleiteten Deutungsversuche bleiben in dem Buch die Ausnahme.
Was tödlich für eine seriöse Biographie ist: Der Biograph hat eine fest gefügte Meinung über die Person, dessen Leben (und Werk) er zu reflektieren und zu abzuwägen hat. Beuys’ marketingmäßig geschickt gewählten Legenden und Lügengebäude, sein offensiver Umgang mit der Kriegsfreiwilligkeit (wie lächerlich wäre es gewesen, er hätte sich davon distanziert, wie Riegel dies im vorwurfsvollen Ton moniert), dass Beuys niemanden per se von einer Diskussion oder einem Gespräch ausschloss und auf eine geradezu erschreckende Art und Weise offen und vorurteilsfrei war – alles dient Riegel dazu, sofort das Messer zu wetzen. Mit Wollust wird Beuys’ Bekenntnis von 1961 zitiert, dass Knut Hamsun der wichtigste Mann für ihn in der unmittelbaren Nachkriegszeit sei. Sofort zitiert Riegel aus Hamsuns ekelhaftem wie jämmerlichem Nachruf auf Hitler und thematisiert dessen nationalsozialistisches Weltbild, wobei er behauptet, Hamsun sei Mitglied der nationalsozialistischen Partei Norwegens gewesen, was unrichtig ist. Wichtiger aber: Keine Idee, warum Hamsun vielleicht trotzdem für Beuys – neben James Joyce – wichtig gewesen sein könnte. Und kein Wort, wie sich die Affinität Beuys’ zu diesen ästhetisch divergierenden Autoren – Hamsun und Joyce – erklärt. Riegel suhlt sich lieber in billiger Gesinnungskritik.
Natürlich ist Beuys auch ein Patriarch, der seine Frau und die Kinder unterdrückt und vormodern erzieht. Unter anderem wird sein Eintreten für ein »Hausfrauengehalt« dafür als Beleg herangezogen: Beuys habe sich, so der Vorwurf, die Frau nur als Hausfrau und Mutter vorgestellt. Und natürlich verweist Riegel auf eine entsprechende Stelle bei Steiner. Dass Beuys’ Engagement hierfür der Besserstellung der sich in den 70er und 80er Jahren noch mehrheitlich in traditionellen Rollenmodellen bewegenden Frauen darstellen sollte, später von politischen Kräften von liberal bis links aufgenommen wurde und heute als Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens weiterentwickelt wurde, erwähnt Riegel nur ein einziges Mal, in dem er lapidar anmerkt, dieses Modell werde heute unter anderem von Anthroposophen propagiert.
Schlüssiges und Spekulatives
Durchaus schlüssig zeigt Riegel die Parallelen zwischen Steiner und Beuys auf, wenn es um Kunst und den Künstlerbegriff geht: Beuys’ »erweiterter Kunstbegriff« war global. Er nährte sich aus dem Gedanken, die in jedem Menschen vorhandene kreative Energie zu aktivieren, die das eigentliche Kapital einer Gesellschaft bildet. So erklärt sich das berühmte Diktum, jeder Mensch sei ein Künstler. Beuys’ Aussage sei Essenz aus den Vorgaben Steiners und dessen »künstlerischer Weltmission«, die die Rettung der Menschheit mit ihrer »Hinneigung zum Künstlerischen« verband. Dies meinte, jeder Mensch sei in der Lage, durch den Einsatz seiner kreativen Fähigkeit die gegenwärtig unfreie Gesellschaft zu überwinden und mit der so gewonnenen Autonomie seines Denkens und Handelns an der Verwirklichung des organischen Gesellschaftskörpers der »sozialen Plastik« mitzuwirken. Hier wird von Beuys Steiners Dreigliederung des sozialen Organismus paraphrasiert. Es gelingt Riegel auch das Idyll des per se wunderbaren Menschen auf eine durchaus erhellende Art und Weise zu dekonstruieren, in dem er mehrfach darauf hinweist, dass Beuys nach dieser These auch Verbrecher bis hin zu Hitler kreatives Potential attestierte, das sie jedoch nur leider negativ eingesetzt hätten.
Aber der Biograph belässt es nicht im nüchternen Ton und verfällt allzu oft in holzhammerhaftem Duktus bis hin zur Manipulation. Wenn er etwas nicht weiß, schweigt er nicht darüber, sondern spekuliert. Beispielweise als Beuys’ Atelier 1956 abbrennt. Riegel weiß nichts Genaues zu den Umständen des Brandes, aber weil Beuys damals eine Lebenskrise durchmachte, mutmaßt er: Hatte Beuys selbst den Brand verursacht? Aus seinem Zustand geschuldeter Nachlässigkeit? Oder gar vorsätzlich, in einem Anfall von Hysterie? Ein Selbstmordversuch gar? Und welche Indizien präsentiert Riegel für seine Mutmaßungen? Keine. So regiert der Konjunktiv oft in diesem Buch (nachfolgende Hervorhebungen von mir). Beuys’ Psyche wurde mutmaßlich von einer Art innerlichem Diskurs belastet; mehr als ein Dutzend Mal kann man etwas vermuten (die Intensität des Brandes zum Beispiel); es ist so manches möglich (beispielsweise das Beuys schon 1960 auf Sylt einen Anthroposophen-Guru trifft; bewiesen ist gar nichts). Bei Beuys schien auch so einiges, unter anderem wenn es um eine Entschlossenheit in den 50ern geht, Künstler zu werden. Und manchmal erklärt Riegel lapidar, dass etwas nicht mehr endgültig zu klären sein wird. Da wird sehr viel geraten – was am Ende ähnlich unergiebig ist wie das Sich-Verlassen anderer Biographen auf Beuys’ Aussagen.
Dabei kann Riegel durchaus mit interessanten Quellen aufwarten. Er hat sich mit zwei Schulfreunden unterhalten, korrespondierte mit Ron Manheim und Beuys’ langjährigem Assistenten Johannes Stüttgen (und wertet die endlos anmutenden Akademiestreitigkeiten zwischen Beuys und dem Land NRW unter anderem auch anhand von Stüttgens »Der ganzen Riemen« aus, ein riesiges Konvolut mit dem Untertitel »Der Auftritt von Joseph Beuys als Lehrer – die Chronologie der Ereignisse an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf 1966 bis 1972«). Er trifft Klaus Staeck, Marina Abramović, Dieter Koepplin (den Riegel mit dem Allerweltsattribut »Experte« versieht) und Lukas Beckmann (der Beuys’ Weg bei den Grünen begleitet hat). Aber es fällt auch auf, wer außer dem bereits angesprochenen Beat Wyss fehlt: Beuys’ Muse und ständige Begleiterin in den englischsprachigen Ländern Caroline Tisdall beispielsweise. Sollte es in den Jahren der Recherche (aus den Endnoten-Belegen lässt sich eine verstärkte Aktivität ab 2011 herauslesen) nicht gelungen sein, Tisdall ausfindig zu machen? Kein Mitglied der Familie wird anders als aus eingängigen Publikationen zitiert; hier gab es augenscheinlich keinen Kontakt. Von Bazon Brock, der Riegel für seine Immendorff-Biographie noch zur Verfügung stand, findet man auch keine neuen Stellungnahmen. Zur Höchstform läuft Riegel dafür in einer Dokumentensammelleidenschaft auf – 129 Mal wird das Archiv des Autors bemüht, mit Originalen oder Kopien von Fotografien, Berichten, Karteikarten, Artikeln, amtlichen Auszügen, Fernsehfilmen, Transkripten und Briefen an, über und von Beuys an den Autor oder Dritte. Und bei Bedarf werden dann auch die Biographien, die er im Detail so vehement wie begründet kritisiert als Referenzgrößen zitiert.
Deutsch, keltisch, völkisch
Studiert man die Endnoten fällt sofort auf wie ausgiebig sich Riegel mit Rudolf Steiner beschäftigt hat. Im Buch selber werden die fast inflationären Hinweise auf Parallelen schnell ermüdend. Neben den Zeichnungen von Beuys, die Riegel kaum detailliert würdigt, lässt er am Ende nur wenige Kunstwerke und Installationen gelten, da er sie immer mit der Steiner-Brille sieht (womöglich hätte er Beuys noch Hinweise geben können). Gänzlich begeistert ist er nur von der Biennale-Installation von 1976 »Straßenbahnhaltestelle«, die, so merkt er süffisant an, vermutlich unter dem Einfluss von Caroline Tisdall gänzlich ohne anthroposophischen Einfluss blieb. Tisdall konnte mit Beuys’ Weltbild nichts anfangen. Ein bisschen hält er ihre Rolle als Vermarktungs- und Mythenmultiplikatorin klein – wie man beispielsweise hier sehen kann:
Riegel suggeriert, die Rezeption von Beuys habe zu lange die Augen vor den offensichtlichen Parallelen verschlossen. Beuys wird in diesem Buch zu einem verlängerten Arm rechten Gedankenguts, das somit tief in den sozial-liberalen Mainstream der Bundesrepublik hineingetragen wurde. Beuys sei zwar kein Antisemit gewesen, auch kein Nationalsozialist, aber »völkisch«, so das Fazit des Buches. Beuys empfand bis in die tiefsten Verästelungen seiner Persönlichkeit als deutsch heißt es (nachdem es einhundert Seiten zuvor noch geheißen hatte, Beuys verorte sich mit keltischen Wurzeln) und dann kommt das Ein-Mann-Gericht zum Urteil: Geprägt durch die Kriegserfahrungen in der Jugend, hat Beuys auch nach dem Desaster des Zweiten Weltkriegs nie die Überzeugung einer besonderen historischen Position Deutschlands aufgegeben. Diese Auffassung gewann durch Beuys’ intensive Beschäftigung mit Steiner und dessen germanisch völkischem Gedankengut an Nährboden.
Als endgültige Belege dienen zwei Texte von Beuys. Zum einen der »Aufruf zur Alternative«, im Dezember 1978 in der Frankfurter Rundschau erstmals veröffentlicht, der, so überraschend wie beleglos von Riegel als im Wesentlichen von dem Anthroposophen Wilfried Heidt verfasst ausgegeben wird (Riegel bezieht sich einzig auf die Webseite von Heidt [selbstverständlich auch diese im Archiv des Autors]). Hier stört sich Riegel unter anderem an der Verwendung des Wortes »Mitteleuropa«, das er als deutsch-nationalistisch verwendet sieht. Zum anderen bemüht Riegel einen Vortrag von Beuys ein Jahr vor seinem Tod: Diese Rede wurde zum Vermächtnis seiner Überzeugung eines überlegenen deutschen Volkes, von dessen »Auferstehungskraft« Beuys überzeugt war. Sie ist Ausweis der Annahme völkischer Ideale durch Beuys.
Tatsächlich ist die »Rede über das eigene Land« ein wirrer Text; eine krude Mischung aus Anthroposophie, Esoterik, politischer Liberalität bis Libertinage, Kapitalismusbashing und – zweifellos – nationalen bis nationalistischen Vorstellungen. Ein schnell ungenießbar werdender Brei, der deutlich zeigt, wie wenig Beuys von Politik verstand.
