»Die übergreifende Verbindungslinie von 1871 und 1990, also von nationaler Vereinigung und Wiedervereinigung, fand schließlich in Hamburg ihren sinnfälligen Ausdruck in Form eines ephemeren Denkmals besonderer Art: Ein ‘Kommando Heiner Geißler’ aus der autonom-alternativen Szene hatte des Nachts dem Bismarck-Denkmal von Lederer einen Helmut Kohl-Kopf übergestülpt und so die deutschen Einigungskanzler zur historischer Einheit verschmolzen.« Dieses Zitat stammt aus dem Aufsatz »Truppentriumph und Kaiserkult – Ephemere Inszenierungen in Hamburg« von Roland Jaeger aus dem Buch »Mo(nu)mente« (herausgegeben von Michael Diers). Jaeger nimmt Bezug auf ein wahres Ereignis: tatsächlich wurde anlässlich der Vereinigungsfeiern am 3. Oktober 1990 dem Kopf Bismarcks eine Helmut Kohl-Maske übergestülpt.
Zweifellos ein Husarenstück (das Denkmal ist über 30 Meter hoch!), hier verstanden als kurzlebiges Kunstobjekt mit politischer Intention. Es ist die Grundlage für Stephanie Barts Roman »Goodbye Bismarck« (nun ja, der Nachklang zu »Goodbye Lenin« ist wohl durchaus gewollt). Klugerweise weist die Autorin (die S. U. Bart genannt werden möchte) am Anfang darauf hin, dass es sich zwar um »nackte, sauber recherchierte Tatsachen« handele von denen sie jedoch »manche mit Macht und Bedacht verdreht habe«. Und glücklicherweise sind wohl einige »Erfindungen« darunter, »die weder mit den Wahrheiten noch mit den Wirklichkeiten von damals irgendetwas zu tun haben«.Ulrich Held, Jahrgang 1954, Einzelkind aus wohlhabender Familie (der Vater ist Universitätsprofessor), verschwand nach dem Abitur erst einmal mit einem Zirkus und führt nach einigen Wirren mehr oder weniger enthusiastisch ein Fahrradgeschäft in Hamburg. Helds Schulfreund Jens Dikupp ist inzwischen nach einigem »Suchen« ein bisschen etabliert als »alternativer« Tischler (sogar mit Frau und vierjährigem Sohn). Beide werden trotz ihres einigermaßen fortgeschrittenen Alters immer noch in die (siehe oben) »autonom-alternative Szene« eingeordnet – mindestens wähnt man sie noch als Sympathisanten und im weiteren Umfeld dieser Szene, deren Helden sie nie waren und dessen heutiges Leben ihnen genau so fremd ist wie das derer, denen sie einst entfliehen wollten. So muss Jens seinem weiblichen Lehrling erklären, warum die Werkstatt auch von ihr gefegt werden muss, obwohl man daraus nicht direkt etwas lernt. Und Ulrichs Fahrradladen kann wohl nur mit versteckter Unterstützung des Elternhauses überleben, denn die nicht unbedingt kundenfreundlichen Öffnungszeiten und Ulrichs Weigerung beispielsweise batteriebetriebene Beleuchtungssysteme von Fahrrädern zu verkaufen (ökologische Gründe!) sind – um es freundlich zu formulieren – ungewöhnlich.
So ganz sind sie also noch nicht in der bürgerlichen Gesellschaft angekommen, obwohl sie längst keine Bürgerschrecks mehr sind (und es auch nie waren). Angeregt durch Jens’ Schwägerin Kathrin, Studentin der Kunstgeschichte, die eine Hausarbeit über das Bismarck-Denkmal verfasst hat und in einer endlosen Suada ihre Erkenntnisse nebst einer Portion Klassenkampf zum besten gibt, kommen Ulrich und Jens an einem Frühsommertag im Mai 1990 auf eine tolle Idee: Zum sich abzeichnenden Ereignis der Wiedervereinigung kramen sie noch einmal ihren subversiven politischen Elan heraus und beschließen das Gesicht des Reichskanzlers mit einer Maske von Helmut Kohl zu verhüllen. Auf das alle die Parallelen (und Unterschiede) erkennen mögen.
