Nach dem monumentalen, doku-dramatischen Roman »Menschings Augen« aus dem Jahr 2018 über den Gedächtniskünstler, Hellseher und Psycho-Graphologen Rafael Schermann, der in den 1940er Jahren in einem sowjetischen Gulag gelandet war und sein Leben einem Berliner Kommunisten erzählte und, drei Jahre später, den leichten, weltzugewandten Gedichten »In der Brandung des Traums«, legt Steffen Mensching mit »Hausers Ausflug« nun eine anspruchsvolle Melange aus Science-Fiction-Roman und Thriller vor.
»Als David Hauser eines Tages erwachte, fand er sich in seiner AIRDROP-Kapsel zum syrischen Staatsbürger Walid Said verwandelt.« So könnte man – einen berühmten Anfang Beginn dieses Romans erzählen – was der Autor natürlich nicht macht. Die Hauptfigur, David Hauser, 52, seit dem 7. Lebensjahr mutterlos, lebt nach anfänglichem Scheitern als erfolgreicher Unternehmer in Berlin. Man schreibt das Jahr 2029 und Hausers Firma hat eine effektive und sichere Kapsel entwickelt, die abgelehnte Asylbewerber wieder in ihre Heimatländer verbringt – per Abwurf aus einem Flugzeug aus 2000 m Höhe. 10.000 Euro pro Person kostet dem Auftraggeber (es sind in der Regel Staaten) dieser »Transport«, inklusive Kapsel. Hauser gehören auch die Flugzeuge, die er in der letzten großen Pandemie (2024/25) von finanziell notleidenden Fluggesellschaften aufgekauft hatte. Seine Flotte besteht inzwischen aus über 40 Maschinen; mindestens zwei Maschinen pro Tag starten von Parchim bei München mit »Repatriierungen«. Es gab natürlich »nicht wenige Menschen, die ihn verachteten«, aber Hauser stört dies wenig, zumal er sich zurechtlegte, dass viele Flüchtlinge mangels Perspektive in Europa wieder zurück wollten, die Heimatländer jedoch eine Einreise verweigerten.
Plötzlich sitzt er also selber in einer solchen Kapsel; erinnerungslos, wie dies passieren konnte. Nicht nur seine Patek-Philippe-Uhr war verschwunden. Er steckte zudem in anderer, ihm unbekannter, »säuerlich« riechender, Kleidung; lediglich der schwarze Slip von Calvin Klein war ihm geblieben. Das Luxus-Smartphone war zu Gunsten eines älteren Gerätes ausgetauscht worden (Status: »Low battery«). Der syrische Pass, den man ihm mitgegeben hatte, trug sein Foto und sein Geburtsdatum; ausgestellt auf den Namen Waid Said. Hauser bekam den Aufprall mit und findet sich in einer »Mondlandschaft ohne menschliche Spuren« wieder. Immerhin, das »Notfallpaket«, welches jeder Kapsel mitgegeben wird, ist vorhanden: 10 Multivitaminriegel, zwei Wasserflaschen, Schmerztabletten, Sonnenbrille, Handschuhe. In der Kleidung eine Schachtel Zigaretten (Hauser war Nichtraucher geworden), ein Feuerzeug, Zahnseide und zwei S‑Bahn-Fahrkarten aus Berlin.
Hauser grübelt. Wie ist das passiert? Er hat einen Blackout, rekonstruiert mühsam Erinnerungsfetzen. Wer könnte dies eingefädelt haben? Vielleicht seine Sekretärin Isabel, mit der er vor langer Zeit einmal ein Verhältnis hatte, die unverzichtbare rechte Hand? Vielleicht sein Freund und Anwalt Ehrlich (der seinen Geburtsnamen »Schaden« bei der Heirat ablegte)? Oder eine dieser NGOs, denen Hausers Geschäftsmodell ein Dorn im Auge sind? War es vielleicht nur ein Scherz? Oder eine Erpressung? Dann müssten sich bald Erpresser seiner annehmen. Davon ist nichts zu bemerken. Er ist alleine.
Hauser überlegt, wem seine Abwesenheit in Berlin auffällt und was man unternehmen wird. Schließlich hatte er Termine und – das ist sicher – er ist unersetzbar. Wird er in den Nachrichten vermisst gemeldet werden? Ab wann wird man eigentlich für tot erklärt? Aber zunächst einmal begibt er sich auf Wanderschaft, taumelt halbwegs orientierungslos durch die Landschaft, besteigt einen kleinen Berg. In einer Mischung aus Ed Stafford und Robinson Crusoe wird man über die (eher bescheidenen) Fortschritte und (sinkenden) Vorräte von einem personalen Erzähler informiert, wenn Hauser nicht gerade über sein Leben nachdenkt. Oder seinen verwitweten Vater, den Nationalpreisträger und Schriftsteller Dieter Hauser, ein »Humanist«, der seinen Sohn wegen seiner Geschäfte einen Rassisten nennt, während er mit seiner afrikanischen Haushaltshilfe ein Verhältnis pflegt.
Die erste Nacht verbringt Hauser aus Furcht vor Wölfen auf einem Baum; er halluziniert. Die Zigaretten sind sein einziger Luxus. Weit und breit keine Aussicht auf eine menschliche Siedlung und, vor allem, kein Wasser. Der einst als »Freak unter den Managern« apostrophierte Hauser leckt Tau von Blättern und macht schließlich den größten Fehler: er trinkt seinen eigenen Urin.
Mensching vermeidet trotz der dubiosen Figur Hauser jedes moralisieren; der aufgrund seiner Geschäfte zunächst eher unsympathische Protagonist wird nicht verurteilt und der Leser fiebert sogar zeitweise mit ihm. Nach spätestens 30 Seiten ist es geschehen – man kann dieses Buch nun nicht mehr aus der Hand legen. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Fortgang des Romans nicht weiter erzählt wird. Nur so viel: David Hauser bleibt nicht alleine. »Hausers Ausflug« ist ein schwungvoller »Pageturner« mit erstaunlichen Wendungen, changierend zwischen Kammerspiel, Parabel und am Ende sogar Tragödie.