Ausgerechnet hier zitiert Riegel aber nicht aus Grasskamps klugem Aufsatz von 1995, der Beuys’ religiöse und politische Verwicklungen in Bezug auf sein Werk für überschätzt hält und davor warnt, Steiners Einfluß »überzubewerten, denn seit dem frühen 19. Jahrhundert ist der Avantgardismus als eine ästhetische Sozialisation dem Sektierertum stets eng verwandt gewesen.« Grasskamp weist auf die politischen Pittoresken beispielsweise um den George-Kreis hin und erinnert an die Parallelen der italienischen Futuristen zum Faschismus Mussolinis und, auf der anderen Seite, der französischen Surrealisten in der kommunistischen Bewegung.4
Das Ideal des »sauberen« Künstlers
Aber derartige historische Einordnungen passen nicht zur inquisitorischen Attitüde Riegels. Man möchte ihn fragen, seit wann das vom Künstler zur eigenen Werk-Interpretation herangezogene Weltbild konzise sein muss? Wo steht geschrieben, dass Beuys’ Deutung die einzig mögliche und richtige ist? Selbst wenn man, wie Riegel es offensichtlich tut, die Anthroposophie für eine gefährliche Sekte hält (sogar Otto Schily kommt bei ihm unter dem Verdacht, Anthroposoph zu sein): Inwieweit kontaminiert diese Weltanschauung das Werk beim Rezipienten? Springen die anthroposophischen Implikationen ins Auge, in den Sinn? Ist Beuys manipulativ tätig und somit ein Demagoge? Welche Auswirkungen haben seine politischen Reden auf die Qualität seiner Kunst? Diesen Fragen weicht Riegel aus. Wer derart vehement und manipulativ anklagt wie er, kann aber nicht heuchlerisch das Urteil hierüber dem Leser überlassen. (Fast kommt einem in den Sinn, zukünftigen Künstlern zu raten, zu schweigen [eines der wichtigsten Rechte eines Angeklagten]. Beuys machte das Gegenteil: er theoretisierte – und wurde damit angreifbar.)
Unlängst hat Malte Herwig in seinem Buch »Die Flakhelfer« die Jahrgänge 1926–28 untersucht, die mit 17, 18 Jahren noch in die NSDAP eintraten und dies ein Leben lang verschwiegen haben bzw. hatten. Etliche von ihnen gehörten später zu denen, die dieses Deutschland nicht nur aufgebaut, sondern dauerhaft demokratisch gemacht haben (Martin Walser, Hans-Dietrich Genscher, Erhard Eppler, Walter Jens, um nur einige zu nennen). Herwig vermied es aus gutem Grund in seinem Buch moralin-sauer zu argumentieren. Er wollte Erklärungen finden. Riegel fehlt dieser Impuls; er beschränkt sich auf die Anklage. Er, der einer Generation angehört, deren größte Entscheidung in ihrer Kindheit und Jugend in der Wahl zwischen Geha- oder Pelikanfüller lag (ich weiß, wovon ich rede), urteilt anmaßend und selbstgerecht über einen Mann, der womöglich eine unglückliche Jugend in der rheinischen Provinz verbrachte, dessen Idealismus schreckliche Irrwege ging und danach dringend nach neuen Vorbildern suchte. Dieses Wesen zu ergründen wäre die Aufgabe eines Biographen gewesen. Aber das verlangt neben einem prall gefüllten Archiv vor allem auch Empathie (da genügt der mit pejorativem Unterton versehene Hinweis, der Krieg sei in den 30er/40er Jahren bei abenteuerhungrigen Jugendlichen als Bildungsreise verstanden worden, nicht).
Riegel ist Rechercheur, aber leider auch eine Krawallschachtel, der die Fakten auch schon einmal gerne so interpretiert, wie er sie braucht. Bemerkenswert, wie gut das in dieser mediokren Mediokratie funktioniert. Fast noch schlimmer als der billige Erregungs-Alarmismus, in den Riegels Sprache allzu oft taumelt, ist der zuweilen unerträgliche ausgebreitete Narzissmus des Verfassers, der schon die Immendorff-Biographie streckenweise so degoutant machte. Dabei bedient Riegel in seinen Anti-Biographien auf perfide Art und Weise den Zeitgeist, in dem er ein Künstlerideal des klinisch reinen, moralisch unzweifelhaften und vorbildhaften Menschen mit einem tadellos-demokratischen Weltbild postuliert. Aber die Kunst eines solchen synthetischen Gebildes wäre (= ist – wie man zu oft sieht) langweilig, borniert, spießig. Abgesehen davon, dass ein solches Ideal selbst wieder in höchstem Maße totalitär, ja, ich scheue mich nicht zu sagen: gefährlich ist.
Was bleibt? Von Beuys vielleicht zwei, drei Kunstwerke. Das ist viel. Von Riegel ein paar korrigierte Fakten. Und die Fütterung der Antiquariate und Büchermärkte. Das ist genug.
Die kursiv gesetzten Passagen sind Zitate aus Hans Peter Riegels »Beuys«-Biographie. Walter Grasskamps Buch »Der lange Marsch durch die Illusionen – Über Kunst und Politik«, Beck-Verlag, 1995, ist leider vergriffen.
Vielen Dank!
Da ich das Buch nicht gelesen habe, kann ich mich dazu natürlich nicht äußern. Deine kritische Betrachtung aber ist ein einziges Lesevergnügen. Vor ca. 3 Wochen stellte die 3sat-Kulturzeit ( http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/lesezeit/169872/index.html ) diese Beuys-Biographie vor und damals schon beschlich mich angesichts des merkwürdigen „Muß-Beuys-jetzt-neu-bewertet-werden?“-Untertons das Gefühl, dass sich hier Leute am Sturz eines Denkmals beteiligen, welches sie selbst errichtet haben.
Genau wie Du hatte ich zum Beuys-Oeuvre immer ein ambivalentesVerhältnis, „Das Rudel“ z.B., verstand ich zwar nicht, aber, im Eingang zum Kölner Kunstmarkt installiert, sah’s spannend aus. „Der Fettstuhl“ oder tote, welterklärende Hasen – na ja, ich kann damit nichts anfangen, aber ich bin da auch wegen Ahnungslosigkeit der Letzte das zu beurteilen. Ich hab mich jedenfalls mal, 1969 in Düsseldorf (!) mit Beuys sehr angeregt unterhalten, allerdings über Politik anlässlich eines Wahlkampfauftritts Willy Brandts. Nichts Esoterisches, nichts Überspanntes, nichts „Deutsches“ war zu spüren, sondern ein vernünftiger Mann hoffte wie ich auf den politischen Wechsel in eine weniger vermiefte Zeit und diesen Beuys behalte ich in meiner Erinnerung. Da kann ein HP Riegel gegen den Sockel pissen, so oft er mag.
Lieber Herr Struck
Offen gestand bin ich gespannt, ob Sie meine Replik veröffentlichen.
Die Fleißarbeit jedenfalls mit der Sie meine Bücher bedacht haben, ist schmeichelhaft. Einerseits. Andererseits zählen auch Sie zu einer seltsamen Spezies, die das Internet hervorgebracht hat. Menschen die sich Alias-Namen zulegen und ihre Freizeit damit verbringen, sich als Heckenschützen in den Grauzonen geltenden Rechts zu bewegen, weil sie überzeugt sind, nur mit ihrem Tun wäre die Meinungsfreiheit noch zu retten.
Also gilt es gegen Autoren wie mich anzuschreiben , die “in holzhammerhaftem Duktus bis hin zur Manipulation” schlechte Bücher publizieren und hierfür, unterstützt von den “Machern dieser mediokren Mediokratie”, eine breite, wie Sie jedoch annehmen, ahnungslose Öffentlichkeit finden.
HP Riegel, ich schreibe nicht übrigens Hans Peter Riegel, ist natürlich ein ideales Ziel für die Attacken aus dem Hinterhalt, aus der Nische mediokrer Blogs (um bei Ihrer Diktion zu bleiben), weil er sich nicht scheut, sich mit nicht unbedingt polulären Darstellungen zu exponieren.
Ihre Schüsse, lieber Herr Struck, wenden sich leider gegen Sie selbst, wenn sie mir etwa unterstellen ich sei einer “der die Fakten auch schon einmal gerne so interpretiert, wie er sie braucht”. Ihre Einlassungen sind in dieser Hinsicht kaum zu überbieten. Sie schreiben meine Immendorff-Biographie betreffend, diese sei “in einigen Punkten äußerst lückenhaft” und erwähnen als Exempel allein Marie-Josephine Lynen als Auslassung. Welche sind die anderen?
Die Genannte ist in meinem Buch durchaus “gewürdigt”, was Sie wohl übersehen haben. Zudem bewege ich mich als Biograph auf dem Boden des “Allgemeinen Persönlich-keitsrechts”. Damit verbunden sind bestimmte Aspekte die Privatsphäre betreffend tabu. Ich hätte sehr gerne ausführlicher über Marie-Josephine Lynen und ihren mit Immendorff gemeinsamen Sohn geschrieben. Jedoch auch mit deren Einverständnis hätte ich mit absoluter Sicherheit eine einstweilige Verfügung der Immendorff-Witwe zu Unterlassung dieser Darstellungen
erhalten.
Das neben Themen der Privatsphäre auch andere Darstellungen wegen der rechtlichen Situation nur im Konjunktiv formuliert werden können, zählt gleichfalls zu den Leitplanken die einem Biographen heute gesetzt sind. Das liest sich mitunter spekulativ, das gebe ich mit Bedauern zu, ist jedoch nicht anders darstellbar, wenn man nicht das Thema vollends auslassen will. Was Sie ja nun auch wieder nicht so gerne sehen, wie ich annehme.
Aber wie sollen Sie auch über solche Gegebenheiten in Kenntnis sein, lieber Herr Struck. Oder haben Sie schon eine Biographie verfasst? Oder interessieren Sie als Blogger solche jurisitschen Petitessen überhaupt?
Das solche rechtlichen Bedingungen auch für die Beuys- Biographie gelten, sei nur am Rande erwähnt. Und auch, dass Caroline Tisadall trotz mehrfacher Anfragen, nicht zu einem Gespräch bereit war. Ebenso wenig Eva Beuys.
Ihre “Rezension” bedient sich durchwegs aus dem Zusammenhang gerissener Zitate, mit denen Sie viel Mühe darauf verwenden, zu suggerieren, ich habe mich polemischer, wie nachlässiger Darstellungen schuldig gemacht. Sie selbst jedoch drehen “die Fakten auch schon einmal gerne so” wie Sie in Ihr Bild passen.
Mit buchalterischer Fleißarbeit stellen Sie beispielsweise fest, ich würde Beuys “in die tiefsten Verästelungen seiner Persönlichkeit als deutsch”sehen (und jetzt Ihr Schuss) dabei hätte ich “einhundert Seiten zuvor noch” angeführt, Beuys verorte sich mit keltischen Wurzeln.” Lieber Herr Struck hätten Sie mein Buch wirklich
aufmerksam gelesen, wäre ihnen nicht entgangen, dass Beuys wie auch Steiner den Zusammenhang “keltisch, germanisch deutsch” postulierten. Beuys sprach von “indogermanischen” Wurzeln, Steiner von der gemeinsamen »Volksseele«, der Kelten und der Germanen, der Deutschen letztlich . Zudem sind die Zusammhänge historisch bzw. kulturanthropologisch Konsens. Wo ist also ein Widerspruch in meiner Darstellung, wie Sie ihn unterstellen?
Ein anderes Beispiel. Dass die biographischen Wurzeln der Verwendung von “Margarine” vor der Haustür der Familie Beuys in Kleve zu finden sind, was unschwer nachzuweisen ist, hat wenig mit der Herleitung der Verwendung von “Fett” als Substanz der Beuysschen Kunstausübung zu tun, die ebenso unschwer nachzuweisen, bei Steiner zu verorten ist. Das erläutere ich ausführlich. Aber das haben Sie wohl überlesen oder nicht lesen oder nicht zur Kenntnis wollen.
