Spra­che und Macht

Es ge­hört zur rai­son d’être ei­nes Schrift­stel­lers, auf die Spra­che zu ach­ten. Die all­ge­mein im Ge­brauch ste­hen­de eben­so wie sei­ne per­sön­li­che Spra­che liegt ihm am Her­zen. Zu­min­dest mir geht es so, ich will die Spra­che nicht zer­stö­ren (wie einst ei­ni­ge Da­da­isten) oder ver­wahr­lo­sen se­hen, ich will sie er­wei­tern, aus ih­ren Mög­lich­kei­ten schöp­fen, sie not­falls auch schüt­zen. Wohl des­halb bin ich emp­find­lich, wenn aus ideo­lo­gi­schen oder bü­ro­kra­ti­schen Er­wä­gun­gen an ihr ge­mä­kelt, ge­zerrt und ge­rüt­telt wird.

»Sprecher*innen« und »Schreiber*innen« wür­de ich schrei­ben, woll­te ich mich po­li­tisch-mo­ra­lisch kor­rekt ver­hal­ten. Oder »Spre­chen­de und Schrei­ben­de«. Bei­des nicht schön. Zu die­sem The­ma ist schon viel Tin­te ge­flos­sen, ich will nicht mehr als ein paar Trop­fen hin­zu­zu­fü­gen, die deut­sche und die ro­ma­ni­schen Spra­chen be­tref­fend vor al­lem den Hin­weis, dass in so­ge­nann­ter in­klu­si­ver Spra­che auch die Ar­ti­kel und Ad­jek­ti­ve syn­chro­ni­siert und im Ge­nus-Be­zug plu­ra­li­siert wer­den müss­ten, was oft un­ter­bleibt oder in­kon­se­quent durch­ge­führt wird. Wenn aber strikt syn­chro­ni­siert wird, steigt in man­chen Wort­fol­gen die Um­ständ­lich­keit der Äu­ße­rung noch ein­mal an. Kürz­lich war ich bei ei­nem Se­mi­nar li­te­ra­ri­scher Über­set­zer. Der Groß­teil der Teil­neh­mer weib­lich, die Vor­tra­gen­den weib­lich, ab­ge­se­hen vom jun­gen Ein­füh­rungs­red­ner. Er be­gann mit dem Satz: »Ich bin kein stu­dier­ter Literaturwissenschaftler…in.« Das Suf­fix kam erst nach ei­ner kur­zen Pau­se, das Ad­jek­tiv und die Ne­ga­ti­on hät­te er ei­gent­lich an­pas­sen müs­sen, was im Münd­li­chen schwie­rig ist, aber auch schrift­lich: »kein*e studierte*r Literaturwissenschaftler*in«, oder was im­mer man an Schrift­zei­chen auf­bie­ten will.

Ich ha­be fast täg­lich mit Tex­ten in fünf bis sechs Spra­chen Um­gang. Die gen­der­be­wuss­ten Än­de­rungs­wel­len fal­len mir in den mei­sten von ih­nen auf; in ei­ni­gen, be­dingt durch die Struk­tur der Spra­che, mehr, in an­de­ren we­ni­ger. Be­son­ders stö­rend und de­struk­tiv emp­fin­de ich der­lei Än­de­run­gen im Fran­zö­si­schen und im Spa­ni­schen. Im Fran­zö­si­schen kom­men sie mir nur in der On­line-Zei­tung Me­dia­part un­ter, dort aber so mas­siv, dass die Les­bar­keit der Ar­ti­kel im­mer wie­der in Ge­fahr steht. Le Mon­de, sprach­lich kon­ser­va­tiv, brach­te letz­tes Jahr ei­nen Be­richt über ei­nen Ge­set­zes­vor­schlag des fran­zö­si­schen Se­nats, so­ge­nann­te »in­klu­si­ve Spra­che« in of­fi­zi­el­len Do­ku­men­ten zu ver­bie­ten. Der Ar­ti­kel be­gann leicht iro­nisch mit der Be­mer­kung, man kön­ne an die­ser Stel­le von »sé­na­teurs« und »sé­na­tri­ces« spre­chen, aber nicht von »sé­na­teu­rices« – wo­bei die kon­se­quen­te in­klu­si­ve Schreib­wei­se ei­gent­lich »sénat(eur)ices« lau­ten müss­te. Der Se­nat möch­te nicht zu­letzt so­ge­nann­te non-bi­nä­re, in Wör­ter­bü­chern bis­her nicht ent­hal­te­ne For­men wie das pro­no­mi­na­le »iel« (Ver­bin­dung von »il« und »el­le«), »cel­leux« oder »tou­stes« ver­ban­nen, die für mein Ohr tat­säch­lich gro­tesk klin­gen. Das Bil­dungs­mi­ni­ste­ri­um hat­te schon 2021 ei­nen Er­lass aus­ge­sandt, der sol­chen Sprach­ge­brauch an Schu­len un­ter­sagt.

