Nein, Sönke Wortmanns »Deutschland – Ein Sommermärchen« ist kein Dokumentarfilm. Er ist ein Schlüssellochfilm, der Einblicke gibt, die sonst verborgen bleiben. Wortmann war wochenlang mit Kamera und Ton Begleiter der deutschen Fussballnationalmannschaft. Er hat alles brav gefilmt und einen Cocktail zusammengestellt, der die Neugier der Fans und Zuschauer befriedigt.
Niemals gibt es eine ruhige, einzelne Einstellung. Ständig ist die Kamera in Bewegung. Man will immer gleichzeitig alles zeigen. Die Höhepunkte des Films sind die »Kabinenansprachen« von Jürgen Klinsmann vor, während und auch nach dem Spiel. Klinsmann wird als Motivator gezeigt – Löw der ruhige Taktiker – Bierhoff irgendetwas anderes. Mehr nicht.
Statt die Kamera einmal zu fixieren, gibt es fast immer eine Totale. Weniger als zwei Menschen gibt es ganz selten zu sehen. Ruhepausen kennt der Film nicht; keine Kontemplation. Der Film geht immer mit, als seien wir selber auch in der Kabine oder im Bus oder in der Mannschaftsbesprechung. Von einer filigranen Technik, wie man Kameraeinstellungen komponieren kann, kennt Wortmann nichts, was erschütternd ist.
Wenn die Einblendungen »Poldicam« und »Schweinicam« nicht wären, hätte man diese Privatfilme der beiden Youngsters von Wortmanns Einstellungen gar nicht unterscheiden können. Was viel aussagt.
Der Zuschauer schwelgt zwar in Erinnerungen , aber der Funke springt nicht über. Stattdessen hetzen wir von Spiel zu Spiel. Vielleicht ist der Kinofilm ja länger gewesen als die 105 Minuten in der ARD (ergänzt mit 15 Minuten vollkommen überflüssigem Nachgeplapper). Das 1:0 von Neuville gegen Polen wird als DER Punkt der WM gesehen, der dieses merkwürdige Sommermärchen-Gefühl in Deutschland erzeugt hat. Im Film wird es nur behauptet. Das Tor wird natürlich gezeigt, aber der Spannungsbogen vermittelt sich nicht. Kurz danach öffnet David Odonkor die Tür mit der Zahnbürste im Mund. Kein Mensch kann verstehen, was er sagt. Warum muss man ausgerechnet so was sehen?
Natürlich hat Wortmann recht, wenn er sagt, dass das Ausscheiden gegen Italien dem ganzen die Tiefe gibt; eine Dimension (aber es ist, Herr Wortmann, nicht »tragisch«; bitte dieses Wort nicht trivialisieren). Niederlagen sind immer interessanter als Siege. Sie sind besonders interessant, wenn man vorher immer gesiegt hat. Der Film beginnt mit der Stille in der Kabine nach dem verlorenen Spiel. Aber auch hier tändelt die Kamera hin und her. Man hat das Gefühl, jeder soll mal im Bild sein. Weniger wäre mehr.
Wortmann schafft keine Intensität. Nichts. Er zeigt einen Urlaubsfilm (und bekommt noch Auszeichnungen dafür!). Eine Chance wurde vergeben. Sehr schade.
Ganz so streng sehe ich es nicht.
Ich finde den Film weitestgehend ANGEMESSEN.
Doch ich muss wiedersprechen bei der »Poldi- und Schweinicam«. Es ist ein deutlicher Unterschied zu Wortmanns Kamera festzustellen.
Wortmann ist ja kein Kameramann. Und ich glaube auch, dass er weder Zeit, noch Gelegenheit hatte, Einstellungen zu »komponieren«, wie du sagst, was in der Natur der Sache liegt. Ich denke, es ist nicht leicht, einen solchen Film zu machen.
Wo ich dir recht geben muss, ist die Sache mit dem FUNKEN nach dem Polenspiel. Da fehlte dem Film dann streckenweise doch was.
Sehr schön aber die Kamera aus dem Bus, auf die jubelnden Polizisten, Soldaten und Fans!
Auch die Einzeleinstellungen, die durchaus etwas kontemplatives hatten, nämlich die Interviews mit z. B. Kahn und Lehmann, oder die Jungs auf den Massageliegen, fand ich sehr spannend. Auch Klinsmanns Statement zur Lage der Nation (»Die Deutschen haben immer was zu jammern ...«) war wichtig.
Nein, ich finde den Film sehr ok, er ist ein einzigartiges DOKUMENT von diesen unglaublichen Ereignissen im Sommer diesen Jahres.
Kein Kameramann?
Das muss er schon sein! Wenn nicht, hätte es jemand anders machen müssen (mir fällt da Romuald Kamarkar ein; naja.)
Der einzige Unterschied zur »Poldicam« und »Schweinicam« war, dass die Mitspieler Faxen gemacht haben, während sie ansonsten »normal« herüberkamen. Interessant war auch, dass, als Podolski filmte, er dauernd fotografiert wurde.
Die »Interviews« mit Kahn und Lehmann waren vollkommen oberflächlich. Ich habe wenig bis nichts kontemplatives bemerkt.
Was ist das für ein Wort:
»angemessen«.Gemessen an wem ‚was oder wie?
