Skan­dal!

Im­mer wenn ein so­ge­nann­ter Skan­dal in den Nach­rich­ten­me­di­en »ent­hüllt« wird, wenn die »Vier­te Ge­walt« tag­te und die Ge­schwo­re­nen (meist in Ab­we­sen­heit des An­ge­klag­ten) ihr Ur­teil ge­fällt ha­ben, dann emp­fiehlt sich ein Blick in ein Büch­lein, dass zwar mehr als zwan­zig Jah­re alt, aber im­mer noch sehr lehr­reich ist.

Es han­delt sich um Hans Mar­tin Kepp­lin­gers Die Kunst der Skan­da­li­sie­rung und die Il­lu­si­on der Wahr­heit (nach­fol­gen­de Zi­ta­te aus der Aus­ga­be von 2001, er­schie­nen im Olz­og-Ver­lag). Kepp­lin­ger un­ter­sucht an aus­ge­wähl­ten Skan­da­len der 1990er Jah­re die Me­cha­nis­men der me­dia­len Skan­da­li­sie­run­gen. Wer auf halb­ga­re Ver­schwö­rungs­theo­rien hofft, um Au­tor und/oder Buch zu dis­kre­di­tie­ren, wird ent­täuscht. Si­cher­lich sind die be­spro­che­nen Er­eig­nis­se weit weg und wir­ken zum Teil aus heu­ti­ger Sicht eher pos­sier­lich. Aber die grund­sätz­li­chen Fak­to­ren, wie und wann Skan­da­li­sie­run­gen im­ple­men­tiert wer­den und in den Auf­merk­sam­keits­fo­kus rücken, ha­ben sich ver­blüf­fen­der­wei­se trotz der in den letz­ten Jah­ren zu­neh­men­den Be­deu­tung von »so­zia­len Me­di­en« kaum ver­än­dert. Viel­leicht des­halb, weil die­se zu­min­dest in Deutsch­land im­mer noch kei­ne ent­schei­den­de Rol­le spie­len. Die mei­sten »Skan­da­le« wer­den nach wie vor in den Leit­me­di­en auf­ge­grif­fen bzw. be­stimm­te Sach­ver­hal­te dort skan­da­li­siert. Oder eben auch nicht: »Ei­gen­in­ter­es­sen der Jour­na­li­sten ver­hin­dern zu­wei­len Skan­da­li­sie­run­gen« heißt es ein­mal.

Im Buch wird zwi­schen »Skan­dal« und »Miss­stand« un­ter­schie­den. Es geht zu­meist um den Skan­dal, al­so et­wa um ei­ne Ver­feh­lung ei­ner oder meh­re­rer Per­so­nen oder ei­ner Grup­pe, nicht um ei­nen ge­sell­schaft­li­chen, so­zia­len oder öko­no­mi­schen Miss­stand.

Zu­nächst geht es um das Ver­hal­ten der »Auf­decker«, al­so von Jour­na­li­sten. Wich­tig da­bei ist:

»Die ei­ge­ne Sicht­wei­se erscheint…nicht als sub­jek­ti­ve Mei­nung, son­dern als ob­jek­ti­ve Ein­sicht in der Na­tur der Sa­che.«

Und wei­ter:

»Im Skan­dal liegt die Chan­ce der Über­zeu­gungs­tä­ter. Die Ak­ti­vi­sten, die ei­nen Skan­dal vor­an­trei­ben, sind meist zu­tiefst von der sach­li­chen Rich­tig­keit und mo­ra­li­schen Not­wen­dig­keit ih­res En­ga­ge­ments über­zeugt.«

Dar­aus folgt:

»Der Skan­dal ver­eint die Gleich­ge­sinn­ten«.

Denn

»[i]n kei­nem an­de­ren Be­ruf ist…die Kol­le­gen­ori­en­tie­rung so in­ten­siv und schnell wie im Jour­na­lis­mus.«

Wich­tig ist, dass, wo es not­wen­dig ist, die Me­di­en, wel­che »die Iso­la­ti­on der Skan­da­li­sier­ten durch­bre­chen«, ge­äch­tet bzw. dis­kre­di­tiert wer­den. Wie stark der Skan­dal re­zi­piert und kom­men­tiert wird, ent­schei­det sich in der »Ten­denz­quo­te« in­ner­halb der Me­di­en­bla­se. Kepp­lin­ger scheut sich nicht, hier manch­mal ei­ne »de­mo­kra­ti­sche Va­ri­an­te von Schau­pro­zes­sen« zu ent­decken. (Wie ge­sagt, die Bei­spie­le sind aus äl­te­rer Zeit.)