»Kommando Heiner Geißler«
Der oberste Denkmalschützer Hamburgs, Erich Huld, ist, nachdem er davon in Kenntnis gesetzt wurde, durchaus ein Sympathisant der Aktion, betreibt er doch zusammen mit seiner amerikanischen Frau Helen eine (private) Dokumentation über ephemere Kunst (Archive of Ephemeral Art bzw. Archiv kurzlebiger Kunst – Kurzform: AEA/AkK), in der natürlich dieses Ereignis prächtig zu integrieren ist. Wunderbar, wie diese Figur an seinem Schreibtisch leicht dösend im Chefsessel vorgestellt wird und in einem Tagtraum noch einmal eine Kunstperformance vom 22.11.1966 von Ian Urrit rekapituliert. Alleine diese Schilderung einer sich selbst genügsamen Pseudo-Avantgarde ist herrlich.Und nun, 24 Jahre später, im Hamburger Amt für Denkmalschutz, auf dem Schreibtisch von Erich Huld, klingelt das Telefon und Huld wird ob des Vorfalls informiert und auf dem Weg zum Denkmal geht ihm so einiges durch den Kopf: Bismarcks Macht-geht-vor-Recht-Attitüde, sein immerwährendes Liebäugeln mit dem Staatstreich. Seine sprachliche Brillanz, Schriftsteller hätte er werden sollen statt Kanzler. Kohl und die deutsche Sprache, nun ja. Wie groß und dick und machtversessen diese beiden. Bismarck, der aktionistische Macher, Kohl der Aussitzer. Die Reichsgründung: drei ohne Not geführte Kriege und die kassierte Nationalbewegung. Die Kaiserkrönung in Versailles: ein tristes Zeremoniell mit rot gefrorenen Nasen und großer Betretenheit. Die Einheit: der abgeleitete Aufstand in der DDR. Der Beitritt: eine Kindergeburtstags-Veranstaltung mit ganz viel Konfetti. Der Leser seufzt leise: Hätten doch weiland Günter Grass’ Figuren aus »Ein weites Feld« wenigstens gelegentlich einen solchen Horizont besessen (aber – andererseits: wie sollten sie auch?).
Huld versucht mit allen legalen (beamtentechnischen) Mitteln die Beseitigung der Kohl-Maske zu verzögern (es sind dann letztlich zehn Tage), währenddessen seine Frau unendlich viele Filme des »verkohlten« Bismarck verknipst, sich als Amerikanerin tarnt und dabei Hamburger nach dem komischen Denkmal befragt und Zeitungs- und Videomitschnitte sammelt, ja sogar fiktive Antworten des Bürgermeisters auf Erich Hulds Bericht zur zügigen Beseitigung des Ärgernisses verfasst (diese jedoch – zum Bedauern des Ehemannes – nicht archiviert). Erich Huld rezensiert nahezu das »Bekennerschreiben« des Kommandos Heiner Geißler und hätte es eigentlich gerne selber – und natürlich besser – geschrieben.
In den Rückblenden: Ulrich und Jens’ Vorbereitungen; alles ganz konspirativ. Niemand erfährt etwas, nicht einmal Jens’ Frau oder gar Kathrin (die zwischenzeitlich einen Studentenjob bei Erich und Helen Huld angenommen hatte und ihnen bei der Archivierung und Digitalisierung des AEA/AkK hilft; mit einem tragikomischen Ende). Sie scheuen dabei vor kleineren Delikten nicht zurück. Ulrich dringt mit einem Zweitschlüssel in sein Elternhaus ein und entwendet einen Baumwollstoff (eine Erbschaft; eher Mitgift); Jens und Ulrich gießen nicht nur Blumen in Kathrins Wohnung während ihres Urlaubs sondern versorgen sich auch mit Materialien zum Bismarck-Denkmal. Es ist schon erstaunlich, wie ihnen alle möglichen Leute zugearbeitet haben, ohne es zu wissen: Der Barkeeper Magister diente ihnen als Stichwortgeber und die verreisten Reiner und Geert [»halfen«] mit ihrer Kletterausrüstung. Alles fliegt ihnen zu, sie müssen nur noch die Hände aufhalten, die Dinge zusammenbringen und ihnen dann ihre eigene Wendung geben.