Und so geht es weiter in Ihrem Text mit ebenso unzutreffenden wie diffamierenden Aussführungen. Vermutlich passt der wahrheitsgemässe Umgang mit Fakten nicht “zur inquisitorischen Attitüde”, die Sie mir vorwerfen, derer Sie sich zugleich bedienen.
Wie absurd sich diese Bemühungen anlassen, wohl auch mangels stichhaltiger Argumente, zeigt sich, wenn Sie fleissig 129 Fußnoten zählen, und schreiben das “Archiv des Autors” sei in dieser “Dokumentensammelleidenschaft” bemüht worden. Erstens unterschlagen Sie die restlichen 1179 Fußnoten. Und zweitens, was wollen Sie damit eigentlich beweisen? Das “Archiv des Autors” ist eine rechtlich verbindliche Auskunft, die notwendig ist, wenn Dokumente zitiert werden, die dort vorzufinden sind.
Zum Schluß mein Lieber begeben Sie sich ganz aufs schlüpfrige Parkett. Riegel bedient auf “perfide Art und Weise den Zeitgeist, in dem er ein Künstlerideal des klinisch reinen, moralisch unzweifelhaften und vorbildhaften Menschen mit einem tadellos-demokratischen Weltbild postuliert”, lassen Sie verlauten.
Es war Beuys der für sich nur die edelsten Motive beanspruchte. Der sich als Pazifist und lupenreiner Demokrat darstellte und der die Welt vom “Ungeist” befreien wollte. Ich nehme ihn nur beim Wort und gleiche dies mit der Realität seines Verhaltens ab. Wie übrigens auch Eduard Beaucamp am vergangenen Mittwoch in der FAZ. Ein Zeitgenosse von Beuys, der so hört man, eine gewisse Achtung in der Gilde der Kunstkritiker genießt und der meinen Ausführungen zu Beuys in vollem Umfang Recht gibt.
Aber mit “moralisch unzweifelhaften und vorbildhaften Menschen mit einem tadellos-demokratischen Weltbild” kennen Sie sich als Handke-Fan ja bestens aus.
p.s. Mit Beat Wyss stehe ich in sehr angenehmer Korrespondenz.
Warum sollte ich Ihren Kommentar nicht veröffentlichen? Er ist sogar sehr gut, weil er Ihren Umgang mit Sprache noch einmal aufs Schönste illustriert.
Dass Sie mich einen »Heckenschützen« zeihen, ist verkraftbar. Man weiß ja, woher es kommt. Woher Sie dann jedoch den Schluss wagen, ich würde missionarisch mit meinen Texten der Meinungsfreiheit zum Recht verhelfen wollen, bleibt Ihr Geheimnis. Soll es auch bleiben, finde ich.
Ansonsten finde ich es gut, dass Sie geantwortet haben, ersuche jedoch um Verständnis, dass ich darauf verzichte, mein ziemlich genaues Lesen (jenseits von Pressemitteilungen und Zugetragenem) vor Ihnen belegen zu wollen.
Lieber Herr Struck
Wo sprach ich denn von »missionarisch«? Und sind sie kein Verfechter der Meinungsfreiheit, wenn Sie sich die in unserer Gesellschaft gegebene Freiheit nutzen, Ihre Meinung über diesen Blog zu verbreiten?
Das Sie meinen Beitrag nicht löschen und den »Heckenschützen« verkraften, ehrt Sie.
Vielleicht haben Sie den Unterschied erkannt, zwischen Ihnen, der sich für ein paar Dutzend Aficionados ereifert, oder einer »Krawallschachtel« wie mir, die mit Ihrem »billigen Erregungs-Alarmismus«, wohl doch ein etwas grösseres Publikum erreicht, als Sie.
Ich stelle mich jedenfalls mit offenem Visier, während Sie in ihrer Blogger-Nische ungefährdet bleiben, weil sich eigentlich niemand wirklich für Sie und für Ihre Abhandlungen interessiert.
Für wen ereifern Sie sich eigentlich, Herr Riegel? (Ihre Sprache spricht Bände; gefüllt mit Armseligkeit.)
Ich wünsche Ihnen alles Gute. Wer kommt als Nächstes? Lüpertz?
Es gibt ein sehr schönes Buch von Julian Barnes mit dem Titel »Vom Ende einer Geschichte«, das davon handelt, wie schwer man sich tut, wenigstens in seiner eigenen Lebenserzählung sicher zu sein, und wie schwer aber auch abgesehen davon alle Lebensvorfälle zu klären sind, selbst wenn man so gut wie daneben stand und wenn sie nicht 40 Jahre, sondern nur 1 Wocher her sind. Das Dilemma potenziert sich ins Gigantische, wenn man eines Menschen Leben nicht nur äußerlich als cursorischen Lebenslauf darstellen möchte, sondern quasi sich an der »inneren Biographie« versucht. Man muss für eine solche Unternehmung sehr gute und sehr viele Eigenbelege des Biographierten haben ... und selbst dann dürfte immer das Meiste übers Knie gebrochen sein, damit sich alles aufeinander reimt. Unmöglich eine Biographie zu schreiben, in der alles gesichert wäre. Unmöglich für einen Biographen, eine Wahrheit zu verkünden, wo er dem Beschriebenen meint ins Herz blicken zu können.
Diese kritische Würdigung des Beuys-Buchs bringt diese Schwierigkeit zur Sprache, weil sie – scheint es – im Buch nicht mitreflektiert wird, und es scheint mir vorderhand plausibel, dass HP Riegel den Beuys auf einen zu starken Reim gebracht hat, ohne nach anderen Reimwörtern zu suchen. Dabei könnte man doch auch meinen, dass gerade die Befunde von HP Riegel und anderen zum tiefen Irrationalismus von Beuys, zu seinem Glauben an Elfen, Berggeistern und steinerschen Geschichtsmodellen, den Menschen Beuys mindestens so rätselhaft erscheinen zu lassen wie seine Fettwerke.
Was hatte der Mann eigentlich wirklich in der Birne? Ich habe keinen Schimmer. Da hilft es auch gar nichts, sich jetzt in Details zu verstreiten. Jede platte Auflösung von Beuys, z.B. Beuys sei ein völkischer Altnazi gewesen, ist deshalb logischerweise leicht abzuschmettern. War er sicherlich nicht. Er war seit den frühen 50er Jahren Steiner-Fanboy. (Die Hinwendung und Rückwendung zum »Geistigen«, »Ewigen« und »Heiligen« war übrigens eine der häufigsten Reaktionen nach Ende des Naziregimes, als die Kultur sich weider frei regen konnte und musste und einen neuen ideologischen, unpolitischen Boden suchte – die Suche nach dem »eigentlichen« Menschen meistens mit Christentum verknüpft, aber eben nicht nur.)
Wie auch immer, muss ich zugeben, dass ich mit dem Buch von Riegel trotzdem sympathisiere, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die Kunstkritik sich vor jeder Form von wirklich kritischer Auseinandersetzung damals gedrückt hat und heute drücken möchte. Wenn das Buch es schaffen würde, zu Beuys und den Folgen neue Fragen aufzuwerfen, die dann eben auch die diversen Verneigungsformen der Kunstkritik beträfen, dann hätte es sich schon gelohnt, egal wie gerecht oder ungerecht das Buch als Biographie sein mag.
Ich weiß gar nicht, ob es einen anderen Künstler gab, der seine gesellschaftliche Rolle noch in den modernen Jahren der 60er so abstrus transzendiert und überspannt hat wie Beuys. Vielleicht haben ihm das »höhere Wesen befohlen« – man weiß es nicht. Ohne den Parforce-Ritt der Avantgarden in den 60ern ist er sicherlich auch nicht zu verstehen – da fand auch das ganz große Aufbäumen der Moderne statt, auch in Literatur und Musik. Man musste ja damals irgendwie eine Schippe Wahnsinn drauflegen. Am ehesten verwandt war vielleicht Syberberg – auch irrational, missverständlich, größenwahnnsinnig. Man war ja geistig rückständig, wenn man nicht bei allem mitlief, wo Avantagarde draufstand. Otto Mühl wurde z.B. auch dadurch geschützt – das war auch so einer, in dem Fall »Reichianer«, der kommt dem Beuys-Habitus nahe: der Künstler als hoher Geisterseher der profanen Gesellschaft.
Wie auch immer, ich vermute, das Buch hätte bedachter und vorsichtiger und fragender ausfallen können. Hoffentlich wird es trotzdem nicht als unwichtig wahrgenommen.
(Ich lese da noch drin, versprochen.)
Ich habe mich ja auch einmal mit Beuys unterhalten – wenn auch nur als vorwitziger Schüler, der eines Tages mit einem Freund einfach an dessen Atelier geklingelt hatte. Aber er war gleich freundlich gewesen, anfangs zwar amüsiert über unsere Naivität, dann aber auch zunehmend erklärungsbereit, und mein Bild von Beuys wird wohl für immer das von dieser wachen Begegnungs-Offenheit sein.
Nachdem er nach seinem Tod in der aktuellen Kunst für mich mehr oder minder in den Hintergrund getreten war, war ich sofort neugierig, als ich das erste Mal von Riegels Buch hörte – aber auch gleich ungut davon berührt, mit welch zuspitzendem und nachtretendem, eindeutig parteiischem Gestus (in der WELT) und mit welchem Willen zur Skandalisierung Beuys behandelt wurde.
Was mir nicht einleuchtete, war – wenn die Kunst im Letzten nicht zugänglich ist, gibt es doch sonst stets eine Verschiebung hin auf den Menschen, und anscheinend hat man ja doch das Meiste über den mythomanen Menschen damals schon mehr oder minder gewusst? -, wie bei der doch fast immer im Modus des Ergründens gehaltenen Behandlung einer derart öffentlichen Person wie Beuys’ (dazu durch so viele hellsichtige Geister in der seit je derart aufklärungs-hysterischen BRD) der Komplex dieser ganzen Anrüchigkeiten vorher kaum so richtig aufgefallen sein sollte. Zumindest habe ich, der sich immer für Beuys und die Äußerungen über ihn interessiert hat, viel von seinen Feinden, aber nie von solchen, sicher gern aufgegriffenen (und aufhören hätten lassenden) Anwürfen gehört.
Ich habe aber auch nie verstanden, wie unter all den zwanghaften Positivisten und anscheinend über ihre Vernunft (oder über ihre eigene Vergangenheit) bitter Ernüchterten so ein harmloser Trickster und Neo-Schamane wie Joseph Beuys so viel Verachtung und Hass auf sich ziehen konnte.
Vielleicht ist es ja auch eine Sache der Töne. Obwohl also naiv, habe ich noch deutlich etwa die Tonlagen der abergläubisch-engherzigen Katholizismen im Ohr, das Schneidige und die Selbstgerechtigkeiten mit der der politische Zeitgeist damals regierte; untersuchte man das mal, würde man wohl auf finsterste Gedankenzusammenhänge mit dem davor herrschenden Deutschtum stoßen. Alles nur zeitbedingt?
Womöglich ist ja mit dem Gefühl mehr als nur mein Urteil im „Schülerhaften“ stecken geblieben?