Aber vor sol­chen Gro­tes­ken scheu­en die Ideolog*innen nicht zu­rück. In Spa­ni­en und noch mehr in ei­ni­gen la­tein­ame­ri­ka­ni­schen Län­dern prä­gen sie For­men wie »to­des«, um Per­so­nen zu in­klu­die­ren, die sich we­der als männ­li­che »to­dos« noch als weib­li­che »to­das« er­ken­nen kön­nen. Das er­gibt dann For­men wie »chi­ques« für non-bi­nä­re Jungs/Mädels/X (auch das X kommt mitt­ler­wei­le zu gram­ma­ti­schen Eh­ren), so­dass man sich im Plu­ral nicht nur an »querido.a.s chico.a.s« wen­den wird, son­dern auch an »quer­ides chi­ques«, am be­sten viel­leicht so: »querido.a.e.s chic(qu).a.e.s«. Dass sich so et­was dann nicht mehr le­sen lässt, ver­ste­hen wohl auch je­ne Le­ser, die des Spa­ni­schen nicht mäch­tig sind. In Ar­gen­ti­ni­en ver­sucht die Re­gie­rung von Staats­prä­si­dent Ja­vier Mi­lei in­zwi­schen, in­klu­si­ve Spra­che in den Äm­tern zu ver­bie­ten; das­sel­be tut seit letz­tem Jahr die Lan­des­re­gie­rung in Nie­der­öster­reich. Zwi­schen Kon­ser­va­ti­ven und Pro­gres­si­ven ist in vie­len Tei­len der Welt ein Ping-Pong-Kampf um die Spra­che im Gang. Der Schrift­stel­ler steht am Netz und be­wegt den Kopf hin und her. Schrei­ben wird er wei­ter­hin so, wie er es für gut hält. Wenn ihm nicht sen­si­ti­ve Lektor*innen im Ver­lag dicke Stri­che ins Ma­nu­skript set­zen.

»Gen­der­ge­rech­tes« Spre­chen war zu­nächst für schrift­li­che Tex­te ge­dacht. Dann ver­brei­te­te es sich mehr und mehr in der münd­li­chen Spra­che, vor al­lem durch die Mas­sen­me­di­en. Ei­ne Zeit­lang ha­be ich in­ner­lich ge­lacht, wenn wie­der ein­mal vor dem »*in­nen« pau­siert wur­de (»Wir ha­ben meh­re­re Schü­ler in­nen ge­trof­fen…«): In­nen al­so, nicht au­ßen? Ach so, da war ja ein Stern­chen da­zwi­schen. Ei­nem Freund deut­scher Zun­ge, auch er Schrift­stel­ler, wohn­haft in Frank­reich, fällt bei Be­su­chen auf, dass die Män­ner von »in­klu­si­ven« Sprecher*innen im­mer öf­ter un­ter den Tisch fal­len ge­las­sen wer­den. Kei­ne Zeit für die Pau­se, das Stern­chen: Die In­klu­si­on schlägt in Ex­klu­si­on um. Auch da kön­nen wir Män­ner nur schmun­zeln. Nein, wir müs­sen nicht im­mer »sicht­bar« sein. Das Pro­blem ist, dass es kein ge­ne­ri­sches Ge­nus bei weib­li­chen For­men gibt. »Wis­sen­schaft­le­rin­nen« schließt die männ­li­chen Wis­sen­schaft­ler nicht ein, son­dern aus. Mit dem Plu­ral »die Wis­sen­schaft­ler« sind hin­ge­gen al­le ge­meint, ob Män­ner oder Frau­en oder ge­schlecht­lich Un­ent­schie­de­ne. Das Mas­ku­li­num ist in die­sem Ge­brauch gen­der­neu­tral, nicht gen­der­spe­zi­fisch, folg­lich auch nicht »un­ge­recht« oder ex­klu­die­rend. Dies hält das Prä­si­di­um der deut­schen Aka­de­mie für Spra­che und Dich­tung in ih­rer Er­klä­rung vom Ju­li 2019 zum The­ma gen­der­ge­rech­te Spra­che fest.