Da man damals nicht ganz genau wissen konnte, wann die Vereinigung kommt (sicher war nur, dass sie irgendwann kommt), mussten die Vorbereitungen zügig erfolgen. Jens übt das Zeichnen der »Kohl-Birne«, Ulrich näht den »Sack« (…dein Sack ist echte deutsche Wertarbeit.) Und in der Nacht vom Samstag auf den Sonntag (25./26. August) verlässt Ulrich Held um 3.56 Uhr seine Wohnung. Er fährt zur Generalprobe und trifft Jens am Denkmal. Konzentriert und detailliert besteigen sie das Denkmal; alle Handgriffe sitzen. Bismarcks Blick ist hohl und leer; hinter seinen Ohren wächst Moos. Und es gefällt Ulrich ausnehmend gut, mit Jens zusammen den Bismarck bewältigt zu haben. […] Jens? – Ja? – Ich brauch noch ’n Augenblick. – Hast ’n Problem? – Nö, is schön hier.
Basteln mit Filz im Onkel Otto
Ulrich Held als Träumer – in der Ruhe liegt die Kraft. Und manchmal macht er sich einfach einen Jux, so zum Beispiel, als er sich in der Verlängerung des WM-Achtelfinalspiels Kamerun gegen Kolumbien (Jeder, der noch einen Funken Anstand im Leib hat, ist in dieser WM für Kamerun) das Fahrrad nimmt, frische Luft schnappen geht und vor dem »Onkel Otto« einbiegt. Die Bewohner der Hafenstraße und ihre Freunde sind sehr für Kamerun, obwohl auch Kamerun eine Nation ist und sie ansonsten sehr vehement gegen jede Form von Nationalismus sind. Auf ihren Hausfassaden bekennen sie sich gar zu der Parole, dass die Grenzen nicht zwischen Nationen und Völkern verliefen, sondern zwischen oben und unten. Beim Fußball ist das natürlich etwas ganz anderes, und wer das nicht versteht, dem kann man das auch nicht erklären. In der 105. Spielminute kommt Ulrich Held auf dem Treppenabsatz vor der Kneipe an. Drinnen, die Fenster sind abgedunkelt, leuchtet das Spielfeldgrün. Onkel Otto ist rappelvoll und wird gerade eben totenstill. Roger Milla ist am ball. Die Leute halten die Luft an. Das wird was. Man spürt es. Ulrich Held vor der Tür spürt es auch und nimmt seine Fernbedienung aus der Jackentasche. Man kann gerade noch Roger Milla zum eins zu null gegen Kolumbien ansetzen sehen, aber das eins zu null selbst sieht man nicht mehr, sondern ältere Damen und Kinder beim Basteln mit Filz. Es ist der Regionalsender N3 mit einer liebevoll gemachten Reportage über die »Aktion Seniorinnen« aus Oersdorf bei Kaltenkrichen, die das Schöne mit dem Nützlichen verbinden, indem sie Kinder von berufstätigen Eltern hüten, damit sich die Kinder nicht auf der Straße herumtreiben, solange die Eltern arbeiten müssen. Was in der Folge im Onkel Otto passiert, hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem, was damals auf dem Politischen Aschermittwoch in Passau geschah. (Auch eine dieser Eulenspiegeleien, die eingangs erzählt wird: Beim Politischen Aschermittwoch der CSU in Passau lösen Jens und Ulrich mit Schildern mit der lapidaren Aufschrift »So ist es« eine beträchtliche, in ihren Folgen nicht erwartbare Provokation aus.) Der wichtigste Unterschied jedoch besteht in dem gravierenden Vorteil für Ulrich Held, dass er es von außen steuern kann und dabei von niemandem bemerkt wird. Er kann gemütlich zu seinem Fahrrad oben an der Treppe zurückgehen, kann währenddessen noch einmal frische Luft schnappen und fährt dann wieder nach Hause. Seinem Kumpel Jens erzählt er von der gewalttätigen Auseinandersetzung im Onkel Otto. Warum man sich dort schlage, wisse er nicht so genau, so Ulrich scheinheilig, es soll da irgendwie ein technisches Problem gegeben haben, sagt Ulrich Held, nimmt die Fernbedienung aus der Jackentasche, schaltet den Fernseher ab und legt sie obenauf, also da war plötzlich das Spiel weg, und […] ich hab noch jemand schreien gehört, dass das eine Aktion vom Verfassungsschutz sei.
