»Das große Schweigen der Autoren« lautet die Überschrift eines Artikels von Daniel Lenz bei »Buchreport«. Er beklagt darin, dass die »Hochkaräter« der deutschen (!) Literatur nichts zur »digitalen Revolution« und dem Verlags- und Buchhandelssterben sagen.
Wer wären denn die »Hochkaräter«? Drei Beispiele nennt er da: Rainald Goetz, Thomas Hettche und Matthias Polyticki, die schnell als Pioniere (oder irgend etwas in dieser Richtung) apostrophiert werden. Elfriede Jelineks »Neid«-Roman, der ausschließlich und vollständig im Netz steht, nennt Lenz nicht. Vermutlich, weil es keine »deutsche« Schriftstellerin ist. (Zugegeben: Derzeit hat die HP Jelineks technische Probleme, aber über über diese Seite geht’s.)
Beim aktuellen Goetz moniert er, dass dieser nicht erwähnt habe, dass sein neues Buch »Johann Holtrop« auch als E‑Book erschienen ist. Das empfindet Lenz wohl so, als habe jemand in einer Dankesrede vergessen, die Mutter zu erwähnen. Auf Thomas Hettches Artikel in der FAZ, der ja in vielen Dingen eindeutig Position übernimmt, weist er sogar hin. Als wäre dieser, Hettches Abgesang (wie immer man dazu auch steht), kein Statement.
Merkwürdig nur diese selektive Wahrnehmung. Alban Nikolai Herbsts Replik hierauf nimmt er nicht zur Kenntnis. Herbst ist mit seiner Webseite »Die Dschungel« womöglich der netzaktivste Schriftsteller deutscher Sprache. Er hat dezidierte Positionen, wenn auch womöglich nicht zu allen gewünschten Themen – und vor allem: nicht plakativ. Und was ist mit Benjamin Stein und seinem »Turmsegler«? Und all die anderen Schriftsteller, die in »Litblogs« aktiv sind? Oder sind das keine »Hochkaräter«? Sascha Lobo und Kathrin Passig, die Lenz herausstellt, sind es ja definitiv nicht; Lobo hat einen schlechten Roman geschrieben, Passig nur eine einzige Erzählung. Und was gilt überhaupt als Statement in Lenz’ Sinn? Etwa das von Günter Grass? Und was ist mit all jenen Äußerungen von Schriftstellern zum Leistungsschutz- und Urheberrecht?
Man kann ja beklagen, dass sich Schriftsteller nicht im gewünschten Maße zu bestimmten Themen äußern. Dahinter steht natürlich immer noch der Wunsch an die Zeit, als sich Leute wie Grass, Peter Weiss oder Martin Walser praktisch zu jedem Thema und überall geäußert haben. Inzwischen dröselt man deren Irrungen und Wirrungen kontinuierlich auf. Es muss kein Fehler sein, wenn sich Schriftsteller auf ihr Handwerk konzentrieren. Als Artikelschreiber sollte man sich vorher schon informieren. Es gibt mehr Webseiten und Blogs von deutschsprachigen Schriftstellern, die durch ihre bloße Präsenz und Literarizität mehr aussagen als irgendwelche griffigen Phrasen dies vermögen.
Man kann sich da mit Beispielen und Gegenbeispielen bewerfen und man könnte auf Karl Kraus, den Urvater des Bloggens, hinweisen, um zu zeigen, dass es zu den »modernen« Möglichkeiten schon zahllose Papier-Vorläufer gibt, von Notizzetteln über Tagebuch bis hin zu Selbstverlag – aber das ist alles meiner Meinung nach nicht der Punkt.
Der – wie ich es empfinde – infame Punkt von Lenz et al. ist der, dass sie den Autoren einen »Wandel der Autorenrolle im Social-Media-Zeitalter« vorhalten, den sich die Autoren einfach zu unterwerfen haben. Es ist doch kein Schaden für die Literatur, wenn sich einige im Stream nicht wohl fühlen, wenn sie sogar meinen, sich vor diesem Strömen schützen zu müssen.
