Schrift­stel­ler und Werk

Ein Schrift­stel­ler schreibt zum gro­ßen Teil, da­mit man ihn liest (be­wun­dern wir je­ne, die das Ge­gen­teil be­haup­ten, aber glau­ben wir ih­nen nicht). Doch mehr und mehr schreibt er bei uns, um je­ne Wei­he zu er­rei­chen, die dar­in be­steht, nicht ge­le­sen zu wer­den. Von dem Au­gen­blick an näm­lich, wo er den Stoff für ei­nen pit­to­res­ken Ar­ti­kel in un­se­rer Pres­se mit gro­ßer Auf­la­ge lie­fern kann, hat er al­le Aus­sich­ten, von ei­ner gro­ßen An­zahl von Leu­ten ge­kannt zu wer­den, die ihn nie mehr le­sen, weil sie sich da­mit be­gnü­gen wer­den, sei­nen Na­men zu ken­nen und über ihn zu le­sen. Er wird in Zu­kunft be­kannt (und ver­ges­sen sein), nicht, wie er ist, son­dern nach dem Bild, das ein ei­li­ger Pres­se­jour­na­list von ihm ent­wor­fen hat.

[...]

Die Vor­stel­lung, dass je­der Schrift­stel­ler zwangs­läu­fig über sich sel­ber schrei­be und sich in sei­nen Bü­chern ab­bil­de, ist ei­ne der Kin­de­rei­en, die uns die Ro­man­tik ver­erbt hat. Und wenn es auch vor­kommt, dass er sich in Sze­ne setzt, dann nur ganz aus­nahms­wei­se so, wie er wirk­lich ist. Die Wer­ke ei­nes Men­schen spie­geln oft die Ge­schich­te sei­ner Sehn­süch­te oder sei­ner Ver­su­chun­gen wi­der, doch fast nie sei­ne ei­ge­ne Ge­schich­te, vor al­lem dann nicht, wenn sie au­to­bio­gra­fisch zu sein be­haup­ten. Kein Mensch hat es ge­wagt, sich so dar­zu­stel­len, wie er wirk­lich ist.

Aus: Al­bert Ca­mus, »Hoch­zeit des Lichts«; Es­say »Das Rät­sel« (»L’é­nig­me«), ent­stan­den 1950 – Ar­che Pa­ra­dies, 2010

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Da hat er recht – und es auch noch schön aus­ge­drückt
    Zu den größ­ten Är­ger­nis­sen bei mei­nen Schrei­be­rei­en ge­hör­ten Ama­teur­psy­cho­lo­gen, die mich bzw. mei­ne in­ne­ren Ge­dan­ken bzw. mein wah­res We­sen bzw. Ge­füh­le, die ich nur in ver­schlüs­sel­ten Form äu­ßern wür­de, an­hand mei­ner Tex­te er­kannt ha­ben woll­ten.
    Das ist ge­nau die­se »Kin­de­rei«, die Ca­mus be­schreibt.
    Da­mit mei­ne ich nicht die Nai­ven, die mich z. B. mit mei­nem Ich-Er­zäh­ler ver­wech­sel­ten, und mir dann schrie­ben: »Ich hät­te nie ge­dacht, dass Du so ein Ma­cho bist« – mein Ro­man­held ist der Ma­cho, ge­nau­er ge­sagt, er gibt sich so, ich bin es nicht (oder zu­min­dest nicht auf die­se Wei­se).
    Al­ler­dings ge­hen mir auch die Nai­ven, die mich mit mei­nen Fi­gu­ren ver­wech­seln, auf die Ner­ven.

  2. Für mich war et­was über­ra­schend...
    dass die­ses Phä­no­men of­fen­sicht­lich nicht al­lei­ne in un­se­rer Zeit an­ge­sie­delt ist. Lei­der ist die zeit­ge­nös­si­sche Li­te­ra­tur­kri­tik al­ler­dings weit­ge­hend auf die­se au­to­bio­gra­fi­schen In­ter­pre­ta­ti­ons­mög­lich­kei­ten ein­ge­schwenkt. Ich ver­mu­te, weil es ein­fa­cher ist, als der Kom­ple­xi­tät ei­ner Er­zäh­lung, ei­nes Ro­ma­nes, nach­zu­spü­ren.

  3. Wo­bei die bio­gra­phi­sche In­ter­pre­ta­ti­on auch bei we­nig kom­ple­xen Er­zäh­lun­gen und Ro­ma­nen über­aus gän­gig ist. (Ich den­ke da auch an mei­ne eher tri­va­len Tex­te – es ging bei mir u. A. um ei­nen Heft­ro­man. Wem so was zu »kom­plex« für ei­ne in­halt­li­che In­ter­pre­ta­ti­on ist, dem kann ich nicht hel­fen.)
    Ich ver­mu­te auch ei­nen Ein­fluss der Schu­le. Ich kann mich noch sehr gut an schreck­lich »py­scho­lo­gi­sie­ren­de« Deutsch­leh­rer er­in­nern.

  4. ja, und das setzt sich dann ver­mut­lich spä­ter in den Uni-»Diskursen« fort...

    Ich glau­be, es hat wirk­lich mit der Ver­drän­gung des »Tex­tes« zu tun. Man möch­te sich nicht in die­se Tie­fen be­ge­ben. Im­mer wie­der kommt mir bei ei­ner Bach­mann­preis­le­sung vor ei­ni­gen Jah­ren ei­ne Ju­ro­rin in den Sinn, die in der Öf­fent­lich­keit von ei­nem Teil­neh­mer, der den üb­li­chen Vor­stel­lungs­film ab­ge­lehnt hat­te, fast er­schreckt (sinn­ge­mäss) ihr Un­ver­ständ­nis dem Ge­le­se­nen ge­gen­über aus­rief: ‘Ich weiß ja gar nichts von Ih­nen’.

  5. Ach­ja, die­se ver­ma­le­dei­ten »Kin­de­rei­en, die uns die Ro­man­tik ver­erbt hat«, ge­gen die hab ich (im Mu­sik­be­reich) auch zu kämp­fen. Wie oft hab’ ich schon Brief- und Mail­schrei­bern er­nüch­ternd ent­wor­ten müs­sen: der Mu­si­ker lebt nicht von der Mu­sik son­dern von dem Geld, dass er da­für be­kommt.

  6. Das ist mir dann doch zu pro­sa­isch. Ca­mus’ Sei­ten­hieb auf die »Kin­de­rei­en« der Ro­man­tik ist mei­nes Er­ach­tens nicht »ge­gen« die Ro­man­tik per se ge­rich­tet, son­dern ge­gen ei­ne in­ten­tio­na­le, dem Ver­ste­hen hul­di­gen­de Ro­man­tik, die sich eben nicht dem je­wei­li­gen »Text« oder der Mu­sik hin­gibt, son­dern auch im­mer so­fort in­ter­pre­tie­ren, su­chen, er­ken­nen muss.