Sprich, Beton!
Von Sander Ort
Einen Gruß an den mutigen Tell,
sozusagen von Turm zu Turm —
meiner hier in der Banlieue
aus Elfenbeinasche,
sprich Beton.
Einen Wink, einen ratlosen Wink
zum schillernden Grünbein,
an dem ich das Knie-Beugen sah,
um das es im Drama ging.
(Was sage ich?— g e h t).
Nein, ich wollte nichts zu Tellkamp schreiben, wie ich auch schon nichts zu Simon Strauß geschrieben hatte. Die Empörungsmaschinen des sogenannten Literaturbetriebs sind inzwischen derart vorhersehbar, dass sie jeden denkenden Menschen langweilen müssen. Unnötig seine kostbare Lebenszeit mit den Figürchen zu verbringen, die sich für die Literaturvermittler halten und beim kleinsten Erschüttern ihres Weltbildes zu den rhetorischen Waffen rufen. Die macht inzwischen auch vor Sippenhaft nicht mehr halt. Detektivisch werden dann die fiktionalen Texte analysiert, ob man nicht zwei- oder mehrdeutige Stellen entdeckt.
Wer eine gewisse Lebenszeit mit diesen Hysterisierungen verbracht hat, wird irgendwann müde. Es fing bei mir an mit der Jenninger-Rede 1988. Der damalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger hielt zum 50-Jahrestag der Novemberprogome eine Rede im Deutschen Bundestag, der die Überlegungen der Deutschen zum Nationalsozialismus thematisierte und – das war das Verhängnis – aussprach. Jenninger wurde unterstellt, er mache sich mit den Entschuldigungen der deutschen Mitläufer gemein. Wer lesen konnte und wollte hätte leicht feststellen können, dass dies absurd war. (Lediglich war Jenninger rhetorisch nicht auf der Höhe.) Dennoch war Jenninger nicht mehr zu halten; er trat bereits am nächsten Tag zurück. Diskussion sinnlos. Politisch war er sozusagen erledigt; nie mehr hat er sich von dieser Stigmatisierung erholt.
Der Reigen ließe sich immer weiter fortsetzen: Walsers Paulskirchenrede etwa. Strauß’ »Anschwellender Bocksgesang«. Handkes Jugoslawien-Texte. Grass’ Israel-Gedicht. Und so weiter.
Und jetzt also Uwe Tellkamp. Hauptvorwurf: Er hat 95% gesagt. Er hat einen Prozentsatz genannt, der nicht belegt ist. Zugegeben, das kann man vorwerfen. Aber es handelt sich um eine Podiumsdiskussion, nicht um einen wissenschaftlichen Vortrag. Und dann geht Tellkamp mit den Medien ins Gericht; die Ikone Prantl wird angegriffen (ein Affront in manchen Kreisen). Das macht man nicht. Dann noch verteidigen, dass rechte Verlage auf der Buchmesse ausstellen können. Aber über die Ausstellung eines Verlages, den ein verurteilter ehemaliger RAF-Terrorist mitgegründet hat, verlor niemand ein Wort. (Übrigens auch zu Recht.)
Was er sonst noch gesagt hat, kann man hier nachlesen – sorry, es ist eine jener Webseiten, die von denen, die jegliche Pauschalisierung ablehnen, pauschal als rechts eingestuft wird. Aber ich hab’s sonst nirgendwo gefunden. Jeder kühlt jetzt sein Mütchen zu Tellkamps Lasten. (Sofortige ENtschuldigung meinerseits für die Pauschalisierung »jeder«, die rhetorisch gemeint ist, nicht emprisch -
soviel Distanzierung muss inzwischen wohl sein.) Ruhigere Worte gibt es selten. Befeuert wurde die Diskussion ausgerechnet durch Tellkamps Verlag Suhrkamp, der sich nach wenigen Stunden genötigt sah, sich zu distanzieren. Dass er sich nicht von Grünbeins Äußerungen gleich mit distanzierte, erkennt man an der Nutzung des Hashtags #tellkamp. Demzufolge kann man schließen, dass Grünbeins Äußerungen diejenigen sind, die der Verlag duldet. Alleine: Wen soll das interessieren?
Und ja, ich hätte ich mir gewünscht, Tellkamp hätte seine Sorgen, seine Thesen in einem Essay oder eben nur Aufsatz formuliert und begründet. Darüber hätte ich vielleicht noch mal einen Text verfasst.
Aber so ist es ein Gedicht meines Freundes Sander Ort.
Respekt vor Grünbein!
Zurück zum Beton!
Und alle Türme müssen fallen !
Naja, für das, was Grünbein in der Zeit zu Suhrkamp und Sarrazin sagte – okay. Aber Tellkamp bei Pegida zu verorten? Das ist mir ein bisschen zu einfach. Respekt?
Man sollte generell überprüfen, ob Schriftsteller als Zeitdiagnostiker und/oder politische Sensoren taugen. Meist ist das nicht der Fall.
Tellkamp spricht als Lokaler / als Sachse – und sagt nichts, was man nicht auch von Pegida hört (das ist das, was mich eigentlich erschreckt – dass er als Wortmensch da keine Eigenpositionen / Differenzierungen / größere Genauigkeiten von mir aus über sein Betroffensein als wer auch immer findet: Im Gegenteil! (Die anscheinend von ihm gefühlten 95 %: geschenkt.) Weiß er nicht, in welcher Gesellschaft er da redet? (Von den Totschläger-Reihen und dem genuinen NSU-Untergrund mal ganz abgesehen.)