Die Wör­ter »In­klu­si­on« und »in­klu­siv« ma­chen mir Un­be­ha­gen, seit sie in sol­chen Kon­tex­ten Ver­brei­tung ge­fun­den ha­ben. Nicht so­sehr, weil ih­re Be­deu­tung durch ei­nen an­de­ren Ge­brauch be­setzt ist – »all in­clu­si­ve«, al­les in­klu­si­ve –, son­dern weil mich die aus dem Eng­li­schen bzw. dem In­ter­net über­nom­me­ne An­wen­dung an ein Ge­fäng­nis er­in­nert. In­klu­si­on ist Ein­schlie­ßung, und wenn man Men­schen ein­schließt, kön­nen sie meist nicht mehr so leicht hin­aus. Die Dia­lek­tik von In­klu­si­on und Ex­klu­si­on geht an dem vor­bei, was wir an mensch­li­chem Um­gang an­stre­ben soll­ten. Aber die Be­deu­tun­gen der Wör­ter än­dern sich im Lauf der Zeit; am En­de wer­de ich die »In­klu­si­on« ge­nau­so ak­zep­tiert ha­ben wie den Tri­vi­al­ge­brauch von »geil«.

War­um ei­gent­lich die­se Sprach­kämp­fe? In­klu­si­on zielt nach dem Wil­len der In­klu­si­ons­ver­fech­ter auf Di­ver­si­tät – wie­der ein Wort, das sich nur mit schmerz­li­chem Knir­schen ein­ge­mein­den lässt. Wir ha­ben im Deut­schen das schö­ne Wort »Viel­falt«, und nichts er­freut mein Herz mehr als die­se: Viel­falt der Ar­ten, der Pflan­zen, der Tie­re, der Men­schen, Schwar­ze und Wei­ße und an­ders­wie Far­bi­ge (»peo­p­le of co­lor«), Frau­en und Män­ner, Al­te und Jun­ge, Viel­falt der Stu­di­en­rich­tun­gen in­klu­si­ve so­ge­nann­ter Or­chi­deen­fä­cher… Bei Men­schen soll­te dies zu Aus­ge­wo­gen­heit füh­ren: Nicht zu we­ni­ge Frau­en in der Ar­beits­welt, aber auch nicht, zum Bei­spiel in Er­zie­hungs­be­ru­fen, zu we­ni­ge Män­ner.

Ver­fech­ter des Gen­derns setz­ten vor­aus, dass Spra­che auf Wirk­lich­keit ein­wirkt. Wür­de das zu­tref­fen, müss­te in Ge­sell­schaf­ten, de­ren Spra­chen we­nig oder kei­ne gram­ma­ti­sche Ge­schlech­ter­dif­fe­ren­zie­rung ken­nen, mehr Gleich­be­rech­ti­gung herr­schen. In Ja­pan, geht man et­wa nach dem Frau­en­an­teil in der Po­li­tik oder in der Wirt­schaft, lässt die Aus­ge­wo­gen­heit zu wün­schen üb­rig, ob­wohl es in der ja­pa­ni­schen Spra­che kein gram­ma­ti­sches Ge­nus. Was es wohl gibt, sind Aus­drücke, die ge­wöhn­lich nur von Frau­en ge­braucht wer­den, an­de­re nur von Män­nern, aber es herrscht kei­ner­lei Zwang gram­ma­ti­scher Na­tur, auf die ei­ne oder an­de­re Wei­se zu spre­chen. Im Eng­li­schen, das kein Ge­nus kennt, stößt mir bei der Zei­tungs­lek­tü­re re­gel­mä­ßig die Schreib­wei­se des Ei­gen­schafts­worts »Black« mit gro­ßem B auf. Ein Fall von po­si­ti­ver sprach­li­cher Dis­kri­mi­nie­rung. Of­fen ge­stan­den füh­le ich mich als hell­häu­ti­ger Le­ser, des­sen »ras­si­sche« Zu­ord­nung klein ge­schrie­ben wird, in sol­chen Mo­men­ten ne­ga­tiv dis­kri­mi­niert. Ob das gro­ße B tat­säch­lich et­was an der La­ge der Schwar­zen ge­än­dert hat? Ich wa­ge es zu be­zwei­feln.