Volksfest, Polizeieinsatz und Vollstreckung
Der Leser bekommt hier einen Vorgeschmack auf das Ereignis, welches anlässlich der Beseitigung der Kohlmaske bevorsteht. Nachdem Versuche aus der Luft oder mit (zu kurzen) Feuerwehrleitern gescheitert waren, benötigt man eine Personen-Arbeits-Bühne, kurz Pab genannt, deren Beschaffung Huld geschickt zu verzögern versteht. Dann jedoch, als der Tag kommt, entsteht so etwas wie eine Mischung zwischen Volksfest, Polizeieinsatz (wir lernen Polizeimeister Höllenschmidt und seine Dienstauffassung kennen) und behördlicher Vollstreckung (Erich Huld hätte am liebsten eine Rede gehalten).
Es gibt südamerikanische Revolutionsfolklore, türkische Tanzmusik, ein Klezmerstück. Vorher muss noch eine Eiche gefällt werden, damit das überbreite Fahrzeug zum Denkmal fahren kann – man wartet auf die Leute vom Gartenamt; es ist Freitag nach 17 Uhr. Man wettet, ob die Stadt den Kohl heute noch wegkriegt und die als Wetteinsätze kursieren: ein Kasten Bier (fünfmal); Labskaus für euch alle (»euch alle« ist eine Gruppe von fünf oder sechs Personen, die den Einsatz geschlossen ablehnen); eine zusätzliche Woche Abwasch machen (zweimal); eine Flasche Korn (dreimal), aufhören zu rauchen 8einmal); drei Tage mit rotlackierten Fingernägeln fahren (ein Fahrradkurier); zwanzig Mark (zweimal); nackt übern Jungfernsteg gehen (einmal); den Unterschied zwischen Bayrisch und schwäbisch lernen (einmal).
Am Ende hat das Ereignis fast religiöse Züge. Das Fällen der Eiche. Das langsame Hinfahren des Fahrzeugs mit der »Pab«; fast wie eine Prozession. Unter »Mandeley«, dem Lied von Kurt Weill, fährt der Teleskoparm immer höher hinauf. Es gibt eine Art Lichtshow, die das ganze besonders inszeniert und unter »Goodbye Johnny«, grösserem Applaus, der genuine[n] Tätigkeit des Publikums und dem Gegröle einiger Umstehender (Goodbye Birne) steuert die Veranstaltung dem Höhepunkt entgegen, der geschickt noch ein bisschen verzögert wird.
Mit einer geschickten Rückblendetechnik, die auf den geheimnisvollen Akt der Verhüllung und schließlich den öffentlichen Akt der Enthüllung (durchaus im doppelten Wortsinn) zusteuert, erreicht Barts Roman ein hohes Tempo. Zumal es tatsächlich am Ende dann noch zwei dicke Überraschungen gibt (die jedoch hier nicht verraten werden sollen).