Alexander Kluge, der auch nicht genannt wird und dem man wahrlich keinen Medien-Konservatismus vorhalten kann, Alexander Kluge hat mal erzählt, wie er meistens im Sommer sich in die Berge in eine Hütte zurückzieht, um dort früh morgens aufzustehen und Geschichten zu schreiben, und dass er nur dort Geschichten schreibt, wo er diese Abgeschiedenheit hat. Warum wohl?!
Das schriftstellerische Schreiben ist oft mit einer Konzentration und einem Wenden nach Innen verbunden, das sich in dem extrovertierten Ratz-fatz-Netz nicht wohl fühlt und den Verführungen von Sternchen, Daumenhoch und das diesem ganzen Strom an Kalauereien nicht an die Angel gehen will, geschweige denn dem Postulat des Social Self-Marketings.
Lenz ist ja nicht der einzige, der so neo-naiv die angeblichen Fortschrittsfeinde der Literatur zum Schämen in die Ecke stellen möchten. Perlentauchers Oberkommentator hat doch da vor einigen Monaten auch schon so einen Unfug abgelassen.
Die Schriftsteller sollen schreiben was und wie und wo sie wollen. Es gibt gute Gründe, im Netz zu publizieren. Mindestens ebenso gute, wenn nicht bessere Gründe gibt es, sich von der Permanenzaktualität fernzuhalten. Wer daraus einen Glaubenskämpfchen machen will, weiß vielleicht gar nicht, auf welche Literatur er hofft, sondern möchte nur »Geschriebenes«. Das kann er natürlich im Netz in Hülle und Fülle haben.
@Fritz
Karl Kraus, den Urvater des Bloggens
Wunderbar. (Sie schreiben bessere Kommentare als ich Beiträge.)
Ernsthaft: Sie haben natürlich recht. In der werktäglichen »Kulturzeit« kann man das immer sehr schön sehen: Dort wird auch immer das Ausbleiben bestimmter (!) Kommentare von »Schriftstellern und Intellektuellen« beklagt. Gibt es dann welche und die passen nicht, wird drauf geprügelt. Dieser Bekenntnisfetischismus existiert praktisch seit den 70er Jahren (lese gerade die Tagebücher von H. W. Richter, wo dies sehr deutlich durchschimmert) und hat praktisch nicht aufgehört.
Ich musste gerade an diesen Artikel denken: . Offenbar ist es nicht so einfach, den »Weg nach draußen« zu finden.
Herr Keuschnig, sie schreiben/fragen/zweifeln:
»Und was gilt überhaupt als Statement in Lenz’ Sinn?«
Ja, zum Beispiel Günter Grass. Mir fallen da noch viel mehr literarische Statements ein, wie zum Beipiel:
Uwe Tim »Am Beispiel meines Bruders«
Jonathan Littell »Die Wohlgesinnten«
Robert Merle »Der Tod ist mein Beruf«
Bernhard Schlink »Der Vorleser«
Yasmina Khadra »Wovon die Wölfe träumen«
Robert Mattheis »Hohlkörper«
undsoweiterundsofort.
Wer von diesen Autoren als ebook erhältlich ist, kann man alleine erforschen.
Viele Autoren die im Netz unterwegs sind, in litblogs oder wo auch immer, sind fleißig penetrant, aber haben nichts zu sagen. Die Netzauftritte einiger Möchtegerneliteraten hat nichts mit Literatur zu tun. Für mich ist das reine Selbstdarstellung.
Einen sehr guten Netzauftritt hat der Autor Robert Mattheis mit seinem weblog . Er schreibt ausschließlich literarische Artikel und diese sind aktuell, mutig, spannend, klug und witzig.
@ohneeinander
Ihre Beispiele gehen an Lenz’ Thema vorbei (abgesehen davon, dass dieser nach »deutschen« Autoren fragt) . Wohl denn: Über Grass habe ich hier schon so einiges gesagt. Er taugt als »moralisches Gewissen« schon weit vor seinem Waffen-SS-Geständnis nicht mehr. Seine politischen Urteile sind oberflächlich bis lächerlich. (Dass Sie ihn nehmen und dann »Möchtegernliteraten« als Selbstdarsteller denunzieren ist fast lustig.) Littells Buch ist ein riesengroßes Kitsch-Mockumentary.