Als ich vor 22 Jah­ren nach Ja­pan kam, wo ich im­mer noch die mei­ste Zeit le­be, wur­de ich für ein Se­me­ster zu ei­ner Gast­pro­fes­sur ein­ge­la­den. Auf die­se Stel­le wur­den ge­mäß ei­ner Tra­di­ti­on, die sich so er­ge­ben hat­te, öster­rei­chi­sche Schrift­stel­ler be­ru­fen. Ein­zi­ge for­ma­le Vor­aus­set­zung: ein aka­de­mi­scher Stu­di­en­ab­schluss. Es war so üb­lich, dass der Gast­pro­fes­sor ei­nen Nach­fol­ger oder ei­ne Nach­fol­ge­rin vor­schlug, der/die dann in al­ler Re­gel den Ruf er­hielt. Mein Vor­gän­ger war männ­lich ge­we­sen, als Nach­fol­ge­rin nann­te ich ei­ne Frau. Nicht, weil ich die Frau­en­quo­te he­ben woll­te – das mag ei­ne Rol­le ge­spielt ha­ben, in an­de­ren Kon­tex­ten wir­ke ich be­wusst in die­sem Sinn –, son­dern weil ich die­se Per­son für gut ge­eig­net hielt so­wohl we­gen ih­rer li­te­ra­ri­schen Fä­hig­kei­ten als auch we­gen vor­han­de­ner Un­ter­richts­er­fah­rung an Uni­ver­si­tä­ten. Hin­zu kam, dass sie sich, Mut­ter zwei­er klei­ner Kin­der, zu je­ner Zeit in fi­nan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten be­fand; ein zu­sätz­li­ches Kri­te­ri­um war für mich al­so das so­zia­le.

Im Ver­lauf der fol­gen­den un­ge­fähr 15 Jah­re, als ich längst in ei­ner an­de­ren ja­pa­ni­schen Stadt leb­te, fiel mir auf, dass aus­schließ­lich Au­torin­nen und Pu­bli­zi­stin­nen die­se Stel­le be­setz­ten, wo­bei sich der Wech­sel­rhyth­mus nicht än­der­te. Die Au­torin­nen hat­ten im­mer nur Au­torin­nen vor­ge­schla­gen. Ich ha­be nie nach­ge­fragt, auf­grund wel­cher Kri­te­ri­en, aber ir­gend­wann kam ich doch zu der Ver­mu­tung, dass hier ein­fach die Stel­le in weib­li­chen Hän­den blei­ben soll­ten. Män­ner wur­den – un­aus­ge­spro­chen, aber doch – aus­ge­schlos­sen.

Es ist be­kannt, dass sich in den Li­te­ra­tur­ge­schich­ten über die Jahr­hun­der­te hin­weg nur sehr we­ni­ge Frau­en fin­den, die ge­schätzt, ge­le­sen und stu­diert wer­den. Ein we­nig hat sich das ge­än­dert, Frau­en wer­den post­hum »ent­deckt«, aber aus dem Hut zau­bern kann man die Au­torin­nen rück­blickend nicht. Der deut­schen Ba­rock­dich­tung hat man vor ei­ni­gen Jah­ren ei­ne jun­ge Frau na­mens Si­byl­la Schwarz hin­zu­ge­fügt. In der Ge­gen­wart hat sich das Blatt ge­wen­det, es gibt min­de­stens eben­so vie­le Au­torin­nen wie Au­toren, die auch pu­bli­ziert und be­ach­tet wer­den. Seit 2010 wa­ren von den In­ge­borg Bach­mann-Preis­trä­ge­rin­nen elf Frau­en und drei Män­ner (die mei­sten üb­ri­gens zu­gleich mit Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund). In der Ju­ry ist das Ver­hält­nis der­zeit vier zu drei. In Re­dak­tio­nen, an Uni­ver­si­tä­ten, in Ver­la­gen ist die Zahl der Frau­en enorm an­ge­stie­gen. Ei­ne gu­te Sa­che, in­so­fern Viel­falt und Aus­ge­wo­gen­heit ge­stärkt wur­den. Bei all­dem soll­ten in ei­ner of­fe­nen Ge­sell­schaft die Ent­schei­dungs­kri­te­ri­en aber Kom­pe­tenz und Qua­li­tät blei­ben. Ich bin mir nicht si­cher, ob das im­mer der Fall ist. Na­tür­lich sagt nie­mand, er wol­le die­se Kri­te­ri­en um­ge­hen.