(Ein bisschen übrigens wie auch gegenüber Heinrich Böll, der damals oft schwach und angreifbar erschien, aber als moralische Figur gegen die Rechthaber und Kleinvernünftler dauernd viel größeren Mut bewies, und schon von daher nicht nur imponierte, sondern auch viel öfter überzeugte. Vielleicht bin ich da also ebenfalls voreingenommen, aber in den Vorwürfen von Riegel an Beuys scheinen mir oft wieder Anklänge an neuere entschlossen-anklägerische, dazu hämische Töne.)
Ich sehe Beuys’ Mythos heute wie jemand, der selber über solch eine eigene Geschichte nicht verfügen kann: Wichtig ist nicht, ob sie stimmt, sondern dass sie insgesamt gut erzählt ist. Und wenn sie dann auch noch so viel bewegt … Also mehr Wahnsinn, mehr „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“.
(Und, @ Fritz Iversen: dass die Kunstkritik sich nicht extrem an Beuys’ Fett- & Filzwelt abgearbeitet hätte stimmt nicht: Etliche, auch namhafte und zu argumentieren fähige Leute waren damals gegen die Verführungen durch solchen elaborierten „Irrationalismus“ – nur war der eben immer noch offensiver und nicht so leicht abzutun.)
Als Künstler wie als Mensch eine radikale Ausnahme, war Beuys schon als inspirierter Aufwiegler unschätzbar wichtig für ein in seinen Dauerverhärtungen oft so einfältig und eindimensional erscheinendes Land. Ist sonst der dubiose Teil an einem Menschen eh meist der interessantere, sind mir heute die paar dunkleren Flecken auf seiner Anglerweste schlicht egal.
Nach all dem, was ich aus dem und über das Buch gehört habe, könnte es auch für mich wohl ein paar Zusammenhänge erhellen, aber in seiner erkennbar werdenden Stoßrichtung „verführt“ es mich nicht, die auch wirklich vertiefen zu wollen.
***
(Und, ja, nach der enttäuschenden, selbstgerechten Antwort von Riegel auf Keuschnig scheint es noch klarer: Durchweg aufklärerisch gemeint ist das nicht, es waltet da eine vorfassende Absicht. Und die äußerst sich in zu vielen unguten, für mein Ohr falsch klingenden Töne.)
@ Fritz Iversen
Manche Rezensenten empfinden mein Buch als bedacht, »behutsam« gar. Andere gelangten zu gegenteiligen Auffassungen. Gut so. Es ist Pluralität, in der jedoch unser Urteil nie frei von einer gewissen Voreingenommenheit ist. Bedenklich stimmt allein die Tonlage, die offenkundige Abscheu, der blanke Hass mit dem mir teilweise begegnet wird.
In dieser Hinsicht bleibt mit rätselhaft, welche Sprache mir Herr Struck unterstellt. Und die »Armseligkeit«, ein Ausrutscher, geschenkt. Schließlich, was ist daran verwerflich, wenn ich so genannte Ikonen hinterfrage? Kann wieder einmal nicht sein, was nicht sein darf?
Immerhin, eine ansehnliche Zahl namhafter Rezensenten teilt meine Darstellungen, die mithin vielleicht so falsch nicht sein können. Aber ja, die »mediokre Mediokratie«. Ich hätte es fast vergessen. Wie tröstlich, dass wir Sie haben lieber Herr Struck.
Molière (in der Schreibe Enzensbergers)
@ Bonaventura
You make my day :-) Wundervolles Bonmot.
Aber mal ehrlich. Muss man unwidersprochen jeden Kübel über sich ausgießen lassen?
@ Fritz Iversen
Noch zwei Anmerkungen: Ich habe nirgends je behauptet, nicht einmal suggeriert, »Beuys sei ein völkischer Altnazi« gewesen. Beuys´ »völkische« Ideen lassen sich jedoch sehr präzise auf Steiner zurückführen. Das habe ich immer wieder klar und deutlich gesagt.
In der fast schon legendären Steiner-Bibliothek von Beuys befindet sich mehr als ein in dieser Hinsicht aufschlussreicher Titel. Der typischste ist wohl: »Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie«. Ich formuliere jetzt (Achtung Herr Struck!) bewusst zugespitzt: Eine mit vielen Randbemerkungen von Beuys versehene Lektüre, die man ein Fest für völkisch Gesinnte nennen könnte.
Und sie haben vollkommen Recht, lieber Herr Iversen, wenn Sie schreiben: »Die Hinwendung und Rückwendung zum »Geistigen«, »Ewigen« und »Heiligen« war übrigens eine der häufigsten Reaktionen nach Ende des Naziregimes, als die Kultur sich weider frei regen konnte und musste und einen neuen ideologischen, unpoli-tischen Boden suchte – die Suche nach dem »eigentlichen« Menschen meistens mit Christentum verknüpft, aber eben nicht nur.« Genau diese Momente in Beuys´ Lebensweg beschreibe ich sehr ausführlich.
@ Herr Jedermann. Nur eine Fußnote. Aber vielleicht bezeichnend. Böll war zuletzt, salopp formuliert, ziemlich genervt von Beuys. Die oft beschworene Freundschaft zwischen Böll und Beuys hat es nie gegeben. Das bestätigte mir nicht nur Rene Böll.
@ Hans Peter Riegel
1. Es gibt in der gesamten von uns überschaubaren Geschichte der Literatur keinen einzigen Verfasser eines längeren Textes, dem nicht widersprochen worden wäre. Wieso gehen gerade Sie davon aus, davon verschont zu bleiben?
2. Ich kann als mitlesender Dritter hier keinen Kübel erkennen. Meiner gänzlich unmaßgeblichen Meinung nach reagieren Sie unangemessen auf eine durchaus vertretbare Kritik. Der Kritiker mag ja Unrecht haben, aber das scheint es mir nicht notwendig zu machen, ihm in einem solch aufgebrachten Ton zu antworten, wie Sie das hier tun. Und Sie scheinen gar kein Gespür für Ihren Ton zu haben. Von der inhaltlichen Gebrechlichkeit Ihrer Antwort will ich ganz schweigen.
»Es recht zu machen jedermann, ist eine Kunst, die niemand kann.« – In diesem Sinne: Gehaben Sie sich wohl.
@ Bonaventura
Ich schätze den Diskurs, wenn er höflich bleibt und wenn er sich auf die Sache konzentriert. Wozu auch sollte ich mich gegen Kritik oder kritische Rezensionen wenden? Jede Rezension verkauft Bücher, manches Mal die Verrisse mehr, als die Hymnen. Herr Struck spielt jedoch auf Mann, um es in der Sportsprache zu sagen. Wenn mir ein Rezensent wie Herr Struck Gesinnungskritik, Gossenjournalismus, inquisitorische Attitüde, billige Erregungs-Alarmismus, hämische, skandalisierte, diskreditierende Arbeit zuschreibt, erlaube ich mir, mich hiergegen zu verwahren. Und was ist unangemessen daran, sich über eine Rezension kritisch zu äussern, die durchsetzt mit solcher Diktion, mit unzutreffenden Darstellungen eine jahrelange Arbeit herabzuwürdigen versucht?
Was unangemessen ist, habe ich bereits geschrieben. Versuchen Sie doch einfach, meine letzte Antwort noch einmal daraufhin durchzuschauen; so sehr lang ist sie ja nicht.
Auch würde ich Ihnen gerne raten, sich Ihre eigenen Kommentare für wenigstens einen Augenblick aus der Perspektive eines Lesers anzuschauen, der in der Sache wenig oder gar nicht selbstständig urteilen kann und sich seinen Eindruck nur aus dem hier Gelesenen bildet. Glauben Sie mir bitte einfach: Sie hinterlassen hier einen denkbar ungünstigen Eindruck.
@ Bonaventura
Dann mag es so sein.
Die Kommentare des Herrn Riegel bringen mich dazu: Gregor K. hat offenbar Recht mit seiner sehr detaillierten Kritik am Buch.
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Zum Beuys: Die beste Beschreibung seiner Werke hat in den achtziger (?) Jahren Robert Gernhardt geliefert: Ein seriös aufgemachter Artikel im Feuilleton der FAZ mit der Beschreibung eines (imaginären) »Kunstwerks« à la Beuys: irgendein Stück altes dreckiges Holz mit Farbspuren dran, ein verbogenes Stück Draht und eine leere Milchflasche (Gernhardt lieferte das Foto dazu). Die FAZ-Leser nahmen den hochtrabenden Quatsch (das »Kunstwerk« wie das hochgestochen aber bewusst hohle Gerede darum) allen Ernstes ernst. Genau wie ähnliche Werke des Herrn Beuys und die Rezeption darauf. Was sagt uns das? Genau.
Und deshalb ist mir die Biographie schnuppe. Eher würde ich ein Buch begrüßen, das aufzeigt, wie es dazu kommen konnte, dass diese Art Tun als »Kunst« nicht nur bezeichnet sondern sogar hochgelobt wird. Viel zu wenige Kunstliebhaber trauen sich (allerdings verständlich nach 1945) zu sagen: »Der Kaiser ist ja nackt«.
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»Habe ich nicht immer gesagt, Kunst kommt von Können, käme sie von Wollen, hieße sie Wulst? Vergiss es. Die Wulst hat gesiegt, die Kunst ist am Ende; zusammen mit dem Jahrtausend, das einige ihrer glorreichsten Siege sah, räumt sie geschlagen das Feld dem, der sie seit Anbeginn gewünscht und verwünscht, verteufelt und vergöttert hat: dem ewigen Dilettanten.« (Robert Gernhardt, 1999)
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»...dass es Menschen gibt, die noch ahnen, was Kunst ist. Eines Tages werden sie den Schwindel durchschauen.« (Über moderne Kunst. Aus der Zeitung, 1999)
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»Ich bin jetzt so weit, dass ich es laut sage: Moderne Kunst ist Blödsinn. ...« (Johannes Grützke, an seinem 70. Geburtstag am 29 Sept 2007)
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Ein bemerkenswerter Aufwand, danke dafür und ein, in Unkenntnis des Buchs, vielleicht hartes Urteil, aber ein begründetes und dadurch prüfbares, das ist gut.
Verständlich und menschlich, dass ein Autor den Finger in der Wunde spürt, aber wenn dem so ist, dann wird er, so er klug ist, nach dem Abfall der Schmerzen wiederkommen.
[Detaildiskussionen wären zu führen, etwa wie der Begriff Kelten zu verstehen ist (ethnisch, archäologisch, linguistisch, materiell-kulturell,...?) usw. usf.]
Begleitschreiben-Blog-Beitrag
von Herbert Schliffka
Bedanken möchte ich mich bei Gregor Keuschnig für seinen Rezensionstext „Recherche und Obsession“ zur „’Skandal-Biografie’ zu Beuys“ (dpa) und vor allem dafür, dass er ermöglicht, die Beiträge in seinem Blog mitzuverfolgen – auch die von HP Riegel -, sowie eigene Beiträge hineinzustellen.
Vorweggenommen sei gesagt:
1. Sowohl mit Beuys* – besonders in der Zeit als sich die Grünen (1979) und kurz danach die „Aktion Volksentscheid“** (1983) gründeten – als auch mit den im Rezensionstext von Keuschnig genannten Otto Schily, Wilfried Heidt und Jörg Immendorf habe ich zusammengearbeitet.
Mit Wilfried Heidt aus Achberg, einem Aktivisten für Freiheit, Demokratie und Sozialismus, habe ich viele Jahrzehnte in verschiedenen Projekten zur Neugestaltung der Gesellschaft im Sinne eines dritten Weges jenseits von Kapitalismus und Kommunismus und zur Verwirklichung einer komplementären Demokratie, die auch von Beuys mit der Organisation für direkte Demokratie angestrebt wurde, zusammengearbeitet.