Diese Bücher beinhalten m. W. keine Statements zum Buchhandelssterben, dem Erstarken von Amazon, der Konzentration von Verlagen. Und dass ein Buch als E‑Book erscheint, ist ja noch keine besondere Stellungnahme (außer das Gegenteil wie bei Grass, wo dezidiert nichts als E‑Book erscheint).
Es geht Lenz um aktuelle, zeitgenössische Literaten, die zu den o. g. Fragen Stellung nehmen. Jetzt kann auch keine Stellungnahme eine sein, was er nicht nur übersieht, sondern in bester 60er Jahre Bekenntnismanie angreift. Aber ein Maler beschäftigt sich ja auch nicht primär mit dem Hersteller seiner Farben.
»Blogozentriker« ist tatsächlich ein literarischer Blog mit guter Qualität. Aber helfen Sie mir: Wer sind denn »Möchtegernliteraten«? Bitte um Spezifizierung. Und dann auch gleich sagen, was Literatur ist. Bitte.
Ich wollte mit der Aufzählung eigentlich zum Ausdruck bringen, zu welchen Themen ein Autor meiner Ansicht nach ein literarisches Statement abgeben sollte/muss. Sie haben das nicht verstanden, Herr Keuschnig?
Liegt die Entscheidung, ob Buch, ebook, weblog nicht beim Leser? Müsste nicht eher der Leser ein Statement abgeben, als der Autor? Entscheidet nicht der Leser, ob der Buchhandel stirbt?
Was Literatur ist entscheidet der Leser und nicht jeder Leser ist gleich. Abfällige Bemerkungen über die Lesegewohnheiten und über die Auswahl der Lektüre von Lesern, findet man häufig in weblogs von Autoren die penetrant Statements ablegen. Und die zu beinah jeden Thema nur nicht zu den Themen über die gesprochen werden sollte/muss.
Nicht nur Herr Lenz fragt nach »deutschen« Autoren. Dies tat bereits vor vielen Jahren Marcel Reich Ranicki und sein LQ-Team. Man besprach häufig Autoren aus dem Ausland und man stellte sich die Frage WARUM? Gab es schon zu Zeiten LQ wenige gute »deutsche« Autoren oder wurden »deutsche« Autoren durch das LQ weniger beachtet? Oder besprach man nur Autoren die etwas zu sagen hatten wie zum Beispiel Peter Handke und Martin Walser?
@ohneeinander
Sie haben recht – das habe ich nicht verstanden. Denn darum ging es nicht. Lesen Sie noch einmal den Lenz-Artikel: Er fordert Äußerungen zur sogenannten digitalen Revolution ein. Das kann man sicherlich fordern, dabei darf man aber nicht diejenigen ignorieren, die diese Äußerungen (wie auch immer) vornehmen.
Was war denn die »Frage«? Es war, es ist, die »Frage« nach Bekenntnissen, politischen Stellungnahmen. Gesinnungen halt. Das sind aber Relikte aus der Zeit der 60er Jahre, als sich Schriftsteller zu alles und allem bekannt oder es eben verurteilt haben. Es stößt mir derzeit umso heftiger auf als ich die Tagebücher von Hans Werner Richter lese.
Konkret gefragt: Was soll denn ein Schriftsteller »sagen«? Oder, wenn Sie schon Bezug auf das Literarische Quartett nehmen, was hatten die Amerikaner zu »sagen« und die Deutschen nicht? Über welche Themen muss denn gesprochen werden? Wer legt das fest? Oder wird hier nur die Instanz des Künstlers, des Intellektuellen herbeigesehnt? Eine Instanz, die längst (und schon fast immer) versagt hat, sobald sie gestalterisch werden sollte. Künstler sind nicht die besseren, die klügeren Menschen. Wenn es hochkommt, sind sie die besseren Künstler. Mir reicht das.
Hans Werner Richter, soso. Der Spitzenmann der (Organisation!?) Gruppe 47, »den niemand gewählt hat, den niemand mit Vollmachten ausgestattet hat und der dennoch eine uneingeschränkte Macht ausübte« schreibt M.R.R in »Mein Leben«. Hans Werner Richter wurde in der Gruppe 47 als Diktator anerkannt, er hat bestimmt, wer eingeladen wurde und wer aus seinen Manuskripten vorlesen durfte. Nur HWR hatte das Recht eine Lesung abzubrechen. Jaja, Herr Ranicki schreibt nichts gutes über seine Zeit als ZUHÖRER in der Gruppe 47. Seine Meinung war nicht gefragt. Zuhören sollte er, mehr nicht. Ich bin ja mal gespannt, was sie uns über HWR schreiben werden. Wirklich, ich freue mich jetzt schon auf die Rezension der Tagebücher.