Sagt das nie­mand? Ein wei­te­rer Be­griff, der in den ver­gan­ge­nen Jah­ren Ver­brei­tung ge­fun­den hat, ist »po­si­ti­ve Dis­kri­mi­nie­rung«. Mei­ner Mei­nung nach ei­ne con­tra­dic­tio in adiec­to: Dis­kri­mi­nie­rung ist im­mer ne­ga­tiv, der Aus­schlie­ßungs­ef­fekt do­mi­niert. Es han­delt sich al­so um sprach­li­che Schön­fär­be­rei. Daß auf die Dau­er un­ter ei­ner sol­chen, meist als li­be­ral aus­ge­ge­be­nen Po­li­tik die Qua­li­tät der In­sti­tu­tio­nen lei­den wird, kann man an­neh­men.

Von der ein­gangs er­wähn­ten Über­set­zer­ge­mein­schaft ha­be ich un­längst ei­nen Rund­brief be­kom­men, in dem ei­ne »Über­set­ze­rin (weib­lich)« für das in Wien statt­fin­den­de Asi­en-Film­fe­sti­val Red Lo­tus ge­sucht wur­de. Sie soll­te ei­ne ja­pa­ni­sche Vi­deo-Bot­schaft un­ter­ti­teln und even­tu­ell ein Ge­spräch mit ei­nem Re­gis­seur (männ­li­chen Ge­schlechts) dol­met­schen. Ab­ge­se­hen von der ab­sur­den Kurz­fri­stig­keit die­ser Su­che – das Fe­sti­val soll­te in zwei Wo­chen be­gin­nen – wur­de aus­drück­lich und für mein Ver­ständ­nis eben­so ab­surd dar­auf ver­wie­sen, dass die Über­set­ze­rin weib­lich sein müs­se. Wohl­ge­merkt, es han­del­te sich nicht et­wa um ei­ne fe­mi­ni­sti­sche Ver­an­stal­tung. Wohl aber ist das ge­sam­te Team des Fe­sti­vals weib­lich – ab­ge­se­hen von ei­nem Tech­ni­ker und ei­nem Gra­phi­ker, die am En­de der Li­ste auf­ge­führt wer­den.

Ich hat­te al­so kei­ne Mög­lich­keit, die­sen Job, für den in Wien si­cher nur we­ni­ge in Fra­ge kom­men, an­zu­neh­men. Das Fe­sti­val ha­be ich nicht be­sucht, ich kann mir kein Ur­teil dar­über er­lau­ben. Um die Wahr­heit zu sa­gen: Ich war zu die­sem Zeit­punkt schon wie­der in Ja­pan (wo ich ei­nen der Fil­me se­hen konn­te). Sel­ten wird weib­li­che Dis­kri­mi­nie­rung, ob nun »po­si­tiv« oder nicht, so of­fen be­nannt wie von Red Lo­tus, doch zwei­fel­los kommt sie öf­ter vor. Als Grup­pe äu­ßern sich Män­ner da­zu nicht, ge­schwei­ge denn, dass sie sich weh­ren. War­um nicht? Kein Be­darf, schließ­lich ha­ben Män­ner al­les in al­lem im­mer noch mehr Macht als Frau­en. Es wird aber auch Scham ei­ne Rol­le spie­len, An­pas­sung, Op­por­tu­nis­mus, so­gar Un­ter­wer­fung. Angst vor den neu­en Mäch­ti­gen. Oder auch nur das Un­be­ha­gen, mit Grup­pen wie den In­cels, die­sen Frau­en­has­sern und em­pör­ten Jung­ge­sel­len, in Ver­bin­dung ge­bracht zu wer­den.