»Goodbye Bismarck« ist ein humoristisch-komödiantischer Roman mit einem guten Schuss Ironie (aber niemals in billigem Zynismus verfallend) und kommt mit unangestrengter, oft lächelnder Leichtigkeit daher. Das Buch ist dabei aber nie seicht oder auch nur oberflächlich. Man wird wegen der Ähnlichkeit des Motivs fast zwangsläufig an Heinrich Spoerls »Maulkorb« erinnert oder, in den besten Momenten, d. h. wenn Bart es gelingt die lokal-gesellschaftlichen Strukturen zu persiflieren, an Carl Zuckmayer. Hinter der harmlosen Fassade verbergen sich dann oft noch ein paar Widerhaken, die sich beim genauen Lesen durchaus erschließen (ein wenig stören die arg überdeutlich sprechenden Nachnamen der Protagonisten). Wie in allen guten Schelmenromanen ist das Schelmische hier nie alleiniger Zweck, sondern auch immer ein bisschen aufklärerisch. Wohltuend ist dabei, dass dem Leser fertige Urteile oder Deutungen erspart bleiben – der Roman ist locker und luftig (und wirkt, obwohl er im Jahr 1990 spielt, aus einer seltsam weit entfernten Zeit, die noch einmal wiederhergestellt wird und auch phasenweise eine kleine Melancholie erzeugt).
Die kursiv gedruckten Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
Ich war sozusagen dabei
... wenn auch nicht »mitten drin«, als der Bismark »verkohlt« wurde. Die zitierte tolle »Enthüllungsparty« ist übrigens größtenteils Fiktion, wenn auch gut erfunden. (Ich weiß nicht mal, ob überhaupt ein Baum gefällt werden musste, damit die Hebebühne anrücken konnte. Ich denke: eher nein.)
Von St. Pauli aus sieht man den »Bismark« übrigens von hinten. (Es gab sogar mal einen Film dieses Titels), was m. E. auch auf die von Bart erwähnten »Bewohner der Hafenstraße und ihre Freunde« zutrifft.
Ich will damit sagen: die Diskussion über Nationalstaat und Nationalstaalichkeit, deutsche Einheit »Ja oder Nein«, darüber, was Bismark eventuell (oder auch nicht) für ein übler Bursche war, die ging an der, nennen wir sie mal »alternativen«, Szene Hamburgs, soweit ich es, der mich ja nur am Rande dieser Szene bewegte, beurteilen kann, völlig vorbei. (Schrecklicher Bandwurm.) Im allgemeinen sah man so was in einer Weise »locker«, die orthodoxe Linke oder auch nur »klassische« SPD-ler mit Gewerkschaftlerkarriere einfach nicht kapieren konnten. Es ist kein Zufall, dass einige Jahre später im Hamburger Bezirk Bergedorf die SPD gegen die Unterstützung eines alternativen Kulturzentrums war (es ging um einen Renovierungskostenzuschuss) – und die örtliche CDU dafür. Was einfach daran lag, dass die Orts-SPD hochgeradig »verspießert« und »durchverbeamtet« war: (»Eigeninitiative? Selbstbestimmung? Da könnte ja jeder kommen!«)
Bei der »klassischen Linken« bis zur SPD kapierte man nicht, dass einige »klassische linke Themen« für die linksautonome Szene schlicht irrelevant waren – und andere »klassische linke« Themen eben anders gesehen wurden.
Dass Teile des Hamburger »Establishments« bis in die Regierung die Bismark-Verkohlung durch das »Kommando Heiner Geißler« mit Sympatie sahen, ist für mich völlig plausibel.
Schon aus historischen Gründen: das Denkmal ist das Granit gewordene Symbol eines gestörten Verhältnisses zwischen Otto Fürst von Bismarck und der Freien und Hansestadt Hamburg. Der Reichskanzler mochte Hamburg nie, er vermutete hier das Zentrum der »Sozialistischen Verschwörung«. Die Hamburger standen dem Deutschen Reich immer skeptisch gegenüber, pochten auf ihre Unabhängigkeit. Doch dann merkte zumindest das in Hamburg damals wie heute tonangebende handeltreibende Großbürgertum, dass durch die Zugehörigkeit zu Bismarcks Reich viel mehr Geld mit Handel zu verdienen war. Also: wenn schon Bismark-Denkmal, dann klotzen, nicht kleckern. PR in Stein.
