Unternehmen Unseld ist das aktuelle Heft der Zeitschrift für Ideengeschichte überschrieben. Es gilt den 100. Geburtstag von Siegfried Unseld zu feiern. Da die Konvolute privater Korrespondenzen inzwischen zwar archiviert, aber gesperrt sind, bleibt der Leser glücklicherweise mit moralisierend verpackten Schlüssellochgeschichten verschont und man konzentriert sich im Schwelgen und Räsonieren auf das Lebenswerk, dem Verlagsimperium rund um den Suhrkamp-Verlag. Jan Bürger und Stephan Schlak präsentieren als Herausgeber mehr als ein Dutzend Aufsätze und Essays. Man sollte sie zusammen mit Hundert Briefe lesen, einer soeben erschienenen chronologischen Sammlung von einhundert Briefen Unselds zwischen 1947 und 2002. Neben Ulrike Anders fungiert auch hier Jan Bürger als Herausgeber.
Zwei Texte in der Zeitschrift für Ideengeschichte stammen von Schriftstellern – ein Gedicht von Durs Grünbein und die Eloge von Rainald Goetz aus dem Jahr 2014, in der er so grandios den Gang Unselds schildert. Jan Bürger entwickelt dann in der Dokumentation einer Lektorenbesprechung am Chiemsee zwischen Peter Suhrkamp, Siegfried Unseld und dem Lyriker und Übersetzer Rudolf Alexander Schröder im Jahr 1957 eine Art »Initiation« Unselds zwei Jahre vor dessen offizieller Inauguration und weist auf die Richtungsänderung hin, die damit einher ging. Im Gegensatz zur Gruppe 47 hatte Peter Suhrkamp die Exilanten mit offenen Armen aufgenommen. »Für radikale Spielarten der Moderne, die internationale Avantgarde oder avancierte neue Theorien öffnete sich der Verlag allerdings erst unter Siegfried Unseld«, so Bürger. Aber keine Ausnahme ohne Regel: Im Briefband erfährt man etwas überraschend, dass sich Peter Suhrkamp bereits 1954 um den Avantgardisten Samuel Beckett erfolgreich bemühte. Mit Brecht und Hesse standen Unseld ab 1959 zwei »Portal-Figuren« (Michael Krüger) zur Verfügung. 1967 machte Brecht 50% des Umsatzes des Verlags aus.
Wie der Titel nahelegt, wird häufig auf das Unternehmertum des Verlegers rekurriert. Man merkt auch heute noch subkutan Spuren gut gepflegter Ressentiments, wenn es um Unselds Geschäftstüchtigkeit und Durchsetzungsfähigkeit geht, seine Ideen, auch notfalls gegen Widerstände umzusetzen. Bürger und Anders schreiben im Nachwort zum Briefband, Unseld habe »Geist und Geschäft« zusammengeführt und die immer wieder propagierte Unvereinbarkeit schlichtweg ignoriert. Vergessen darf man dabei allerdings nicht, dass die Gesellschaft hungrig nach Lektüre war und sich in den 1960er Jahren sukzessive politisierte. Der Boden für Spielformen der literarischen Avantgarde war bestellt.
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