Der Skan­dal wird zu­meist als Aus­gangs­punkt ge­se­hen:

Ein­zel­be­fun­de wer­den »im Lich­te der am An­fang eta­blier­ten Sicht­wei­se stim­mig in­ter­pre­tiert.«

Kepp­lin­ger zeigt die Wich­tig­keit auf, dass die »Stim­mig­keit der In­for­ma­ti­on mit dem…etablierten Sche­ma« der skan­da­li­sier­ten Per­son (oder Or­ga­ni­sa­ti­on) über­ein­stimmt.

Stellt sich her­aus, dass schlam­pig re­cher­chiert wur­de, be­deu­tet dies kein En­de:

»Er­weist sich im Skan­dal die zen­tra­le Be­haup­tung als falsch, wird auf an­de­re Sach­ver­hal­te ver­wie­sen…«

Und so wei­ter, und so wei­ter.

Man könn­te end­los aus dem Buch, das es nur noch an­ti­qua­risch gibt, zi­tie­ren. Und zu­ge­ge­ben, es wer­den nur Skan­da­le auf­ge­nom­men, die sich nach­träg­lich ent­we­der als eher harm­los oder zwei­fel­haft er­wie­sen ha­ben (zu letz­te­rem ge­hört die Brent-Spar-Ge­schich­te). Jour­na­li­sten kom­men, kon­fron­tiert man sie mit die­sen Zwei­feln, rasch mit der Auf­deckung der Wa­ter­ga­te-Af­fä­re. Mir fällt dann im­mer die Bar­schel-Af­fä­re ein, die sehr lan­ge Zeit nur ei­ne Sicht­wei­se auf­zeig­te – und igno­rier­te, dass das po­ten­ti­el­le Op­fer auch ge­lo­gen hat­te. Da­bei war es doch zu schön…‹

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ei­ne Er­gän­zung, was das An­ti­qua­ri­sche des Bu­ches an­geht: Der Lau-Ver­lag hat das Sach­buch-Pro­gramm des Olz­og-Ver­lags über­nom­men, dort ist 2018 die 4. ak­tua­li­sier­te und er­heb­lich er­wei­te­re Auf­la­ge des Bu­ches er­schie­nen. Der Ti­tel lau­tet jetzt »Die Me­cha­nis­men der Skan­da­li­sie­rung: War­um man den Me­di­en ge­ra­de dann nicht ver­trau­en kann, wenn es dar­auf an­kommt« und ist so­wohl als Druck­aus­ga­be als auch E‑Book lie­fer­bar.

  2. „Er­weist sich im Skan­dal die zen­tra­le Be­haup­tung als falsch, wird auf an­de­re Sach­ver­hal­te ver­wie­sen“

    Hier­zu scheint es ei­ne spe­zi­fi­sche neue Va­ri­an­te zu ge­ben, die zum Tra­gen kommt, wenn – was heu­te häu­fig ist, vor 20 Jah­ren aber sel­ten war – Skan­da­le aus Kon­vo­lu­ten ein­zel­ner Vor­wür­fe be­stehen. Das Vor­ge­hen im Dien­ste des Skan­dals ist dann, al­les zu­sam­men­zu­wer­fen und nicht im ein­zel­nen zwi­schen be­legt und un­be­legt, gra­vie­rend und we­ni­ger gra­vie­rend, ju­sti­zia­bel und mo­ra­lisch zu un­ter­schei­den. Bei­spiels­wei­se kann man gut be­leg­te mo­ra­li­sche Vor­wür­fe mit schlecht be­leg­ten ju­sti­zi­el­len Vor­wür­fen zu­sam­men­schnü­ren und so den Ein­druck er­wecken, al­les sei gut be­legt und glei­cher­ma­ssen gra­vie­rend.

  3. @Axel B.
    Vie­len Dank für den Hin­weis.

    @Paul
    Ein in­ter­es­san­ter Ein­wand. Schaut man bspw. auf die Cau­sa Wulff, so lässt sich al­ler­dings ab­le­sen, dass man die Skan­da­li­sie­run­gen »scheib­chen­wei­se« auf­fä­cher­te. Zu­nächst ging es um die FI­nan­zie­rung des Hau­ses, dann um die aus der Re­cher­che re­sul­tie­ren­de »Bot­schaft« Wulffs auf Diek­manns An­ruf­be­ant­wor­ter. Der Bo­xer war an­ge­knockt, aber man klecker­te noch an­de­re Sa­chen hin­ter­her – bis zum Bob­by­car-Vor­wurf. Auch ich war da­mals dem me­dia­len Trom­mel­ge­wit­ter er­le­gen; der Rück­tritt war schein­bar »al­ter­na­tiv­los«. Da­bei ge­riet der An­laß – die Haus­fi­nan­zie­rung bzw. Wulffs un­wah­re Stel­lung­nah­me hier­zu – völ­lig aus dem Blick­feld.