Wissen Sie Herr Keuschnig, seit damals, hat sich nicht viel verändert. Autoren wollen unter sich bleiben. Viele zeitgenössische Autoren halten sich für Götter. Sie klagen und jammern im Chor über Verlage, Leser und Kritiker und liefern sich schwachsinnigen, sinnlosen und dummen Diskussionen aus.. Sie sind zu eitel um zu hinterfragen, warum sie (ihre Bücher) keiner lesen möchte und liefern Statements oder auch nicht, anstatt das zu tun was sie können. Nämlich schreiben. Den Leser freut’s, denn was wäre das Leben ohne die Literatur. NICHTS!
Die Apostrophierung Richters als Diktator ist Unsinn. Einladen darf man, wen man will. Deshalb ist man kein Diktator. Die »Gruppe« war informell. Bereits hier zeigt sich Sprachgefühl. Richter hat ‑zig Leute eingeladen, die nicht gekommen sind.
MRR wollte schnell keiner hören, aber das hat ihn nicht interessiert. Das Quartett MRR, Walter Jens, Joachim Kaiser und Hans Mayer kommt nicht gut bei Richter weg. Die haben irgendwann die Treffen dominiert (später dann das Feuilleton; leider). Hinzu kommen die Eifersüchteleien untereinander. Reich-Ranicki war der erste, der seine Eitelkeit dem Fernsehen andiente; eine perfekte Symbiose. Andere (Raddatz) waren selbst dafür zu eitel.
Richters Gruppe 47 ist nach 1967 quasi auseinandergebrochen, weil er es nicht verstanden hat, diese Leute rauszuwerfen und durch andere zu ersetzen. Er war zu alt, zu schwach (1908 geboren). Jüngere Autoren wollten sich diesen Figuren nicht mehr stellen. Grass und Walser waren schon damals finanziell gut ausgestattet; andere (Enzensberger, Lettau) in ideologische Scharmützel eingespannt. Handkes »Beschreibungsimpotenz«-Vorwurf war ja nicht ausschließlich an die Autoren-Kollegen gerichtet.
Achso, wenn sich eine Organisation GRUPPE nennt, dann entscheidet nur einer, wer kommen und wer gehen darf? Interessant.
Ranicki hat nicht angedient. Dieter Schwarzenau und Johannes Willms haben nach ein paar Schnäpsen Ranicki vorgeschlagen eine Literatursendung zu machen. Ranicki lehnte ab, aber die Herren ÜBERHÖRTEN das »Nein«. Ranicki stellte Bedingungen mit dem Ziel, das die Herren ihren Werbungsversuch aufgeben. Vergebens. Das er am Ende im LQ auch seine Eitelkeiten ausleben konnte, stört mich nicht, weil er kein aufdringlicher und kindischer Unterhalter war, sondern ein Mann der die Literatur leidenschaftlich liebte. Vll sollten sie »Mein Leben« von Ranicki lesen um von dem Ideal Gruppe 47 und HWR ein wenig abzurücken, lieber Herr Keuschnig. Denn was mit Ingeborg Bachmann in der Gruppe 47 passierte war auch nicht schön. Man empfand keine Respekt für eine großartige Lyrikerin, sondern nur Mitleid.
Sorry, aber Sie haben offensichtlich nur rudimentäre Kenntnisse. Der Begriff »Gruppe 47« wurde von außen an die Veranstaltungen herangetragen. Genauer gesagt von Hans Georg Brenner, der den Begriff in Anlehnung an die spanische »Gruppe 98« benutzte. Richter et. al. haben das irgendwann einfach übernommen.