Mit Jörg Immendorf (er war zu dieser Zeit noch als Kunstlehrer an einer Hauptschule in Düsseldorf-Bilk tätig) war ich ab 1978 gemeinsam in der „Alternativen Liste Düsseldorf“ aktiv. Viele ihrer Mitglieder beteiligten sich dann im November 1979 an der Gründung des Düsseldorfer Kreisverbandes der Grünen.
2. „Trotz alledem ...“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Trotz_alledem)
bin ich HP Riegel in mehrerlei Hinsicht dankbar. (siehe dazu z.B. den 4. Absatz im Beitrag von Fritz Iversen am 17. Jun. 2013 um 13:47,). Dankbar aber auch deswegen, weil er sich hier im Blog an der Diskussion beteiligt. Nicht nur deshalb möchte ich ihn zu einem Podiumsgespräch nach Achberg ins Internationale Kulturzentrum einladen.
Zuletzt auch Dank, dass er auch jener Kraft dient, „die stets das Böse will und stets das Gute schafft“.
Beginnen wir damit, was es in diesem Fall konkret bedeutet, dieser geistigen Kraft zu dienen.
Dankbar bin ich HP Riegel – trotz seiner großen Schaden bewirkenden Absicht – vor allem deswegen, weil er durch sein Buch auch etwas Gutes bewirkt. Er hat die geistig-ideelle Verbindung zwischen Beuys und Steiner, sowie zu den Achberger Aktivitäten ab den 70er Jahren akribisch nachgewiesen und einer großen Öffentlichkeit bekannt gemacht. Letzteres gelingt in der heutigen Medienlandschaft offenbar nur dann schnell, wenn dieses in böser Absicht geschieht.
Er weißt damit nach, was bisher sehr häufig von den Kunst-Kritikern und ‑Liebhabern, die den Teil der Kunstwerke von Beuys schätzen, die sich noch mit einem traditionellen Kunstverständnis rezipieren lassen, als nicht wahr angesehen wird.
Auch viele Anthroposophen sehen diese Verbindung nicht – oder nicht gerne!
Dass das bisher so war, zeigt aber auch, dass Beuys einen ganz eigenständigen Umgang mit den auch von ihm erkannten Ideen pflegte, die zuvor auch Steiner erkannt und dargestellt hatte.
HP Riegel begreift offensichtlich nicht, dass Beuys und andere Menschen die gleichen Erkenntnisse – insbesondere was die Gestaltungsgesetzmäßigkeiten des Gesellschaftsorganismus betreffen – gewinnen können, die auch Steiner u.a. bereits gewonnen und dargestellt hatten.
Für Riegel zeigt sich darin bloßes Epigonentum. Er kann offensichtlich nur die Vorstellung bilden, dass Menschen anderen Menschen, nicht aber Erkenntnissen, die sie gewonnen haben, folgen können.
Ihm fehlt offensichtlich die Erkenntnis des Erkennens und des sich daraus ergebenen Handelns aus Freiheit. Diese Erkenntnisse hat Steiner in seiner erkenntniswissenschaftlichen Schrift „Die Philosophie der Freiheit“ bis heute gültig aufgezeigt, da sie bisher nie widerlegt worden sind. Deshalb kann HP Riegel auch nicht begreift, dass Beuys aus den – oft im kommunikativen Handeln – selbst errungenen Erkenntnissen, in Freiheit seine ihm ganz eigenen –auch von vielen Anthroposophen häufig abgelehnten – Aktivitäten gestaltet hatte.
Ich habe das über ein Jahrzehnt lang – z.T. im unmittelbaren Miterleben – geprüft und kann deshalb, wie auch andere, bestätigen, dass das der Fall ist.
Riegel kann dass solange nicht begreifen, solange ihm ein wesensgemäßer Erkenntnis‑, und ein wirklichkeitsgemäß begründeter Freiheitsbegriff fehlt.
Bei Erkenntnissen aus naturwissenschaftlicher Forschung ist es üblich, das sie erst dann als solche Geltung erlangen, wenn andere sie durch eigene Forschung überprüft und darauf folgend bestätigt haben. Diese Forscher gelten dann nicht als Epigonen oder Adepten, weil ja die gemeinsam akzeptierte Erkenntnis, nicht die Personen, die sie hervorgebracht oder geprüft haben, das Wesentliche in der Forschung sind.
Die Absicht, die Riegel mangels Erkenntnisfähigkeit damit verbindet, Beuys als Epigonen Steiners darzustellen ist allerdings eine schändliche. Denn er versucht mit völlig unsauberen Mitteln, Steiner und mit ihm Beuys u. a. eine menschenverachtende „nationalistische“, „völkische“, „rechtsextreme“, „reaktionäre“ Ideologie und Gesinnung anzudichten. Diese unterstellt er ihnen, indem er mit einer bloß nominalistisch-abstrakten Denktechnik Worte aus den gedanklichen Sinnzusammenhängen reißt. Dann überlässt er diese isolierten Worthülsen, die außerdem oft noch sinnentstellend verknüpft werden, einer spekulativen Deutungen, die den meisten Leser aus einem heute geprägten, manchmal völlig anderem Wortverständnis möglich sind.
Genial teuflisch – mephistophelisch!
Dieser Absicht muss energisch aufklärend entgegengetreten werden, weil aus ihr sonst ein völlig falsches Verständnis von den Aussagen, die von Beuys und Steiner geprägt wurden, entstehen muss.
Wer mit einer solchen Absicht eine sogenannte „Biographie“ schreibt, braucht nicht die Schwierigkeiten zu meistern, die von Fritz Iversen am 17. Jun. 2013 um 13:47 in seinem Blog-Beitrag im 1. und 2. Absatz sehr schön beschrieben werden. Daraus sei hier noch mal das folgende zitiert:
„Das Dilemma potenziert sich ins Gigantische, wenn man eines Menschen Leben nicht nur äußerlich als cursorischen Lebenslauf darstellen möchte, sondern quasi sich an der »inneren Biographie« versucht. Man muss für eine solche Unternehmung sehr gute und sehr viele Eigenbelege des Biographierten haben … und selbst dann dürfte immer das Meiste übers Knie gebrochen sein, damit sich alles aufeinander reimt. Unmöglich eine Biographie zu schreiben, in der alles gesichert wäre. Unmöglich für einen Biographen, eine Wahrheit zu verkünden, wo er dem Beschriebenen meint ins Herz blicken zu können.
Diese kritische Würdigung des Beuys-Buchs bringt diese Schwierigkeit zur Sprache, weil sie – scheint es – im Buch nicht mitreflektiert wird, und es scheint mir vorderhand plausibel, dass HP Riegel den Beuys auf einen zu starken Reim gebracht hat, ohne nach anderen Reimwörtern zu suchen.“
Seltsam anmutend klingen dann solche Aussagen von Hans Peter Riegel wie diejenige, mit der er im Begleitschreiben-Blog @ Fritz Iversen am 17. Jun. 2013 um 14:22 antwortet:
„Bedenklich stimmt allein die Tonlage, die offenkundige Abscheu, der blanke Hass mit dem mir teilweise begegnet wird.“
Ist HP Riegel so naiv oder so raffiniert, dass er den unschuldig Naiven spielt?
Er betritt einen geistigen Kampfplatz, auf dem er gewaltig austeilt und versucht, den Gegner „unangespitzt in den Boden zu rammen“, und gibt sich dann verwundert über angemessene Antworten.
Seltsam anmutend klingt diese Aussage Riegels deshalb, weil er all den Menschen, die sich mit Beuys und Steiner für Freiheit, Demokratie und globale Solidarität in vielen Initiativen und Organisationen einsetzen, mit offenkundiger Abscheu und der blankem Hass begegnet, indem er sie in die menschenverachtende „nationalistische“, „völkische“, „rechtsextreme“, „reaktionäre“ Ecke stellt, wie er es z.B. in dem Kapitel „Achberg“ seines Buches gemacht hat.
Er schüttet Kübel braunen Inhaltes über diejenigen, die sich seit Jahrzehnte für wirkliche Freiheit, echte Demokratie und globale Solidarität im Weltwirtschaftssystem engagieren.
Dann in seiner Antwort an @ Bonaventura vom 17. Jun. 2013 um 16:40 stellt er bezüglich eines solchen Verhaltens, die – wenn von ihn auch nur rhetorisch gemeinte – richtige Frage:
„Aber mal ehrlich. Muss man unwidersprochen jeden Kübel über sich ausgießen lassen?“
Wir jedenfalls, die sich dem Achberger Impuls verpflichtet fühlen, werden versuchen, das nicht unwidersprochen hinzunehmen.
So haben die aus dem Achberger Impuls hervorgegangnen Institutionen gemeinsam einen „Protestbrief wider üble Nachrede und Geschäftsschädigung anlässlich der Veröffentlichung des Buches „Beuys: Die Biographie“ von H.P. Riegel“ unterzeichnet. (Siehe: [Link gelöscht; s. untenstehende Erklärung. G. K.])
Und ich schrieb in einem bisher noch nicht veröffentlichten Leserbrief zu der – ins gleiche Horn wie Riegel blasenden – Spiegel-Rezension zu dessen Beuys-Pamphlet folgendes:
„Da der Spiegel die von Hans Peter Riegel verfasste „Biographie“ über Beuys unkritisch rezensiert hat, fördert er die Verharmlosung von rechtsradikalen Ideologien und Aktivitäten.
Denn, wenn nachweislich freiheitlich-demokratisches Gedankengut als ein solches beschrieben wird, das dem rechtsradikalen nahe steht, dann werden die Grenzen verwischt. Wenn Freiheits- und Demokratiefreunde als Nazifreunde diffamiert werden, wird rechtes Gedankengut fahrlässig verharmlos, weil es in Verbindung mit der Freiheits- und Demokratieidee aufgewertet wird.“
Wenn man aufgrund seines Lebenslaufes die Bildung genießen und Erfahrungen machen durfte, die einen dazu befähigt zu durchschauen, worum es sich bei diesem „Biographie“ genannten Text und den affirmativen Rezensionen, wie z.B. die des Spiegel eigentlich handelt, dann wird folgendes deutlich:
„Ghostbuster“ sind am Werk.
Nicht der Beuys, der wirklich gelebt hat und der sich für seine oben genannten Lebensziele engagiert hat, und auch nicht Rudolf Steiner und solche sozialgestalterischen Impulse, wie sie besonders von Achberg ausgingen und immer noch ausgehen, sondern die von HP Riegel und den anderen inquisitorisch Agierenden selbst erzeugten „Gespenster“, denen die Namen der verfolgten „Ketzer“ gegeben werden, sind die Gejagten.
Indem diese „Gespenster“ erlegt werden, sollen auch der wirkliche Beuys und mit ihm diejenigen, mit denen er sich in diesem Geisteskampf verbunden hat, erledigt werden, weil sie nicht bereit sind, dem Materialismus und Privatkapitalismus unhinterfragt gläubig zu huldigen.
Dieser Kampf ist auch ein politischer – ja ein solcher, der um eine menschwürdigere Gesellschaft insgesamt geht. Wie bei der Hexenverfolgung werden auf diese Weise Unschuldige von den modernen Inquisitoren als beschuldigte „Ketzer“ verfolgt. Und jeder der die Verfolgten verteidigt, wird von diesen inquisitorischen „Geisterjägern“ in den Verdacht gebracht, selbst ein Beuys- oder Steiner-Anhänger zu sein, also angeblich einer nationalistischen“, „völkischen“, „rechtsextremen“, „reaktionären“ Ideologie und Gesinnung anzugehören.