Uto­pi­sche Fra­ge: Wä­re es nicht mög­lich, dass Frau­en auf von Män­nern aus­ge­brü­te­te Tech­ni­ken und Struk­tu­ren der Macht ver­zich­ten, um ei­ne freie­re Ge­sell­schaft zu be­för­dern?

(Mai 2024)

© Leo­pold Fe­der­mair

7 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Man sieht, wie un­durch­sich­tig und schwer zu hand­ha­ben die For­mu­lie­run­gen für den Schreibenden/Sprechenden bei durch­ge­gen­der­ter Spra­che wer­den. »Sénat(eur)ices« ist ei­gent­lich auch falsch, ich hät­te »sénat(eu)rices« schrei­ben müs­sen. Und auch das trifft es nicht wirk­lich. Ist an­de­rer­seits egal, man hat da so­wie­so kein Ge­fühl für Rich­tig oder Falsch. Das Sprech­ge­fühl wird bei sol­chen Kon­struk­tio­nen taub. Wie aus dem Ar­ti­kel her­vor­geht, bin ich ganz und gar nicht da­ge­gen, bei­de Ge­schlech­ter zu er­wäh­nen oder ei­nes her­vor­zu­he­ben, wenn es im Kon­text paßt. Al­so ein­fach »les sé­na­teurs et sé­na­tri­ces«. Das ist im­mer noch flüs­si­ger als Sternchen/Schrägstriche/Klammern/Doppelpunkte.

  2. Die ideo­lo­gi­sche Über­hö­hung des Gen­derns kann man hier ex­em­pla­risch se­hen.

    Ich er­tap­pe mich da­bei, dass mir die Dop­pel­form (»Jour­na­li­stin­nen und Jour­na­li­sten«), die sich in­zwi­schen in na­he­zu je­dem neu her­aus­ge­brach­ten Sach­buch fin­den lässt (und zwar oft mehr­mals in ei­nem Satz) ner­vi­ger ist als Dop­pel­punkt oder schlicht­weg das An­häng­sel »In«. Die Uni be­lehrt ei­nem al­ler­dings, dass die­se For­men ver­al­tet sind, weil sie »nicht-bi­när ver­or­te­te Men­schen« nicht be­rück­sich­ti­gen sol­len. Das ist de­ren Ernst, neh­me ich an.

    Furcht­bar sind die »sub­stan­ti­vier­te Par­ti­zi­pi­en und Ad­jek­ti­ve« wie zum Bei­spiel »Stu­die­ren­de« oder »For­schen­de«. In­zwi­schen ver­wen­det je­der Trot­tel die­se For­men – nicht zu­letzt auch in Leit­me­di­en des öf­fent­lich-recht­li­chen Rund­funks, die mir die­sen Un­sinn auf­zwin­gen.

    In den bei mir reich­lich ein­ge­hen­den Ver­lags­vor­schau-Mails wird fast durch­gän­gig ge­gen­dert (häu­fig noch Dop­pel­form, aber im­mer mehr Stern­chen oder ähn­li­ches). Ich ma­che mich dem­nächst dar­an, die­se Nach­rich­ten ab­zu­be­stel­len.

    Än­dern kann man das nicht mehr; eher im Ge­gen­teil. Ei­ni­ge stem­men sich jetzt noch da­ge­gen, aber die Ver­dum­mung ist nicht auf­zu­hal­ten.

  3. Um den Un­sinn au­gen- und vor al­lem oh­ren­fäl­lig zu ma­chen, zei­ge ich in un­se­rer hie­si­gen, na­tur­na­hen Kneipp-An­la­ge den an­we­sen­den Kin­dern und Kin­de­rin­nen ger­ne die Was­ser­lau­fen­den und Heu­schrecken­den...