Da ist die Fallhöhe für Grünbein höher. Der außerdem klar macht, dass auch die Ossis ‘Eingewanderte’ sind. Sich da auf’s Nationale rauszureden ist nicht nur zu wenig, sondern das Nationale ist auch kein (Eigen-)Verdienst, den sie originär vertreten könnten. ‘Deutschland’ ist heute eben längst etwas anderes (in dem einem sicher Vieles nicht gefallen kann).
Wenn Tellkamp über sein eigenes Unbehagen geredet hätte, etwa an der Ohnmacht über sich ein derart rasch und radikal änderndes Land, in dem der Eingeborene sich nicht gefragt fühlt, hätte ich ihm vielleicht folgen können. Aber die Wir-sind-das-Volk als Opfersache aufzuziehen reicht überhaupt nicht.
Ob Autoren als Diagnostiker taugen, ist egal: Sie werden gefragt, und zwar wegen der ihnen unterstellten Qualitäten, sich differenziert und mutmaßlich klug und also stellvertretend zu äußern. Da fällt ihnen etwas zu. Sich da eklatant unter seinen Möglichkeiten zu bewegen, reicht dann doppelt nicht.
Die Parallele Tellkamp / Pegida ist mir zu einfach. Es stimmt, vieles was er sagt, ist nicht neu und das hat man sonstwo schon überall und immer gelesen. In Robin Alexanders »Die Getriebenen« kann man die Mechanismen der Flüchtlingspolitik 2015f nachlesen – inklusive der (vermeintlich?) rechtlichen Grauzonen, in denen damals die Regierung handelte. Auch das: geschenkt. Schlimmer war noch dass die Medienmeute sich einhellig verständigte. Wir hatten tatsächlich für einen Moment Regierungsfernsehen und ‑zeitungen. Niemand hat sich seriös (!) die Mühe gemacht, die Verallgemeinerungen dieser Zeit jemals zu überprüfen. Etwa, wenn ein Firmenboss von einer Einwanderung von Fachkräften sprach. Eine solche Fehleinschätzung, die ja gut gemeint ist, wiegt schwerer als Tellkamps Geraune.
Grünbein kenne ich zu wenig; gelesen habe ich von ihm nichts. Er hat den Büchner-Preis, ist also befreiter als ein Tellkamp, der den jetzt niemals bekommen wird. Wenn ich es richtig verstanden habe, setzt er sich für die Rehabilitation der Person Sarrazin ein – eine interessante Volte. Auch hierüber würde ich gerne mehr lesen.
Was mich immer schon stört – und das immer mehr: Dieses Befragen von Autoren nach politischen, gesellschaftlichen oder gar wirtschaftlichen Entwicklungen. Als stünden ihnen qua ihres Schreibertums besondere Eigenschaften zu. Wir wissen doch längst, dass das Gegenteil der Fall ist. Aber es wird immer wieder gerne gehört und gelesen, wenn ein Schriftsteller, Schauspieler oder anders begabter Künstler die gewohnt linksliberale Meinung zum Besten gibt. Dieses Vuvuzela-Getröte ist mir längst unerträglich geworden. Aber es ist unabdingbar, um zu reüssieren – man schaue die diversen Literaturpreisträger an, die es so gibt: Alles konforme Adjutanten. Meist ist ihre Literatur auch entsprechend. Leider.
Damit ist nicht gesagt, dass die Literatur der Unangepassten besser ist (Botho Strauß ist für mich so ein Beispiel: Außer seiner Vater-Erzählung sind die anderen, ins Mystische gehenden, zuweilen aphoristisch daherkommenden Bücher nur mehr schwer erträglich für mich). Einen neuen Tellkamp würde ich dennoch lesen wollen. Aber ich erwarte ihn nicht sehnsüchtig.
Eine eigenartige Diskussion, ich kann mich nicht erinnern, mich jemals während einer solchen Sendung so unbehaglich gefühlt zu haben: Auf der einen Seite ein nervös und verletzt wirkender Tellkamp, der sich immer reflexhafter die Haare zurückstreicht, das Wasserglas zurückstellt, sich zurückwirft, der angreifen oder sich verteidigen will und irgendwie zurückprallt. Und auf der anderen Seite ein von Anfang an verschlossener Grünbein, der noch bevor die Diskussion beginnt, mit vor der Brust verschränkten Armen dasitzt und seine Differenzen nur zu machen scheint, um sich nicht mit etwas gemein machen zu müssen, der sich immer weiter von Tellkamp wegkrümmt, ja windet, der seine Aversion nicht zu bändigen weiß, die vielleicht der Grund seiner Unruhe ist, nur in dem Moment, wo er Kubitschek antwortet, scheint er gefasst, schnellt ein Pfeil von der Sehne. Die beiden können zusammen nicht kommen, vielleicht gerade weil sie Schriftsteller sind, oder aber nur, weil sie erstaunlich wenig souverän, gefasst, ja gelassen sind.
@metepsilonema
Schöner Kommentar.
@metepsilonema
Nervös und verletzt... Schreibt Tellkamp eigentlich noch?
@Leopold Federmair
Im Sommer letzten Jahres gab es schon eine kleine Sache, die als Fortsetzung vom »Turm« gelesen wurde und in eine große Erählung einfließen sollte. Aber das große Werk ist bisher nicht vorangekündigt.
Ich hielt das Büchlein in Händen und hatte das Gefühl, es mit einer Verlegenheitspublikation zu tun zu haben. (Den Turm hatte ich erstiegen, dabei allerdings immer wieder ein paar Treppen ausgelassen.)