Wer mißt wen, warum und weshalb?Wer legt die Meßlatte und wie ist das DIN-Maß?
Aber wenn schon mathemathisch oder physikalisch gemessen wird, dann messe ich den Wortmann an sich selbst.Er gefiel mir früher ganz gut.Ich mochte ihn als Schauspieler in jungen Jahren,als Regisseur gefiel er mir anfangs auch.Da war er bescheiden und kreativ.
Ich habe neulich dann so ein dämliches Interview mit ihm gesehen,wo er Urlaub macht auf einer Nordseeinsel wie so ein Demonstrativ-Alternativer- ja da erinnerte er mich an einen
hochnäsigen in die Jahre gekommenen arroganten Altsponti.Sein Film ist so langweilig wie er selber und seine arroganten Sprüche interessieren mich wirklich nicht.Und Altspontis kann ich nur belächeln.
Dazu schaut er auch nicht gut genug aus................
(Ja ich weiß es kommt auf andre Qualitäten an,ist mir aber egal)
Angemessen...
kann auch heissen: Fussball ist nicht so wichtig, also braucht der Film auch nicht bestimmte Kriterien erfüllen. Ich halte diesen Gedanken für fatal. Natürlich kann ich an einer Imbissbude keine Beköstigung wie im Drei-Sterne-Restaurant erwarten. Aber ich erwarte natürlich auch von einer Imbissbude gewisse Standards...
@Cleos
Altsponti ist toll. Ich habe übrigens noch etwas gefunden, was mir an dem Film nicht gefällt bzw. was ich vermisse: Distanz. Wenn sich jemand so als integraler Bestandteil einer Gruppe sieht, geht ihm eine Distanz verloren, die ein Künstler immer haben sollte. Eben das macht den Film zum Urlaubsvideo.
Der Vergleich
mit der Imbißbude ist gut.Die Currywurst entsprach nicht den Standards.
Ich käme nie auf die Idee über Klinsmann einen Film zu drehen.Oh no.....................auch wenn das Volk die Deutschlandflaggen hißt.
Klinsmann
ist schon eine interessante Persönlichkeit. Es gibt ja über ihn schon Portrait, was meistens viel zu früh ist, da die Leute keine irgendwie abgeschlossene Vita vorzuzeigen haben.
Sein Leben in den USA hat ihn sicherlich gelehrt, einiges anders zu sehen. In vielem ist seine Herangehensweise vollkommen amerikanisiert – was nicht immer schlecht sein muss. Hierin lag m. E. seine Stärke, als er mit den verstaubten Verhältnissen beim DFB aufräumen wollte. Das ist ihm nur zum Teil gelungen (siehe die Entscheidung, Sammer als Sportdirektor auszuloben; ein Affront gegen Klinsmann).
Im Film taucht er nur als Motivator und Einpeitscher auf. Damit dürfte seine Rolle allerdings nur ungenügend beschrieben sein; ein handwerklicher Fehler von Wortmann, der die Leute so zeigt, wie sie gesehen werden wollen.
Unmittelbar vor dem Eröffnungsspiel zeigte sich ja ein Dissens zwischen Klinsmann und Ballack. Ballack, der Kapitän, sagte auf einer Pressekonferenz, dass man mit dem bedingungslosen Offensivspiel vorsichtiger sein sollte – das war sehr verblümt eine Kritik an Klinsmanns (Löws?) taktische EInstellung. Was mich überrascht hat, ist, dass Klinsmann dem nachgegeben haben muss. Die deutsche Mannschaft spielte zwar sehr offensiv, aber mitnichten derart ungestüm wie ein Jahr zuvor im Confed-Cup. Diesen Dissens blendet der Film völlig aus.
Also für mich
ist dieser Klinsmann immer ein Hohlkopf gewesen und bleibt auch einer.Ich gebe ihm höchstenfalls die Rolle des Currys auf der Currywurst.
Enttäuschend – da kann ich Ihnen nur zustimmen. Irgendwie hatte ich mir eine Erklärung für das letztsommerliche Phänomen der deutschen Massensolidarisierung mit den Fußballern versprochen, doch der Film bot außer dem von Ihnen schon erwähnten späten Tor im Polenspiel nichts dergleichen. Junge Männer beim Rummalbern in der Umkleidekabine zu beobachten ist über anderthalb Stunden eher langweilig. Dass in fast jedem gesprochenen Satz alles unheimlich „geil“ war, erklärte auch nichts.
Höchstwahrscheinlich hat Wortmann bis heute keine Erklärung für die Massenbegeisterung, denn wie anders ist die Szene zu deuten, als die Kamera zusammen mit den Nationalspielern vor dem Spiel um den 3. Platz geradezu erstaunt auf die Menschenmassen vor dem Hotel in Stuttgart schauten.
Und zur Filmtechnik, zur optischen Umsetzung, haben Sie schon alles gesagt – dürftig.
Der Film ist ein Schnellschuss zur Alles-muss-raus-Vermarktung im Weihnachtsgeschäft.
Wie Sie schon sagten: Schade.
Wunderbar!
Dieses Erstaunen vor den Menschenmassen vor dem Spiel um den 3. Platz – das war eine solche Szene, die schön war. Aber auch hierfür war keine Zeit; es musste die Chronik wieder gemüht werden (die Tore gezeigt). Zuviel Banalität letztlich.