Was sicherlich dazu betrug, dass den Hamburger Arbeitern das Denkmal herzlich schnuppe war.
Insgesamt schließe ich aus der Rezension, dass Stephanie Barts Roman das Zeit- und Ortskolorit gut trifft, ohne einen (pseudo-)realistischen Tatsachenroman« zu schreiben oder sich in hämischen Sarkasmus zu üben.
Klar: das Buch »muss« ich lesen!
Ich hab das Buch mal auf meinen unendlichen Wunschzettel gesetzt. Es scheint, es taugt gut zu einer Lektüre im Umkreis von Loests »Löwenstadt«.
Ganz wunderbar – das klingt so vielversprechend, dass ich schon weiß, wem ich das Buch demnächst schenken werde (und vorher lese ich es selbst).
Ja, das Buch bestell ich mir auch
Hamburg kenn ich ein wenig, die Grossmutter vaeterlichseits
wohnte auf dem Kiekeberg in Blankenese... bei den verschiedenen Rueckkehrten nach Deutschland habe ich sie so lange sie lebte immer besucht, auch eine Schwester meiner Mutter die nach Hamburg gezogen war, und viele andere Verwandte und Bekannten... aber nie lang genug um zur ausser-parliamentarischen Scene zu stossen... Die Pallette schon... und St. Pauli... war aber eben nie laenger als eine Woche dort... Kannte auch Hamburger Schriftsteller und Verleger... das Geschaeft... aber hab mich immer in Staedten mit Hafen wohl gefuehlt.
m.r
Na, drei bis vier potentielle Käufer und ein Zeitzeuge, der ein bisschen Ergänzendes und Erhellendes einstreuen konnte – was kann man mehr verlangen?
Billig gefunden. Gekauft. :)
Sommerleseliste wird immer länger
Das ist es, was mir an Ihrem Blog sehr gefällt: Die Vermischung von politischen, geschichtlichen und unhaltsamen Buchvorstellungen. »Good-bye Bismarck« kommt auch auf meine Sommerleseliste und da freue ich mich besonders auf das Hinterher: Mir leserisch das »preußisch dominierte Deutsche Kaiserreich« wieder in Erinnerung rufen.
Mit der Kohl-Ära habe ich da so meine Probleme, könnten Sie mir eine Leseempfehlung geben?
In der letzten Woche war ich auf einem Chopin-Klavierkonzert. Der Pianist spielte die 24 Préludes von Chopin. Im nachhinein wurde mir die Zeit so richtig bewusst, in der Chopin lebte und komponierte. So nah an der Völkerschlacht und Napoleon und die Verbindung zu Loest war für mich nicht mehr weit.
Sogar im Newsletter vom Perlentaucher wurde die Besprechung erwähnt. Und Du denkst an Aufhören ? LG tinius
Ist eben alles auf Ferien, ausser mir im allzuheissen Seattle,
was fuer eine Seltenheit, so alle 15 Jahre gibts hier einen
Sommer wie in New York oder Chicago.
hab ich mit interesse gelesen
der hartensteynreport führt keuschnig immer noch in der blogroll. Inzwischen hat das gesamte team des kult – weblogs hartensteynreport zum szeneblogger gewechselt. schaut mal rein!
Leider ist in nächster Zeit kein Besuch zu erwarten, sodass ich auf die Lieferung dieses Buches wohl noch ein paar Monate warten muss. Leider, weil Deine Buchkritik wieder einmal so richtige Leselust entfacht hat. Postversand ist einfach unverschämt teuer.
