Zwei Artikel in der aktuellen ZEIT, die sich mit dem RAF-Terrorismus auseinandersetzen:Peter Schneiders sich aufklärerisch gebender Aufsatz »Rächer wollen sie sein« und Jan Philipp Reemtsmas brillante Analyse »Lust an Gewalt«.
Unterschiedlicher könnten die Texte fast nicht sein – obwohl beide zu einem ähnlichen Resultat kommen. Aber wie so oft ist der Weg mindestens ein Teil des Ziels.
Während man bei Schneider das Gefühl hat, da arbeite ein Alt-68er seinen Frust zum wiederholten Male ab und stelle einige abstruse Neuthesen auf, um sich wieder einmal in den Feuilletons ins Gespräch zu bringen (da wird dann Andreas Baader plötzlich zum Selbstmordattentäter und krude Parallelen zwischen der RAF und Al Qaida gesponnen), hat der Aufsatz von Reemtsma eine ganz andere Qualität.
Anhand von Dostojewskijs Roman »Die Dämonen« (und unter Berücksichtigung der historischen Grundlagen zu diesem Roman) arbeitet Reemtsma Parallelen zu den russischen »Sozialrevolutionären« um 1870 und der RAF um 1970 heraus. Diese Schnittmengen sind grösser, als man anfangs vielleicht glauben mag und die Art und Weise, wie Reemtsma hier vorgeht, ist schon sehr lesenswert. Das Ergebnis fällt für den sich politisch gebenden Terrorismus allerdings vernichtend aus:
Der Vorwurf der RAF, der der nämliche war, den die Terroristen in den »Dämonen« ihrem Umfeld machen – der der Feigheit nämlich –, weckte bei vielen das unbehagliche Gefühl: Die könnten recht haben. Deshalb, denke ich, fiel es vielen so schwer, die Wirklichkeit der RAF angemessen zu beschreiben: als eine Reihe sinnloser brutaler Gewalttaten.
Um diese Unfähigkeit nicht eingestehen zu müssen, halten viele bis heute daran fest, das vermeintlich Politische an diesen Gewalttaten hervorzuheben, und nicht zu sehen, wie sehr die Taten der RAF von Größenwahn, Machtgier und Lust an der Gewalttat geprägt waren. Man unterschätzt systematisch, welcher Bedeutungsgewinn eine Reihe bedeutungsloser Individuen dadurch erfuhr, dass sie den Arbeitgeberpräsidenten in einen Kofferraum sperrten und schließlich seine Ermordung mit den Worten »Herr Schmidt kann ihn (…) in einem grünen Audi 100 mit Bad Homburger Kennzeichen abholen« kommentierten.
[…]
Es ist die Geste der Selbstermächtigung zur Gewalttat – dadurch erreicht auch das Mitglied einer terroristischen Vereinigung eine Selbstüberhöhung, die in der Moderne sonst nicht zu haben ist. In modernen bürgerlichen Gesellschaften ist die Rolle des Heer- oder Bandenführers nicht mehr zu besetzen, nur als terroristischer Gewalttäter kann man sich ähnliche Sensationen verschaffen. Das, was in den Verlautbarungen der RAF immer eine so große Rolle spielte, nämlich aus sich selbst in der Aktion den »neuen Menschen« zu machen, ist auf solche Grandiositätserlebnisse zurückzuführen.
Und abschliessend zitiert Reemtsma dann den »Dämonen« die Stelle, in der Dostojewskij die Desillusionierung des Vaters des angeklagten »Revolutionärs« verbalisiert:
Meine Herrschaften, ich habe das Geheimnis entdeckt. Das ganze Geheimnis ihrer Wirkung – liegt in ihrer Dummheit(…) Wäre das Ganze auch nur eine Spur klüger ausgedrückt, dann könnte jeder auf den ersten Blick die ganze Armseligkeit dieser kurzsichtigen Dummheit erkennen. Aber jetzt bleiben alle staunend davor stehen: Keiner will glauben, daß es sich um eine derart elementare Dummheit handelt. ›Es ist ausgeschlossen, daß nichts dahintersteckt‹, sagt sich jeder und sucht nach etwas Verborgenem, ahnt ein Geheimnis, möchte zwischen den Zeilen lesen…
Ähnliches möchte man dann fast wörtlich zu der groben, sogenannten »Kapitalismuskritik« Christian Klars sagen. (Allerdings hierzu dann auch, wie ängstlich und unsouverän die politische Klasse damit umgegangen ist.)