Ich habe MRRs »Mein Leben« gelesen; ein im ersten Teil sehr berührendes Buch. Der zweite Teil ist dann die übliche Aufschneiderei. Ich glaube nicht, dass Reich-Ranicki wirklich die Literatur »leidenschaftlich liebte«, dafür hat er zuviel Leichen im Keller. Sein Verhalten im Quartett war teilweise kindisch, manchmal lächerlich und, in einem Fall, bösartig. (Hier André Müllers Interview mit MRR; zu Beginn über Löffler.) Mein Ideal ist die Gruppe 47 nicht; Richter interessiert mich nur als Zeitzeuge. Dass seine Aufzeichnungen subjektiv sind, ist klar. Mit Spannung darf man das neue Buch von Böttiger über die G47 erwarten.
Wie Sie auf die Idee kommen, dass man keinen Respekt vor Bachmann empfand, weiss ich nicht. Damals war allerdings der Umgangston wesentlich rauer, als dies heute in der Öffentlichkeit ist. Das zeigt sich in den gegenseitigen Polemiken und Angriffen. Heute läuft das mehr im Verborgenen.
Zu Hettche braucht man eigentlich nicht all zu viel sagen, er spielt ein Medium und eine damit verbundene, ungeprüft dargelegte Meinung gegen das aus, was bekannt und etabliert ist; es geht ihm (anscheinend) um Macht und die Absicherung bestimmter Positionen, was nichts weiter als die Aufgabe intellektueller Redlichkeit ist. Nur in einem Punkt seiner Kritik hat er recht: Niemand soll dazu genötigt werden, einen Blog oder ähnliches führen zu müssen.
Herr Keuschnig, bleiben Sie ei Ihrer Verehrung für Richter und seiner Ggruppe 47. Mir persönlich liegen Menschen wie Herr Marcel Reich Ranicki mehr. Er überlebte als Jude das Warschauer Ghetto und ist somit ein wichtiger Zeitzeuge der schrecklichsten und brutalsten Zeit der deutschen Geschichte. Im Zusammenhang mit ihm, die Floskel »Leichen im Keller« zu verwenden, finde ich mehr als geschmacklos, Herr Keuschnig. Sie wissen warum.
Ich weiß, warum Frau Löffler das LQ verlies. Ich halte Frau Löffer für eine der wichtigsten und besten Frauen in der Literaturszene/kritik. Mit der Zeitschrift »Literaturen« hat sie mich über Jahre hinweg, in meiner Welt der Literatur begleitet. Wenn man sich allerdings über die Entblößung eines nackten Frauenarms so dermaßen in der Öffentlichkeit echhauffiert, muss man grade bei einem Mann wie Marcel Reich Ranicki mit einem bösen Kommentar rechnen. MRR hat sich für sein Verhalten mehr als einmal bei Frau Löffer entschuldigt. Frau Löffer hat es nie geschafft zu verzeihen, warum auch immer, wird sie alleine wissen.
Trotz unserer Diskrepanz, Herr Keuschnig, möchte ich es nicht versäumen Ihnen mitzuteilen, dass ich Sie als Diskussionspartner durchaus interessant finde. Sie sind ein Mann der sich mit der Literatur beschäftigt und etwas davon versteht. Auch ich beziehe wie Sie mein Wissen und meine Information aus Quellen diverser Literatur. Ob meine Kenntnisse nur rudimentär sind kann ich nicht beurteilen. Sie anscheinend schon.
Beste Grüße
ohneeinander
@ohneeinander:
Es hilft in einer Diskussion ungemein, auf die Äußerungen der anderen Diskutanten auch tatsächlich einzugehen. Wo Sie aus dem Satz »Mein Ideal ist die Gruppe 47 nicht; Richter interessiert mich nur als Zeitzeuge.« Verehrung herauslesen, ist mir wirklich schleierhaft. Es mag ja bequem sein, einen Popanz aufzubauen und diesen dann zu attackieren, ernsthafter Erkenntnisgewinn ist daraus aber nicht zu erwarten. Reich-Ranicki ist nun wahrlich nicht gerade ein Heiliger. Er hat im Laufe seiner langen Wirkungszeit eine Literaturkritik gepflegt, die keinerlei Widerspruch duldete, die in einem Maße Ausdruck von Selbstherrlichkeit war, die durchaus über das bei ernthafter Literaturkritik übliche Maß hinausging. Was bei einem Provinzkritiker noch angehen mag, bei seiner, ihm durchaus bewussten und gewollten, Wirkmächtigkeit aber eine ethische Dimension annimmt, die ich zumindest nicht ignorieren kann. Wer so lustvoll Autoren niedermacht, ihren schriftstellerischen Ruin dabei wissentlich in Kauf nehmend, ist in meinen Augen kein »leidenschaftlicher Liebhaber der Literatur«.