Ich hab das Buch auf Empfehlung einer Freundin gelesen und muss ganz ehrlich sagen ich war nicht so begeistert.... Streckenweise fand ich das Buch ganz gut aber es war mir etwas zu langatmig...
gruß kevin
Okay. Wo war es zu »langatmig«? Was heisst »ganz gut«?
Nachgeschoben
Ein passender Buchtitel, einige schöne Passagen, wie z.B. die Beschreibung der Performance von Seite 43 an ( hat mir richtig gut gefallen) oder die Probe-Besteigung des Denkmals, die Gefühle und das Leben von Held, Dikupp und den Hulds und dann natürlich der Schluß mit dem überraschendem Ende.
Eine Erzählung, die leise daherkommt. Manchmal wähnt sie etwas langatmig und ich habe mich dann gefragt, ob es zur Auflösung/Erklärung noch kommen wird, nach Kapitelende passt aber alles wieder zusammen, z.B. S. 120 und die Szene mit Frau Günüzgünüm ( dieser Name ist wunderbar ausgesucht), ihrem Söhnchen und der Höllenschmidt-Dienstmütze.
Die Alltagsausschnitte, Gesellschafts-Personenbeschreibungen, später noch der Pab-Einsatz, sind so akribisch beschrieben, dass ich vielleicht deshalb die Geschichte um das „verkohlte Bismarckdenkmal“ manchmal zu lang empfunden habe.
Insgesamt war es aber eine Lesefreude, auch wenn ich, durch Ihre vorangegangen Buchbesprechungen, auf sehr viel mehr geschichtlichen Inhalt konditioniert war und bin. So habe ich mir nach dieser Lektüre keine Sekundärliteratur zur Bismarckgeschichte geholt ( passte irgendwie nicht). Das werde ich zu einem späterem Zeitpunkt nachholen.
Leseeindrücke. Sowas geschieht leider sehr selten.
Die bloglosen Zeiten sind Vergangenheit
Habe mir im letzten Monat einen Blog auf twoday eingerichtet, da ich jedoch nicht versiert genug bin, bekomme ich obigen user-name nicht verändert. Klappt irgendwann auch mal – bis dahin versuchen Sie es mal mit der Eingabe lou salome ( ohne Bindestrich). b.a.w. und LG
Dank + Günüzgünüm
Auch ich danke herzlich für den Kommentar und möchte zur Wahl des Namens Günüzgünüm folgendes anmerken: Ich bin mit der türkischen Sprache nicht vertraut, aber das frei zugängliche Türkisch-Wörterbuch ) gibt diese Auskünfte:
günü –
Anneler günü-Muttertag
bayram günü-Feiertag
azis Nikolas günü-Nikolaustag
(und noch zahlreiche weitere Beispiele.)
üzgünüm-es tut mir leid
Mit freundlichen Grüßen, die Autorin
P.S.
Damit Sie sich kein falsches Bild machen: ich bin nicht so vorgegangen, dass ich zuerst nachgeschlagen hätte, was »es-tut-mir-leid-Tag« bedeutet, sondern ich habe übürlügt, dass ein türkischer Name aus vielen Üs und einigen Konsonanten bestehen müsse, dachte, dass Günüzgünüm gut klingt, und habe dann das Wörterbuch konsuliert.
P.P.S.
Übrigens habe ich türkische Freunde zu diesem Namen befragt, die unabhängig von einander aber übereinstimmend den Kopf schüttelten: Nö, Günüzgünüm bedeutet nix. Die Antwort wäre sicher anders ausgefallen, wenn der Name stattdessen Üzgünümgünü gelautet hätte (siehe oben).
Daraus folgt:
1) Sollten Sie aus Versehen einem türkischen Mitbürger oder einer türkischen Mitbürgerin auf den Fuß getreten sein, sagen Sie einfach »üzgünüm«, und schon ist die Sache aus der Welt.
2) Die Autorin hat eine Schwäche nicht nur für sprechende Namen, sondern auch für Verklausulierungen.
an s. u. bart
bitte und günüzgünüm herzlich zurück!
l‑s