Kapitalismuskritik...ich lach mich tot!
Danke zunächst für die Vorstellung der ZEIT-Artikel.
Reemtsma hat mit seinem Zitat die ‘dämonische Dummheit’ dieser Gruppe, erst recht aber die ihrer Epigonen treffend gekennzeichnet!
Wie lächerlich und zudem realitätsfern der revolutionäre Gestus eines Christian Klar im Grunde ist, wird ja greifbar in seinem Schreiben,
welches mir auch einmal eine POST wert war...
Daß solche außergewöhnlichen Taten, wie die der RAF, von Individuen begangen wurden, die psychische Besonderheiten aufwiesen, meinetwegen »Größenwahn, Machtgier und Lust an der Gewalttat« (obwohl ich vermute, daß die verschiedenen RAFler ganz unterschiedliche psychische Dispositionen hatten), überrascht nicht, erklärt aber auch nicht viel.
Vor allem erklärt es nicht, warum die wohl vielen, vielen tausend Leute mit Affinität zu »Größenwahn, Machtgier und Lust an der Gewalttat« (von den unendlich vielen Dummen ganz zu schweigen), nicht tausend RAFs installieren.
Den Blick auf das, was unter den bleiernen Decken gärte, sollte man sich weder für 1870 in Rußland noch die RAF-Zeit in Deutschland sparen.
Und nicht nur Historie; ich glaube gerade heute gibt es genug Terroristen und Terrorismus, die ohne ihr soziales/politisches Koordinatensystem in keinster Weise verstanden werden können.
@kranich05 / Ergänzende Bemerkungen
Ein bisschen in die gleiche Kerbe schlägt der als Widerrede zu Reemtsma verafsste Beitrag von Gerhart Baum (m. E. der einzige, tatsächlich liberale Innenminister, den die Bundesrepublik hatte). In guter ZEIT-Manier wird hier der anderen Meinung Raum gegeben.
Baums Exegese des Reemtsma-Textes ist jedoch unzureichend. Baum unterstellt, dass Reemtsma den gesellschaftlich-politischen Impuls der RAF leugnet und dahingehend monokausal argumentiert, dass es diesen Impuls nie gegeben habe. Das ist falsch. Reemtsma erkennt diesen ersten Impuls sehr wohl – macht dann jedoch deutlich, dass die Dynamik der weiteren Entwicklung von dieser Intention immer weiter abrückte und nachher nur noch als Feigenblatt diente. Baum geht auch gar nicht auf das konstruktive Element dieses »Aufbruchs« ein – vermutlich deshalb, weil es keines gibt. Die RAF (und hierin liegt die Parallele zu den Sozialrevolutionären Russlands 100 Jahre vorher) hatte nur ein destruktives Element zu bieten: Gewalt.
Baums Argumentation ist also ähnlich wie ein Teil Deiner Replik.
Reemtsma schreibt übrigens nirgendwo, dass es »viele tausend« Leute mit Gewaltaffinität gegeben habe. Im übrigen ist klar, dass die RAF (die anfangs noch »Baader-Meinhof Gruppe« hiess) anfangs sehr wohl Sympathien hatte. Ein Grund, warum die RAF nicht mehr Zulauf bekam, liegt darin, dass Baader und Ensslin sehr vorsichtig waren, wenn es galt, neue Mitglieder zu rekrutieren oder gar in den engeren Kreis aufzunehmen; die Organisationw ar sehr hierarchisch strukturiert. Ein weiterer Grund ist sicherlich die intellektuelle Armut, die die RAF ausstrahlte (s.o.). Hierin unterschied sie sich bspw. von den italienischen »Roten Brigaden«, auf die Baum in seiner Replik anspielt (von den Palästinensern gar nicht reden, die ja ein konkretes »Anliegen« hatten).
Ein weiterer Grund liegt darin, dass die Linke in Westdeutschland nach 1968 sehr schnell »abkühlte«. 1969 kam es zur sozial-liberalen Koalition; viele setzten ihre Hoffnungen in Brandts Reformpolitik, die innen- wie aussenpolitisch vielen (gemässigten) Forderungen der Linken nahekam. Ein Teil verschwand in die Institutionen und auch in die Resignation (die dann Ende der 70er Jahre in Gestalt der »Grünen« neu belegt wurde).