  4. Mei­ne 17-jäh­ri­ge Toch­ter liest mir im­mer wie­der mal Auf­sät­ze vor, die sie für die Schu­le schreibt. »Ge­schlech­ter­ge­rech­te« Spra­che wie bei »Student...innen« (in ih­rem letz­ten Text) hat sie ver­in­ner­licht, sie spricht sol­che Wör­ter au­to­ma­tisch mit kur­zer Pau­se vor dem »in­nen«. Dar­an kann ich mich ein­fach nicht ge­wöh­nen, es schmerzt in den Oh­ren. Und sie fin­det die­se Art zu spre­chen auch nicht gut, wir la­chen bei­de dar­über. Aber hält sie sich nicht an den neu­en Stan­dard, be­kommt sie Punk­te­ab­zü­ge und wird in der Schu­le so­wohl von Lehrer*innen (ei­gent­lich Lehrer*innen/n) als auch von Schulkolleg*innen zu­recht­ge­wie­sen. Un­ter die­sen Um­stän­den kann nur zu­tref­fen, was Gre­gor K. sagt: Es gibt kein Zu­rück. Die her­an­wach­sen­den Ge­ne­ra­tio­nen wer­den in­dok­tri­niert, das ge­ne­ri­sche Mas­ku­li­num ver­schwin­det, das In­nen-Fe­mi­ni­num wird do­mi­nie­ren und letz­lich die mas­ku­li­ne Form er­set­zen, oh­ne ge­ne­risch zu wir­ken. Frei­heit des Aus­drucks: Fehl­an­zei­ge. Statt des­sen je­de Men­ge Re­geln, wie man ei­ne so­ge­nann­te­Text­sor­te zu kon­stru­ie­ren ha­be.

    Es kann al­ler­dings auch sein, dass die Rechts­po­pu­li­sten dem­nächst al­les wie­der zu­rück­dre­hen und ver­bie­ten. Auch nicht im Dien­ste der Frei­heit. Vom Re­gen in die Trau­fe.

  5. Dass es bei Nicht-Gen­derns Punkt­ab­zü­ge gibt, wird ja im­mer be­strit­ten (min­de­stens für den uni­ver­si­tä­ren Be­reich) und dürf­te m. E. auch nicht recht­lich Be­stand ha­ben. Es wird ver­mut­lich aber nie di­rekt als Feh­ler ge­wer­tet, son­dern fließt un­ter­schwel­lig in die Be­wer­tung ein.

    In Bay­ern wur­de Be­hör­den und Äm­tern das Gen­dern of­fi­zi­ell von der Lan­des­re­gie­rung un­ter­sagt. Ich kann dar­an nichts Fal­sches fin­den. Ob man die­sen Un­sinn auf lan­ge Sicht da­mit auf­hal­ten ist, ist al­ler­dings of­fen.

  6. @ Gre­gor K.

    Ich wür­de es nicht un­ter­sa­gen. Wenn je­mand so schrei­ben will... Wür­de es aber auch nicht emp­feh­len oder för­dern.

  7. @ Leo­pold Fe­der­mair

    Na­ja, es geht dar­um, ob Be­hör­den die­se Spra­che an­wen­den oder nicht. Da es ein ein­heit­li­ches Bild braucht, wur­de es in Bay­ern of­fi­zi­ell un­ter­sagt. Wie die Leu­te pri­vat agie­ren, bleibt da­von un­be­las­sen. An­ders sieht es in Me­di­en aus. Wenn der öf­fent­lich-recht­li­che Rund­funk, der von al­len fi­nan­ziert wird, in al­len mög­li­chen For­men gen­dert, ist dies ein Auf­zwin­gen. Da es die Mehr­heit nicht möch­te, soll­te man vor über­zo­ge­nen oder schlicht fal­schen Ver­wen­dun­gen (»Mit­ar­bei­ten­de«, die ent­las­sen wur­den oder »Rad­fah­ren­de«, die stürz­ten) Ab­stand hal­ten.

    Dass sich der Wind ir­gend­wann ge­ne­ra­ti­ons­mä­ßig durch die In­dok­tri­na­ti­on, die schon in der Schu­le be­ginnt, dreht, ist na­tür­lich klar. Es sei denn, die­se Sek­ten­spra­che wird ir­gend­wann man­gels In­ter­es­se wie­der ein­ge­stampft.

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