@Gachmuret: Sollten Sie Frau ohneeinander nicht eher anlasten, dass sie zu sehr auf den Vorredner eingehe, weil sie derart stark aus den Sätzen extrapoliert (was aber in Netzdiskussionen, in denen man nur die nackten Worte vor sich hat, mitunter nicht ausbleibt)? Führten Ihren Einwürfe wie Reich-Ranickis zugespitzte Urteile nicht zu einer lebendigen und unterhaltsamen Diskussion? In der Sache möchte ich nicht meine Verteidigung Reich-Ranickis wiederholen; als Abiturient sah ich das Quartett sehr gerne und habe auch die Skandalsendung gesehen, bei der er den Bogen doch auch in meiner damaligen Wahrnehmung schon deutlich überspannt hatte.
Warum sollte Leidenschaft die Einseitigkeit, die Parteinamhe und vielleicht sogar die Lust an Zerstörung ausschließen? Sollte Leidenschaft etwa objektiv und gemäßigt auftreten?
Ach Gottchen, man darf zu Reich Ranicki nicht sagen, dass er »Leichen im Keller« habe. Wie bigott und lächerlich das ist – und doch gleichzeitig ein Problem aufzeigt: Die Person soll unantastbar gemacht werden, und das aus Gründen der political correctness. Das hat Reich Ranicki nicht verdient.
Es ist in der Tat Unsinn, eine »Verehrung« für die Gruppe 47 aus meinem Kommentar herauszulesen. Alleine schon, weil es falsch wäre, was wiederum daran liegt, dass Frau ohneeinander zu wenige Fakten kennt: die Gruppe 47 war irgendwann MRR – und das war einer der Probleme: die Selbstherrlichkeit der Kritiker (die vier Hauptprotagonisten habe ich schon genannt), die jegliche Beiträge außerhalb ihres ästhetischen und politischen Weltbildes gar nicht mehr zuließen.
Diese Fixierung wirkt bis heute fort. Und auf der Schriftstellerseite sind drei der vier Hauptprotagonisten der Hochzeit der Gruppe 47 noch aktiv: Grass, Walser und Enezensberger (Böll ist verstorben; er war, gewissermaßen, die ehrliche Haut in diesem Quartett). Ihre Kraft (ich sage nicht den polemischen Begriff ‘Macht’) wirktbis heute nach. Bis heute sitzen in den Redaktionsstuben der Feuilletons Entscheidungsträger, die von Reich Ranicki, Kaiser und auch Raddatz auf ihre Posten gehievt wurden (langsam dünnt sich das aus demographischen Gründen aus) oder geprägt wurden (sozusagen die »Enkelgeneration«).
@Phorkyas
Nein, Leidenschaft schliesst zunächst einmal nichts aus. Aber sie sollte sich auf dem ihr gemäßen Feld zeigen. Leidenschaft auf dem Fußballplatz zeigt sich ja auch nicht darin, dass die Spieler sich gegenseitig verprügeln. Man kann einen Verriss über einen literarischen Text verfassen, ohne die Person damit gleichzeitig angreifen und zerstören zu wollen. Das passierte jedoch bei Reich Ranicki mehrfach. Ich bestreite auch, dass das mit »Leidenschaft« etwas zu tun hat. Und mit Literaturkritik schon gar nichts. Das ist schlichtweg eine Charakterschwäche.
Dass man das LQ als gelegentlich unterhaltsame Sendung gesehen hat – das habe ich auch gemacht. Aber wenn ich mal eines der Bücher gelesen hatte, zeigte sich, wie komplexitätsreduzierend da über Literatur gesprochen wurde. (MRRs Übergang lautete ja häufig: »Zum nächsten Fall« – als gelte es hier eine Akte abzuarbeiten.) Und wenn jemand einmal etwas »tiefer« gehen wollte, wurde er zumeist von MRR abgeblockt (das ist allerdings keine Singularität von MRR, sondern liegt womöglich im »Format« begründet – und dem Glauben, Zuschauern nichts mehr zumuten zu dürfen).