Auch Gregor Keuschnig versichert vorsichtshalber gleich zu Anfang des Absatzes, indem er sich dem Beuys-Buch von Riegel zuwendet, er ist „kein Adept“. Offen gesteht er, dass „die Beschäftigung mit diesem Buch“ fast nach einer solchen „Klarstellung“ „verlangt“, bevor er „voreilig in die Ecke der Beuys-Verfechter rubriziert werde“.
Mit der inquisitorischen Verbreitung solcher Ängste, soll das Ideengut der verfolgten „Irrgläubigen“ erledigt, also unbrauchbar gemacht werden, damit es nicht mehr als Vorbild, als Ideal für zukunftsträchtige, emanzipatorische und solidarische Impulse dienen kann. Den nach Orientierung für eine bessere Zukunft suchenden Menschen sollen Leitsterne, soll das sichtbare „Licht am Ende des Tunnels“ genommen werden.
Riegel und seine willigen Helfershelfer in den Medien leisten (vielleicht unbewusst?) mit dieser „Ghostbuster“-Masche willfährig (und gegen gute Belohnung) ihren Beitrag in einem Kampf auf Leben und Tod zugunsten des Erhaltes eines todbringenden Raubtierkapitalismus. Ist ihnen bewusst, dass sie damit dazu beitragen, dass die Zeitspanne verlängerte wird, in der weiterhin durch dieses global gewordene, raubtierhaft-kapitalistische Gesellschaftssystem viele Menschen an Hunger, Armut, erzeugte und unbehandelte Krankheiten, Kriminalität und Kriege usw. zugrunde gehen müssen?
In Anlehnung an Mao, sprach man in den 70er Jahren in linken Kreisen von Papiertiger, die man aufbaut, weil diese gedanklich selbst erzeugten Kreaturen leichter zu erlegen sind, als reale Tiger.
So auch hier: Weil die realen Ideen, Ideale und Werke von Beuys und derjenigen, mit denen er sich im Erkennen und Gestalten der Welt verbunden wusste, in einem offenen herrschaftsfreien Diskurs vielleicht gar nicht oder jedenfalls nicht so einfach zu bekämpfen sind, wird von Riegel und seinen Helfershelfern versucht, die Protagonisten dieser Ideen und Werke als ganz andere darzustellen, Sie – und damit die Orientierung gebenden Ideen – werden durch geschickt verschleierte, unwahre Behauptungen diskreditiert.
Deutlich beschreibt auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 19.5.13 die Funktion des Spiegel-Artikels zum Riegel Buch und Riegels Methode:
„Für den Fall, dass das jetzt nur wenige Leute interessieren könnte, hilft es natürlich sehr, wenn in den Akten der Wirklichkeit, die man da extra durchgearbeitet hat, einige neue Nazis auftauchen, die in irgendeinem Kontakt mit dem Künstler standen.
Denn in diesem günstigen Fall reagiert die Redaktion der Früherkennung für schlimme Wörter – ‚Der Spiegel’ – mit traumwandlerischer Sicherheit mit einem Alarmartikel. Es hat auch hier wieder geklappt, man kann in der aktuellen Ausgabe des ‚Spiegels’ lesen, in dieser Beuys-Biographie werde ‚die Ikone der Nachkriegs-Avantgarde als Ewiggestriger enttarnt – mit auffallend vielen engen Kontakten zu Alt-Nazis.’ Enttarnt! Ewiggestrig! Auffallend und viel und eng! So eng, das muss man als Leser bitte selbst hinzufügen, dass dieser Beuys irgendwie selbst ein Nazi war.“
Riegel schreibt also so, dass dieser Schluss sich den normalen, mit den wahren Verhältnissen wenig vertrauten Lesern förmlich aufdrängt. Das perfide ist dann, dass er dennoch sagen kann:
„Noch zwei Anmerkungen: Ich habe nirgends je behauptet, nicht einmal suggeriert, »Beuys sei ein völkischer Altnazi« gewesen. Beuys´ »völkische« Ideen lassen sich jedoch sehr präzise auf Steiner zurückführen. Das habe ich immer wieder klar und deutlich gesagt.“
So z.B. wieder in der Aussage Riegels, mit der er in seinem Blogbeitrag vom 17. Jun. 2013 um 17:10 dem Beitrag von @ Fritz Iversen antwortet.
Zur zweiten Anmerkung – Rudolf Steiner betreffend – komme ich später zurück.
Die offenbarte Absicht von HP Riegel
In seinem Blogbeitrag vom 17. Jun. 2013 um 12:07 offenbart Riegel eine ihm bewusste Absicht, für seine „Skandal-Biografie“:
Es war ihm unerträglich, dass Beuys „für sich nur die edelsten Motive beanspruchte. Der sich als Pazifist und lupenreiner Demokrat darstellte und der die Welt vom “Ungeist” befreien wollte.“
Man könnte fast meinen, dass dieser nicht edle, vielleicht in der Kloake hockende „Ungeist“ einen solchen Befreiungsversuch nicht so einfach hinnehmen wollte, denn ein offensichtlich von ihm besessener, geltungssüchtiger Kleingeist fühlte sich wohl von ihm beauftragt, die großen Geister als böse Gespenster auferstehen zu lassen, damit er sie – mit Hilfe der diesem „Ungeist“ hörigen Medien – in die Kloake hinabziehen kann.
Doch wie kann das gelingen, wenn man bei Beuys eigentlich keine braunen Flecken finden kann?
Man muss einen Menschen finden, von dem man annimmt, man könne ihm leichter braune Gedanken und Gesinnung andichten. Dann muss man möglichst akribisch den Nachweis führen, dass Beuys nicht nur in einer oberflächlichen Verbindung mit dem Weltbild dieses Menschen steht, sondern dass er dieses so stark verinnerlicht hat, dass es möglich wird Beuys sogar zu verdächtigen, er sei ein „trojanischen Pferd“ dieser verinnerlichten Weltanschauung.
Wenn es gelingt, diese Grundhaltung als verwerflich, weil „völkischen“ und „rassistisch“ und deshalb „rechtsextremen“ aussehen zu lassen, dann muss man nur noch einige Menschen in irgendwelchen Verbindungen zu Beuys hinzugesellen, die in ihrer Jugend Nationalsozialisten waren, wie z.B. der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der CSU und spätere AUD-Gründer August Haußleiter oder solche, die auch Kriegsteilnehmer waren und deshalb auch heute noch nicht Kriegsgegner sein können. – Übrigens wurden in die Luftwaffe nicht nur oder in den meisten Fällen Freiwillige aufgenommen?
Beuys als das „trojanischen Pferd“ der „völkischen“ Gesinnung Steiners dargestellt
Nun komme ich zur zweiten – Rudolf Steiner betreffenden – Anmerkung, die Riegel in seinem Blogbeitrag vom 17. Jun. 2013 um 17:10 in seiner Antwort zum Beitrag von @ Fritz Iversen macht:
„In der fast schon legendären Steiner-Bibliothek von Beuys befindet sich mehr als ein in dieser Hinsicht aufschlussreicher Titel. Der typischste ist wohl: »Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie«. Ich formuliere jetzt (...) bewusst zugespitzt: Eine mit vielen Randbemerkungen von Beuys versehene Lektüre, die man ein Fest für völkisch Gesinnte nennen könnte.“
Rudolf Steiner ist also der Hauptverdächtige, den Riegel einem Gesinnungsprozess im Inquisitionsstil unterzieht, weil dessen Weltbild von ihm wohl als verwerflich eingestuft wird.
In dem Kapitel „Steiner“ eröffnet Riegel den „Prozess“ mit folgender Aussage, die fast einen klassischen Inquisitions-Anklagepunkt enthält: „Häresie“
Er schreibt: „Nochwährend des Studiums hatte Beuys seine Arbeiten vom christlich-humanistischen Wertekanon gelöst, um sie an die Gesetzmäßigkeiten des Steiner-Kosmos auszurichten. Der Christus-Begriff und dessen Symbolik, etwa das Kreuz, unterliegen hier andersartigen, esoterischen Deutungen, weshalb die christlichen Kirchen die Anthroposophie sehr kritisch betrachten und als Häresie einstufen.“
Jetzt wartet man gespannt, womit im weiteren Verlauf des Riegeltextes diese „Häresie“-Behauptung denn begründet wird. Im Kapitel „Steiner“ findet man dazu jedoch nichts.
Nun stellt sich die Frage: Will HP Riegel sagen, dass es schon verwerflich ist, wenn einer seine eigenständig gebildeten Gedanken über Christus veröffentlicht, wie Steiner und später dann auch Beuys dies taten?
Doch später im Text, gegen Ende des Kapitels „Jesus Christus“, wird etwas, jedoch wenig Erhellendes, ausgesagt, das zur Häresieunterstellung passen könnte. Es beginnt mit den folgenden Sätzen:
„Erstmals vollführte er (Beuys, HS) vor Publikum seine Umdeutung des christlichen Erlösungsglaubens, den »erweiterten Kunstbegriff«, mit dem er den »eingeengten materialistischen Wissenschaftsbegriff« überwinden wollte“.
Ob die Aussage mit dem Ereignis, das Riegel dort beschreibt, übereinstimmt und ob sie mit dem Weltbild von Beuys bzw. von Steiners kompatibel ist, kann ich aufgrund der knappen Darstellungen von Riegel nicht beurteilen. Er unternimmt meiner Ansicht nach mit Kapiteln dieser Art den waghalsigen Versuch, mit einigen wenigen abstrakten Gedankenlinien das äußerst komplexe Verständnis von Welt im kosmischen Entwicklungsgeschehen nachzuzeichnen, wie Steiner es aufgrund seiner jahrzehntelangen geisteswissenschaftlichen Forschung meinte, in Vorträgen und einigen Schriften ausführlich darstellen zu können.
Obwohl ich auf diesem Feld nicht besonders bewandert bin, scheint mir das nicht sehr gelungen zu sein. Mit folgendem Vergleich versuche ich, meinen Eindruck dazu wiederzugeben. Mir scheint es so, als ob ein Mensch mit Abiturkenntnissen in Physik sich ein Urteil anmaßen würde, ob die Forschungsergebnisse richtig oder falsch sind, die von den Elementarteilchen-Physikern in Cern aufgrund der Spuren gewonnen werden, die in Messgeräten verzeichnet werden, wenn sie Atomkerne aufeinanderprallen lassen.
In Bezug auf die geisteswissenschaftlichen Forschungsergebnisse ist eine solche generell ablehnende Beurteilung nur dann möglich, wenn a priori die herrschende, materialistisch gesinnte Naturwissenschaftsanschauung dogmatisch zur einzig möglichen Anschauungsweise von Welt verabsolutiert wird.
Beschreibt HP Riegel an einer Stelle eigentlich, dass Steiner der Ansicht ist, dass keiner „bloß auf Treu und Glauben, auf bloße Autorität hin das aufnehmen“ muss, was er als Ergebnisse der Anthroposophie, also der von ihm betriebenen geisteswissenschaftlichen Forschung mitteilt?
Steiner fordert „Wir sollen zunächst die Tatsachen, die vielleicht nur wenige erforschen können, an dem Leben prüfen.“ „...nehmt so wenig als möglich auf Treu und Glauben an, aber prüft, prüft, nur nicht befangen, sondern unbefangen! ...Nun aber handelt es sich ja darum, daß eine solche Prüfung, wenn sie vorgenommen wird, in gewisser Beziehung anstrengend ist. Sie erfordert Denken, sie erfordert, daß man sozusagen arbeitet, daß man sich tatsächlich darauf einläßt, Bestätigungen in der physischen Welt zu finden für das, was aus der hellseherischen Forschung heraus gesagt wird.“*4
Nun, ich habe nur die Ergebnisse der Erkenntnis- und Sozialwissenschaft Steiners geprüft, u.a. dadurch, dass ich diese Fächer auch an der Hochschule studiert habe. Und kann diese Ergebnisse bestätigen. Und ich weiß, dass auch Beuys aufgrund dieser von ihm geprüften ideellen Grundlagen in den gemeinsamen Projekten zur Neugestaltung der Gesellschaft mitgewirkt hat. Diejenigen, die aus eigener Erkenntnis daran beteiligt waren, sind keiner fremdbestimmten Anweisung einer menschlichen oder übersinnlichen Autorität gefolgt, sondern sie haben in Freiheit aus Liebe zu dem als notwendig Erkannten gehandelt.
Kommen wir nun zu der Schrift Steiners: »Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie«.
Gemäß Riegel: „Eine mit vielen Randbemerkungen von Beuys versehene Lektüre, die man ein Fest für völkisch Gesinnte nennen könnte.“ Gegner der Anthroposophie hatten sie bei der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM) prüfen lassen. Bei ihrer Sitzung vom 6. September 2007 hat sie entschieden, das Buch „nicht in die Liste der jugendgefährdenden Medien aufzunehmen“, obwohl es Elemente aufweist, „die aus heutiger Sicht als rassistisch zu bewerten sind“*4. Das kann man selbstverständlich bei sehr vielen Texten von Autoren aus dieser Zeit finden. Es würde hier zu weit führen, begründet aufzuzeigen, warum es aufgrund einer bestimmten theosophischer Terminologie, die Steiner von 1902 bis 1912 als Mitglied der theosophischen Weltgesellschaft auch verwendet hat, zu diesen Missverständnissen kommen konnte. Aber aus Steiners Grundüberzeugung des ethischen Individualismus heraus ist für jeden klar denkenden Menschen nachvollziehbar, dass jeder Rassismus, Nationalismus, und völkische Ideologie in dem daraus entstehenden Weltverständnis ausgeschlossen ist.
Aber auch für den nicht mitdenken wollenden spricht Steiner die Notwendigkeit, alles Nationale zu überwinden, an vielen Stellen explizit aus. So z.B. hier in der folgenden Weise: „Eine Leidenschaft, ein Paroxismus des Nationalen ist über die Menschheit gekommen, und der ist für das soziale Leben der Erde gerade so schädlich wie der Materialismus für das Gedankenleben. Und ebenso wie der Mensch aus dem Materialismus sich herausarbeiten muß zur Freiheit und zur Geistigkeit, so muß sich die Menschheit herausarbeiten aus allem Nationalismus, in welcher Form immer er auftreten mag, zum allgemeinen Menschtum. Ohne das ist nicht vorwärtszukommen.“*5
Steiner weist also schon zu Beginn des 20. Jh. – also schon bevor die nationalsozialistische und faschistische Katastrophe besonders Deutschland in seinem eigentlichen, von der deutschen Klassik und dem deutschen Idealismus aufgezeigten Wesen vernichtend überwältigt hatte – auf die „Notwendigkeit, alles Nationale zu überwinden“. Und das vor allem auch gerade deshalb, weil er immer wieder aufgezeigt hat, wie in lang vergangenen Zeiten die „Volksgeister“ und „Volksseelen“ den als Völker zusammenlebenden Menschen eine gemeinsame Orientierung gegeben hatten, die ihnen in früheren Zeiten einen sozialen Zusammenhag ermöglichten.
Steiner spricht also nicht nur von der Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie –wie er es in Oslo tat -, sondern auch im Zusammenhang der griechisch-lateinischen u.a. Mythologien, die das Weltverständnis früher Kulturen enthielten. Diese bestehenden Mythologien hat er ja nicht erfunden, es sind Überlieferungen aus der Vergangenheit, die er zum besseren Verständnis ihres geistigen Gehaltes für seine Zuhörer mit der anthroposophisch erneuerten christlich-humanen Lehre zu verbinden versuchte. Und in der Vergangenheit war die Menschheit noch in unterschiedliche Völker ausdifferenziert über die Welt verteilt. Sie bildeten ihre jeweils eigenen Kulturen. Zu Zeiten Steiners konnte man zum geistigen Gehalt dieser Kulturen auch noch „Volksgeist“ *6 sagen. Das war im kulturellen Leben dieser Zeit noch so üblich – auch wenn die zunehmend naturwissenschaftlich beeinflussten Geistes- und Kulturwissenschaften zu Beginn des 20. Jh. schon versuchten, eine andere Terminologie innerhalb ihrer Fächer zu etablieren.
Mein Beitrag hat gezeigt, dass ich nicht alle Aussagen teile, die Gregor Keuschnig in seinem Rezensionstext macht, da sie manchmal ebenso spekulative sind, wie die, die so oft in dem Beuysbuch von HP Riegel zu finden sind. Um einige zu nennen: Es ist z.B. falsch, dass „die »Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung«, ... später in die AUD (»Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher«) integriert wurde“. Der »Aufruf zur Alternative« wurde tatsächlich gemeinsam von Beuys und Wilfried Heidt verfasst und schon der Vater von Otto Schily war Anthroposoph, so wie auch der erfolgreiche dm-Drogeriemarkt Gründer und Aktivist für ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ Götz W. Werner Anthroposoph ist. Wenn ein erfolgreicher Unternehmer und ein Innenminister in Deutschland Anthroposophen sein können, warum soll ein Künstler von Weltrang sich nicht mit Ergebnissen der anthroposophischen Geisteswissenschaft verbinden dürfen? Und warum sollen die aus dieser Geisteshaltung heraus geschaffenen Kunstwerke ihre Wertschätzung in der Welt verlieren, wenn diese Geisteshaltung bekannter wird als vorher? Das geschieht nur, wenn diese mit böswilliger Absicht diskreditiert wird, wie das mit dem Beuysbuch von Riegel versucht wird.
Mit dem Buch-Titel von Silke Mende (siehe Anmerkung*): „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“, kann gesagt werden, Beuys war kein „Ewiggestriger“, sondern er war vorn – Avantgarde!
Er wusste: Die Ursache liegt in der Zukunft.
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* Joseph Beuys und der Anthroposoph Otto Schily – der zuvor als Verteidiger der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin bekannt und angefeindet wurde – waren beide 1980 Bundestags-Direktkandidaten der neugegründeten Grünen Partei in Düsseldorf. Als Vorstandsvorsitzender des Grünen Kreisverbands Düsseldorf arbeitete ich mit ihnen im Wahlkampf zusammen. Dabei erlebte ich Beuys wöchentlich bei den Kreisverbandssitzungen. Obwohl er schon ein weltweit bekannter Künstler gewesen ist, war er nicht überheblich. Wir konnten diesen außergewöhnlich liebenswürdigen Menschen als ein normales Kreisverbandsmitglied erleben. Individuelle Freiheit und die Liebe zu den Menschen in ihrer Entwicklung, das waren Antriebsfedern für seine Aktivitäten zur Neugestaltung der Gesellschaft. Als Bildhauer begriff er diese als eine zu gestaltende „soziale Skulptur“, an deren Herausbildung jeder Mensch (selbstverständlich mehr oder weniger aktiv) beteiligt und deshalb innerhalb dieser – neu zu etablierenden – sozialen Kunstdisziplin „ein Künstler“ ist.
Ich gehörte zu der in Achberg gegründeten „Aktion Dritter Weg“ (A3W), einer Gründungsorganisation der Grünen, die dort als „Achberger Kreis“ bekannt war, weil August Haußleiter sie so bezeichnet hatte.
Seit 1978/79 beteiligten sich „die Achberger“ gemeinsam mit der von Joseph Beuys initiierten „Freie Internationale Universität“ (FIU), an der Gründung der Grünen. Deshalb kann ich kompetent beurteilen, dass die Kapitel in Riegels Beuysbuch zu „Achberg“ und „International University“ völlig desinformierend sind
Eine gemeinsame ideelle Grundlage für beide Gruppen war der von Beuys und Wilfried Heidt gemeinsam verfasste „Aufruf zur Alternative“. Er erschien am 23.12.1978 als Beitrag von Beuys in der Frankfurter Rundschau. Der auf der Grundlage der Gedanken von Wilhelm Schmundt verfasste Aufruf zeigt eindeutig, dass das völlige Gegenteil eines nationalistischen oder gar totalitären Gesellschaftssystems angestrebt wird. Die Verwirklichung von individueller Freiheit, Demokratie und einer solidarischen globalen Wirtschaft wird angestrebt. (Siehe zu den Beiträgen von Beuys, FIU und A3W im Gründungsprozess der Grünen und zu deren Verhältnis zu den „national gesinnten“ Mitgründern der Grünen, wie z.B. August Haußleiter, die zeithistorische Dissertation von Silke Mende zur „Geschichte der Gründungsgrünen“, mit dem Titel: „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“. Erschienenen ist sie 2011 im Oldenbourg Verlag, München. Im Unterschied zu HP Riegels Beschreibungen findet man dort im 4. Kapitel authentische Darstellungen zu Beuys, zur FIU und zum „Achberger Kreis“ und im 3. Kapitel werden die „national gesinnten“ Mitgründer der Grünen zutreffend beschrieben – ohne jede bösartige Absicht einer „Hexenverfolgung“. Dieser seriös geschriebene Text ermöglicht einen anderen Blick auf die von Riegel mit diskreditierender Absicht beschriebenen Ereignisse und Verbindungen.
** Zu dem Verhältnis von Beuys zu Beschreibungen einer funktionalen Gliederung des Gesellschaftssystem (siehe z.B. Talcott Parsons, Niklas Luhmann und Jürgen Habermas), die von Rudolf Steiner bereits nach dem Ende des 1. Weltkrieges als Idee von der „Dreigliederung des sozialen Organismus“ ausgearbeitet und beschrieben wurde, und der von Achberg aus initiierten Aktion Volksentscheid siehe den kleinen Text:
„Joseph Beuys, soziale Dreigliederung und die Aktion Volksentscheid“ (siehe:
http://www.chmoellmann.de/der_Verlag/Der_Verleger_Christoph_Mollman/Artikel_von_Christoph_Mollmann/Joseph_Beuys__soziale_Dreiglie/joseph_beuys__soziale_dreiglie.html).
Mit einigen seiner Mitstreiter versuchte R. Steiner ab 1919 eine soziale Bewegung aufzubauen, damit diese Idee der Dreigliederung des Gesellschaftsganzen, d.h. der Selbstverwaltung der gesellschaftlichen Funktionssysteme [also: 1. Kultur (einschließlich des Bildungs- und Wissenschaftssystem, sowie aller anderen kulturellen Subsysteme), 2. Politik, 3. Wirtschaft) in den revolutionären Jahren nach dem Ende des Kaiserreiches als ein Leitstern für einen „3. Weg“ wirksam werden konnte. Er sollte eine zeitgemäße, an der Würde des Menschen orientierte Alternative zu den sich gegenseitig bekämpfenden Kräften ermöglichen, die bestrebt waren, der Gesellschaft, die auf dem Weg zur „Weimarer Republik“ war, einerseits die Form einer parlamentarisch legitimierten, privatkapitalistischen Geldherrschaft oder andererseits die Form eines staatlich zentralverwalteten Kommunismus zu geben. Neben diesen widerstreitenden Bestrebungen starker gesellschaftlicher Kräfte versucht dieser alternative 3. Weg Anklang zu finden. Er orientierte sich einerseits an den sich zunehmend emanzipierenden Menschen, andererseits an der Globalisierung des Wirtschaftssystems. Deshalb sollte er die drei Ideale der Französischen Revolution als handlungsorientierende Prinzipien zur Wirksamkeit bringen: Freiheit sollte sich im gesellschaftlichen Funktionssystem „Geistes- und Kulturleben“ wirksam realisieren können, die Gleichheit der wahl- und stimmberechtigten Staatsbürger-/innen bei der Gesetzgebung in einer echt komplementären Demokratie, die parlamentarische und außerparlamentarische Gesetzgebung sinnvoll verbindet, ermöglicht und gelebte Brüderlichkeit als globale Solidarität im Weltwirtschaftssystem verwirklicht werden.
Nur aus diesem Gedankenzusammenhang heraus gedacht, wird auch die letzte Rede von Otto Schily als grüner Bundestagsabgeordneter verständlich (siehe: Bundestag, 10. Wahlperiode – 204. Sitzung, 13. März 1986, Plenarprotokoll 10/204, Seite 15648: »Neutralisierung der Kapitalmacht von Großunternehmen wird auf die Dauer jedoch nur gelingen, wenn wir uns auf eine grundsätzliche Neubestimmung des Eigentumsrechts im Sinne einer funktionellen Ausdifferenzierung verständigen. Wir sollten uns schließlich auch nicht scheuen, über grundle¬gende Veränderungen in unserer Gesellschaftsstruktur nachzudenken.... Die vor rund 70 Jahren von Rudolf Steiner vorgestellte Idee einer funktionalen Gliederung der Gesellschaft in die drei Bereiche Kultur, des Staates und der Wirtschaft könnte ein Entwurf für die Gesellschaft der Zukunft sein, für die Menschen, die sich nicht auf ihren Denkbequemlichkeiten ausruhen wollen und sich der existentiellen Gefahren für die Menschheit bewußt sind.«).
Wäre dieser 3. Weg als Alternative zu Privatkapitalismus und kommunistischer Staatsdiktatur in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg verwirklicht worden, wäre der Welt die Raserei eines nationalsozialistisch beherrschten Deutschlands erspart geblieben. Ebenso die darauf folgende globale Ost-West-Blockkonfrontation der Gesellschafts-Systeme von 1945 bis 1989, die durch diese beiden Ideologien bewirkt wurden.
Doch anstelle das „Deutschland erwachte“*3, indem die Deutschen diese an der Würde des Menschen orientierte Zukunfts-Alternative realisierten, wurden sie durch die gleichlautende Parole der Nazis und deren massenpsychologisch wirksamen Techniken in einen hypnoseartigen Tiefschlaf versetzt, in dem sie – wie bei der Hypnose – durch den Willen eines fremden Ich beherrscht werden konnten, weil es sich als der „Führer“ des Volkes, das dadurch die erst kurz zuvor errungene demokratische Souveränität verlor, etablieren konnte. Die gerade erst einige Jahre eingeübte Demokratie (also die gesetzgeberische Volksherrschaft) wurde durch die im Parlament gewaltsam erzwungene Legitimation der Diktatur Hitlers beendet – das Volk war vollständig entmachtet.
(*3 Siehe zu diesem Weckruf z.B. das Gedicht von Kurt Tucholsky.
Er schrieb es in Bezug auf die Nazis 1930: http://web.archive.org/web/20160812063234/http://www.textlog.de:80/tucholsky-deutschland-1930.html
Oder das gegen die Nazis gerichtete Buch von Ernst Ottwalt: „Deutschland erwache“, das 1932 erschien. Es „gilt als eine der frühesten Analysen des nationalsozialistischen Aufstiegs“. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Ottwalt
*4 Aus einem Vortrag der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA) 117: „Über das rechte Verhältnis zur Anthroposophie“, Stuttgart, 13. November 1909. Wie an vielen andern Stellen seines Werkes betont Steiner hier sehr klar, dass diejenigen, die sich mit Anthroposophie befassen wollen, ihm nicht einfach glauben sollen, sondern dass viele der von ihm mitgeteilten Ergebnisse mit dem gewöhnlichen, an der Sinneswahrnehmung geschulten Verstandesdenken geprüft werden können.
*4 Vgl.:
*5 Aus einem Vortrag Rudolf Steiners, gehalten in Dornach, am 23.10.1919, GA 191, 10. VORTRAG, S.190 f. (1972)
*6 Siehe zur Bezeichnung „Volksgeist“ und „Volksseele“
bei Wikipedia: Der Begriff Volksgeist schreibt der Gemeinschaft eines Volks eine gemeinsame Seele zu. Er ist ein ähnlicher Allgemeinbegriff wie Zeitgeist oder Weltgeist und gehört damit in die Geisteswelt des 19. Jahrhunderts.
...
Durch Hegels Vorstellung eines überpersönlichen „objektiven Geistes“ bekam der Volksgeist ein philosophisches Fundament. Wilhelm Wundt, Moritz Lazarus und Heymann Steinthal begründeten um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Wissenschaft der Völkerpsychologie, die einem je verschiedenen Volksgeist als Charakteristikum der „Völker“ nachging. Der Ansatz war bald veraltet, aber hatte einigen Einfluss auf Psychologie und Ethnologie.
Die idealistischen Begriffe vom Volksgeist wurden in der Folge zum Spiritualismus überhöht. Eine positive Bedeutung haben die Begriffe Volksgeist oder Volksseele in der Esoterik, etwa bei Rudolf Steiner, der 1910 in Oslo in elf Vorträgen »Die Mission einzelner Volksseelen« zur Darstellung gebracht hat. Er meint, daß jedem Volk ein Erzengel zugewiesen ist, dessen moralische Dignität sich in der Verfassung des Volkes offenbare.
Der Begriff Volksgeist kam andererseits den nationalistischen Strömungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts gelegen. Die rassistischen Vereinfachungen im Nationalsozialismus versuchten den „Volksgeist“ auch als biologische Eigenschaft zu fassen. (http://de.wikipedia.org/wiki/Volksgeist)
Oder im: Wörterbuch der philosophischen Begriffe von Rudolf Eisler zu „Volksgeist“:
Volksgeist (Volksseele) ist der in einer Volksgemeinschaft lebendige, in der Erzeugung sozial- geistiger Gebilde wirksame Gesamtgeist (s. d.).
Vom Volksgeist, »l’esprit général d’une nation«, spricht schon MONTESQUIEU (L’espr. des lois XIX, 4). «
http://web.archive.org/web/20160731194506/http://www.textlog.de/5373.html
Oder zu „Volksseele“: Historisches Schlagwörterbuch von Otto Ladendorf (1906):
Volksseele ist ein von Herder geschaffenes Schlagwort für die geheime Schaffenskraft des Volkes und die Empfindung der Gesamtheit. Vgl. Herder 3, 27 (1769): »In jedem Bardenlied zeigt sich ein Volk, dessen Seele ganz der Tapferkeit und einer feierlichen Liebe flammte«. Erneut erwähnt er 5, 185 (1773) die ›Seele des Volks, die doch nur fast sinnlicher Verstand und Einbildung ist.‹ Ebenda spricht er S. 201 von der ›Seele der alten, wilden Völker‹
http://web.archive.org/web/20160914032249/http://www.textlog.de/schlagworte-volksseele-herder.html
Weil er mehr als zwei Links enthält, landete dieser Kommentar in der sogenannten Moderationsschleife. Ich habe das so eingestellt, um evtl. Spam-Kommentare das Wasser abzugraben. Die Lektüre dieses Kommentars nahm eine gewisse Zeit in Anspruch und ich habe lange überlegt, ob ich ihn freischalten soll. Ich habe dies getan um auch diese Meinung zu Wort kommen zu lassen. Ich habe allerdings den Link entfernt, der auf einen »Protestbrief« an HP Riegel verweist und Unterschriften sammelt. Solche Affekt-Aktionen werden in diesem Blog grundsätzlich nicht gewünscht.
Ich kann und will auf die einzelnen Punkte gar nicht eingehen. Tatsache ist, dass der Kommentator eine Art »Aktivist« der Steiner-Philosophie oder eines bestimmten Zweiges davon ist. Es geht ihm weniger um die ästhetische Dimension des Beuys-Schaffens, sondern er betreibt im Prinzip die gleiche Sache wie Riegel – nur von der anderen Seite. Beide usurpieren Beuys’ Weltanschauung für ihre jeweiligen Thesen und interpretieren sein Werk aus dieser Weltanschauung heraus.
Ich gestehe, dass ich nach der Lektüre etwas mehr Verständnis für Riegel und seine Abneigung gegenüber dem anthroposophischen Sektierertum bekommen habe. Aber darum geht es nicht. Nur ein, zwei Punkte von meiner Seite:
August Haußleiter, der AUD-Gründer, war nach allem was heute bekannt ist mindestens ein Sympathisant der nationalsozialistischen Ideologie und kann auch für die Zeit nach dem Krieg als »nationalistisch« gesinnt eingestuft werden. Im übrigen ist die Tatsache, dass sich bei den Grünen gerade zu Zeiten ihrer Gründung fast das gesamte ideologische Spektrum – von ganz rechts bis ultra links – versammelt hatte, längst eine Binsenweisheit.
Ob Otto Schily ein Anthroposoph ist, weiß ich nicht. Er war meines Wissens nie Mitglied in anthroposophischen Gremien.
Die Verweise auf Hegel, Herder und den deutschen Idealismus sind zwar philologisch interessant, zeigen aber rein gar nichts. Es gibt nicht wenige, die ein Kontinuum vom deutschen Idealismus zum späteren Faschismus aufzeigen.
Ich glaube, damit sind Thesen und Gegenthesen ausgetauscht. Bitte keine Diskussion über Anthroposophie.
Bedauerlich, daß Herr Keuschnig den link zur Achberger Protestnote mit dem Kommentar »solche Affekt-Aktionen werden in diesem Blog grundsätzlich nicht gewünscht«, entfernt hat; denn eine Affekthandlung ist diese sorgfältige erstellte Zurückweisung sicher nicht, wovon ich mich überzeugt habe. Vielleicht kann er doch die INTERVENTION gegen die sog. Beuys-Biographie im Blog bestehen lassen, die schon über 250 Zustimmungen enthält und sicher nicht anthroposophisch lanciert ist [Link s. u. – G. K.]
Herr Durent, was Sie bedauerlich finden, ist mir gleichgültig. Ich habe den Link in Ihrem Namen stehenlassen, das reicht. Dies ist keine Agitationsplattform hier.
Ich schließe hier erst einmal die Kommentare, bis sich die Aufgeregtheiten gelegt haben. Ansonsten kann man mir eine Mail schicken.
PS 17.50 Uhr: Ich habe den Link entfernt, da der Text der »Intervention« eine strafbewehrte Behauptung enthält. Dies hat keinen Raum hier. Außerdem ist es lächerlich, eine Unterschriftenaktion gegen ein bestehendes Buch zu führen.